wiki:walz
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Kein Museum setzt diesen Rittern der Landstraße ein Denkmal, seit das *[[wiki: | Kein Museum setzt diesen Rittern der Landstraße ein Denkmal, seit das *[[wiki: | ||
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- | Wie reiste das fahrende Volk? Was waren ihre Techniken des Unterwegs-seins? | + | Wie reiste das fahrende Volk? Was waren ihre Techniken des [[wiki: |
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Fachliche Fortbildung spielt keine Rolle - im Verlauf der Reise gibt es nur drei Situationen, | Fachliche Fortbildung spielt keine Rolle - im Verlauf der Reise gibt es nur drei Situationen, | ||
- | Alfred Pfarre kann auf Erfahrungen aus dem Wandervogel-Milieu zurückblicken. Er will seiner Kündigung zuvorkommen, | + | Alfred Pfarre kann auf Erfahrungen aus dem Wandervogel-Milieu zurückblicken. Er will seiner Kündigung zuvorkommen, |
- | Als Schroeder seine Ausbildung zum Installateurgesellen bei den städtischen Gas- und Wasserwerken abgeschlossen hat, liest er am schwarzen Brett:// „Den Installateurgesellen, | + | Als Schroeder seine Ausbildung zum Installateurgesellen bei den städtischen Gas- und Wasserwerken abgeschlossen hat, liest er am schwarzen Brett:// „Den Installateurgesellen, |
Schroeder berichtet von zweien seit zwei Jahren wandernden Zimmerern. | Schroeder berichtet von zweien seit zwei Jahren wandernden Zimmerern. | ||
> „`Noch ein Jahr´, sagt der mit dem steifen Hut, `dann geht´s nach Hause.´ | > „`Noch ein Jahr´, sagt der mit dem steifen Hut, `dann geht´s nach Hause.´ | ||
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==== Die Walz als Ritus und Prüfung ==== | ==== Die Walz als Ritus und Prüfung ==== | ||
Gemeinsam scheint den Handwerksburschen, | Gemeinsam scheint den Handwerksburschen, | ||
- | Die Walz ist auch Prüfstein für die Persönlichkeit: | + | Die Walz ist auch Prüfstein für die Persönlichkeit: |
Für jeden bringt die Reise einen persönlichen Fortschritt, | Für jeden bringt die Reise einen persönlichen Fortschritt, | ||
==== Felleisen und Berliner | ==== Felleisen und Berliner | ||
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==== Die Penunse ==== | ==== Die Penunse ==== | ||
Natürlich spielt das Geld, die Penunse ((das Wort kommt vermutlich aus dem Sorbischen pjenjezy oder dem polnischen penadz, wurde später auch zu Peseten verballhornt)) eine große Rolle. Keiner von den Gesellen zieht ohne Geld los, doch bei allen ist früher oder später der Geldbeutel leer. Dann gab es sehr verschiedene Strategien, sich Geld zu verschaffen. Am einfachsten machte es sich Alfred Pfarre: er fand keine Arbeit, mochte nicht betteln, also ließ er sich Geld von den Eltern schicken (in 8 Monaten 300 Mark), das allerdings nicht reichte. //„Über zwei Wochen ohne Geld, zwei Wochen Kampf um Brot und Bett, zwei lange, lange Wochen. Am zweiten Tag begann die Sorge, am dritten schon die Not.“// ((Pfarre, S. 176)) Und bald darauf:// „Nun kamen zwei Wochen ohne Geld. Von trockenen Brotknüsten allein konnte ich nicht leben, ich brauchte Geld zum Schlafen, jeden Tag acht Soldi ((Eine Lira ist einen Franc oder 80 Pfennige wert. Die Lira hat 100 Centesimi, fünf Centesimi sind ein Soldo. s. „Land u. Leute in Italien“)). Und auch an den Tagen wo der Brotknust fehlte, Geld zum Schlafen hatte ich auch da erhalten, wenn nicht um acht Uhr, dann um Mitternacht.“// | Natürlich spielt das Geld, die Penunse ((das Wort kommt vermutlich aus dem Sorbischen pjenjezy oder dem polnischen penadz, wurde später auch zu Peseten verballhornt)) eine große Rolle. Keiner von den Gesellen zieht ohne Geld los, doch bei allen ist früher oder später der Geldbeutel leer. Dann gab es sehr verschiedene Strategien, sich Geld zu verschaffen. Am einfachsten machte es sich Alfred Pfarre: er fand keine Arbeit, mochte nicht betteln, also ließ er sich Geld von den Eltern schicken (in 8 Monaten 300 Mark), das allerdings nicht reichte. //„Über zwei Wochen ohne Geld, zwei Wochen Kampf um Brot und Bett, zwei lange, lange Wochen. Am zweiten Tag begann die Sorge, am dritten schon die Not.“// ((Pfarre, S. 176)) Und bald darauf:// „Nun kamen zwei Wochen ohne Geld. Von trockenen Brotknüsten allein konnte ich nicht leben, ich brauchte Geld zum Schlafen, jeden Tag acht Soldi ((Eine Lira ist einen Franc oder 80 Pfennige wert. Die Lira hat 100 Centesimi, fünf Centesimi sind ein Soldo. s. „Land u. Leute in Italien“)). Und auch an den Tagen wo der Brotknust fehlte, Geld zum Schlafen hatte ich auch da erhalten, wenn nicht um acht Uhr, dann um Mitternacht.“// | ||
- | Dann gab es kleine Hilfen von Kunden, beim Deutschen Hilfsverein (manchmal), bei Pfarrern, im Konsulat oder der Botschaft (selten). Kuckuck ((Mit `Kuckuck´, dem Adler im Wappen, ist der (deutsche) Konsul gemeint)) und Kunde ist ein ergiebiges und für den Kunden unerfreuliches Thema, meint Pfarre. Nur selten hilft ihm das Konsulat. // | + | Dann gab es kleine Hilfen von [[wiki: |
Winnig arbeitet in den neunziger Jahren und erhält einmal einen Wochenlohn von 11 Mark, was ihm wenig erscheint, er staunt aber über einen Wochenlohn von 60 Mark, das sei das gleiche, was sein Vater im Monat verdiene. Umgerechnet bedeutet das einen Stundenverdienst von 22 bis 45 Pfennige bei einer 48-Stunden-Woche. ((Winnig, S. 22)) Ein Kunde erzählt ihm, wie er sich drei Monate in Genua über Wasser gehalten hat: //„Du darfst nicht warten, bis dir einer Arbeit gibt, du mußt einfach zufassen, wo du etwas siehst; wenn sie dich nicht wegjagen, bezahlen sie dich auch; das ist so Sitte.“// ((Winnig, S. 137)) Winnig verdient immer genug, um davon leben zu können, er kalkuliert eine Mark täglich für Unterkunft und Essen: Abendessen, Nachtlager und Morgenkaffee für siebzig Pfennig, Brot und Zukost, Obst und Wurst für täglich zwanzig Pfennige, ein viertel Liter Bier kostet sechs, ein Branntwein drei Pfennige. ((Winnig, S. 169)) Einmal gerät er in Bedrängnis: | Winnig arbeitet in den neunziger Jahren und erhält einmal einen Wochenlohn von 11 Mark, was ihm wenig erscheint, er staunt aber über einen Wochenlohn von 60 Mark, das sei das gleiche, was sein Vater im Monat verdiene. Umgerechnet bedeutet das einen Stundenverdienst von 22 bis 45 Pfennige bei einer 48-Stunden-Woche. ((Winnig, S. 22)) Ein Kunde erzählt ihm, wie er sich drei Monate in Genua über Wasser gehalten hat: //„Du darfst nicht warten, bis dir einer Arbeit gibt, du mußt einfach zufassen, wo du etwas siehst; wenn sie dich nicht wegjagen, bezahlen sie dich auch; das ist so Sitte.“// ((Winnig, S. 137)) Winnig verdient immer genug, um davon leben zu können, er kalkuliert eine Mark täglich für Unterkunft und Essen: Abendessen, Nachtlager und Morgenkaffee für siebzig Pfennig, Brot und Zukost, Obst und Wurst für täglich zwanzig Pfennige, ein viertel Liter Bier kostet sechs, ein Branntwein drei Pfennige. ((Winnig, S. 169)) Einmal gerät er in Bedrängnis: | ||
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==== Hanf mit Unvernunft oder Lechum und Beza==== | ==== Hanf mit Unvernunft oder Lechum und Beza==== | ||
- | Geld ist nur Mittel zum Zweck, und der heißt meist „essen“, | + | Geld ist nur Mittel zum Zweck, und der heißt meist „essen“, |
Schroeder berichtet ähnliches: Er erhält in einem Dorf von einem Metzger eine Suppe vorgesetzt, nachdem er an dessen Türe betttelte:// | Schroeder berichtet ähnliches: Er erhält in einem Dorf von einem Metzger eine Suppe vorgesetzt, nachdem er an dessen Türe betttelte:// | ||
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==== Die Kundenpennen ==== | ==== Die Kundenpennen ==== | ||
- | Jeder Kunde hatte seine Kundschaft, einen Ausweis, mit Belegen aller Stationen des Wanderweges (1731 durch Reichsverordnung bestimmt). Handwerksburschen hatten ein Übernachtungsbuch zu führen, die Herbergsväter stempelten es ab. Bei Polizeikontrollen wurde es verlangt und wer keine Übernachtung unter einem Dach nachweisen konnte, erhielt Arrest oder wurde abgeschoben. Neben dem Verbot der Bettelei diente dies der Kontrolle und war ein Versuch, die [[wiki: | + | Jeder [[wiki: |
Die größten Ausgaben entstanden für die Unterkunft, die Penne ((Die Penne kann sowohl eine Schlafstelle als auch eine Herberge, ein Gasthaus, ein Nachtquartier bezeichnen. Ein anderer Name dafür ist `Nest´.)). Schroeder findet sein Unterkommen einmal in Solingen bei der Heilsarmee, eine Goldmark kostet die Übernachtung, | Die größten Ausgaben entstanden für die Unterkunft, die Penne ((Die Penne kann sowohl eine Schlafstelle als auch eine Herberge, ein Gasthaus, ein Nachtquartier bezeichnen. Ein anderer Name dafür ist `Nest´.)). Schroeder findet sein Unterkommen einmal in Solingen bei der Heilsarmee, eine Goldmark kostet die Übernachtung, | ||
Andere Übernachtungsstellen findet er bei Mutter Grün ((Im Freien übernachten hieß „bei Mutter Grün“ oder „bei der grünen Bettfrau“, | Andere Übernachtungsstellen findet er bei Mutter Grün ((Im Freien übernachten hieß „bei Mutter Grün“ oder „bei der grünen Bettfrau“, | ||
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Die Mehrzahl der Wanderer jedoch blieb in Deutschland, | Die Mehrzahl der Wanderer jedoch blieb in Deutschland, | ||
Da das fahrende Volk auch weit hinter den Grenzen oft kontrolliert wurde, fiel man früher oder später auf, wenn man ohne Paß im Ausland war. Heinrichs schildert einen solchen Fall: //„Kaum eine Stunde waren wir von Deutschlands Grenzen entfernt. ... Plötzlich standen ... zwei dieser gefürchteten Beamten vor uns. Wieder hieß es kurz: `Papier vorzeigen.´ Wiederum konnte ich ungefährdet weiterziehen, | Da das fahrende Volk auch weit hinter den Grenzen oft kontrolliert wurde, fiel man früher oder später auf, wenn man ohne Paß im Ausland war. Heinrichs schildert einen solchen Fall: //„Kaum eine Stunde waren wir von Deutschlands Grenzen entfernt. ... Plötzlich standen ... zwei dieser gefürchteten Beamten vor uns. Wieder hieß es kurz: `Papier vorzeigen.´ Wiederum konnte ich ungefährdet weiterziehen, | ||
- | Schroeder trifft häufig Kunden, an bestimmten Orten tummeln sie sich, beispielsweise in Lindau. Ihre Reiseziele sind Hamburg, Pommern, Wien. Weit- und Fernreisende waren damals die Ausnahme, doch es gab sie. Er trifft zwei, die durch den Balkan in die Türkei wollen: //„Diese Tour hatten sie mir so verlockend geschildert, | + | Schroeder trifft häufig Kunden, an bestimmten Orten tummeln sie sich, beispielsweise in Lindau. Ihre Reiseziele sind Hamburg, Pommern, Wien. Weit- und Fernreisende waren damals die Ausnahme, doch es gab sie. Er trifft zwei, die durch den [[wiki: |
Winnig trifft in Bremerhaven einen alten Kunden, der ihm von seinen Reisen durch Dänemark, Holland, Frankreich, Schweiz, Österreich, | Winnig trifft in Bremerhaven einen alten Kunden, der ihm von seinen Reisen durch Dänemark, Holland, Frankreich, Schweiz, Österreich, | ||
Tippelnde Deutsche waren bereits in den zwanziger Jahren keine Seltenheit mehr auf dem Weg nach Indien. Faber wendet sich in Istanbul auskunftssuchend an einen Bahnbeamten: | Tippelnde Deutsche waren bereits in den zwanziger Jahren keine Seltenheit mehr auf dem Weg nach Indien. Faber wendet sich in Istanbul auskunftssuchend an einen Bahnbeamten: | ||
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Die wichtigsten Informationen gibt es auf der Straße, in den Asylen und sonstigen Treffpunkten der Kunden. Auch die einzelnen Berufsgruppen haben ihre Anlaufstellen, | Die wichtigsten Informationen gibt es auf der Straße, in den Asylen und sonstigen Treffpunkten der Kunden. Auch die einzelnen Berufsgruppen haben ihre Anlaufstellen, | ||
Pfarre will auf seiner Wanderung nach Italien Italienisch lernen und schimpft über seinen Sprachführer: | Pfarre will auf seiner Wanderung nach Italien Italienisch lernen und schimpft über seinen Sprachführer: | ||
- | Nur Winnig reist mit einer Landkarte, alle anderen gehen der Nase nach, * [[wiki: | + | Nur Winnig reist mit einer Landkarte, alle anderen gehen der Nase nach, [[wiki: |
==== Tippelfreunde ==== | ==== Tippelfreunde ==== | ||
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Pfarre und Schroeder dagegen finden kaum Arbeit und merken schnell, wie leicht man ins Vagabundenmilieu abrutschen kann:// „Und es ist so leicht, auf die Landstraße zu gehen. Man tritt aus seiner Wohnung und wandert. Aber wie kommt man von der Landstraße wieder ab? wenn man keine Arbeit findet, wenn man kein Zuhause mehr hat? Die Eltern haben, sind glücklich; die keine haben, abgebrannt sind und sich in keiner Stadt festsetzen können, - die werden Speckjäger. ... Jeder hier hat etwas Rauhes und Hartes an sich, doch keinem ist der Grimm angeboren; alles ist aufgelegt, aufgesetzt, von der Landstraße, | Pfarre und Schroeder dagegen finden kaum Arbeit und merken schnell, wie leicht man ins Vagabundenmilieu abrutschen kann:// „Und es ist so leicht, auf die Landstraße zu gehen. Man tritt aus seiner Wohnung und wandert. Aber wie kommt man von der Landstraße wieder ab? wenn man keine Arbeit findet, wenn man kein Zuhause mehr hat? Die Eltern haben, sind glücklich; die keine haben, abgebrannt sind und sich in keiner Stadt festsetzen können, - die werden Speckjäger. ... Jeder hier hat etwas Rauhes und Hartes an sich, doch keinem ist der Grimm angeboren; alles ist aufgelegt, aufgesetzt, von der Landstraße, | ||
Auch für ungelernte Saisonarbeiter ist nur geringer Bedarf und die wenigen guten Stellen sind schnell fort. Obwohl das Arbeitsamt voller Arbeitssuchender ist, meldet sich niemand auf die ausgeschriebenen Stellen als Hopfenzupfer - das ist einfach zu schrecklich! Arbeit und Geld waren knapp und wurden immer knapper. Die Mechanisierung und Industrialisierung im [[wiki: | Auch für ungelernte Saisonarbeiter ist nur geringer Bedarf und die wenigen guten Stellen sind schnell fort. Obwohl das Arbeitsamt voller Arbeitssuchender ist, meldet sich niemand auf die ausgeschriebenen Stellen als Hopfenzupfer - das ist einfach zu schrecklich! Arbeit und Geld waren knapp und wurden immer knapper. Die Mechanisierung und Industrialisierung im [[wiki: | ||
- | Daß für die Gesellschaft Wandern nicht gleich Wandern ist, erkennt Hasemann schnell:// „Ist es doch Modesache jetzt, die Wandervögelei. Man hilft ihnen, obgleich sie nur bis Fürstenwalde laufen mit vielerlei Kochtöpfen, | + | Daß für die Gesellschaft Wandern nicht gleich Wandern ist, erkennt Hasemann schnell:// „Ist es doch Modesache jetzt, die Wandervögelei. Man hilft ihnen, obgleich sie nur bis Fürstenwalde laufen mit vielerlei Kochtöpfen, |
===== 4 Zwischen Tippelschickse und Kalle ===== | ===== 4 Zwischen Tippelschickse und Kalle ===== | ||
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wiki/walz.txt · Zuletzt geändert: 2024/04/30 06:06 von norbert