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wiki:unterwegs-sein

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Unterwegs-Sein

Wer unterwegs ist, muss fort.
K.F.W. Wander: Deutsches Sprichwörter-Lexicon

Als underwegen bereits im Althochdeutschen nachweisbar. Als Phrasem ist sein Bedeutungsgehalt nicht aus den Grundwörtern `unter´ + `Weg´ ableitbar, sondern umfasst mindestens folgende Bedeutungen 1):

  • wenig zuhause [also wegorientiert]
  • sich auf dem Weg irgendwohin befindend
    [also suchend, zielorientiert]
  • draußen/auf der Straße
    [genauer: auf dem Weg > also handlungsorientiert]
  • auf/während der Reise
    [oder auf der Fahrt, dem Gang u.a.]
  • abgeschickte Post
    [ Sendung, Boten, Nachrichten > also etwas Neues überbringend]
  • schwanger
    [also entsteht etwas Neues]

Dieser eigenartige Begriff ist aus dem Deutschen nur unzureichend in andere Sprachen übersetzbar, weil sein Konzept unbestimmt erscheint, denn `Unterwegs-sein´:

  • setzt zwar Fortbewegung voraus, bleibt jedoch offen für deren genaue Art - ganz gleich, ob zu Fuß, mit Boot, Fuhrwerk oder Flugzeug;
  • setzt zwar Orte voraus, zwischen denen man unterwegs ist, jedoch spielen die Orte selbst keine Rolle, denn die Bedeutungen `fort von zuhause´ (Wohnort, Herkunftsort, Heimat) und `hin zu etwas´ dienen nur dazu die Handlung im Raum dazwischen anzuzeigen (→ Raumvorstellungen: Zwischenraum);
  • setzt zwar eine Absicht voraus, bleibt jedoch offen für deren genaues Ziel;
  • setzt ein Verb voraus (meist `sein´), ist also nicht anders als (aktiv) handelnd denkbar, lässt jedoch die Art der Handlung offen und
  • verlangt dadurch nach einer (passiven) Offenheit für das, was unterwegs geschehen wird (Serendipity).

Die Methode besteht also darin, sich zu bewegen, damit daraus etwas Neues entstehen kann. Dieses Konzept Eins-zu-Eins in andere Sprachen zu übersetzen ist nur begrenzt möglich (`auf dem Weg sein´) und sehr schwierig im Italienischen, Norwegischen, Russischen und Serbischen. Selbst im Englischen (on the way, on the road) oder Französischen (en route) werden nicht alle Bedeutungen abgedeckt und kompliziertere Formulierungen benötigt, siehe:

  • Scheller-Boltz, Dennis
    unterwegs: Deutsche Idiomatik im Spiegel der Sprachen.
    In: Koroliov, Sonja/ Weinberger, Helmut/ Scheller-Boltz, Dennis/ Scharr, Kurt (Hrsg.) (2019): Am Zug – Aufbruch, Aktion und Reaktion in den Literaturen und Kulturen Ost- und Südosteuropas. Eine Festschrift für Andrea Zink zum 60. Geburtstag. Innsbruck: innsbruck university press, 208-222 Online.
  • Gebhardt, Winfried, Ronald Hitzler, Bernt Schnettler
    Unterwegs-Sein. Zur Einleitung.
    in: Nomaden, Flaneure, Vagabunden. VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2006. 9-20. Online
  • Vaporis, Constantine Nomikos
    Breaking Barriers : Travel and the State in Early Modern Japan.
    (=Harvard East Asian monographs, 163) XII, 372 S. Cambridge 1995: Council on East Asian Studies Harvard University.
    Constantine Vaporis stellt die Annahme in Frage, dass ein ausgefeiltes und restriktives System von Reisevorschriften in Tokugawa, Japan, ein weit verbreitetes Reisen verhinderte. Stattdessen wird die These untersucht, dass sich in dieser Zeit eine „Kultur der Bewegung“ („culture of movement“) entwickelt habe.
  • Ortheil, Hanns-Josef
    Schreiben und Reisen. Wie Schriftsteller vom Unterwegs-Sein erzählen.
    in: Moennighoff, B./von Bernstorff, W./Tholen, T.(Hg.), Literatur und Reise. Hildesheim: Universitätsverlag (2013): 7-31.
  • Schwara, Desanka
    Unterwegs. Reiseerfahrung zwischen Heimat und Fremde in der Neuzeit.
    Vorwort von Dan Diner. Diss. 392 S. Göttingen 2007: Vandenhoeck & Ruprecht. Online
    Wie wurden Heimat und Fremde in der Neuzeit erfahren? Die Historikerin geht der Fremdheitserfahrung in drei Jahrhunderten nach, am Beispiel von Habsburgermonarchie, Zarenreich und Osmanischem Reich.
  • Andrea Zink, Sonja Koroliov (Hg.)
    Unterwegs-Sein. Figurationen von Mobilität im Osten Europas.
    (= Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft/Slavica Aenipontana, 15) XVIII, 289 S. Abb., Innsbruck 2015: Institut für Sprachen und Literaturen der Universität. Inhalt

Unterwegs-sein: Gang - Fahrt - Reise

`Reisen´ wird heute meist als unscharfer Sammelbegriff verwendet, etwa

  • als ein „sich fortbewegen“ von Ort zu Ort;
  • als Dreischritt von Aufbruch - Fahren - ein Ziel erreichen;
  • als zielgerichtete Fortbewegung (mit einem Verkehrsmittel) über eine größere Entfernung;
  • als eines von 21 altgermanischen Nomina der Fortbewegung (Breidbach 1994);
  • als spezielle Form des Unterwegs-sein;
  • als Oberbegriff für alle Formen des Unterwegs-seins, etwa Fahrt, Gang, Wandern, Pilgern.

Offensichtlich ist dies inhaltlich unzureichend, nicht konsistent oder widersprüchlich. Davon abweichend dient hier der Begriff des Unterwegs-seins als Oberbegriff und terminus technicus für den gemeinsamen, allgemeinen Bedeutungsgehalt der spezielleren Begriffe Gang, Fahrt, Reise, Peregrinatio, Aventiure, Seefahrt, Wandern, Wallern/Pilgern usw., weil diese alle ein Unterwegs-sein unter jeweils anderem Blickwinkel sind.

Ein Beispiel: Der „Gang nach Canossa“ von 1077 war keine „Fahrt“, weil König Heinrich IV. auf erleichternde Hilfsmittel verzichtete. Er war auch keine Reise, weil ihm der aggressive Aspekt fehlte, der damals mit dem Reisen als Aufstehen für eine kriegerische Unternehmung verbunden wurde, denn der König kam als Büßer und Bittsteller und bat Papst Gregor VII. den Kirchenbann aufzuheben.
Der heutige Gebrauch verwischt dagegen solche Unterschiede. Das Unterwegs-sein als Oberbegriff zu setzen, erlaubt eine umfassendere Betrachtung.

Unterscheidungsraster

Handlung Bewegung Fortbewegung Rückkehr
motion locomotion return, retour
Unterwegs-sein Gang Fahrt Reise
Mittel Weg Boot
Fuhrwerk
Ausrüstung
Waffen, Waren
Ziel am Ende des Weges neue Wege suchen Erfolg heimbringen
Raumvorstellung Landgang, Waldgang
Weidegang
Tal-, Berg-, Fluss-
See-, Meerfahrt
Seereise
Weltreise
Orientierung Irrweg, Irrgang Irrfahrt
Zweck Bitt-, Bußgang,
Erkundungsgang,
Opfer-, Waffengang
Heerfahrt
Kaperfahrt
Kundfahrt
Bildungsreise
Geschäftsreise
Kriegs-, Heiden-,
Preußenreise
Figuren Botengang Brautfahrt
Pilgerfahrt
Heldenreise
übertragen Übergang Himmelfahrt
Höllenfahrt
Lebensreise
Traumreise, Zeitreise
sinnbefreit Müßiggang
Wallern, Wandern
unendliche Fahrt Reise ohne Wiederkehr
ie. Wurzel *g̑hē-, *g̑hēi- *per- *er-, *or-, *r-
Vorstellung leer sein, fehlen,
verlassen
hinüberführen, -bringen,
-kommen, übersetzen,
durchdringen
sich in Bewegung setzen,
erregen, auf-/absteigen
Quelle DWDS 2) gehen fahren reisen

Die Unterschiede zeigen sich bei aller Unschärfe des heutigen Sprachgebrauchs in solchen Zweckbegriffen, in denen sich das Letztglied gegen einen Austausch sträubt, wo -gang, -fahrt, -reise also eine spezifische und ursprüngliche Bedeutung speichern.
Beim Gang bildet der Weg eine Einheit mit Ausgangsort, Zielort und Zweck und wird durch die Bewegung zum Gang.
Bei der Fahrt setzt Fortbewegung einen Ausgangsort voraus, von dem man sich entfernt, ohne dass ein Weg zu einem Zielort vorhanden sein muss, etwa eine Bootsfahrt den Fluss hinab.
Die Reise verbindet das dynamische Aufstehen (risan) mit dem Entschluss erfolgreich heimzukehren, ganz gleich was dazwischen liegt. Fahrt und Reise drücken im germanischen Sprachraum besondere Formen des Unterwegs-Seins aus, die sich nicht Eins-zu-Eins in andere Sprachräume übersetzen lassen.

Aus dem zugrundeliegenden Handeln (angezeigt durch Verben der Fortbewegung wie germ. gangan, wegan) wird eine abstrakte Tätigkeit (Nomina wie Gang oder Weg). Diese grenzt sich zwar ab vom weglosen Gang (z. B. Jagd) und vom zweckfreien Gang (z. B. Wallern, Wandern), enthält jedoch weder Angaben über verwendete technische Mittel noch über ein bestimmtes Ziel oder den verfolgten Zweck. Der Gang nutzt den Weg, weil es ein gemeinsamer Weg ist. Gemeinschaftlich entstandene Wege führen zu anerkannten Zielen, also liegen sowohl dem dem Weg als auch dem Gang immer bekannte Ziele zugrunde.

  • Im Deutschen wurde die Grundform ‚Gang‘ verdrängt durch Fahrt und Reise.
  • Im Englischen verdrängten travel und journey die wegbezogenen Begriffe.

Die Fahrt wurzelt begrifflich in der Landwirtschaft und verweist im ursprünglichen Sinne auf ein Hilfsmittel, setzt also Fuhrwerke voraus. Die Fahrt ist eine gemeinschaftlich anerkannte Methode (ursprünglich für den Ackerbau), die nachfolgend als zielgerichtete Methode auf unbekannte Wege außerhalb angewandt wird. Anerkannte Ziele lassen Figuren erkennen: Boten, Gesandte, Kundschafter, Pilger, Entdecker …
Tiefer grabend findet sich altnordisches fǫr und altenglisches faru, beide aus der Wurzel *pór-o- < *per- etwas Begrenztes 'durchdringen' bzw. 'übersetzen' (mit dem Boot). Griechisches póros πόρος bezeichnet eine Furt ebenso wie einen bestimmten Seeweg. Davon abgeleitet ist peráō περάω 'durchdringen, hinüber, hindurch' (engl. to penetrate, franz. traverse), also von einer Seite zur anderen gelangen. Indem es aber auch bedeutet 'einen Sklaven verkaufen', zeigt es an, welchen Zweck die Fahrt hatte 3).

Das Reisen erhält erst später in mittelhochdeutscher Zeit die Bedeutung von `unterwegs-sein´ (Heidenreise, Preußenreise) mit einer aggressiven Bedeutung bereits im Althochdeutschen (reisa), die im englischen rise on noch anklingt: Aufstehen und etwas unternehmen, meist im Sinne von Segel setzen, kämpfen, plündern, rauben (ahd. rīsan = sich erheben, steigen, fallen).
Solch eine aggressive Bedeutung findet sich hier und da einzelsprachlich auch für die Fahrt, nicht aber für den Gang, das Wandern und Wallern. Dieselbe Bedeutung hat das griechische Ταξείδιον (latinsiiert tassedium), ursprünglich als eine expeditio bellica ‚kriegerische Reise‘ gedeutet 4), wobei die Aufgabe des Anführers ‚procertari‘ genannt wird, also ‚sich auf einen Kampf einlassen‘. Das zugrunde liegende Verb ταξείδεὑειν kann auch mit navigare (‚segeln‘) übersetzt werden. Im 11. Jahrhundert schließlich bezeichnet das Wort Taxedion im Venezianischen eine bestimmte Art von Geschäftsunternehmungen (‚Collegantia‘) 5). Gewinnbringendes Reisen ist das Gegenteil von ziellosem Wandern, es schafft Werte und bringt Nutzen (lat. utilitas > frz. profit).

`Wandern´ ist verwandt mit `wenden´ und `wandeln´, also `(sich) verändern´. Das Altnordische bezeichnet den Wanderer als vǫnsuðr bildlich für `Der Schwingende´ 6). Dieselbe Vorstellung findet sich im I-Ging-Zeichen I-Ging-Zeichen 56: Der Wanderer 旅 lǚ. `Achse´ bedeutet schwingen, daher auch `Achsel´, weil die Arme beim Gehen um dieselbe schwingen.

  • Winfried Breidbach
    Reise - Fahrt - Gang. Nomina der Fortbewegung in den altgermanischen Sprachen.
    Peter Lang 1994 Diss. Köln
  • Gesa Mackenthun, Andrea Nicolas, Stephanie Wodianka
    Travel, Agency, and the Circulation of Knowledge.
    316 S. Münster 2017: Waxmann. Inhalt Rezension
    Siehe insbesondere in der Einleitung zur Begrifflichkeit (travel, voyage …)
  • Doiron, Normand
    Errance et méthode : interpréter le déplacement, d'Ulysse à Socrate.
    XIV, 146 S. Presses de l'Université Laval, [Québec], 2011
  • Doiron, Normand
    L'être et l'espace. Dix-septième siècle.
    3.252 (2011) 489-500. DOI : 10.. Online
  • Wuthenow, Ralph Rainer
    Die erfahrene Welt
    Europäische Reiseliteratur im Zeitalter der Aufklärung
    457 S. Frankfurt am Main: Insel 1980

Unterwegs-Sein in anderen Sprachräumen

Im romanischen Sprachraum überwiegen Bezeichnungen im Sinne von Gang als 'auf dem Weg unterwegs sein', die vom lateinischen viaticus abgeleitet sind: ital. viaggio, span. viaje, franz./engl. voyage …, strukturell vergleichbar mit dem Slavischen 7) und dem Türkischen:

Sprachraum Weg + … > abgeleitet 'Unterwegs-Sein'
romanisch via- -āticus 'zum Weg gehörig
viaticum > viaggio, viaje,viagem, voyage
slawisch put- -šéstvije 'Prozession' Puteshestviye, podorožnij, podróżny
türkisch yol- -cu 'zum Weg gehörige Gruppe' yolculuk

Im semitischen Sprachraum fehlt die Vorstellung vom Weg. Arabisches musafir hat akkadische Wurzeln:

  • die Wurzelس ف ر‎ (s-f-r) lässt sich auf akkadisches 𒆥 KIN /šapāru/ `senden´ zurückführen und/oder
  • auf saharu 'drehen, umrunden', sich abwenden > den Rücken zeigen

Die Übertragung auf umherziehende Händler findet sich auch im hebräischen sachar > Soḥer, Saher סֹחֵר und schließlich im ostafrikanischen Safari. 8)

In den Bantusprachen fehlt ebenfalls die Vorstellung des Weges, Unterwegs-Sein wird ausschließlich von 'Gehen' abgeleitet. 9) Vereinzelt findet sich die Übertragung auf 'jemanden besuchen' und 'es wird beginnen' (ita mwanza, Ng’hwele)

  • Paolo Bianchi
    Go, Travel, Drive, Move.
    in: Paolo Bianchi (Hg.): Ankommen - Hiersein - Weggehen. Köln 1997: Kunstforum International 136.
  • Bragantini-Maillard, Nathalie
    Du français médiéval travail(lier) à l’anglais travel : parcours d’un régionalisme sémantique.
    Zeitschrift für romanische Philologie, 138.3 (2022) 649−708. DOI
  • Xavier Dekeyser
    Travel, Journey and Voyage: An Exploration into the Realm of Middle English Lexico-Semantics.
    NOWELE. North-Western European Language Evolution, 25.1 (1995) 127−136 DOI
    Der erste Beleg für 'travel' stammt aus dem 14. Jahrhundert 10) ; travel und voyage verdrängten älters 'faer'. Journey wurzelt in lateinisch diurnum und gelangte über das altfranzösische jornee 'Tagwerk' ins Mittelenglische, wo es dann eine 'Tagesreise' bezeichnete.
  • Hamiti, Vjosa
    Das Vollverb fahren mit seinen möglichen Kombinationen mit trennbaren und untrennbaren Präfixen und die Äquivalente im Albanischen.
    S. 309–322 in: Elke Hentschel (Hg.): Wortbildung im Deutschen. Tübingen 2016: Narr/Francke/Attempto
  • Hupfeld, D. H.
    Noch ein Wort über ἅξιoς und Verwandtes.
    Zeitschrift für Vergleichende Sprachforschung auf dem Gebiete des Deutschen, Griechischen und Lateinischen, 8.5 (1859) 370–375. Online Mit Bezügen zu Achse, Weg u.a.
  • Huber, Judith
    Of travels and travails: The role of semantic typology, argument structure constructions, and language contact in semantic change
    Yearbook of the German Cognitive Linguistics Association, 9.1 (2021) 71−94. DOI
  • Rothwell, William
    Arrivals and departures : the adoption of French terminology into Middle English.
    English Studies 79 (1998) 144–165
  • Баликоева, М. И., Ф. С. Дзуцева
    Способы Выражения Концепта „Путешествие“ В Осетинском И Английском Языках.
    Современный ученый 2 (2019) 214−218.
    (=Sposoby Vyrazheniya Kontsepta“ Puteshestviye„ V Osetinskom I Angliyskom Yazykakh M. I. Balikoyeva, F. S. Dzutseva: Sovremennyy uchenyy, 2019 Inhalt
    Predmetom issledovaniya v dannoy stat'ye yavlyayetsya kontsept «Puteshestviye» v angliyskom i osetinskom yazykakh. Ob“yektom dannogo issledovaniya yavlyayetsya LSP.
    Gegenstand dieser Arbeit ein Vergleich der Konzepte des „Reisens“ im Englischen und im Ossetischen mittels des LSP-Ansatzes.
  • Масленникова, Юлия Тимофеевна
    Актуализация концепта «Путешествие» в русской и английской лингвокультурах (на примере словарных статей).
    Science Time 10.22 (2015) 248−252. Online
    (= Maslennikova, Yuliya Timofeyevna: Aktualizatsiya kontsepta «Puteshestviye» v russkoy i angliyskoy lingvokul'turakh (na primere slovarnykh statey).
    = Der Begriff „Reise“ (Путешествие) in russischen und englischen Sprachkulturen (am Beispiel von Wörterbucheinträgen).
  • Гасанова, Эльнара Эльмановна
    Способы выражения концепта «путешествие/travel/səyahət» в английской и азербайджанской лингвокультурах.
    Вестник Вятского государственного университета 7 (2015) 57−60.
    (= Gasanova, El'nara El'manovna: Sposoby vyrazheniya kontsepta «puteshestviye/travel/səyahət» v angliyskoy i azerbaydzhanskoy lingvokul'turakh. )
    Die Autorin versucht, die Grenzen des Konzepts „Reise/səyahət“ in modernen englischen und aserbaidschanischen Sprachen durch die Auswertung von Wörterbüchern zu bestimmen. Der Begriff sayahat erscheint auch im Kasachischen (саяхат) und Usbekischen (саёҳат, sayoḥat).
  • Шевченко, Станислав Викторович
    Изо-и алломорфные характеристики единиц лексико-семантических полей “Travel” и “Viaje” в английском и испанском языках
    выпускная бакалаврская работа по направлению подготовки: 45.03. 02-Лингвистика. Tomsk 2019. 63 S. Online
    (=Shevchenko, Stanislav Viktorovich: Izo-i allomorfnyye kharakteristiki yedinits leksiko-semanticheskikh poley “Travel” i “Viaje” v angliyskom i ispanskom yazykakh: vypusknaya bakalavrskaya rabota po napravleniyu podgotovki
    = Iso- und allomorphe Eigenschaften von Einheiten der lexikalisch-semantischen Felder „Travel“ und „Viaje“ in Englisch und Spanisch: Bachelor-Abschlussarbeit im Bereich Linguistik. )
    Der Autor ermittelt 157 englische und 103 (oft polysemantische) spanische Lexeme aus Wörterbüchern zu den Wortfeldern (LSG) „Bewegung, Ortswechsel“; „Reisender“; „Nutzung von Verkehrsmitteln zum Transport“; „Reisen zum Entspannen“. Im Spanischen beziehen findet sich der Schwerpunkt der Lexeme im Bereich Ruhe und Entspannung, im Englischen dagegen in den Bereichen Reiseablauf und Bewegung. Die Lexeme sind im Anhang kategorisiert und hierarchisiert.

Der Handlungsablauf des Unterwegs-seins

Reisebilder Absichten
1 Aufbruch
Bindungen lösen
2 Hinfahrt als
weg-von & hin-zu
3 Ankunft
⇑ Aufnahme Wendepunkt ⇓
Weltbild
Folgen
6 Heimkehr 5 Heimfahrt als
Dazwischen
4 Umkehr
Raumvorstellungen befriedeter Raum Zwischenraum Entscheidungsraum

Das Unterwegs-sein endet weder am Ziel noch bei der Heimkehr, sondern hat den Charakter eines anhaltenden Prozesses (ein soziotechnisches Handlungssystem), der in allen Beteiligten nachwirkt: in der Herkunftsgesellschaft, bei den Gastgebern, bei Reisenden, Fahrenden, Pilgernden. Auch sind die Phasen 4 bis 6 nicht einfach ein Spiegelbild der Phasen 1 bis 3 sondern eine Wende, sie kehren die Fahrt um, bieten eine andere Perspektive und unterscheiden sich qualitativ von der Hinfahrt. Das kann jeder erfahren, der eine unbekannte Strecke zunächst in einer Richtung und dann zurück hinter sich bringt oder sich an jenem Scheitelpunkt der Reise befindet, wo er sich für oder gegen eine Rückkehr entscheidet. Anhand der sechs Phasen werden verwandte Phänomene unterscheidbar:

  • Flucht: Freiwilliger Aufbruch und Unterwegs-sein als „fort von etwas“ .
  • Migration: Es gibt keine Umkehr.
  • Vertreibung: Erzwungener Aufbruch und Unterwegs-sein als „fort von etwas“ , keine Umkehr.
  • Verbannung: wie Vertreibung, jedoch Umkehr irgendwann möglich.
  • Heimatlosigkeit: keine Ankunft am Ziel.
  • Der ewige Wanderer: Unterwegs-sein, jedoch ohne „hin zu etwas“.

Diesem Prozess und seinen Phasen eignet eine gewisse Dauer, sonst wäre der Besuch beim Nachbarn oder der Gang zum Briefkasten eine Reise. Da das natürliche Zeitgefühl des Menschen durch den Rhythmus von Tagen geprägt ist, müsste das Unterwegs-sein mindestens sechs Tage dauern, damit jede Phase erlebt werden kann. (Die Fremdenverkehrswirtschaft definiert Reisen als mindestens fünf Tage zwischen Aufbruch und Heimkehr.)

Das Makrosystem Unterwegs-sein bildet mit dem Mesosystem Navigation und dem Mikrosystem des mobilen Alltags die wesentlichen Bereiche des soziotechnischen Handlungssystems.

Die Gemeinsamkeiten im Unterwegs-sein

Es gibt Reisende und Fahrende, Wanderer und Pilger. Von Unterwegs-Seienden spricht man dagegen nicht. Menschen, die handelnd die obige Struktur durchlaufen, werden

Die Legitimation des Aufbruchs

Ursächlich für die Begriffswechsel erscheint ursprünglich die unterschiedliche Legitimation des Aufbruchs des Einzelnen aus der Gemeinschaft. Damit erhielt die Unternehmung einen Sinn für alle:

  • der Gesandte als Vertreter und Sprecher
  • der Bote als Überbringer
  • der Waidmann als Jäger zur Nahrungsuche
  • der reisige Gaster als Krieger

Diese Legitimation unterliegt den Zeitläuften und kann sich ändern. In `Urlaub´ ist die Erlaubnis noch zu erkennen. Urlaub wird gewährt, weil sich die Gemeinschaft davon einen Nutzen verspricht und sei es die Wiederherstellung der Arbeitskraft. Dagegen sind Fernweh, Reiselust, Erlebnis und ähnliches Kategorien des Einzelnen.

Ein Lebensgefühl

»Ich höre nachts die Lokomotiven pfeifen, 
sehnsüchtig schreit die Ferne, 
und ich drehe mich im Bett herum 
und denke : „Reisen ...“« 
Kurt Tucholsky (1890-1935)

Wer unterwegs ist (lat. viamus), denkt nicht groß über diesen Reise-Zustand nach. Dieses Unterwegs-Sein nach der Rückkehr daheim leben zu wollen, ist symptomatisch für eine Ansteckung durch ein Reise-Virus (da gibt es unterschiedliche Formen). Manche sind immun dagegen, aber das ist nicht unbedingt ein Vorteil, denn »Wer die Enge seiner Heimat ermessen will, reise. Wer die Enge seiner Zeit ermessen will, studiere Geschichte« meinte Kurt Tucholsky.
Dieses Lebensgefühl kann sehr unterschiedlichen Gruppen von Reisenden innewohnen und ist als sinnspendende Lebenslust bereits in der Antike bekannt:

Ubi bene, ibi patria.
Wo es mir gut geht, da ist mein Vaterland.
Cicero (römisch, 106-43 v. Chr.) zitiert Teukros, Tusculanae disputationes 5, 108
und ähnlich Aristophanes (griechisch, ca. 450 bis 380 v. Chr.), Plutos 1151

Daheim: Ein Hafen fürs Fernweh

Che Guevara beschrieb die Rückkehr in die Heimat als Tod und Wiedergeburt und meinte »Ich bin nicht Ich«. Das Problem ist, dass Heimgekehrte und Zurückgebliebene sich in mancher Hinsicht nicht mehr verstehen. Der Reisende erzählt und die Zuhörer stülpen ein Stereotyp darüber, gegen das der Erzähler sich vergebens wehrt. Also sucht er Menschen, die ihn verstehen, findet zu Fernreisemobil- und Globetrottertreffen oder sucht Gleichgesinnte im Club. So lange er nicht unterwegs sein kann, sind »Globetrottertreffen die zweitschönste Art unterwegs zu sein« meint Günther Schumacher-Loose und bilden einen Hafen fürs Fernweh. In Treffen und Clubs bildet sich eine Reiseszene kulturell aus; die sozialen Medien sind jedenfalls für die Reiseszene nachgeordnet, da ihnen das reisetypische Bewegen und persönliche Begegnen fehlt.

Vom Reisen erzählen: Geschichten und Geschichte

Die Vermittlung von Welt über Medien findet traditionell über Erzählen und über Literatur statt und erzeugt damit Bilder in der Vorstellung. Die besten Geschichten hört man in einer Runde Weitgereister am Lagerfeuer. Reiseliteratur entsteht, wenn das Erzähltalent ausgeprägt ist und das Bedürfnis, sein Erlebtes auszudrücken stark genug. Reiseliteratur ist erfolgreich, weil viele von einem solchen Unterwegs-Sein träumen, jedoch den Aufbruch nicht wagen. Reisebilder wirken natürlich noch besser. Zwar fällt mangelndes Talent schneller auf, jedoch übertrumpfen Bilder bei der Vermittlung über den Bildschirm den Text um ein Vielfaches.
Das Lebensgefühl des Unterwegs-Seins findet letztlich seinen zeittypischen Ausdruck insbesondere in den Genres Reiseliteratur, Road Movie, Road Music. Besondere Formen werden zur Mode und erzeugen einen Markt; hat es sich jedoch überlebt, ist es nur selten in Ausstellungen oder Museen zu bestaunen, weil es keine Erzählung mehr dazu gibt. Eine rote Linie des Unterwegs-Seins zeigt die Zeitleiste der Reisegenerationen.

Was ist Reisen? Was macht dieses Lebensgefühl von Reisenden aus? Der Versuch, seine Bedingungen und Voraussetzungen zu analysieren, findet Ansatzpunkte über:

<html><img src=„https://vg09.met.vgwort.de/na/deb65319d550494f9de96a3e6d4f3bbd“ width=„1“ height=„1“ alt=„“></html>

1)
Deutsches Universalwörterbuch Duden 2007 mit [Anmerkungen des Verfassers]
2)
Wolfgang Pfeifer et al., Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache
3)
Quellen s. Wictionary
4)
Du Cange: Glossarium ad scriptores mediae et infimae Graecitatis
5)
Stefania Gialdroni, Albrecht Cordes, Serge Dauchy, Dave De ruysscher, Heikki Pihlajamäki (Hg.)
Migrating Words, Migrating Merchants, Migrating Law. Trading Routes and the Development of Commercial Law.
337 S. Leiden 2020: Brill. Online Dort wird verwiesen auf die Quelle: Constituta legis et usus of Pisa von 1146-56. In Kapitel 12 (De socie tate facta inter extraneos, „Von der Gesellschaft zwischen Fremden„) erscheint der Begriff tassedium (gr. Ταξείδιον) 23 mal im Sinne von ‚Handelsreise‘
7)
altslaw. пѫть, pǫtĭ aus proto-slaw *pǫtь путь aus indogerm. *pónteh₁s, verwandt mit sanskrit पथिन्, pathin lat. pons, pontis altgr. πόντος, póntos > russ. путь (putʹ) +‎ -е- (-e-) +‎ ше́ствие (šéstvije) (Proto-*šьdlъ (resultative participle, later past tense, of *jьti (“gehen”) + *-ьstvo + *-ьje ) > шествие shestviye Prozession > Puteshestviye
8)
Gen 37,28; Ez 27,36; Ez 38,13; Spr 31,14; Jes 23,2.8 siehe Bibelwissenschaft: Händler
Macintosh, A. A.
Psalm XCI 4 and the Root ‮סחר‬.
Vetus Testamentum, 23.1 (1973) 56–62. DOI.
Ann Jeffers
Magic and divination in ancient Palestine and Syria.
Leiden 1996: Brill, S. 117 f.
etwa: דן, ירון, \\Y. Dan.
Two Jewish Merchants in the Seventh Century = שני סוחרים יהודים במאה השביעית.
Zion / ציון, vol. לו, no. א/ב, 1971, pp. 1–26. Online
The Assyrian dictionary of the Oriental Institute of the University of Chicago 1962/2004, zu şâdu A: [ni-in] LAGAB = lamû, sahāru, şa-a-du ausführlich S. 57 ff.; auch şaddu 'Zeichenträger'
9)
-genda, -gya (-ja, -ya), -tamba, -hamba (march, walk), -pita (pass), -(h)ita, S. 127, 152, 315, 729 in Johnstohn 1919: A Comparative Study Of The Bantu And Semi-Bantu Languages, Online
10)
unklar, entweder aus mittelschotischem travailen oder altfranzösischem travailler 'leiden, erschöpft sein'; im Deutschen findet sich vor sin loen, und vor en paer travelen van XVIII ore auch im Sinne von Arbeit (v. Bunge, Livl. UB 4, 375, 6 (nrddt., 1383/1479)
wiki/unterwegs-sein.1716880503.txt.gz · Zuletzt geändert: 2024/05/28 07:15 von norbert

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