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Loch & Höhle

Ein Loch besteht aus einer Leere mit einem Rand, ist also eine Fläche (lat. locus). Im Unterschied zur Leere (Ginungagap) ist es ambivalent, denn es verbindet Höhen mit der Tiefe (Abgrund, engl. Abyss), festen Boden mit Bodenlosigkeit, Außenwelt und Unterwelt (gr. Abyssos, lat. Mundus subterraneus), Flachsinn und Tiefsinn 1). Indem es der Fortbewegung den Übergang zwischen Innen und Außen ermöglicht, erschafft es Raumvorstellungen und Möglichkeiten, insbesondere:

Leidenroth argumentiert für das Lichtloch als begriffsbildende Ersterfahrung (leuchten, lugen) von `Loch´ 2), dann übertragen auf den Aufenthalt dort (locus > Lager) und schließlich verbunden mit der dazugehörigen Raumeigenschaft `hohl´ den Raum einer Höhle oder einer Aushöhlung (Senke, Kaule) bezeichnend.
Unterwegs auf dem Wasser zeigt sich das Loch dagegen als eine gefährliche Singularität im Raum, in der man verschwinden kann - etwa als Untiefe im Rhein wie das St.-Anna-Loch, als enge Durchfahrt wie das Binger Loch oder als Strudelloch im Hinterland wie das Wuhrloch:
Hagen »sancte [den Schatz der Nibelungen] ze loche allen in den Rîn« 3).

Im technischen Herstellungszusammenhang bezeichnet `Loch´ dann den Verschluss (engl. lock) eines Loches (Luke), also eine Lücke im geflochtenen Zaun für einen Durchgang, etymologisch zur ie. Wurzel *leug-, *lŭg- ‘biegen’ 4). Loci (lateinisch) hieß der Beutel an der Tragestange `furca´, das Reisegepäck der römischen Legionäre.

Die Ambivalenz des Loches, das ja nur durch seinen Rand als solches erkennbar ist, bewegt sich zwischen Innen und Außen, Eingang und Ausgang, Licht und Dunkel, Verstecken und Hinauskommen, Öffnen und Schließen:

Öffnung Durchgang Verschluss Raum Senke
deutsch Loch Gasse, Gatter Luke Höhle Wasserloch
englisch hole gate lock cave (ae. holh) hollow
niederl. loch gat luik hol(te)
Altnordisch hola gata `Pfad´ lok helli hylr `Teich´

Hadesfahrten und Höllenfahrten siehe Himmel und Hölle.

Literatur

Ort und Loch als Flurnamen am Rheinufer

Quelle: Rheinindex Unterwegs auf dem Fluss wird der Raum strukturiert durch das Wahrnehmen von Loch und Ort, wie das beispielsweise die Flurnamen des Rheins zeigen. Dabei ist das Loch ein Übergang, der Ort jedoch ein Ende des Landes im Wasser; am flachen Niederrhein gibt es kein `Loch´:

Rheinlauf/km Ort Loch
000-199 0 0
149 St.-Anna-Loch
200-299 1 0
200 Wuhrloch
300- 0 0
400- 1 0
414 Altriper Ort
500- 4 2
521 Bartholomäer Ort
530 Binger Loch
531 Langer Ort
534 Morgenbachort
537 Heimbacher Loch
559 Wellmicher Ort
561 Sattelort
562 Tempusort
594 Scheerörtchen
595 Niederwerther Ort
600- 12 0
610 Salmort
628 Waller Ort
630 Calversort
632 Kasbachort
665 Urfelder Ort
669 Schneppenort
674 Höllort
676 Zündorfer Ort
677 Weißer Ort
680 Pisterer Ort
692 Mülheimer Ort
697 Flittarder Ort
700- 22 2
716,5 Üleloch
768 Budberger Loch
703 Wupperort
704 Totmannsort
708 Worringer Ort
713 Vogelort
714 Kolksort
716 Kirberger Ort
725 Der Rauhe Ort
726 Mickelner Ort
729 Wahlscheider Ort
731 Herrenort
735 Fischerort (Steinort)
747 Takort (Gebrannter Mann)
750 Leuchtenberger Ort
755 Langster Ort
764 Mündelheimer Ort
768 Ehinger Ort
771 Angerort
774 Wanheimerort
781 Ruhrort
781 Homberger Ort
789 Binsheimer Ort
794 Peddenort
800- 12 0
801 Grunlandsort
803 Mehrumer Ort
805 Tenderingsort
811 Büssumer Ort
816 Spandauer Ort
821 Bislicher Ort
826 Fürstenberger Ort
830 Grindort
835 Husenerort
845 Grietherort
849 Prickenort
853 Schaarort
900- 0 0
1)
Kurt Tucholsky
Zur soziologischen Psychologie der Löcher.
Kaspar Hauser [Pseud.]: Die Weltbühne 11 (17.03.1931) 389 Online
2)
J. Chr. Leidenroth
Proben aus einer neuen Erklärung und Begründung der homerischen Sprache, zunächst in der Odyssee.
Archiv fur Philologie und Paedagogik 12.1 (1846) 396-496, hier S. 451
3)
Handschrift A, 1077
4)
„loch“, in: Wolfgang Pfeifer et al., Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/etymwb/loch>, abgerufen am 09.07.2022