Liste der Raumvorstellungen
Der erlebte natürliche Raum
Im Gilgamesch-Epos, der ältesten Dichtung der Menschheit, besteht der Held insbesondere den Kampf gegen die Natur. Sein Ziel ist es, alle Weltgegenden zu durchqueren, nach dem Leben suchend dort, wo noch nie ein Mensch gegangen ist. Weil er dabei in immer neue Räume vordringt, muss er Pässe über Berge öffnen, Brunnen graben, die Eingänge des Waldes finden, den Ozean überqueren.
-
Gelände: Festland im Unterschied zu Gewässern
-
Zeichen
natürliche Landmarken mit assoziativem Erscheinungsbild wie etwa einzelstehende Bäume, Hügelformen, Bergspitzen, Felsformationen,
Kap u.a.m.
-
-
Bönisch-Brednich, Brigitte
Die Quelle und das Feld? Zum Gebrauch von Metaphern in der heutigen Volkskunde.
S. 373–386 in: Rolf Wilhelm Brednich
, Heinz Schmitt
(Hg.)
Symbole. Zur Bedeutung der Zeichen in der Kultur.
30. Deutscher Volkskundekongreß in Karlsruhe vom 25. bis 29. September 1995. Münster 1997: Waxmann
Gregorius, Adolf
Der Name Wöste
. Ein Beitrag zur Ortsnamenkunde.
Westfälische Zeitschrift 91 (1935) 280-302,
Online
Eine ausführliche Untersuchung der Begriffe Wald, wild und wüst, öd (Einöde) mit deren Bezügen zu Dickicht, lateinischem vasta, deserta (gr. eremos) im Zusammenhang mit herrenlos, unbewohnt, verlassen, vasta solitudo `herrenloser großer Wald´.
Jacob Grimm
Irmenstrasse und Irmensäule: eine mythologische Abhandlung.
65, 1 S. , 1 Bl. Wien 1815: Mayer.
Online
Grimm erschließt ausgehend von der Milchstraße, mythologische Quellen heranziehend und etymologisch deutend, die Begriffe
Pfad,
Bahn,
Weg,
Straße sowie Erde,
Gang,
Wagen, brechen (>
Route), legen (Bett, Lager), weit /breit und deren Verknüpfung mit den vier alten englischen Königsstraßen (Fosse, Hikenildestrate (Icknield Street), Herningestrate (Ermine Street), Watlingstrate (Watling Street), der schwedischen Eriksgata, Heerstraßen, Diotsweg (allamannavegr), den Reichsstraßen. Die Zusammenhänge und Schlussfolgerungen sind gleichwohl zu prüfen.
Günther, A.
Gebirge, Flüsse, Wüsten, Wälder: Grenzen oder Verbindungen
in: Comité International des Sciences Historiques, Rapports I,
Stuttgart 1985, S. 315-317
Lindemann, Uwe
Die Wüste. Terra incognita. Erlebnis. Symbol. Eine Genealogie der abendländischen Wüstenvorstellungen in der Literatur von der Antike bis zur Gegenwart.
Zugl.: Bochum, Univ., Diss., 1998, 450 S. Heidelberg 2000: Winter
Hans Mortensen
Die landschaftliche Bedeutung der Ausdrücke Wildnis, Wald, Heide, Feld usw. in den Quellen des deutschen Nordostens
S. 127–42 in: Herbert Knothe: Vom deutschen Osten. Max Friederichsen zum 60. Geburtstag. Breslau 1934: Marcus.
Tuan, Yi-Fu
Landscapes of Fear.
262 S. New York 1979: Pantheon; Oxford 1980: Blackwell. Inhalt u.a.:
Waldstätten, Johann, Baron von
Die Terrainlehre.
201 S. Wien 1874: L.W. Seidel.
Natürliche Übergänge
Furt
Durchgang gegen Widerstand (lat. per, jedoch: transitus)
Gestade
das Feststehende, Festland, der Rand des Landes im Wasser
-
Saum
Übergang zwischen Wald und Feld, Wiese und Bach, …
Roland Wenzlhuemer
Transiterfahrungen in einer vernetzten Welt.
Ruperto Carola 9 (2016): Stop & Go
DOI,
Online
Natürliche Enden
An manchen Orten ist der Einzelne zurückgeworfen auf sich selbst, isoliert von der Gemeinschaft. Damit verbindet sich das Gefühl der Ausgesetztheit in besonderen geographischen Umgebungen wie:
Eiland,
Insel
umgeben von Wasser
Kap
geographisch nicht eindeutig abgrenzbar von Landspitze (Ort) und Halbinsel
Oase
umgeben von der Leere/Öde (Rub al-Chali arabisch Leeres Viertel'), Gegenteil zu > Ort; aus altägyptisch wḥ3.t `Kochkessel´,
Ort
als Spitze eines Landstücks, umgeben von Wasser >
Ende der Welt
Topp
als Gipfel umgeben vom Abgrund (bodenloses Nichts)
Eisel, Ulrich
Konkreter Mensch im konkreten Raum. Individuelle Eigenart als Prinzip objektiver Geltung.
S. 197–210 in: H.-D. Schultz: Arbeitsberichte Geographisches Institut, Humboldt-Universität zu Berlin, 100.
Online
Eisel, Ulrich
Weltbürger und Einheimischer. Naturerfahrung und Identität.
S. 135-146 in: Poser, H., Reuer, B. [Hg.]: Bildung Identität Religion. Fragen zum Wesen des Menschen. Berlin 2004.
Carter, Erica
; Donald, James
; Squires, Judith
(Hg.):
Space and Place: Theories of Identity and Location.
399 S. London 1993: Lawrence & Wishart.
Sehen: Das Herstellen des Raumes
Der Blick des Menschen sucht in der Natur feste Punkte und schafft Formen, die Ordnung und damit Orientierung ermöglichen, weil sie zum Zeichen werden:
Verloren Gehen - das Verschwinden des Raumes
-
Höhle &
Loch > Innen & Außen > Eingang (lat. introitus) > Leere, Dunkelheit, Versteck
-
Schmid, Holger
Zur Epistemologie des Labyrinths.
Revue Internationale de Philosophie, 54.211.1 (2000) 135–147.
Online
-
Versteckt – Verirrt – Verschollen. Reisen und Nichtwissen
Gradinari, Irina
,
Dorit Müller
,
Johannes Pause
Versteckt – Verirrt – Verschollen. Reisen und Nichtwissen.
IX, 438 S. Wiesbaden 2016: Reichert.
Inhalt
Kafka, Franz
Der Verschollene. Jost Schillemeit (Hg.): Kritische Ausgabe, Frankfurt a. M. 2002
Heimböckel, Dieter, ‚Amerika im Kopf‘. Franz Kafkas Roman Der Verschollene und der Amerika-Diskurs seiner Zeit, in: DVjs 77.1 (2003) 130-147
Neumann, Gerhard
}
Der Wanderer und der Verschollene. Zum Problem der Identität in Goethes
‚Wilhelm Meister‘ und in Kafkas
‚Amerika‘-Roman.
in: J. P. Stern (Hg.): Paths and Labyrinths, London 1985, S. 43-65
Kuhn, Kristina
; Wolfgang Struck
Aus der Welt Gefallen. Die Geographie der Verschollenen.
200 S. Paderborn 2019: Wilhelm Fink.
Polko, Elise
Erinnerungen an einen Verschollenen. Aufzeichnungen und Briefe von und über Eduard Vogel
[1829–1865]. Gesammelt von seiner Schwester.
Leipzig 1863
Der Teilnehmer einer britischen Tschad-Expedition, zusammen mit Heinrich Barth
, wurde vermutlich auf Auftrag des Sultans von Wadai ermordet. Gustav Nachtigal
trug 1873 zur Klärung der Umstände bei.
Stüssel, Kerstin
Verschollen. Erzählen, Weltverkehr und Literatur in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
in: Michael Neumann/Kerstin Stüssel (Hg.): Magie der Geschichten. Weltverkehr, Literatur und Anthropologie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Paderborn 2011, S. 265-281
Der vorgestellte Raum
Tröstlicher als das Nichts und hoffnungsvoller als das Chaos sind Vorstellungen über unbekannte Räume. Manche davon sind als Geflügelte Worte in die Umgangssprache eingegangen:
Der vom Menschen gegliederte Raum
Spuren gliedern den Raum auch dort, wo nie ein Mensch war. In der Vorstellung des Menschen werden sie jedoch zu Fährten hin zu einem begehrenswerten Ziel.
Der Weg zeigt Gewohnheiten an und gliedert den Raum, indem er Ziele der Vorgänger speichert.
Die Bahn ordnet die Natur den menschlichen Zielen unter, indem sie diese gewaltsam verändert.
Der Steinmann ist das erste dauerhaft gesetzte Zeichen des Menschen, das verkündet »Ich war hier«.
Der Raum (die 'geräumte' Fläche im Wald) zeigt an »Hier bleibe ich«.
Erschaffene Räume
Zeichen
Distanz
Georg Toepfer
Distanz.
In: Forum Interdisziplinäre Begriffsgeschichte 1/2012, Hg. v. Ernst Müller, E-journal.
Online
-
-
Erschaffene Übergänge
Steg > Brücke
Damm & Deich
-
Tor < unterbrochene Ackerfurche (lat. porta)
1) <
Fahrt & Fuhr
Erschaffene Enden
Einfriedung
Umfriedung: Hecke, Zaun, (Mann-)hagen
Mark
ursprünglich das farblich hervorgehobene Grenzzeichen (Mal) zwischen angrenzenden Siedlungsräumen, später Grenzwald als Ganzes.
Ort
im übertragenen Sinne als Siedlung
Rain
als Abschluss eines Feldes oder Ackers 'Gewände'
Standpunkte des Menschen im Raum
Die Vorstellung des Raumes zerfällt für Sesshafte in den bekannten, befriedeten (umzäunten) Raum und in die Wildnis; der Einzelne verlässt die Gemeinschaft ohne die Bindung an sie aufzugeben. Hier ist Oikumene, dort ist es öd und wüst, eben (menschen-)leer, ungeachtet der Landschaftsform als Wüste, Wald, Busch, Berge, Ozean.
Punkte & Richtungen
Ränder
Finis terra
`
Ende der Welt´, mit der doppelten Bedeutung von `Ende´ als
finis auch `Endzweck, letzte Ursache´ und
terminus `Grenze´
-
Peripherie
`sich herumbewegen´von altgriechisch periphéresthai περιφέρεσθαι >
Einzelne im Zentrum > Umland, Randland und Randzone
Pufferzone
Cleef, Eugene van
Hinterland and Umland.
Geographical Review 31. 2 (1941) 308–11
DOI.
Werner Stegmaier
Orientierung nach Zentrum und Peripherie.
S. 25-35 in: Bernfried Lichtnau (Hg.): Bildende Kunst in Mecklenburg und Pommern von 1880 bis 1950. Berlin 2011: Lukas
Räume
Berges, Wilhelm
Land und Unland in der mittelalterlichen Welt.
in: Festschrift für Hermann Heimpel zum 70. Geburtstag am 19. September 1971, Bd. 3, S.399-439
Antje Schlottmann
,
Judith Miggelbrink
(Hg.)
Visuelle Geographien zur Produktion, Aneignung und Vermittlung von RaumBildern.
299 S. Bielefeld 2015: transcript
Inhalt
Der konstruierte Raum
Raum zu konstruieren setzt Beobachtungen voraus, die der Erfahrung bedürfen und daraus folgend Hypothesen über Raumvorstellungen, die durch Messungen falsifiziert werden. Solche Vermessung wurzelt im Abstecken von Land und im Bau von Gebäuden, schreitet fort über Wegebau zur Geographie und ist Voraussetzung für Kartographie.
Anaximander
(610–546 BC) war der Erste, der Erde, Welt und Kosmos in einen nicht-mythischen, sondern sachlich-räumlichen Zusammenhang stellte. Europa erscheint bei ihm erstmals als Einheit. Nach Cicero
(106–43 BC) postulierte er als Erster die Kugelgestalt der Erde, siehe Weltbild.
Die gedachte Landschaft wird zur Karte mit neuen Merkmalen. Erst die geographisch gedachte Erde hat Pole, einen Äquator, Wendekreise, Breiten- und Längengrade, die man wandernd nicht in der Landschaft sehen kann. Den Raum mit der Zeit verbindend, lassen sie sich jedoch messen, etwa wenn die Sonne am Äquator senkrecht steht oder wenn mit einem Gnomon die Schattenlänge bestimmt wird.
-
-
-
Breitengrade
Globus
Terra continens (lat.): `zusammenhängendes Land´ >
Kontinente
Längengrade
Nordpol & Südpol
-
Sphären & Zonen: Boreal, Gemäßigt, Subtropen, Tropen,
Artefakte von Raummodellen
»Weiße Flecken« erscheinen als Artefakt der Kartographie, wenn durch sie Räume als Konstrukt des Modells entstehen, über die man nichts weiß.
Merriman, Peter
Mobility, space, and culture.
214 S. New York, NY 2012: Routledge.
Edward William Soja
(1940–2015)
Thirdspace: Journeys to Los Angeles and Other Real-and-imagined Places.
Malden 1996: Blackwell
ders.: Die Trialektik der Räumlichkeit.
S. 93–123 in: Robert Stockhammer (Hg.): Topographien der Moderne. Medien zur Repräsentation und Konstruktion von Räumen. Paderborn 2005.
ders.: Thirdspace – Die Erweiterung des Geographischen Blicks.
S. 269–288 in: Hans Gebhardt, Paul Reuber, Günter Wolkersdorfer (Hg.): Kulturgeographie. Aktuelle Ansätze und Entwicklungen. Heidelberg/Berlin 2003: Spektrum.
Kriz, K.
,
Cartwright, W.
,
Kinberger, M.
(Hg.)
Understanding Different Geographies. Lecture Notes in Geoinformation and Cartography.
248 S. Berlin, Heidelberg 2013: Springer.
DOI
Der paradoxe Raum
Leere
Das Loch ist eine Raumerfahrung etwa als Eingang zur Höhle, setzt aber immer eine Umgebung, mindestens einen Rand, voraus. `Rand´ dient bereits als Abstraktion, denn der Rand des Himmels ist der Horizont, der Rand des vertrauten Territoriums die Peripherie. Die Leere wartet hinter dem Rand, gesteigert noch durch die Vorstellung des Raumes als einem Nichts ohne Rand und Ende und erschreckt die Menschen seit je:
Die Philosophie erkannte daher für richtig, dass es keinen Raum ohne Ort gibt und keinen Ort ohne Raum. Die moderne dreidimensionale Auffassung eines Raumes (Höhe, Breite, Tiefe) lässt sich in den lateinischen Vermessungstexten der Antike jedoch nicht finden, diese reduzieren Raum immer auf Flächen und Linien.
Jens-Olaf Lindermann
Locus, ager, spatium. Wortuntersuchungen zum Raumbegriff der Gromatici veteres.
S. 199-213 (210) in: Cosima Möller, Eberhard Knobloch (Hg.): In den Gefilden der römischen Feldmesser. Juristische, wissenschaftsgeschichtliche, historische und sprachliche Aspekte. Berlin 2013: De Gruyter.
Rösli, Lukas
Topographien der eddischen Mythen.
Eine Untersuchung zu den Raumnarrativen und den narrativen Räumen in der Lieder-Edda und der Prosa-Edda.
Diss. Universität Zurich 2013. VI, 227 S. Tübingen 2015: A. Francke.
Der Punkt: Ort & Topp
Etymologisch gesichert ist, dass dem `Ort´ die Vorstellung einer feinen Spitze zugrundeliegt und ebenso dem niederdeutschen `Topp´ (Proto-germanisches *toppa) die Stelle, die ein Finger berührt, beides wird abstrahiert zum Punkt.
Der `Ort´ (belegt ab dem 8. Jh.) führt zurück auf germ. *uzda- ‘Spitze’ (DWDS) und wird übertragen auf alles hervor-/hinausragende wie den Ortgang am Dach, den Ruhrort am Rhein, den Ort am Ende des Stollens - »ausgesetzte« Orte, die mit Furcht besetzt sind.
Danach erst bezeichnete Ort den Raum, wo man sich niederlässt: einen Platz, eine Stelle, ein Dorf, und ist damit synonym zu Ecke, Ende, Winkel - also an einem Ort, der einerseits Schutz verspricht und andererseits kein Entkommen ermöglicht.
Schuchardt, Hugo
Ecke, Winkel.
Zeitschrift für romanische Philologie 41.1 (1921) 254-258.
DOI U.a. zu galloromanisch cornu `Winkel` und cornu `Horn´
Twellmann, Marcus
'Stille Erdwinkel' Zur geohistorischen Imagination des 'Biedermeier'.
In: Droste-Jahrbuch 9.12 (2013) 71-97.
Online
-
-
Über den 'Punkt' bedeutungsverwandt ist das niederdeutsche Topp, das sich von toppen, tippen als punktueller Berührung ableitet. Top berührt sich mit Spitze, Hügel und Steinmann: protogermanisch *wartǭ > Varða `Steinmann´, Sanskrit वर्ष्मन् varṣman `top, Spitze, Gipfel´, litauisch viršus `top´, kirchenslawisch врьхъ vrĭxŭ `top, Spitze´ < PIE *wérsmn̥ `Hügel, Spitze, *wers- `aufstehen, Spitze´.
Die Strecke: Abstand & Zwischenraum
Der Abstand zwischen zwei Punkten lässt sich als Strecke messen. Er wird aber zum Zwischenraum, wenn nur ein Punkt bekannt ist. Der Zwischenraum ist ein Drittes, siehe auch Zwillingsformeln.
Die Fläche: locus & topos
Für das lateinische `locus´ 4) findet sich keine sprachliche Wurzel im Lateinischen 5), ebensowenig für τόπος tópos im Griechischen. Gemeinsam ist beiden jedoch die Vorstellung einer Fläche.
Der Topos genießt umfassende Aufmerksamkeit als schillernde Metapher. Dieser muss jedoch etwas Konkretes vorangegangen sein. Welche anfängliche Vorstellung dem `topos´ zugrunde liegt, lässt sich anhand der Bedeutungen der Metaphern nur ahnen.
Das Abmessen und Zuteilen unerschlossener Landflächen (tap-tû-ú, taptû `Neubruchland´) 6) war im Zweistromland bis etwa 1200 BC gleichbedeutend mit Macht und göttlichen Kräften; danach war das fruchtbare Land verteilt. Das Werkzeug des Feldmessers - Stab und Seil - war Attribut der ältesten Stadtgötter (z.B. Bel-Marduk in Babylon). Für einen solchen Zusammenhang sprechen im Griechischen abgeleitete Begriffe wie τοπάζω `hinzielen´ und τοπεῖον `Tau, Seil´.
1959 Pokorny, Julius
Indogermanisches etymologisches Wörterbuch.
Bd. 1, Bern 1959, S. 1088
Etymologische Verbindung entweder mit lit. tàpti `werden´ und dessen Ableitungen (begegnen, treffen auf, kennenlernen …) oder mit cymr. tebyg (*tokʷiko-) `wahrscheinlich´.
1972 Ritoòk, Z.
Zur Geschichte des Topos-Begriffes.
Actes de la XII conférence internationale d' études classiques, 2–7 octobre 1972 Klausenburg. Amsterdam 1975, S. 111–114.
Im 4. Jh. bezeichnet Topos im militärischen Jargon »einen Ort von dem aus man eine bestimmte Macht entfalten, eine Wirksamkeit entwickeln kann.« Das kann man sowohl konkret über den Standort eines Werkzeugs deuten als auch übertragen auf eine Strategie.
1986 Pernot, L.
Lieu et lieu commun dans la rhétorique antique.
Bulletin de l'Association Guillaume Budé 1.3 (1986) 253–284.
Online
S. 256 mit Verweis auf Ritoók S. 112: »la définition du lieu au sens propre comme «enveloppe» (περιέχον) ou plutôt comme «limite de l'enveloppe»., chez Arstt., Phys. IV, 210 b 34; 212 a 21.« Mit Bezug auf
Isocrates
(
Herkules
betreffend) deutet der Autor topos als ein Feld (champ) der Möglichkeiten.
1995 Tormod Eide
Aristotelian topos and Greek geometry.
Symbolae Osloenses 70.1 (1995) 5-21,
DOI
In
Proklos
' Kommentar zum ersten Buch des
Euklid
wird der topos als »geometrischer Punkt« benannt. Dagegen bedeutet
ăτoπoς atopos `unmöglich, unlogisch´.
1998 Casevitz, M.
Remarques sur l'histoire de quelques mots exprimant l'espace en grec.
Revue des études anciennes REA 100 (1998) 417-435
Online
Der Autor untersucht systematisch Textstellen mit Ortsbegriffen und kommt zu dem Schluss:
1997 Meier-Brügger, Michael
Zu griechisch τόπος.
Göttingen, Glotta 74.1 (1997) 99-100.
Online
Die von Pokorny gesetzten Möglichkeiten werden abgelehnt, dagegen etymologisch begründet: Topos hieß im Griechischen ursprünglich der Ort der Feuerstelle.
2006 Rubinelli, Sara
The Ancient Argumentative Game: τóπoι and loci in Action.
Argumentation: An International Journal on Reasoning. 20.3 (2006) 253-272.
Online
Am Beispiel einer
Passage des
Isokrates
Herkules
betreffend wird gezeigt, dass der Begriff vor Aristoteles eine technische Bedeutung hatte, die dann als Metapher übernommen wurde. Verweis auf Ritoòk S. 112
2009 Friberg, Jöran
A Geometric Algorithm with Solutions to Quadratic Equations in a Sumerian Juridical Document from Ur III Umma.
Cuneiform Digital Library Journal. 3 (2009).
Online
2100 BC: Das Konzept der Fläche erscheint erstmals auf babylonischen Tontafeln, die Vorstellung des Volumens findet sich auf ägyptischen Papyri; beides kennzeichnet den Beginn geometrischen Denkens.
2020 Andrew Janiak
Space: the history of a concept.
Oxford 2020: XII, 351 S. Oxford University Press. Zu chora und topos S. 16-17.
Topos erscheint ab Aischylos
(525–456 BC) im Griechischen, während Homer
(8./7. Jh. BC) den Raum mit Chora bezeichnet. Etymologisch erscheint topos als nicht-griechisch, muss also eine neue Bedeutung mitgebracht haben. Für Aristoteles
(384–324 BC) entsteht topos erst durch Bewegung von etwas (S. 42 ff.) in Bezug auf die Umgebung, setzt also etwas Abgrenzbares voraus, einen Körper und dessen Position im Raum.
Abstrahiert wird der Topos zum Raum, den der Körper einnimmt (a), der aber nur mit dem ihm umgebenden Raum (b) denkbar ist, wobei Raum (c ) die Gesamtheit von Raum a und Raum b umfasst, also paradox erscheint, weil der Körper eben kein Raum ist. Das lässt sich nur auflösen, wenn der Topos als unendlich dünner Rand des Körpers erscheint, also dessen Rand abgrenzt und selber keinen Raum einnimmt, wie bei Pernot
1986 als «enveloppe» (περιέχον).
Mundus est fabula
Den Raum zu erleben setzt Fortbewegung voraus, also immer wieder einen neuen Aufbruch aus dem vertrauten Raum mit immer neuen Übergängen durch den Zwischenraum als `das Dritte´ bis ans (vermeintliche) Ende der Welt im Zustand des Unterwegs-Seins. Raumvorstellungen sind daher Teil des (soziotechnischen) Handlungssystems »Navigation« und stehen dabei in unmittelbarem Austausch mit Fortbewegung und Orientierung. Am erfolgreichen Ende stehen die Erkenntnis: Ich weiß, wo ich bin (cogito ubi sum) und die Möglichkeit, darüber mit anderen zu kommunizieren.
Anja Ulrike Augustin
»Norden, Suden, Osten, Wester «. Länder und Bewohner der Heidenwelt in deutschen Romanen und Epen des 12. bis 14. Jahrhunderts: Rolandslied, Herzog Ernst, Parzival, Willehalm, Reinfried von Braunschweig, Wilhelm von Österreich.
Diss.
Band 1 677 S.,
Band 2: 710 S. bei Horst Brunner. Würzburg 2014.
Alex Bellemare
Mundus est fabula. L’imaginaire géographique dans la fiction utopique (XVII e -XVIIIe siècles)
Diss. XIII, 572 S. Bibl. 530–572 Paris 2017: Université Sorbonne Nouvelle
Online.
»Mundus est fabula« (Das Motto von
Descartes
auf seinem
Porträt von Weenix) verweist auf den Zweifel daran, wie Welt wirklich ist. Auszug aus dem englischen
abstract: »the texts we analyze address the links between travel and language, territory and society, mobility and subjectivity« … through five modes … naming … describing … constructing … territorialize … imaging.
Eder, Walter
Zu Hause in der Fremde? Der Verlust der Raumerfahrung als Verlust des Erfahrungsraums beim Reisen.
S.158-172 in: Schäffter, Ortfried (Hrsg.): Das Fremde. Erfahrungsmöglichkeiten zwischen Faszination und Bedrohung. Opladen 1991: Westdeutscher Verlag.
Hellpach, Willy
Geopsyche
Die Menschenseele unter dem Einfluss von Wetter und
Klima, Boden und Landschaft.
Stuttgart Enke 1950
Jammer, Max
Das Problem des Raumes (Concepts of space, dt.)
Die Entwicklung der Raumtheorien.
Darmstadt 1980: Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Mit einem Vorwort von Albert Einstein
Koselleck, Reinhart
‚Erfahrungsraum‘ und ‚Erwartungshorizont‘ – zwei historische Kategorien.
In: Ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Frankfurt a.M. 1992: Suhrkamp
Schröder, Iris
, Schürmann, Felix
, Wolfgang Struck
Jenseits des Terrazentrismus. Kartographien der Meere und die Herausbildung der Globalen Welt.
336 S., 55 Abb. Göttingen 2022: Wallstein.
Wilcock, Deirdre
, Gary Brierley
, Richard Howitt
Ethnogeomorphology.
Progress in Physical Geography: Earth and Environment. 37.5 (2013) 573-600.
Dieter Boschung
,
Thierry Greub
,
Jürgen Hammerstaedt
(Hg.)
Geographische Kenntnisse und ihre konkreten Ausformungen.
(=Morphomata 5) Tagungsband 2012 157 S. München 2013: Wilhelm Fink.
Online Inhalt u.a.:
-
René Nünlist
Homers
Schiffskatalog
Reinhold Bichler
Zur Veranschaulichung geographischen
Wissens in
Herodots
Historien
Klaus Geus
Wie erstellt man eine Karte von der
Welt? Die Lösung des
Ptolemaios
und ihre
Probleme
Jürgen Hammerstaedt
Geographische Raumerfassung und Weltdarstellung im Artemidorpapyrus
Anne Kolb
Antike Straßenverzeichnisse - Wissensspeicher und Medien geographischer Raumerschließung
Jan Mokre
Globen als Speicher von Wissen
Sabine Poeschel
Die Erdteil-Allegorien der Neuzeit
Hartmut Heller
(Hg.)
Raum – Heimat – fremde und vertraute Welt. Entwicklungstrends der quantitativen und qualitativen Raumansprüche des Menschen und das Problem der Nachhaltigkeit.
384 S. Wien und Münster 2006: LIT.
Inhalt u.a.:
Andreas Mehl
Griechen und Römer in neuen Lebensräumen: die Frage nach der Anpassung
Jürgen Zwernemann
Raum und Raumvorstellungen bei westafrikanischen Savannenvölkern
Alfred K. Treml
Warum steigen Menschen (freiwillig) auf die Berge?
Hartmut Heller
Stratigraphie des Heimatbegriffs
Walther L. Fischer
Raumformen – Formen im Raum. Zur Geschichte geometrischen Denkens: Von der Höhlenmalerei zur nacheuklidischen Geometrie
Aurel Schmidt
Reisen. Raum. Körper. Deplazierungen am Ende bzw. am Anfang des Millenniums oder: Die Reise bin Ich.
in: Paolo Bianchi
(Hg.): Ankommen - Hiersein - Weggehen.
Köln 1997: Kunstforum International 136.
Simmel, Georg
Soziologie des Raums.
S. 132-183 in: ders.: Aufsätze und Abhandlungen 1901-1908. Band 1 (= Otthein Rammstedt (Hg.): Georg Simmel Gesamtausgabe, 7) Frankfurt a.M. 1995
-