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Inhaltsverzeichnis
Genius Cucullatus
Die Erinnerung an den keltischen Cucullatus
- ein Nothelfer des »kleinen Mannes« - lebt fort im Sandmännchen, in den Heinzelmännchen, in den sieben Zwergen - sie alle sind stets unterwegs, erscheinen unvermittelt, leben in der Wildnis - in den Bergen, in Höhlen, im Untergrund - und sind freundliche, hilfsbereite, kundige Gnome, Wichtel, Zwerge (engl. dwarf, goblin), erkennbar am Kapuzenmantel mit spitzer Kapuze.
Kapuzenmäntel
`Kapuze´ (engl. hoodie) ist »eigentlich der an der kappe hangende cucullus, 'kappenzipfel' zum überschlagen über den kopf, von mlat. caputium, it. cappuccio m., franz. capuce m. (capuchon)« 1), bezeichnet jedoch ebenso wie lateinisches cappa einen Kapuzenmantel, das dessen Träger weitgehend verdeckt, schützt und verbirgt. Kapuzenmäntel 2) dienten als Schutz gegen Regen, Kälte, Sonne und wurden damit bevorzugt zur Kleidung von Personen, die solchen Wetterbedingungen ausgesetzt waren:
- Bauer, Landmann
- der Bergmann des Mittelalters trug einen Gugel, einen braunen Arbeitskittel mit Kapuze
- Bettler
- Fischer
- Gaukler und Fahrendes Volk
- Gebirgsbewohner
- Gugelmänner, die mittelalterlichen Leichenträger
- Jäger
- Kutscher auf ihren Fuhrwerken
- Reisende: »cuculio vulgaris viatorius«
- Seeleute
- Sklaven
- Soldaten
- Träger mit ihren Lasttieren: »cucullus mulionicus«
Dementsprechend diente die Darstellung eines Kapuzenmantels als Metapher:
- für die genannten Gruppen im »einfachen Volk«;
- zur Bewertung dieser Tätigkeiten: abwertend, lächerlich, bemitleidenswert, misstrauisch;
- für das Tarnen und sich verbergen unter dem »cucullus nocturnus«, dem `mitternächtlichen Kapuzenmantel´ 3)
- für typische Kleidungsstücke für Kinder;
- für das Unterwegs-sein;
- für die Völker im kalten Norden, insbesondere Gallier, Kelten, Noriker;
- für kapuzentragende Dämonen, Geister, Genien im Volks- und Aberglauben;
- für den obersten Berggeist, den Kapuzer 4);
Name und Bezeichnung
Ein eigentlicher Name des Genio Cucullato ist nicht bekannt, seine Bezeichnung als `Cucullatus´ beruht auf einer Äußerlichkeit, dem Kapuzenmantel. Diese Bezeichnung ist belegt durch Inschriften wie am Altar von Wabelsdorf, Österreich, und verbunden mit Abbildungen und Figuren in den antiken keltisch-römischen Gebieten Noricum (Alpen-Donauraum), Gallien (Mosel-Rhein), Germanien, Iberia (ab dem 1. Jh.), Britannia (2. bis 4. Jh.) 6). Darüber hinaus gibt es etruskische und griechische Abbildungen eines ebensolchen Männchens in einem Kapuzenmantel, letztere werden als Telesphoros
bezeichnet 7). Sie alle bezeichnen einen hilfreichen Schutzgeist, der durch seine typische keltische Reisekleidung anzeigt, dass er mit der Natur vertraut ist und jederzeit bereit zum Aufbruch.
Cucullatus leitet sich ab von der keltischen Bezeichnung für Kapuze *kukka8) (latinisiert `cucullus´) für die `Kalotte einer Kopfbedeckung´, wie sie auch in bardocucullus erscheint 9). Damit ist zwar klar, dass der Genius Cucullatus immer einen Kapuzenmantel 10) trägt, doch verweist nicht jeder Kapuzenmantel auf einen Genius Cucullatus. Die verhüllende Kapuze findet sich als unsichtbar machender Mantel in der Tarnkappe (=hël-kappe, ahd. tarnan, `verbergen´) beim Zwerg Alberich
(=Oberon) in der Nibelungensage.
Beschreibung
Der Genius Cucullatus zeichnet sich aus durch
- Körpermaße:
- Kopf zu groß, Beine zu kurz, stämmiger Rumpf > Gnom, Kobold, Waldschrat, Wichtel, Zwerg 11)
- Kleidung:
- Darstellungsart:
- Weit überwiegend Kleinkunst aus dem persönlichen und häuslichen Bereich.
- Kegelform von Figur und Kapuze > kegelförmige Steinfigürchen als Grabbeigaben in der Arras-Kultur (England) > Steinmann.
Der `Kegel´ als pyramidale Figur ist die abstrakteste Form des Kapuzenmännchens, dessen sprachliche Wurzeln auf die Form eines großen Gelenkknochens (insbes. den Vorderschenkel des Pferdes) und den Phallus zurückführen 14). - Phallus-Form im römischen Britannien und im griechisch-römischen Raum > Völsi, ein Pferdephallus
- Figuren aus gebranntem Ton im Rheinland
- Reliefs im römischen Britannien
- Typus:
- bärtiger Mann > Wilder Mann
- Die Deutung als `Kind´ kann zum einen der zwergenhaften Darstellung geschuldet sein. Sie kann aber auch ausdrücken, dass der Genius mit der Glückshaube geboren wurde, daher später hellsehend wurde und diese Eigenschaft mit der getrockneten Eihaut weitergeben kann (Quelle s.u.).
- Umgebung: (Wohn-)orte in der Wildnis, Landschaften:
- Berge
- (Grab-)hügel > Steinhaufen
- Höhlen
- (Heil-)Quellen
- Wald > Wildnis
- Funktion:
- Eigenschaften und Attribute
- Fruchtbarkeit, lebenspendend ζωοφόρος Attribut: Eier 16)
In Island heißen die Eihäute bei der Nachgeburt Barnsfylgja; diese werden »Glückshaube« und sigurkufl (kufl `Kapuzenmantel´; hetta ist die Kapuze) genannt, wenn das Kind bei der Geburt noch davon überzogen ist, und das Kind wird später hellsehen `skygn´ können. Die getrocknete Eihaut ist Heimat des Schutzgeistes, dessen Wirksamkeit damit weitergegeben werden kann 17), auch »Westerhaube« 18). - Bringt den Schlaf, den Heilschlaf ebenso wie das Entschlafen > Psychopompos
- nicht-menschliche Kräfte, Attribut: Schwert > Eckisax, Nagelringr
- Begleiter:
- Triaden im römischen Britannien und in Phrygien > Der Dritte (Andere)
- Erdgöttin, Μάτηρ Μηλήνη, Deae matres »Cuda«
- Asklepios und Hygieia > Telesphorus
Verbreitungsraum
- Die ältesten Hinweise weisen den Kapuzenmantel den Sentonen 21) zu (französische Atlantikküste) entlang der Charente, den Segusiavi im Raum Lyon, dem illyrischen Volk der Bardaei unter dem König Bardylis.
- Im Alpenraum: Venedigermandl, Buzen, Bergmännlein und andere.
- Die schwäbischen nackten Männlein (Männlein von Hemmendorf), mit Fackel (?) und kurzem Kapuzenüberwurf.
- Im Schweizerischen als Goggoli `guter, aber närrischer Kerl´ und Gigeliman Golis `Späße treiben´ 24).
- In Tirol heißt er Nörggele, der kleine Noriker, Noriculus, also die Herkunft aus Noricum bezeichnend.
- In der Eifel ist es der Wichtel oder Wichtelmann, der an Quellen und Bächen haust, nördlich der Eifel als Killewittchen und Heinzelmännchen in Köln.
- In Thüringen: Erzmännchen
- Dem keltischen Cucullatus entsprechen die nordgermanischen Elfen/Alben mit vergleichbaren Eigenschaften etwa als Schmied: *albaz `Handwerker, magischer Helfer´.
Das Kapuzenmännlein erscheint in bergigen Regionen, so dass sich ein Zusammenhang mit dem keltischen Bergbau aufdrängt; Untersuchungen dazu gibt es nicht. Der Abbau von Erzen verbindet in diesen Regionen den Bergmann in der Grube mit dem Schmied am Feuer und dem Köhler im Wald. Im germanischen Raum des nördlichen Europa fehlt das Kapuzenmännlein, vielleicht weil Wanderschmiede hinreichend Raseneisenstein an der Erdoberfläche fanden.
Die archaichste Darstellung des Genio Cucullato in Form von Tonfiguren findet sich im Wassereinzugsgebiet von Mosel und Rhein, außerhalb davon ist nur noch eines in England bekannt 28). Typisch für England sind dagegen die Darstellungen von drei Genii Cucullati, nur eine solche Gruppe fand sich auf dem Festland, in Kärlich 29) an der Moselmündung in den Rhein.
Über die Quellen des Rheins und die Alpenübergänge gelangte der Genius in den etruskischen Raum und entlang der Donau über Noricum und mit den Galatern in den griechischen Raum als Telesphoros 30).
Literatur
Amand, Marcel
A propos d'une figurine de genius cucullatus découverte à Tournai.
Latomus 30.1 (1971) 142-145.Luigi D’Ambrosio
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,Robert, Carl
[Hg.]
Die antiken Sarkophagreliefs (1,2)
Die Sarkophage mit Darstellungen aus dem Menschenleben: Die römischen Jagdsarkophage.
Berlin, 1980.
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Traum - Mantik - Allegorie.
Die „Hieroi Logoi“ des Aelius Aristides im weiteren Kontext der griechisch-römischen Traumliteratur.
(= Millennium-Studien, 61) Berlin De Gruyter 2017
S. 48, 89, 91: Horus, telós Tod > Todesdämon und teleté Weihe > InitiationsdämonBoeckh, August
Corpus inscriptionum Graecarum. [=CIG]
Berolini, 1828-77
S. 479 Der Name Telesphoros bezieht sich auf ad magicam per τελετάς et τελεσφορίας medicinam. Boeckh vergleicht den Genius mit dem Telesphoros im Pergamon neben Asklepios und Hygieia.Margherita Bolla
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Mit zahlreichen Abbildungen des cucullatus als Lampe, bei denen der Phallus hervorragend leuchtet.Calvetti, Anselmo
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in: Enciclopedia dell' Arte Antica 1997. Bd. 7, S. 674 Online
Eine ausführliche Übersicht mit Quellen u.a. mit Hinweis auf die ältesten Zeugnisse, vier Tonstatuetten Tempelbezirk der von Kybele auf dem Palatin in Rom aus den Jahren 204 bis 111 BC. In Phrygien ist die Figur mit dem Kult lokaler Muttergöttinnen (Μάτηρ Μηλήνη) verbunden, wie Münzen des 1.-2. Jahrhunderts BC zeigen, auch mitDemeter
undKybele
. Häufige Attribute sind Schlange, das Ei, selten ein Globus. Häufig in Triaden mitAsklepios
undHygieya
(vielleicht als der Dritte, der Andere, zwischen Mann und Frau > Phallus).S. Deyts
Les genii cucullati de Pithiviers-le-Vieil (Loiret).
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Télesphore et le „ genius cucullatus “ celtique.
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Eine umfassende Zusammenstellung der Bildquellen bis 1955.Ehling, Kay
Ein reitender Telesphoros.
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Der hilfreiche Kleine im Kapuzenmantel.
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Cucullus im Romanischen. Anzeige der Akademie der Wissenschaften in Wien, philos.-hist. Klasse 5-7 (1932) 143-155Eveillard, J.-Y.
Statues de l'Antiquité remaniées à l'époque moderne.
L'exemple d'une tête au cucullus à Châteauneuf-du-Faou (Finistère).
Revue archéologique de l'Ouest 12 (1995) 139-146.Elena Gritti
La fondazione di una „ecclesia“ in „Cucullae“ (Kuchl/Austria) nel V secolo: la testimonianza della „Vita sancti Severini“ (BHL 7656).
Antesteria 5 (2016) 255-263Waldemar Habery
Kapuzengötter im Rheinland?
Rheinische Vorzeit in Wort und Bild 2 (1939) 110-112, Abb. 1, 2Heichelheim, Fritz M.
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Über den genius cucullatus.
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S. 258-263 Etymologische Zusammenhänge abgeleitet von *keuk- u.a. zu cucullus, cucullatus, gugel, kogel mit der Bedeutung `etwa Aufragendes mit einer Spitze am oberen Ende´Rudolf Noll
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Zu Denkmälern von Kapuzengöttern.
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Prähistorische Textilfunde aus Hallstatt im Vergleich mit eisenzeitlichen Gewanddarstellungen.
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Figurillas de encapuchados hispanorromanos: Definición, clasificación e interpretación.
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Eine gründliche Zusammenfassung des Forschungsstandes bis 2015 mit Bibliographie. Die ältesten Kapuzenfiguren sollen aus Italien stammen. Außerdem ein Katalog von 34 iberischen Funden von Kapuzenmännlein, die zum Teil als Tintinnabula (Glöckchenspiel) interpretiert werden.Temporini, Hildegard
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Nouvelles statuettes gallo-romaines en terre cuite blanche.
A. Déesse-mère et 'cucullatus' du Musée de Saint-Bertrand-de-Comminges.
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Revue Archéologique de l'Est. Du paléolithique au moyen âge 11 (1960) 297-314.Imre Waldapfel
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On the name of the Genius Cucullatus.
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Der hilfreiche Geist im Kapuzenmantel (genius cucullatus) trägt ein typisch keltisches Gewand. Sein Wirkungsbereich liegt vor allem in der Fruchtbarkeit und Heilkunst; er geleitet auch die Toten ins Jenseits.Wroth, Warwick
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Kapuzenmäntel in Italien und den Nordwestprovinzen des Römischen Reiches.
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(6, 117-118) dass sich Messalina
, Gattin des Kaisers Claudius
, in einem solchen Kapuzenmantel´ nachts durch die Straßen Roms in ein Bordell schlich.Martial
14, 128: »Bardocucullus. Gallia Santonico vestit te bardocucullo. Cercopithecorum paenula nuper erat.« Vordergründig `Bardenkapuze´, jedoch wohl eher auf einen Stamm der Illyrer verweisend, deren König Bardylis (um 450 BC bis 358 BC) war Rauscher, Helga
: Anisokephalie: Ursache und Bedeutung der Grössenvariierung von Figuren in der griechischen Bildkomposition. Wien 1971: Notring, S. 338Schröder, Franz Rolf
: Germanische Urmythen. Magnus Olsen in Oslo zum sechzigsten Geburtstag am 28. November 1938. Leipzig 1938: Teubner. S. 216-221 Thjalfi
mit Thor, Vishnu
mit Indra; 222 Wotan und Völsi
Bartels, Max
: Isländischer Brauch und Volksglaube in Bezug auf die Nachkommenschaft. in: Zeitschrift für Ethnologie 32 (1900) 52-86, hier: S. 85 Online.Der dieser Haut innewohnende Schutzgeist heißt auch Forynja, weil er dem Kind vorausgeht. siehe:
Ploss, Hermann Heinrich
: Das Weib in der Natur- und Völkerkunde. Band 2. Berlin 1927: Neufeld & Henius. S. 227-228 Pellegrini, Giovan Battista
Toponomastica italiana.
Milano 1990: Hoepli
Gsell, Otto
Galloromanische Worttypen im ladinisch-padanischen Raum.
Ladinia 21 (1997) 135-151, hier: S. 138, Fn. 10.
Alton, Johann
Beiträge zur Ethnologie von Ostladinien.
Innsbruck 1880: Wagner.
Richter-Santifaller, Berta
Die Ortsnamen von Ladinien.
Innsbruck 1937: Wagner.
Dauzat, Albert
, Rostaing, Charles
Dictionnaire étymologique des noms de lieux en France.
Paris 1983: Guénégaud.