====== Weiße Flecken ====== Der Begriff erscheint in der Fachzeitschrift »Deutsche Rundschau für Geographie und Statistik« ab 1891 ((Prof. Dr. ''Franz Toula'': //Eine geologische Kartenskizze der Erde//, S. 33: »bleiben auch für den Geologen [[wiki:Terra incognita|Terra incognita]] und als weiße Flecken, als Lücken im Kartenbilde, offen.«)) und bezeichnet »Lücken in der Karte«, zeigt also fehlendes [[wiki:kartographie|kartographisches]] [[wiki:wissen|Wissen]] über ein Gebiet an. Im Englischen nennt man das »blank spots on the geological map« oder kurz `blanks in the map´ ((seit dem [[wiki:reisegenerationen#18. Jahrhundert|18. Jahrhundert]], u.a. 1883 ''Sir Clements Markham'', Präsident der //Royal Geographical Society//)), dem fehlenden Puzzlestück vergleichbar: Man weiß, was man sucht, aber nicht, was es ist. Weiße Flecken in diesem Sinne setzen voraus, * dass Karten maßstabgerecht die Erdoberfläche abdecken, also konnte es beispielsweise in den antiken [[wiki:itinerar|Itineraren]] keine Weißen Flecken geben; * dass der Umriss der Weißen Flecken bekannt war, also beispielsweise die Küsten Afrikas oder Amerikas. Ohne diese Voraussetzungen gibt es nur eine [[wiki:grenze|Grenze]] der bekannten [[wiki:welt|Welt]], die als [[wiki:das_ende_der_welt|das Ende der Welt]] erscheint, während alles dahinter zum formlosen [[wiki:moeglichkeitssinn|Möglichkeitsraum ]] wird mit der Hoffnung auf eine [[wiki:terra_incognita|terra incognita]]. Und »weil der Schlaf der Vernunft Ungeheuer gebiert« (Goya) zeichnete man seit der [[wiki:reisegenerationen#Die griechisch-römische Antike|Antike]] wilde [[wiki:tiere|Tiere]] dorthin: //hic sunt leones, hic sunt dracones//. Nicht-Wissen ermöglicht der [[wiki:phantasie|Phantasie]] Räume zu fülle und so waren Weiße Flecken immer auch eine Möglichkeit, sich [[wiki:liste_phantasieorte|phantastische Orte]], [[wiki:inseln|Inseln]] und Länder auszudenken. Die Weißen Flecken der [[wiki:kartographie|Kartographie]] sind beseitigt, sobald diese Flächen vermessungstechnisch bekannt sind, also auch mit Satellitenmessungen. Sie bleiben allerdings im übertragenen Sinne Weiße Flecken aus vielen anderen Perspektiven: Leben Menschen dort? Welche Flora und Fauna gibt es? Was findet man dort unter der Erde? Aus individueller Perspektive wird zudem der [[wiki:moeglichkeitssinn|Möglichkeitssinn]] des [[wiki:reisende|Reisenden]], [[wiki:erforscher|Erforschers]], [[wiki:abenteuer|Abenteurers]], merchant adventurers geweckt, diesen Möglichkeitsraum der Weißen Flecken zu erkunden und dafür belohnt zu werden: Etwas zu sehen, »was noch keines Menschen Auge gesehen hat«, als Erster Neuland zu betreten: //»That’s one small step for a man, one giant leap for mankind«// [Ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein riesiger Sprung für die Menschheit] ((Ausspruch von ''Neil Armstrong'', als er am 21.07.1969 um 03:56:20 (MEZ) als erster Mensch den Mond betrat.)). Weiße Flecken bedienen auch den Mythos des [[wiki:weites_land|Weiten Landes]], das niemandem gehört und alle [[wiki:freiheit|Freiheiten]] bietet, vielleicht gar die //[[wiki:liste_raumvorstellungen#Der vorgestellte Raum|terra promissionis]]// ist. * ''Jörg Fisch''\\ //Der Mythos vom leeren Land in Südafrika oder Die verspätete Entdeckung der Afrikaner durch die Afrikaaner.//\\ S. 133-164 in: Heinz Duchhardt, Jörg A. Schlumberger, Peter Segl (Hg.), Afrika. Entdeckung und Erforschung eines Continents. Köln 1989: Böhlau Tatsächlich ist die Erde auch heute noch voller Weißer Flecken, die weder betreten noch unmittelbar gesehen wurden: * rund zwei Drittel der Erdoberfläche sind von Wasser bedeckt - doch der Meeresboden ist größtenteils ungesehen und unbetreten; * die Regenwälder sind so undurchdringlich, dass weite Teile verborgen bleiben - ihre Flüsse sind überwiegend unkartiert. Neben Neuguinea und Amazonien gelten Teile des Dzangha-Sangha-Regenwald als weißer Fleck - dieser erstreckt sich über die Zentralafrikanische Republik, Kamerun und Kongo-Brazzaville. * die Wüstenregionen sind zwar von Pisten durchzogen, dazwischen liegen jedoch weite unbekannte Zonen; * die Eisregionen von Grönland, der [[wiki:arktis|Arktis]] und [[wiki:antarktis|Antarktis]] sind bisher nur punktuell in Augwenschein genommen worden und auch Westsibirien ist weitgehend unbekannt; * die Gipfel ausgedehnter Gebirge sind nur vereinzelt bestiegen worden: auf hunderten der 6.000er und 7.000er war noch nie ein Mensch, auch nicht auf den Tepui Venezuelas. ==== Literatur ==== * ''Cornely, Bernd''\\ //Weiße Flecken. Reisen ins Polareis in Texten aus dem 19. und 20. Jahrhundert.//\\ Berlin, Humboldt-Univ., Diss., 2001. * ''Fritsch, Kathrin''\\ //“You Have Everything Confused and Mixed up…!” Georg Schweinfurth, Knowledge and Cartography of Africa in the 19th Century.//\\ History in Africa 36 (2009) 87-101 [[https://doi.org/10.1353/hia.2010.0008|Online]] * ''Laboulais-Lesage, Isabelle'' (Hg.)\\ //Combler les blancs de la carte. Modalités et enjeux de la construction des savoirs géographiques (XVIe-XXe siècle).//\\ Unter Mitarbeit von Jean-François Chauvard und Odile Goerg. Sciences de l'histoire. Strasbourg 2004: Presses Universitaires de Strasbourg. * ''Carla Lois''\\ //Terrae incognitae : modos de pensar y mapear geografías desconocidas//\\ (=Colección Ciencia joven, 48) 283 S. Bibliogr. S. 250-282 Buenos Aires 2018: Universitaria de Buenos Aires * ''Noack, Gerald''\\ //Weiße Flecken und krumme Touren.//\\ Geheimhaltung und Manipulationen in touristischen Karten der DDR.\\ Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, 65.5-6 (2018) 289-299. [[https://doi.org/10.3196/1864295018655667|Online]] * ''Schelhaas, Bruno''\\ //Das „Wiederkehren des Fragezeichens in der Karte“. Gothaer Kartenproduktion im 19. Jahrhundert.//\\ Geographische Zeitschrift 97.4 (2009) 227-242 [[https://www.jstor.org/stable/23031919|Online]] * ''Urun, Isabelle'' //Le blanc de la carte, matrice de nouvelles représentations des espaces africains//.\\ S. 117–144 in: Laboulais-Lesage, Isabelle (Hg.), Combler les blancs de la carte. Modalités et enjeux de la construction des savoirs géographiques (XVIe-XXe siècle). Sciences de l'histoire. Strasbourg 2004: Presses Universitaires de Strasbourg. * ''Zsolt Török''\\ //Weiße Flecken.//\\ Der letzte klassische Expeditionsgeograph Almásy Lászlá Ede und die Kartographie der Libyschen Wüste.\\ In: Weese, Michael, Andrea Almásy, Alexander Almásy, Gerhard L. Fasching, Stefan Kröpelin, Rudolph Kuper, Josef Tiefenbach, Maria Hoprich. 2012. Schwimmer in der Wüste: auf den Spuren des "Englischen Patienten" Ladislaus Eduard Almásy : Katalog zur [[wiki:liste_ausstellungen|Ausstellung]]. Eisenstadt : Amt der Burgenländischen Landesregierung, Landesmuseum Burgenland, 2012.