Hansjörg Küster
Geschichte der Landschaft in Mitteleuropa von der Eiszeit bis zur Gegenwart
C. H. Beck München 2013
Reinhold Messner, der Bergsteiger aus Südtirol, philosophiert über das Reisen off-the-beaten-track: »Mir ging es beim Unterwegssein in der Wildnis nicht um die Welt draussen, sondern um die Welt in mir drinnen. Ich war der Eroberer meiner eigenen Seele.«
Wildnis ist in Europa selten geworden, doch bis ins 15. Jahrhundert galt das Baltikum als Große Wildnis und war nur mit ortskundigen Führern (Waldläufer, Leitsleute) passierbar. Heute zählen nur noch kleine Teile Islands und in Fennoskandinavien dazu. Das Norwegische unterscheidet das bestellte Land (innmark) von den Weidegebieten (utmark) und der freien Natur (villmark). Der weitaus größe Teil der europäischen Wildnis liegt jedoch in Nordwest-Russland. Mehr als 90% der europäischen Wildnis bestehen aus Tundra und Taiga. Auch bush, Wüste, Bergwelt und einsame Inseln können Wildnis sein.
»Urwald« ist biologisch betrachtet ein Primärwald, also unberührt von menschlichem Einfluss. Da aber ein solcher Urwald auch von Tieren gestaltet wird, gibt es ihn Europa nicht mehr, seit Menschen dort jagend die Tierpopulationen verändert haben und Waldberufe ausübten. Die heute ältesten Wälder Deutschlands entstanden durch Naturverjüngung - also sich selbst überlassenem, zuvor jedoch genutztem Wald. Dazu zählen ein Wald auf der Insel Vilm, der seit 1538 unberührt blieb mit Eichen, Buchen, Ulmen sowie die »Heiligen Hallen«, ein seit dem 17. Jahrhundert unberührter Buchenwald in Mecklenburg-Vorpommern. Die neu geschaffenen »Urwälder« der Staatsforste sind weit davon entfernt, solche zu sein und sind aus betriebswirtschaftlicher Sicht eher eine Betriebsstilllegung mit dem status quo nach jahrhundertelanger intensiver Nutzung. Ein »Rewilding« führt erst nach vielen Jahrhunderten wieder zu einem urwaldähnliches Gleichgewicht, weil das hohe Alter der Bäume etwa bei Buchen erst nach 600 Jahren ein Klimaxstadium erreicht 1).
Wald und Wildnis gehören zu den Raumvorstellungen und sind etymologisch nicht zufriedenstellend geklärt; vermutlich haben sie eine gemeinsame Wurzel 2), das Lateinische nennt es terra deserta, locus horroris in vasta solitudo `unbewohntes Land, schrecklicher Ort in wüster Einsamkeit oder „sylva hórrida“. Auf jeden Fall war der Wald ursprünglich eine rechtsfreie Wildnis, ein Zwischenraum zwischen befriedeten Gebieten für Outlaws und Waldläufer, für Schmiede und Seherinnen (utiseta), für Skóggangsmenn und den man of the bush.
Ayensu, Edward S.
Gregorius, Adolf
Wöste
. Ein Beitrag zur Ortsnamenkunde.Kaufmann, Werner
Lindemann, Uwe
Müller, Ulrich
, Wunderlich, Werner
, Keller, Hildegard Elisabeth
Röcke, Werner
, Julia Weitbrecht
Schmid-Calbert Ch.
Weck, Johannes
Odysseus irrte zehn Jahre in der Wildnis des Mittelmeers umher. Im römischen Imperium war das nicht mehr denkbar, denn der Mittelmeerraum war durch Häfen und Schifffahrtsrouten erschlossen. Im mare nostrum waren die Ungeheuer vertrieben und an der Küste warteten keine Wilden, sondern die vertraute mediterrane Kultur. Und vom sicheren Hafen führten Straßen und Flüsse ins Hinterland.
Die urtümliche Angst vor der Wildnis personifizieren Figuen wie der »Wilde Mann« oder der »Wilde Jäger« und sie ist auch nicht an den Wald allein gebunden, da auch die Steppen als »Wildes Feld« galten. Mit dem Rückgang der Wildnis ist auch die Furcht vor der Wildnis gewichen und wilde Tiere sucht man eher in Afrika. Dass man Verbrecher in die Wildnis verbannte, liest sich zuletzt bei Shakespeare 3), nämlich in den »Wald von Arden«, das heutige Grenzgebiet zwischen Belgien und Deutschland, die Ardennen. Sehr leicht wird aber aus Vertrautem Wildnis, wenn man sich verirrt, die Orientierung verliert und über die richtige Wegfindung nachdenken muss.
Das Sehnen der europäischen Siedler richtete sich auf Weites Land in Amerika, Afrika, Australien, Asien. Dort blieb Wildnis real und erhielt neue Namen. Der Begriff *bush verbreitete sich aus dem Niederdeutschen über Kanada und Südafrika bis Australien. Bush bezeichnete ursprünglich die pragmatische Sichtweise der Siedler auf das unbesiedelte (und oft nicht ackerbare) Land.
Ihnen voraus (Go West) gingen im nördlichen Amerika die Waldläufer und Trapper 4); Anfang des 20. Jahrhunderts streiften noch 10.000 mountain men durch die Rocky Mountains und bis heute halten sich Mountain-Men-Vereine in den USA.
Moderner und emotional aufgeladener erscheint das australische outback mit wenig Menschen und kaum Infrastruktur. Ihm entsprechen die argentinische Pampa und das südafrikanische veld. Dort, countryside, überleben nur autarke Gemeinschaften, Selbstversorger. Hier zeigt sich dann auch wieder die Angst. Wenn das outback gesteigert wird als Never-Never oder middle of nowhere, wenn Plätze bezeichnet werden als *World's End verbinden sich damit biblische Vorstellungen vom Tohuwabohu. Dabei ist richtige Wildnis eher friedlich, zum Herz der Finsternis wird sie erst, wenn die »Zivilisation« eindringt siehe Tropenkoller.
Das Konzept von Wildnis wandelte sich im Laufe der Zeit: Odysseus
kämpfte nicht gegen Naturgewalten, sondern gegen Ungeheuer, Abkömmlinge von Halbgöttern und Nymphen, die ihn becircten. Im Mittelalter trennte die Hecke Wohnplatz und Wald; die Heckenreiterin, die Hexe, war in beiden Welten zuhause. Erst in der Neuzeit wurde die Wildnis zum Feind. Kapitän Ahab
und sein Kampf gegen Moby Dick stehen beispielhaft dafür.
»Ich halte es für falsch, jeden Menschen durch und durch zu kultivieren, ebenso wie ich es für falsch halte, jeden Hektar Boden zu kultivieren. Henry David Thoreau (1817 - 1862)
Eher abschätzig bezeichnen Städter das »unkultivierte« back country, das Hinterland, back of beyond. Menschen, die dorthin gehen wie etwa Waldläufer, sind ihnen ebenso suspekt wie Menschen, die von dort kommen, wie etwa Hinterwäldler oder Boondocks. Solches Hinterland wird bezeichnet als:
Dort draußen lebt der Überlieferung nach auch der Man of the Bush.
»Gehe nicht, wohin der Pfad dich führt, sondern gehe dort wo kein Pfad ist und hinterlasse eine [[wiki:spur|Spur]]« Ralph Waldo Emerson (1803-1882)
Die Romantisierung der Natur findet sich in vielen Sprachen, teils in sehr spezifischen Begrifffen:
Das Gegenteil der `Idee der Wildnis´ ist mindestens seit dem antiken Arkadien die `Idee des lieblichen Ortes (locus amoenus)´. Die Vorstellung vom Paradies als natürlichem Urzustand führte über die Figur des Edlen Wilden zu Jean-Jacques Rousseaus
(1712 - 1778) Aussage, dass der Mensch nur im Naturzustand unabhängig und frei lebe. 1776–1778 schrieb er die Träumereien des einsamen Spaziergängers (Rêveries du promeneur solitaire). Zum Klassiker aller Aussteiger wurde 1854 Walden oder Leben in den Wäldern, ein Buch von Henry David Thoreau
, der das einfache Leben beschrieb. Auf diese Vorgänger bezog sich auch John Muir
, der als Gründer der Nationalpark-Idee gilt, und 1903 den amerikanischen Präsidenten Theodore Roosevelt
bei einer mehrtägigen Camping-Tour im Yosemite Valley davon überzeugte.
Ins Touristische gewendet wird daran das Abenteuerliche betont, etwa als Safari Off-the-beaten-track, siehe auch bush camp und bushtucker.
John Muir
Cornelius Dieckmann
: Spaziergänge bei Vollmond FAZ 23.10.2021
Fernwanderwege (»Trails«) sind ein Konzept, die amerikanische Wildnis auch für Städter zu erschließen.
So führt der Pacific Crest Trail PCT führt 4279 Kilometer durch den Westen der USA entlang des Sierra Nevada-Gebirges und der Kaskadenkette von Manning Park in British Columbia im Norden bis Campo (Kalifornien/Mexiko) durch die Staaten Washington und Oregon 5) Regie Jean-Marc Vallée
nach dem Buch Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis von Cheryl Strayed
über ihre Fernwanderungen auf dem PCT, dargestellt von Reese Witherspoon
.
Der Pacific Crest Trail gehört zu den Triple-Crown-Trails.
Francis Galton
George & Iris Wells
Wood, Robert S.
Allmann, Joachim
Hans Peter Duerr
Ruth & Dieter Groh
Haye, Thomas
Hettche, Walter/Merkel, Hubert
(Hg.)Hutchins, E.
Mona Katrin Kalita
William J. Long
Moldenhauer, Rüdiger
Nastassja Martin
John K. Noyes
u.a. (Hg.)Albert Kropf
und die Propheten aus XhosalandClaire Golls
Roman 'Der Neger Jupiter raubt Europa'.Grey Owl
Christian Schmid-Cadalbert
Schama, Simon
Gary Snyder
Norbert Suchanek
Aristoteles
vor rund 2500 Jahren. Dorthin sandten den einen die Götter, die anderen suchten dort ihre aventiure. Wildnis als Gegensatz zur Zivilisation (letzteres meint tatsächlich das Leben in der Stadt) ist bedrohlich und per se zu bekämpfen. Und alles, was sich auf der Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation bewegt, ist unheimlich wie die Zagahussa, die Zaunhexe, die je ein Bein hier und dort hat. Suchaneks neues Buch unternimmt eine kritische, kulturhistorisch fundierte Auseinandersetzung mit dem westlichen Wildnis-Mythos.Theye, Thomas
(Hg.)Termeer, Marcus
White, Hayden
The Forms of WildnessHenri Rousseau
<html><img src=„https://vg08.met.vgwort.de/na/6ea29b7faeb740329ce735f86b37a688“ width=„1“ height=„1“ alt=„“></html>
Hansjörg Küster
A. B. Kurit︠s︡yn
William Shakespeare
Sydney Pollack
) mit Robert Redford
als Jeremiah und Will Geer
als »Bear Claw« Chris Lapp