Inhaltsverzeichnis
Bote
»Er vermacht, ehe er nach fremden Ländern geht, sein Vermögen seinen Kindern, aus Furcht vor den Asiaten und den wilden Tieren ... Kaum nach Hause gekommen, muss er wieder fort; wenn er abreist, liegt Zentnerlast auf ihm.« Aus einem ägyptischen Papyrus der XII. Dynastie (24. Jahrhundert v.Chr.), worin unter anderem der Beruf des Boten beschrieben wird. Gaston Maspero: Du genre épistolaire chez les anciens Egyptiens de l'époque pharaonique. Paris: Franck 1873.
Boten (engl. courier) sind Einzelne, bei denen es auf Schnelligkeit und Zuverlässigkeit ankommt. Ebenso wie Fuhrleute, Träger oder Führer müssen sie Kundige sein, die den Weg kennen, Orientierungsfähigkeiten besitzen und Probleme schnell lösen können.
Boten scheinen formal lediglich ein Werkzeug für das Überbringen einer Sendung zu sein. Ursprünglich sind sie jedoch von der Sendung nicht zu trennen und daher Teil der Botschaft mit unterschiedlichen Aufgaben und Kompetenzen - Gesandte im Unterschied zum Träger - und tragen daher eine »Zentnerlast« an Verantwortung.
Borgolte, Michael
Experten der Fremde. Gesandte in interkulturellen Beziehungen des frühen und hohen Mittelalters.
S. 361–400 in: Borgolte, Michael, Lohse, Tillmann and Scheller, Benjamin. Mittelalter in der größeren Welt: Essays zur Geschichtsschreibung und Beiträge zur Forschung, München: De Gruyter (A), 2014. DOI
- Die ersten Boten waren Läufer, die etwa 6 bis 10 Kilometer pro Stunde zurücklegten; Reittiere wurden erst später genutzt.
- Die frühen Boten lernten ihre Botschaft auswendig.
- Da ihre Botschaft für beide Seiten wichtig ist, genießen sie besondere Rechte und weisen äußere Merkmale auf, die sie als Boten ausweisen, etwa den (Herold-)stab, oder das Horn des https://www.rijksmuseum.nl/nl/collectie/BI-1933-996-20cursor germanus von 1558.
- Ihre Geleitpapiere und Schutzbriefe waren Vorläufer des Reisepasses.
- Boten bewegen sich in der Welt des Absenders und in der Welt des Empfänger sowie im Zwischenraum (Wildnis), bedürfen also entsprechender Eigenschaften als Grenzgänger.
- Boten müssen zuverlässig sein und schnell.
Die Läufer (ruts) der Bibel
Die Bibeltexte 1) erwähnen des öfteren Läufer (Hebr. ruts, `rennen´; lat. cursores regis, gr. ἀπεστάλη), etwa um Einladungen von Stadt zu Stadt zu schicken 2), königliche 3)) Erlasse zu überbringen: »zogen auf das Wort des Königs unverzüglich aus« 4), »und die Schreiben wurden gesandt durch die Läufer in alle Länder des Königs….« 5) Nachrichten mittels einer Kette von Läufern zu zu überbringen 6).
Die Boten im persischen Reich
Die pirradaziš (`Expressboten´) sind im Archiv von Persepolis (»Festungstafeln«) dokumentiert und von Herodot beschrieben 7). Sie sollen die rund 2.500 Kilometer lange Königsstraße in sieben Tagen zurückgelegt und dabei deren 111 Raststationen in 22 Kilometer Abstand genutzt haben.
Einfache Boten hießen hutlak und konnten auch Träger (lin hutira) sein, die »Vorläufer« karabattiš, letztere vermutlich ortskundige Führer von Karawanen. 8)
John Hyland
The Achaemenid Messenger System and the Ionian Revolt: New Evidence from the Persepolis Fortification Archive.
Historia 68.2 (2019) 150-169. Online
Ein neu aufgefundenes Dossier über den Einsatz von Pirradaziš »Expressboten« zwischenDarius
und seinem BruderArtaphernes
, Satrap von Sardes, während des ionischen Aufstands 494/3 BC.
Boten im antiken Griechenland
angelós, ἄγγελος (Bote) erscheint bereits im Altgriechischen mit fremder, also älterer sprachlicher Wurzel, auch ángaros, ein persischer Kurier, 9), apostellō, ἀποστέλλω (Gesandte) sich von `senden´ (στέλλω stéllō < indogermanisch *stel-) ableitet. Im antiken Griechenland war der der Angelos heilig, weil er Nachrichten und Botschaften von außen brachte; später wurde differenziert zwischen Engel und Gast, zwischen dem Helden auf der Suche nach dem Heiligen Abenteuer und dem Reisenden.
Im antiken Griechenland wurde der Eilbote Hemerodromos genannt, weil er Nachrichten über große Distanzen innerhalb eines Tages transportierte. Das altgriechische ἡμεροδρόμος setzt sich aus `Tag´ (ἡμέρα heméra) und `Lauf´ (δρόμος drómos) zusammen, Mehrzahl Hemerodromoi.
Noch heutige Wettbewerbe (Marathon, Spartathlon) beziehen sich auf Hemerodromoi wie Pheidippides
490 vor Christus, als er 247 Kilometer in zwei Tagen von Marathon nach Sparta lief, Hilfe erbittend 10) oder Thersippos
/Eukles 11), der nach dem Sieg der Athener über die Perser 42 Kilometer von Marathon nach Athen lief, die Nachricht vom Sieg überbringend.
Hemerodromoi sind kaum erwachsen und »nehmen auf ihrem Laufe nichts als Bogen, Pfeile, Wurfspieß und Feuersteine mit; denn diese Dinge sind ihnen auf der Reise ungemein nützlich.« 12)
Eine Inschrift auf dem Sockel einer Siegerstatue des Philonides
in Olympia lautet: »König Alexanders Eilbote und Ausschreiter Asiens Philonides des Zoitos Sohn aus Chersonaos in Kreta hat Dies dem olympischen Zeus geweiht« 13), dabei wird Bematistes mit `Ausschreiter´ übersetzt, gemeint ist jedoch eine Art Vermesser. Der Bote ist also nicht nur Sportler und Vermesser, sondern gehört auch zur sozialen Elite. Über denselben 14) sagt Plinius
15): »Philonides
, der Läufer Alexanders des Grossen
, legte den 1200 Stadien [ca. 240 km] langen Weg von Sicyon nach Elis in neun Stunden am Tage zurück«.
Der Bote (tabellarius) im Römischen Reich
Im römischen Reich waren Boten einfache Dienstleister, weder Helden noch Sportler, sondern Freigelassene oder Sklaven. Die tabellarii (tabellarius) transportierten schriftliche Mitteilungen (tabellae); größere Distanzen übernahmen (berittene) Kuriere stratores (sternere àufsatteln´), später auch speculatores. Dagegen war der einfache Läufer als Bote ein corisator oder cursor (pedites cursores), als Träger ein gerulus 16). Veredarius
beschreibt die griechischen und römischen Boten sehr ausführlich und betrachtet sie als nachrichtendienstliche Voraussetzung für den Weltverkehr, neudeutsch Globalisierung.
So korrespondiert der griechische Götterbote Hermes
mit dem angesehenen Hemerodromos, der die Welt vermisst; der römische Gott Merkur
dagegen mit dem dienstleistenden tabellarius und dem Markt (lat. merx).
Der Post-Pothe der Neuzeit
Albrecht Dürer
: Der große Bote
1494–1495 Kupferstich 10×11,3 cm
Dresden, KupferstichkabinettAlbrecht Dürer
: Der kleine Bote
um 1496 Kupferstich 10,8×7,7 cm
New York, Metropolitan, Museum of Art, Department of DrawingsErhard Schoen
: Deutscher Fürst und türkischer Bote
um 1550 Holzschnitt & Dialog 34,4×26,3 cm, Gotha Herzogliches Museum (Landesmuseum)-
Guler-Schule
: Die junge Frau und der Bote (Indien)
1765 London: Viktoria & Albert Museum
Ein recht lebenslustiges Bild des »neuen allamodischen Postpoten« bietet die Beschriftung eines Druckes aus Nürnberg 17), Mitte des 16. Jahrhunderts, der »mit Botenspiess und Tasche ausgerüstet … unbekümmert um Regen und Sonnenschein, von seinem treuen Hunde begleitet, kräftigen Schrittes fürbass« schreitet 18).
Ich bin die Post zu Fuss, ich bringe diess und dass; Denck an den kühlen Wein, so bald ich werde nass. Geh ich durch einen Thal, und höre Vögel singen, So denck ich zu dem Tisch, da die Schalmeyen klingen. Ich gehe durch den Wald und mancher Dörner Strauss Und traure, dass noch weit ist zu dess Wirthes hauss. Geh ich auf einen Weg, da fleusst ein Wässerlein, So denck ich Morgens gleich an den gebranden wein, So bald ich angelangt, will jeder Zeitung fragen; Da kan ich unverschnauft zwölf Dutzent Lügen sagen. Frau wirthin traget auf, und setzt das beste zu, Es zahlen diese Zech dess Botten neue Schuh.
Realistischer beschrieben wird der Fußbote mit Botenschild und Botenspieß 1609 19):
Durch Windt und Schnee ich armer Held Bey Tag bey Nacht lauff durch das Feld Kein Hitz des Sommers mich auff helt Des Winters scheu ich keine Kelt Nach dem ich einem Bottschafft bring Empfaht man mich wol oder gring Viel Newes und der Zeitung vil Ein iedere von mir wissen wil Was soll dan thun ich armer knecht Damit man mich nicht halt für schlecht Mus ich also fein warm und heiß Schmiden auch das so ich nicht weiß Kan mich auch wol accomodieren Vnd sagen was man gern thut hören Das Trinckgeld offt im Würtshauß bleibt Des Weib und Kindt sich wenig frewt Wen ich dan schon lang hab grunnen So ist nichts dan blosse Kost gwunnen
Weitere Nachrichten über Boten
Hier und da - in China, Japan, Rom - werden besondere Ansprüche an Boten geäußert:
- genügsam: »Durch Boten wird der Wolf nicht fett« 20)
- nicht abergläubisch, also mentale Stärke
- körperlich belastbar, stark, wehrhaft
- vertraulich und zuverlässig
- besondere Kleidung oder Kennzeichen
- Botenstab, auch als Waffe
Das Wesen des Boten erscheint vielschichtig in seinen Bezeichnungen und Funktionen als
- Läufer
- Botschafter und Gesandter
- Gerichtsbote, Büttel, bevollmächtigter Stellvertreter des Gerichts- oder Grundherrn
»Der Bote steht für zwei« 21) - Fürsprecher, Vertreter, Vormund
- Zeuge und Bürge
- Dienstbote und Laufbursche
- Klosterbote und Universitätsbote
Literatur
Elze, R.
Über die Leistungsfähigkeit von Gesandtschaften und Boten im 11. Jahrhundert. Aus der Vorgeschichte von Canossa 1075-1077.
In: Schimmelpfenning, B./Schmugge, L. (Hrsg.): Päpste, Kaiser, Könige und die mittelalterliche Herrschaftssymbolik. Ausgewählte Aufsätze. London 1982, S. 3–10.Hermann Glaser & Thomas Werner
Die Post in ihrer Zeit: Eine Kulturgeschichte menschlicher Kommunikation.
Heidelberg v. Decker 1990Wolfgang Herborn
Das Botenwesen im Herzogtum Jülich im ausgehenden 14. Jahrhundert.
In: Beiträge zur Jülicher Geschichte 48 (1981) 49-63Matt, Gustav Alphons
Die Botenanstalt Lindau-Mailand: nebst Katalog der Boten-Poststempel 1771-1826.
[Zug-Oberwil]: [Verlag nicht ermittelbar]. Typoskript. 57 Blätter
sowie unvollständig in: Briefmarkenrundschau. Monatsschrift für Philatelie, 24.11 (1948) 211-213, 24.12: 240-242; 25(1949): 25.1: 19-23, 25.6: 105-106, 111-112, 25.9: 151-153, 25.10: 176-178, 25.11: 207-209, 215 ; 26.1 (1950) 14-17 mne.Riepl, Wolfgang
Das Nachrichtenwesen des Altertums mit besonderer Rücksicht auf die Römer
XIV, 478 S., Leipzig: B.G. Teubner, 1913.Schwinges, Rainer C, Klaus Wriedt
Gesandtschafts- und Botenwesen im spätmittelalterlichen Europa.
407 S., Ostfildern: Thorbecke, 2003. Konstanzer Arbeitskreis für Mittelalterliche Geschichte, Insel Reichenau, 3-6 April 2001Veredarius, O.
Das Buch von der Weltpost: Entwicklung und Wirken der Post und Telegraphie im Weltverkehr.
J. Meidinger Berlin 1885, Nachdruck 1986 transpress VEB Verl. für Verkehrswesen.von Seggern, Harm
Die Entstehung des Postwesens in Mitteleuropa – eine» Kommunikationsrevolution?
Francia 34.2 (2007) 195-216. DOIWagner, Andreas
Bote und Brief
sprachliche Systeme der Informationsübermittlung im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit.
Tagungsband 127 S. Frankfurt am Main 2003: Lang.Walser, Robert
Lasst mich ohne nachricht nit.
Botenwesen und Informationsbeschaffung unter der Regierung des Markgrafen Albrecht Achilles von Brandenburg.
Dissertation, LMU München 2004: Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften
Fagan, Garrett G.
(Hg)New Perspectives on Ancient Warfare.
XIII, 372 S. Leiden 2010: Brill. Kapitel: All the King’s Horse: In Search of Achaemenid Persian Cavalry, S. 134–135
Robert Beekes
: Etymological Dictionary of Greek. 1. Auflage. Band 1: Α–Λ, Brill, Leiden, Boston 2010, ISBN 978-90-04-17420-7 (Band 10/1 der Leiden Indo-European Etymological Dictionary Series) Seite 9Band 2: Μ–Ω στέλλω Seite 139
Diskutiert werden Ableitungen über das mykenische a-ke-ro aus dem Semitischen 𐡀𐡍𐡂𐡓𐡕𐡀 ’engirtā `Brief, Vertrag´, Akkadischen ܐܓܪܬܐ(ˀeggarṯā `Brief, Dokument´) letter, document”), dem Sanskrit अजिरा ajirā `schnell, beweglich´
Herodot
6, 105–106Plutarch
, Vom Ruhm der Athener 347 n. Chr., dessen Quelle war Herakleides Pontikos
Veredarius
1885, S. 45Veredarius
1885, S. 45; Pausanias
, Beschreibung Griechenlands 6.16.5Kolb, Anne
, “Tabellarius”, in: Der Neue Pauly, Herausgegeben von: Hubert Cancik,, Helmuth Schneider (Antike), Manfred Landfester (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte). Consulted online on 24 March 2021 <http://dx.doi.org/10.1163/1574-9347_dnp_e1127900> First published online: 2006Fischer, P. D.
(1879). Post und Telegraphie im Weltverkehr. Berlin: Dümmler S. 2