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Genius Cucullatus

Die Erinnerung an den keltischen Cucullatus - ein Nothelfer des »kleinen Mannes« - lebt fort im Sandmännchen, in den Heinzelmännchen, in den sieben Zwergen - sie alle sind stets unterwegs, erscheinen unvermittelt, leben in der Wildnis - in den Bergen, in Höhlen, im Untergrund - und sind freundliche, hilfsbereite, kundige Gnome, Wichtel, Zwerge (engl. dwarf, goblin), erkennbar am Kapuzenmantel mit spitzer Kapuze. Die Kleidung unterscheidet sie vom Archetypus des Wilden Mannes, der zwergenhafte Wuchs unterscheidet sie vom riesenhaften Christophorus, ihr Lebensraum unterscheidet sie von Reisegöttern.

Name und Bezeichnung

Ein eigentlicher Name des Genio Cucullato ist nicht bekannt, seine Bezeichnung als `Cucullatus´ beruht auf einer Äußerlichkeit, dem Kapuzenmantel. Diese Bezeichnung ist belegt durch Inschriften wie am Altar von Wabelsdorf, Österreich, und verbunden mit Abbildungen und Figuren in den antiken keltisch-römischen Gebieten Noricum (Alpen-Donauraum), Gallien (Mosel-Rhein), Germanien, Iberia (ab dem 1. Jh.), Britannia (2. bis 4. Jh.) 1). Darüber hinaus gibt es etruskische und griechische Abbildungen eines ebensolchen Männchens in einem Kapuzenmantel, letztere werden als Telesphoros bezeichnet 2). Sie alle bezeichnen einen hilfreichen Schutzgeist, der durch seine typische keltische Reisekleidung anzeigt, dass er mit der Natur vertraut ist und jederzeit bereit zum Aufbruch.

Cucullatus leitet sich ab von der keltischen Bezeichnung für Kapuze *kukka3) (latinisiert `cucullus´) für die `Kalotte einer Kopfbedeckung´, wie sie auch in bardocucullus erscheint 4). Damit ist zwar klar, dass der Genius Cucullatus immer einen Kapuzenmantel 5) trägt, doch verweist nicht jeder Kapuzenmantel auf einen Genius Cucullatus. Die verhüllende Kapuze findet sich als unsichtbar machender Mantel in der Tarnkappe (=hël-kappe, ahd. tarnan, `verbergen´) beim Zwerg Alberich (=Oberon) in der Nibelungensage.

Beschreibung

Der Genius Cucullatus zeichnet sich aus durch

Verbreitungsraum

Das Kapuzenmännlein erscheint in bergigen Regionen, so dass sich ein Zusammenhang mit dem keltischen Bergbau aufdrängt; Untersuchungen dazu gibt es nicht. Der Abbau von Erzen verbindet in diesen Regionen den Bergmann in der Grube mit dem Schmied am Feuer und dem Köhler im Wald.
Im germanischen Raum des nördlichen Europa fehlt das Kapuzenmännlein, vielleicht weil Wanderschmiede hinreichend Raseneisenstein an der Erdoberfläche fanden. Von germanischer Seite kam jedoch das Ei als Attribut und als Symbol für die Glückshaube (Tarnkappe) hinzu, verbunden mit seherischen Fähigkeiten und Fruchtbarkeit. Die Fruchtbarkeit der Frau verband sich mit der Vorstellung der Fruchtbarkeit von Mutter Erde beim Bergbau.
Die archaichste Darstellung des Genio Cucullato in Form von Tonfiguren findet sich im Wassereinzugsgebiet von Mosel und Rhein, außerhalb davon ist nur noch eines in England bekannt 23). Typisch für England sind dagegen die Darstellungen von drei Genii Cucullati, nur eine solche Gruppe fand sich auf dem Festland, in Kärlich 24) an der Moselmündung in den Rhein.
Über die Quellen des Rheins und die Alpenübergänge gelangte der Genius in den etruskischen Raum und entlang der Donau über Noricum und mit den Galatern in den griechischen Raum als Telesphoros 25).

Literatur

1)
Auf einer Reliefplatte als Begleiter ins Jenseits Online und Online sowie 11 Objekte
2)
Telesphoros erscheint erstmals 101 n. Chr. in Pergamon, Griechenland, zusammen mit Asklepios und Hygieia und später in Kleinasien (Kerenyi l959, Boeckh). Sein Name verweist auf telós `Tod´ und teleté `Weihe´ (Bittrich 2017). Er ist nicht griechischen Ursprungs, daher wahrscheinlich über Phrygien aus dem Donauraum übernommen.
3)
Moreno 2009
4)
Martial 14, 128: »Bardocucullus. Gallia Santonico vestit te bardocucullo. Cercopithecorum paenula nuper erat.« Vordergründig `Bardenkapuze´, jedoch wohl eher auf einen Stamm der Illyrer verweisend, deren König Bardylis (um 450 BC bis 358 BC) war
5)
Zerres 2017
6)
Rauscher, Helga: Anisokephalie: Ursache und Bedeutung der Grössenvariierung von Figuren in der griechischen Bildkomposition. Wien 1971: Notring, S. 338
7) , 8)
Deonna 1955: 32-35
9)
aus *kukul; über kegil auch `keilförmiger Pflock´, synonym mit `bolz´ > thunderbolt `Donnerkeil´, Poltergeist, Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm Bd. 11, Sp. 383 `Kegel´, dort auch weitere Verbindungen zu Pferdeopfern für Wotan, dem Kegelspiel mit Knochen und Totenköpfen und mehr. Siehe auch *keuk- bei Moreno 2009. Knochen wurden beim Schmieden dem Eisen zur Stahlerzeugung zugesetzt.
10)
Der Genius als Begleiter ist vergleichbar mit den Begleitern des Donnergottes in mehreren Mythen, die stets zwergenhaft erscheinen und mit dem Phallus verbunden sind, siehe Schröder, Franz Rolf: Germanische Urmythen. Magnus Olsen in Oslo zum sechzigsten Geburtstag am 28. November 1938. Leipzig 1938: Teubner. S. 216-221 Thjalfi mit Thor, Vishnu mit Indra; 222 Wotan und Völsi
11)
Heichelheim 1935
12)
Bartels, Max: Isländischer Brauch und Volksglaube in Bezug auf die Nachkommenschaft. in: Zeitschrift für Ethnologie 32 (1900) 52-86, hier: S. 85 Online.
Der dieser Haut innewohnende Schutzgeist heißt auch Forynja, weil er dem Kind vorausgeht. siehe: Ploss, Hermann Heinrich: Das Weib in der Natur- und Völkerkunde. Band 2. Berlin 1927: Neufeld & Henius. S. 227-228.
Kouematchoua, Judith: Die Versorgung der menschlichen Nachgeburt als Spiegel ihres ethno-medizinischen Stellenwertes weltweit. 166 S. Diss. Universität Witten/Herdecke 2010 Salumed-Verlag Online
13)
„westerhaube, f.“, Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/21, <https://www.woerterbuchnetz.de/DWB?lemid=W18325>, abgerufen am 07.04.2022.
14)
Bolla 2010
15)
Jenkins 1953; im keltisch-germanischen Raum wurde Schrift abgelehnt und Menemotechnik bevorzugt.
16)
Martial 14, 128
17)
Mittelhochdeutsches Handwörterbuch von Matthias Lexer Bd. 1, Sp. 1059
18)
Althochdeutsches Wörterbuch
19)
auch: Gaggelagi, Goglari, Gol, Schweizerisches Idiotikon Bd II 216
20)
Pellegrini, Giovan Battista
Toponomastica italiana.
Milano 1990: Hoepli
21)
Gsell, Otto
Galloromanische Worttypen im ladinisch-padanischen Raum.
Ladinia 21 (1997) 135-151, hier: S. 138, Fn. 10.
Alton, Johann
Beiträge zur Ethnologie von Ostladinien.
Innsbruck 1880: Wagner.
Richter-Santifaller, Berta
Die Ortsnamen von Ladinien.
Innsbruck 1937: Wagner.
Dauzat, Albert, Rostaing, Charles
Dictionnaire étymologique des noms de lieux en France.
Paris 1983: Guénégaud.
22)
Mayrhofer 1953
23)
Jenkins 1953
24)
Toynbee 1957: 458
25)
Bittrich 2017