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wiki:staunen_fremdheit_neues_neugier

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   es liegen ganz Afrika und alle seine Wunder in uns.   es liegen ganz Afrika und alle seine Wunder in uns.
   Sir Thomas Brown   Sir Thomas Brown
-Der Fremde, Die Fremde, Das Fremde … das Phänomen der darin enthaltenen Fremdheit ist [[wiki:universalismus|universal]], seine Bedeutungen sind vielfältig und kaum faßbar. Die nachfolgenden Überlegungen begrenzen sich auf eine bestimmte Perspektive: Was bedeutet Fremdheit für Reisende?\\  +Der Fremde, Die Fremde, Das Fremde … das Phänomen der darin enthaltenen Fremdheit ist [[wiki:universalismus|universal]], seine Bedeutungen sind vielfältig und kaum faßbar. Die nachfolgenden Überlegungen begrenzen sich auf eine bestimmte Perspektive: Was bedeutet Fremdheit für [[wiki:reisende|Reisende]] unterwegsDas Fremde in der Heimat ist Thema der Ethnologen, [[wiki:voelkerkunde|Völkerkunde]](museen) und [[wiki:liste_ausstellungen|Ausstellungen]]. \\  
-Anders als Exilanten ziehen wir immer wieder in andere Fernen; anders als etwa der Bundeswehrsoldat am Hindukusch sind wir selbstbestimmt unterwegs; anders als Migranten haben wir eine Heimat, in die wir zurückkehren, anders als Urlauber suchen wir eher das Fremde als das Vertraute und genießen es … Im Vordergrund stehen für uns Neugier und Fernweh, ein Unterwegs-sein als anhaltender Zustand, im Gefühl: die [[wiki:welt|Welt]] ist schön und es gibt noch viel zu seh’n. Unsere Art, Fremdheit zu erleben, ist geprägt durch Zeit, [[wiki:freiheit|Freiheit]] und besonders durch das Neue.+Anders als Exilanten ziehen wir immer wieder in andere Fernen; anders als etwa der Bundeswehrsoldat am Hindukusch sind wir selbstbestimmt unterwegs; anders als Migranten haben wir eine Heimat, in die wir zurückkehren, anders als Urlauber suchen wir eher das Fremde als das Vertraute und genießen es … Im Vordergrund stehen für uns [[wiki:neugier|Neugier]] und [[wiki:fernweh|Fernweh]], ein [[wiki:unterwegs-sein|Unterwegs-sein]] als anhaltender Zustand, im Gefühl: die [[wiki:welt|Welt]] ist schön und es gibt noch viel zu seh’n. Unsere Art, Fremdheit zu erleben, ist geprägt durch [[wiki:zeit_musse|Zeit]], [[wiki:freiheit|Freiheit]] und besonders durch das Neue.
  
 ===== Der Reisende als Staunender ===== ===== Der Reisende als Staunender =====
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 //»Erzähl’ doch mal, wie war’s unterwegs?«// Die große Mehrheit der Nicht-Globetrotter begnügt sich mit dem indirekten, gefilterten Erlebnis: dem Erzählten, der Diashow, dem Reisebericht, der Fernsehsendung. Die Furcht und das Staunen bewegen zwar alle Menschen dazu, sich mit der Welt zu beschäftigen, jedermann ist fasziniert und interessiert, aber …! Das durch Ekel, Angst oder Widerwille erzeugte Prickeln läßt sich mit wohligem Schauder ertragen, wenn das Andere nicht wirklich nah ist. Zur schnellen Flucht genügt es, die Augen zu schließen.\\  //»Erzähl’ doch mal, wie war’s unterwegs?«// Die große Mehrheit der Nicht-Globetrotter begnügt sich mit dem indirekten, gefilterten Erlebnis: dem Erzählten, der Diashow, dem Reisebericht, der Fernsehsendung. Die Furcht und das Staunen bewegen zwar alle Menschen dazu, sich mit der Welt zu beschäftigen, jedermann ist fasziniert und interessiert, aber …! Das durch Ekel, Angst oder Widerwille erzeugte Prickeln läßt sich mit wohligem Schauder ertragen, wenn das Andere nicht wirklich nah ist. Zur schnellen Flucht genügt es, die Augen zu schließen.\\ 
 Ganz so schwarz-weiß sind die Unterschiede natürlich nicht. Assimilatives Reisen strengt an und so kennt auch jeder Globetrotter die kleinen Fluchten: Rückzug ins Reisemobil, die deutsche Bäckerei in Bangkok, die Übernachtung im Best Western, den Strandurlaub zum Ende der Reise … gesteht man sich augenzwinkernd zu, genießt den Stilbruch. Auf der anderen Seite erhält der Studienreisende seinen freien Nachmittag ohne Gruppenzwang und der Cluburlauber bestellt sich ein Taxi in die Stadt.\\  Ganz so schwarz-weiß sind die Unterschiede natürlich nicht. Assimilatives Reisen strengt an und so kennt auch jeder Globetrotter die kleinen Fluchten: Rückzug ins Reisemobil, die deutsche Bäckerei in Bangkok, die Übernachtung im Best Western, den Strandurlaub zum Ende der Reise … gesteht man sich augenzwinkernd zu, genießt den Stilbruch. Auf der anderen Seite erhält der Studienreisende seinen freien Nachmittag ohne Gruppenzwang und der Cluburlauber bestellt sich ein Taxi in die Stadt.\\ 
-Doch sie alle – Reisende, Urlauber, Auswanderer, Auslandtätige – erleben eine »persönliche Fremdheit« ((Die sehr sinnvolle Unterscheidung zwischen persönlicher und kultureller Fremdheit, die der systemtheoretischen Perspektive von Mikro- und Makroebene entspricht, stammt von ''Meinhard Schuster'': //Ethnische Fremdheit, ethnische Identität//. In: Derselbe: //Die Begegnung mit dem Fremden // (=Colloquium Rauricum 4) Teubner Stuttgart 1996)), ausgelöst durch eine unvermittelte Begegnung. Der Umgang mit ihr unterscheidet sie voneinander. Im Urlaub herrscht das Gefühl vor, die [[wiki:welt|Welt]] habe eine Bringepflicht, schließlich habe man ja für Leistung bezahlt. Gesteigertes Anspruchsverhalten, verminderte soziale Hemmungen und ein eingeschränktes Schamgefühl führen in der Fremde häufig zu Konflikten ((Fremdes verstehen. Sympathie Magazin 28. 1994/2000, 68 S. www.sympathiemagazin.de)).\\ +Doch sie alle – Reisende, Urlauber, [[wiki:liste_ausstellungen#Auswanderer|Auswanderer]], Auslandtätige – erleben eine »persönliche Fremdheit« ((Die sehr sinnvolle Unterscheidung zwischen persönlicher und kultureller Fremdheit, die der systemtheoretischen Perspektive von Mikro- und Makroebene entspricht, stammt von ''Meinhard Schuster'': //Ethnische Fremdheit, ethnische Identität//. In: Derselbe: //Die Begegnung mit dem Fremden // (=Colloquium Rauricum 4) Teubner Stuttgart 1996)), ausgelöst durch eine unvermittelte Begegnung. Der Umgang mit ihr unterscheidet sie voneinander. Im Urlaub herrscht das Gefühl vor, die [[wiki:welt|Welt]] habe eine Bringepflicht, schließlich habe man ja für Leistung bezahlt. Gesteigertes Anspruchsverhalten, verminderte soziale Hemmungen und ein eingeschränktes Schamgefühl führen in der Fremde häufig zu Konflikten ((Fremdes verstehen. Sympathie Magazin 28. 1994/2000, 68 S. www.sympathiemagazin.de)).\\ 
 Bei den meisten selbstbestimmt Reisenden mündet assimilatives Reisen jedoch nicht in Assimilation oder Auswanderung, sondern in einem vollständigeren Bewußtsein der eigenen Identität. Wer sich etwa in unserer wenig religiös geprägten Gesellschaft leichthin als Atheist bezeichnet, wird beim Eintauchen in eine andere, extrem religiös geprägte Gesellschaft, sehr genau auf sein religiöses Selbstverständnis hin befragt und erhält Gelegenheit, sich damit intensiver auseinanderzusetzen als er dies je zu Hause tun würde.\\  Bei den meisten selbstbestimmt Reisenden mündet assimilatives Reisen jedoch nicht in Assimilation oder Auswanderung, sondern in einem vollständigeren Bewußtsein der eigenen Identität. Wer sich etwa in unserer wenig religiös geprägten Gesellschaft leichthin als Atheist bezeichnet, wird beim Eintauchen in eine andere, extrem religiös geprägte Gesellschaft, sehr genau auf sein religiöses Selbstverständnis hin befragt und erhält Gelegenheit, sich damit intensiver auseinanderzusetzen als er dies je zu Hause tun würde.\\ 
 In gewisser Weise eignet sich ein entdeckendes, assimilatives Reisen die Welt an. Diese Aneignung äußert sich praktisch etwa in Souvenirs, Fotos, Filmen, Reiseberichten, im Aufschreiben, im Berichten zuhause, im Reflektieren … Die Welt erscheint dort, wo man war und in dem, was man selbst erlebt hat, nicht mehr völlig fremd. Die Grenze zwischen dem Eigenen und dem Anderen wird diffus. Das Eigene tritt deutlicher hervor, weil es sich immer und immer wieder mit dem Anderen auseinandersetzt und sich von ihm abgrenzen muß. »Der Stachel des Fremden« ((''Bernhard Waldenfels'': //Der Stachel des Fremden//. Frankfurt am Main 1990, S. 65: Fremderfahrung zwischen Aneignung und Enteignung)) wirkt als »Prozeß, in dem Eigenes und Fremdes, Eigenartiges und Fremdartiges durch Differenzierung entstehen.«. Paradoxerweise führt also assimilatives Reisen dazu, sich stärker abzugrenzen, indem man Erlebnisse und Erfahrungen reflektiert. In gewisser Weise eignet sich ein entdeckendes, assimilatives Reisen die Welt an. Diese Aneignung äußert sich praktisch etwa in Souvenirs, Fotos, Filmen, Reiseberichten, im Aufschreiben, im Berichten zuhause, im Reflektieren … Die Welt erscheint dort, wo man war und in dem, was man selbst erlebt hat, nicht mehr völlig fremd. Die Grenze zwischen dem Eigenen und dem Anderen wird diffus. Das Eigene tritt deutlicher hervor, weil es sich immer und immer wieder mit dem Anderen auseinandersetzt und sich von ihm abgrenzen muß. »Der Stachel des Fremden« ((''Bernhard Waldenfels'': //Der Stachel des Fremden//. Frankfurt am Main 1990, S. 65: Fremderfahrung zwischen Aneignung und Enteignung)) wirkt als »Prozeß, in dem Eigenes und Fremdes, Eigenartiges und Fremdartiges durch Differenzierung entstehen.«. Paradoxerweise führt also assimilatives Reisen dazu, sich stärker abzugrenzen, indem man Erlebnisse und Erfahrungen reflektiert.
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 Sofern Reisende diese Erfahrungen verarbeiten – etwa als Tagebuch, Reisebericht, Vortrag …– durchleben sie die Erfahrungen erneut. In der Art und Weise, wie die Reisenden ihre Begegnung mit der Welt, dem Fremden, dem Anderen ausdrücken, wird die erlebte Welt rekonstruiert und stellt sich in neuer Form dar. Das literarische Ergebnis spiegelt nun nicht nur die erlebte äußere Welt wieder, sondern auch den Vorgang des Verstehens; es zeigt, wie tief und wie weit die innere Welt der Reisenden geworden ist – oder eben auch wie flach und beschränkt sie geblieben ist. Eher tragisch wirkt es, wenn das reiche Erleben und tiefe Verstehen zwar zu einer weiten inneren Welt  geführt hat, diese jedoch literarisch nur unzureichend verarbeitet werden kann. Sofern Reisende diese Erfahrungen verarbeiten – etwa als Tagebuch, Reisebericht, Vortrag …– durchleben sie die Erfahrungen erneut. In der Art und Weise, wie die Reisenden ihre Begegnung mit der Welt, dem Fremden, dem Anderen ausdrücken, wird die erlebte Welt rekonstruiert und stellt sich in neuer Form dar. Das literarische Ergebnis spiegelt nun nicht nur die erlebte äußere Welt wieder, sondern auch den Vorgang des Verstehens; es zeigt, wie tief und wie weit die innere Welt der Reisenden geworden ist – oder eben auch wie flach und beschränkt sie geblieben ist. Eher tragisch wirkt es, wenn das reiche Erleben und tiefe Verstehen zwar zu einer weiten inneren Welt  geführt hat, diese jedoch literarisch nur unzureichend verarbeitet werden kann.
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 +  * ''Korbinian Spann''.\\ //Beschreibung und Wahrnehmung des Fremden in der rabbinischen Literatur//.\\ Eine Interpretation anhand der Traktate Brachot, Schabbat, Jebamot und Sanhedrin.\\ 429 S. Diss. Universität Freiburg im Breisgau 2008 (=Judaica et Christiana, 25) Bern 2010: Peter Lang [[https://www.peterlang.com/view/product/44280?format=EPDF|Online]]. Inhalt u.a.: Wahrnehmung fremder Personen in der Antike und Der, die, das Fremde: Fremde an den Grenzen Israels.
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 ==== Die Metamorphose des Fremden ==== ==== Die Metamorphose des Fremden ====
 Der Reisende ist natürlich in der Ferne ein Fremder. Aber als Fremder kann er in unterschiedlichen Situationen in verschiedene Rollen geraten. Globetrotter, die länger als üblich an einem Ort bleiben, nehmen diesen Ort nach einiger Zeit anders wahr. Umgekehrt werden sie mit der Zeit auch anders wahrgenommen und behandelt. »Der Fremde« durchlebt eine Metamorphose, sein Fremdsein nimmt verschiedene Qualitäten an. Zwar ist Fremdheit eine selbst gewählte Erfahrung, doch muß der Reisende seine Rolle akzeptieren: Ob er als Gast, Feind Zuwanderer … behandelt wird, liegt nicht in seinem Ermessen und ist von ihm kaum zu beeinflussen. Der Reisende ist natürlich in der Ferne ein Fremder. Aber als Fremder kann er in unterschiedlichen Situationen in verschiedene Rollen geraten. Globetrotter, die länger als üblich an einem Ort bleiben, nehmen diesen Ort nach einiger Zeit anders wahr. Umgekehrt werden sie mit der Zeit auch anders wahrgenommen und behandelt. »Der Fremde« durchlebt eine Metamorphose, sein Fremdsein nimmt verschiedene Qualitäten an. Zwar ist Fremdheit eine selbst gewählte Erfahrung, doch muß der Reisende seine Rolle akzeptieren: Ob er als Gast, Feind Zuwanderer … behandelt wird, liegt nicht in seinem Ermessen und ist von ihm kaum zu beeinflussen.
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 +  * ''Toggweiler, Michael''\\ //Die Odyssee der Pygmäen: eine andere Geschichte der neuzeitlichen Anthropologie.//\\ Dissertation Philosophisch-historische Fakultät der Universität Bern 2012. Lit.-verz. S. 325-357 [[https://boris.unibe.ch/107657/1/12toggweiler_m.pdf|Online]]
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 ==== Der Fremde als Barbar ==== ==== Der Fremde als Barbar ====
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 Was man nicht versteht, kommt von weit her, etwa aus der Walachei ((Walachen bezeichnet romanischsprachige Volksgruppen in Südosteuropa. Die Bezeichnung kommt wohl aus dem Germanischen, das entsprechende Wurzelwort "welsch/walch" ist mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem keltischen Volksnamen abgeleitet (Wikipedia) und findet sich auch in Wales und Wallis)). Dort spricht man natürlich //Kauderwelsch//. Solche Leute »brabbeln« eine Art »Blah-Blah« und man versteht nur »Rhabarber, Rhabarber«.\\  Was man nicht versteht, kommt von weit her, etwa aus der Walachei ((Walachen bezeichnet romanischsprachige Volksgruppen in Südosteuropa. Die Bezeichnung kommt wohl aus dem Germanischen, das entsprechende Wurzelwort "welsch/walch" ist mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem keltischen Volksnamen abgeleitet (Wikipedia) und findet sich auch in Wales und Wallis)). Dort spricht man natürlich //Kauderwelsch//. Solche Leute »brabbeln« eine Art »Blah-Blah« und man versteht nur »Rhabarber, Rhabarber«.\\ 
 Ein //Barbar// war im antiken Griechenland jemand, der kaum Griechisch sprach. Das Wort fand Eingang in fast alle europäischen Sprachen. Dabei ist es so alt, daß es sich auch im Sanskrit findet (barbarāh), im Persischen, Armenischen, Arabischen (Berber) … Auf drei Kontinenten bezeichnen sich also Völker mit dem gleichen Wort gegenseitig als sprachunkundig und wählen dafür paradoxerweise ein Wort, das von allen verstanden wird. Die dahinter erkennbare Haltung scheint [[wiki:universalismus|universal]] gültig zu sein, denn weltweit bezeichnen sich viele Ethnien in ihrer Eigenbezeichnung schlicht als »Menschen« ((Inuit, Khoi Khoin (Menschen der Menschen), Roma, Na-Uni (= Komantschen. erste Menschen), Ainu (Japan), Kanaken (Hawaii), Nenzen (Ural), Zulu, Bantu, Kikuyu (Kenia), Malaien (Orang Melayu = umherschweifende Menschen), Yamana und Shelk’enan (= Jaghan und Ona auf Feuerland: vernunftbegabte Wesen), Orawelat (= Tschuktschen), Numang-Kake (= Mandan-Indianer), Odulpa (= Jukagieren in Nordost-Sibirien), Andamanen (= Oenge), Alemannen, Hunnen, Magyaren)).\\  Ein //Barbar// war im antiken Griechenland jemand, der kaum Griechisch sprach. Das Wort fand Eingang in fast alle europäischen Sprachen. Dabei ist es so alt, daß es sich auch im Sanskrit findet (barbarāh), im Persischen, Armenischen, Arabischen (Berber) … Auf drei Kontinenten bezeichnen sich also Völker mit dem gleichen Wort gegenseitig als sprachunkundig und wählen dafür paradoxerweise ein Wort, das von allen verstanden wird. Die dahinter erkennbare Haltung scheint [[wiki:universalismus|universal]] gültig zu sein, denn weltweit bezeichnen sich viele Ethnien in ihrer Eigenbezeichnung schlicht als »Menschen« ((Inuit, Khoi Khoin (Menschen der Menschen), Roma, Na-Uni (= Komantschen. erste Menschen), Ainu (Japan), Kanaken (Hawaii), Nenzen (Ural), Zulu, Bantu, Kikuyu (Kenia), Malaien (Orang Melayu = umherschweifende Menschen), Yamana und Shelk’enan (= Jaghan und Ona auf Feuerland: vernunftbegabte Wesen), Orawelat (= Tschuktschen), Numang-Kake (= Mandan-Indianer), Odulpa (= Jukagieren in Nordost-Sibirien), Andamanen (= Oenge), Alemannen, Hunnen, Magyaren)).\\ 
-Die Anderen ((Die Deutschen im Tschechischen, Polnischen, Russischen: nemec, niemka, njemka. Die Slawen (gotisch slavan = schweigen) nennen sich selbst slovene = die Sprechenden.)) sind eben Stotterer, Stammler, Stumme. Und weil man ihnen nichts erklären kann, verstehen sie auch nichts und benehmen sich barbarisch. In Staaten mit theokratischer Staatsauffassung wie etwa Indien oder Japan war den Einheimischen der Umgang mit [[wiki:auslaender|Ausländern]] verboten, ihre Berührung galt als unrein. Der konfliktreiche Umgang mit dem Fremden ist über Jahrtausende weltweit belegt ((''Meinhard Schuster'': //Die Begegnung mit dem Fremden// (=Colloquium Rauricum 4) Teubner Stuttgart 1996. Darin Beiträge über Fremdheit im alten Ägypten, im babylonischen Staat, im Islam, in Westafrika, im hinduistischen Indien, in China …)). +Die Anderen ((Die Deutschen im Tschechischen, Polnischen, Russischen: nemec, niemka, njemka. Die Slawen (gotisch slavan = schweigen) nennen sich selbst slovene = die Sprechenden.)) sind eben Stotterer, Stammler, Stumme. Und weil man ihnen nichts erklären kann, verstehen sie auch nichts und benehmen sich barbarisch. In Staaten mit theokratischer Staatsauffassung wie etwa Indien oder Japan war den Einheimischen der Umgang mit [[wiki:auslaender|Ausländern]] verboten, ihre Berührung galt als unrein. Der konfliktreiche Umgang mit dem Fremden ist über [[wiki:reisegenerationen|Jahrtausende]] weltweit belegt ((''Meinhard Schuster'': //Die Begegnung mit dem Fremden// (=Colloquium Rauricum 4) Teubner Stuttgart 1996. Darin Beiträge über Fremdheit im alten Ägypten, im babylonischen Staat, im Islam, in Westafrika, im hinduistischen Indien, in China …)).  
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 +  * ''Müller, Klaus Erich''\\ //Die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt in der ethnologischen Erkenntnis.//\\ Ethnologia Europaea 7.1 (1973/1974) 1-16 
 +  * ''Reinhold Bichler''\\ //Der Barbarenbegriff des Herodot und die Instrumentalisierung der Barbaren-Topik in 
 +politisch-ideologischer Absicht.//\\ S. 117-128 in: I. Weiler, H. Graßl (Hg.): Soziale Randgruppen und Außenseiter im Altertum, Graz 1988, [= Ges. Schriften Bd. 1, 2007, 55-64]  
 +  * ''Alexandr Podosinov''\\ // Barbarisierte Hellenen – hellenisierte Barbaren: Zur Dialektik ethnokultureller Kontakte in der Region des Mare Ponticum.//\\ S. 415–425 in: Hellenismus. Beiträge zur Erforschung von Akkulturation und politischer Ordnung in den Staaten des hellenistischen Zeitalters. Akten des Internationalen Hellenismus–Kolloquiums. 9.–14. März 1994 in Berlin. Tübingen 1996.  
 +  * ''Alexandr Podosinov''\\ //Barbarians and Greeks in the Northern Pontus in the Roman Period: ''Dio Chrysostom''’s Account of Olbia, and Archaeology.//\\ S. 147–168 in: Ancient West and East, 8. Leuven, Paris 2009: Walpole 
 +  * ''Alexandr Podosinov''\\ //‘Barbarian’ peoples of the Northern Black Sea Region on the Tabula Peutingeriana versus Literary Tradition.//\\ S. 43–50 in: M. Manoledakis (Hg.): Peoples in the Black Sea Region from the Archaic to the Roman Period. Proceedings of the 3rd International Workshop on the Black Sea in Antiquity held in Thessaloniki, 21.-23. September 2018. Oxford 2021: Archaeopress.
  
 ==== Der Fremde als Feind ==== ==== Der Fremde als Feind ====
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 ==== Die Fremden bei uns, im Hier und Jetzt ==== ==== Die Fremden bei uns, im Hier und Jetzt ====
-Kulturelle Fremdheit kommt ohne eine persönliche Begegnung aus, was sofort erhellt, wenn man sich den Bau einer Moschee in einer deutschen Kleinstadt oder einem Dorf vorstellt. Nicht ein bestimmter Deutscher sorgt sich, sondern »die deutschen Einwohner«, nicht ein bestimmter Türke bietet ihnen Anlaß zur Sorge, sondern »die türkischen Zuwanderer«.\\  +Kulturelle Fremdheit kommt ohne eine persönliche Begegnung aus, was sofort erhellt, wenn man sich den Bau einer Moschee in einer deutschen Kleinstadt oder einem Dorf vorstellt. Nicht ein bestimmter Deutscher sorgt sich, sondern »die deutschen Einwohner«, nicht ein bestimmter Türke bietet ihnen Anlaß zur Sorge, sondern »die türkischen Zuwanderer«. 
-Kulturelle Vertrautheit und Zugehörigkeit erwächst in einer hinreichend großen Gruppe mit einer gemeinsamen Vergangenheit, sind also von Sozialisation und Bildung abhängig und äußern sich beispielsweise in Sprache, Religion, Verhaltensregeln, Übereinkommen, Gesten, Kleidung, Eß- und Trinkgewohnheiten … Solche Vertrautheit mit einer Kultur wird »mit der Muttermilch« aufgesogen. Kulturelle Gemeinsamkeiten nehmen wir selbst weniger wahr als andere, die von außen auf uns blicken: Die Deutschen sind …, Die Italiener sind …, Die Franzosen sind … ((''Dietrich Harth'': //Fiktion des Fremden//Erkudung kultureller Grenzen in Literatur und Publizistik. S. Fischer  1994. – Mit zahlreichen Beiträgen über innereuropäische Fremdheit (Frankreich, Polen, Rußland), asiatisch-europäische Fremdheit  (Indien, China, Marco Polo, Japan) sowie weitere Aspekte (Australien, Atlantis, Arabien).))\\ +  * ''Stefan Majetschak''\\ //Der Fremde, der Andere und der Nächste.//\\ Universitas 48.1 (1993) 11-24 
 +Kulturelle Vertrautheit und Zugehörigkeit erwächst in einer hinreichend großen Gruppe mit einer gemeinsamen Vergangenheit, sind also von Sozialisation und Bildung abhängig und äußern sich beispielsweise in Sprache, Religion, Verhaltensregeln, Übereinkommen, Gesten, [[wiki:reisekleidung|Kleidung]], Eß- und Trinkgewohnheiten … Solche Vertrautheit mit einer Kultur wird »mit der Muttermilch« aufgesogen. Kulturelle Gemeinsamkeiten nehmen wir selbst weniger wahr als andere, die von außen auf uns blicken: Die Deutschen sind …, Die Italiener sind …, Die Franzosen sind … ((''Dietrich Harth'': //Fiktion des Fremden//Erkundung kultureller Grenzen in Literatur und Publizistik. S. Fischer  1994. – Mit zahlreichen Beiträgen über innereuropäische Fremdheit (Frankreich, Polen, Rußland), asiatisch-europäische Fremdheit  (Indien, China, Marco Polo, Japan) sowie weitere Aspekte (Australien, Atlantis, Arabien).))\\ 
 Je größer diese Gruppe erscheint, desto geringer werden die Gemeinsamkeiten: als Teil der Familiensippe, als Einwohner eines Dorfes, einer Region (Rheinländer), eines Landes (Deutscher), als Europäer. Globetrotter kennen die Vertrautheit, wenn man nach einer langen Reise über Land zurückkehrt, etwa von Indien über Iran, Türkei, Griechenland, Italien … über die Alpen, die deutsche [[wiki:grenze|Grenze]], den [[wiki:weisswurstaequator|Weißwurstäquator]] hinter sich lassend bis der Kölner Dom zu sehen ist. Schritt für Schritt wächst diese Vertrautheit und wird irgendwann zur Heimat.\\  Je größer diese Gruppe erscheint, desto geringer werden die Gemeinsamkeiten: als Teil der Familiensippe, als Einwohner eines Dorfes, einer Region (Rheinländer), eines Landes (Deutscher), als Europäer. Globetrotter kennen die Vertrautheit, wenn man nach einer langen Reise über Land zurückkehrt, etwa von Indien über Iran, Türkei, Griechenland, Italien … über die Alpen, die deutsche [[wiki:grenze|Grenze]], den [[wiki:weisswurstaequator|Weißwurstäquator]] hinter sich lassend bis der Kölner Dom zu sehen ist. Schritt für Schritt wächst diese Vertrautheit und wird irgendwann zur Heimat.\\ 
  
-=== Dort fängt der Balkan an ===+→ Das [[wiki:imagination_und_anschauung#Balkan|Bild des Balkans]]
  
-In umgekehrter Richtung schwindet die Vertrautheit. Zum geflügelten Wort für eine unbestimmte Grenze des Fremden wurde »der Balkan«. In den siebziger Jahren fand ihn die Hamburger Szene südlich der Elbe: »In Harburg fängt der Balkan an«. Weniger lustig wird es, in Slowenien, Kroatien oder Ungarn laut zu verkünden, das jeweilige Land gehöre zum Balkan. Ein Soziologe aus Belgrad sagte 1972: »Der Balkan beginnt dort, wo die Toiletten der internationalen Züge eine Stunde nach Grenzübertritt zum Davonlaufen aussehen«. ((''Wolf Oschlies'': //Wo bitte liegt - und was ist der „Balkan“?// Eurasisches Magazin 30.04.2006, http://www.eurasischesmagazin.de)) 
-Doch wie verhalten sich Globetrotter, wenn sie im heimatlichen Alltag kultureller Fremdheit begegnen? Akzeptiert, wer lange in islamischen Ländern reiste, im heimatlichen Dorf eine Moschee? Oder reagiert er befremdet, obwohl ihm die andere Religion, die andere Sprache, die andere Kultur durchaus bekannt, vielleicht gar vertraut sind? Von der Antwort auf diese Frage dürfte wohl abhängen, inwieweit die verbreiteten Methoden, kulturelle Fremdheit durch Begegnung abzubauen, überhaupt greifen können. 
-  * ''Brunnbauer, Ulf''\\ //Der Balkan//\\ in: Europäische Geschichte Online (EGO), hg. vom Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz 2013-06-10. URL: http://www.ieg-ego.eu/brunnbaueru-2013-de URN: urn:nbn:de:0159-2013061001 [JJJJ-MM-TT]. 
-  * ''Lorke, Christoph''\\ //Der "Balkan" in deutschsprachigen Reiseberichten (ca. 1800–1880)//\\ in: Europäische Geschichte Online (EGO), hg. vom Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz 2020-11-17. URL: http://www.ieg-ego.eu/lorkec-2020-de URN: urn:nbn:de:0159-2020062418 [JJJJ-MM-TT]. 
-  * ''Todorova, Maria''\\ //Balkan//\\ in: Band 2 Das Haus Europa. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2015. 601-610. 
  
 ===== Anmerkungen und Quellen ===== ===== Anmerkungen und Quellen =====
wiki/staunen_fremdheit_neues_neugier.1640849959.txt.gz · Zuletzt geändert: 2021/12/30 07:39 von norbert

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