Inhaltsverzeichnis

Trickster

Von allen Geistern die verneinen,
Ist mir der Schalk am wenigsten zur Last.
Des Menschen Tätigkeit kann allzuleicht erschlaffen,
Er liebt sich bald die unbedingte Ruh;
Drum geb ich gern ihm den Gesellen zu.
Johann Wolfgang Goethe, Faust, 338-343

Im allgemeinen Sprachgebrauch jemand, der zum einen Tricks gezielt zu seinem Vorteil einsetzt und zum anderen Gepflogenheiten beiseite schiebt, Regeln neu definiert, ein Grenzgänger ohne Arglist, doch am Rande zum Betrüger, Gauner, Illusionist, Intrigant, Täuscher, Schelm, Schwindler, Störtzer, weil er Kniffe verwendet, Humbug 1) treibt und Ammenmärchen erzählt.

Der Trickster als Denkfigur zwischen chthonischer Gottheit und cultural hero

Fachsprachlich ist der Trickster eine relativ neue Denkfigur für einen immer wieder aufscheinenden Charakter in Mythen, Erzählungen und in der Literatur. Am Anfang steht im Mythos meist eine »chthonische Gottheit«, also ein Gott der sowohl im Reich der Lebenden als auch der Toten zuhause ist, daher vielfach eine Schwellengottheit für Übergänge, also ein Reisegott und Psychopompos oder ein Schutzgeist wie der Genius Cucullatus. Darin ist bereits seine Doppelgesichtigkeit, seine Ambivalenz angelegt. Danach wird die Gestalt zum »cultural hero« und damit zur beispielhaften Figuren 2).

Nach 1868 3) hat sich Trickster als Fachbegriff für Gestalten mit bestimmten, ambivalenten Merkmalen in literarischen, psychologischen und ethnologischen Zusammenhängen etabliert (französisch fripon, farceur). Trickster gab es also schon immer, aber erst seit 1868 finden sich Lucifer und Eulenspiegel, Pan und Papageno, Prometheus, Loki und Syrdon unter derselben Überschrift. Eindeutig ist nur, was kein Trickster ist: der Untertan, der brave Bürger oder das Heimchen am Herd. Die äußere Gestalt des Trickster ist weder auf Mann-Frau noch auch Mensch-Tier festgelegt, jedoch symbolisieren insbesondere Tiergestalten (Affe, Fuchs, Hase, Kojote, Rabe, Spinne) einzelne Eigenschaften.

Der Trickster als Archetyp des Unbewussten

Weil solche Trickster zu allen Zeiten in den Vorstellungswelten der Menschen zu finden sind, spiegeln sie etwas zutiefst Menschliches und geraten damit zum Archetypen 4).
Der Trickster ist schwer fassbar, für ihn gilt immer ein `sowohl-als-auch´,

Sehr zugespitzt lässt sich sagen: Eine Persönlichkeit, die sich jeder Einordnung durch ein Sowohl-Als-auch widersetzt, ist ziemlich sicher ein Trickster. Und C.G. Jung meinte, dass überall, wo ein »Affentheater« zu beobachten ist, der Trickster am Werk sei. Psychologen würden ihn wohl als Psychopathen einordnen, mit einer liebenswerten Seite 5). Differenziertere Ansätze zitiert Knorr, etwa von Wolfgang Stein 6), der in den indianischen Trickstergeschichten wiederkehrende Phasen findet:

Dagegen kategorisiert William J. Hynes 7) die Merkmale des Tricksters als

Der Trickster als Abenteurer und Reisender

Reisende werden einige Trickstereigenschaften sehr hilfreich finden, etwa:

Reisende Trickster Disposition
Die Fähigkeit sich anzupassen Meister der Verwandlung Assimilation, Metamorphose
kreative Lösungen Meister der List Gaukelei
Geschicklichkeit Meister der Improvisation Bricolage, Autarkie
Durchsetzungsvermögen Meister des Umbruchs Gewaltbereitschaft
Möglichkeitssinn Meister des Sowohl-Als-auch Ambiguität, Anomalie, Polyvalenz
Zielstrebigkeit Bote Effizienz, Fokus

Die für den Reisenden wichtigen Eigenschaften werden dem Trickster als Reisegott zugeschrieben. Im Zwischenraum gehen Trickster und Reisende denselben Weg. Dass es eine enge Verbindung zwischen Reisenden und der Figur des Trickster gibt, zeigt die Dissertation 8) von Alexander Knorr, der die Biographien von sechs »historischen« Persönlichkeiten systematisch als Trickster identifizierte. Mir scheint, dass die Tricksterfigur mit dem ebenfalls schwer greifbaren Begriff des Abenteuers zusammenhängt, denn die Literatur über Abenteuerpersönlichkeiten führt auffallend häufig eben nicht nur zu Reisenden, sondern auch zu Schwindlern, während der Tricksterbegriff auffallend häufig zu den Kategorien von Heros/Held führt.

Der Trickster als der Dritte

Auffallend oft ist der Trickster der Dritte im Dazwischen als Beobachter, Bote, Fremder, Hermaphrodit, Intrigant, Mittler, Rivale, Sündenbock. In den Mythen schlägt er als Halbgott die Brücke zu den Menschen: Hermes, Lemminkäinen (finn.), Loki, Pan, Prometheus, Syrdon (Kaukasus). Er brachte den Menschen Feuer und Technik (Stab und Hammer) und damit zwar Macht über die Natur auf Kosten der Entfremdung von der Natur. Der Trickster steht am Ursprung technischen Handelns, weil er als Erster in natürlich zuhandenen Dingen die Möglichkeit erkannt hat (Vorstellung) ein Ziel zu erreichen, denn er plant die Schritte dorthin und setzt dafür geeignete Mittel ein, beispielsweise den Ast, der als Stock zu Werkzeug und Waffe wird. Das altgriechische mechane bezeichnete dementsprechend zunächst eine kluge Handlungsweise, dann die Mechanik, und später eine Maschine.

Archaisch ist der Trickster als »der Dritte« Teil der Trinität, die im menschlichen Bewusstsein tief verankert ist und in eine Zeit zurückführt, in der Zählen bedeutete: Eins, Zwei und das Andere. Solche Triaden lassen vielfach finden:

1 2 3
Ich Du Andere
Das Eine Das Zweite Das Andere
Dies Das (Gegenteil) Sowohl-Als auch
Männlich Weiblich Zwitter
Hier Dort Das Verbindende
Ort Raum Zwischenraum
Erde Himmel Weltenbaum, Achse
Erschaffen Bewahren Zerstören
Vorstellung Wille Tat
Götter Menschen Helden

Road Movie

Literatur

Johannes Klopf, Manfred Gabriel, Monika Frass (Hrsg.)
Trickster – Troll – Trug
Salzburger Kulturwissenschaftliche Dialoge Band 4 Paracelsus-Verlag Salzburg 2016, ISBN: 3902776218
Das Editorial von Johannes Klopf als Digitalisat
Vom Trickster als Archetyp zur Sozialfigur des erfolgreichen Psychopathen.
Strukturprinzipien und polymorphe Erscheinungsformen

1)
Johannes Ebers
Vollständiges Wörterbuch der Englischen Sprache für die Deutschen
Leipzig 1793, Band 1, S. 794
2)
Eloeva F., Sausverde E.
Culture Hero’s Intrepid Past (Prometheus, Loki, Syrdon… Coyote…)
Literatūra, 57(3) 2016, pp. 98-115. doi: 10.15388/Litera.2015.3.9880
3)
Daniel Brinton: The Myths of the New World. New York 1868, 2015
4)
Carl Gustav Jung
Ueber die Archetypen des kollektiven Unbewussten
Zürich 1935: Rhein-Verlag, darin: Zur Psychologie der Tricksterfigur
5)
Rolling Stones: Sympathy for the Devil, Album: Beggar's Banquet. London Records. 1968
6)
Wolfgang Stein
Der Kulturheros-Trickster der Winnebago und seine Stellung zu vergleichbaren Gestalten in den oralen Traditionen nordamerikanischer Indianer
Eine Kritik an der Kulturheros-Trickster-Konzeption Paul Radins; Bonn 1993; Holos Verlag; Dissertation, München 1990, S. 317 bis 322
7)
William J. Hynes
Mythical Trickster Figures: Contours, Contexts and Criticisms
Tuscaloosa u.a. 1993, S. 34 bis 42
8)
Alexander Knorr
Metatrickster: Burton, Taxil, Gurdjieff, Backhouse, Crowley, Castaneda: Eine Interpretation von Leben, Werk und Wirken ausgesuchter historischer Persönlichkeiten, deren Wohlgelingen der Hilfe des Diskurses zur mythologischen Trickstergestalt bedurfte
Alteritas, Münchner ethnologische Impressionen, Vol. 3. Pondicherry, München 2004: Vasa. ISBN: 3-9809131-6-3, Dissertation München 2002
umfangreiche Bibliographie