von Norbert Lüdtke, Der Trotter
erschienen erstmals 1996 als Teil 6 in der Artikelreihe Geschichten des Individuellen Reisens im TROTTER 80 (Deutsche Zentrale für Globetrotter e.V. DZG) sowie 1999 im Archiv zur Geschichte des Individuellen Reisens AGIR
Der Aufbruch "Wohin reitet der Herr?" "Ich weiß es nicht," sagte ich, "nur weg von hier. Immerfort weg von hier, nur so kann ich mein Ziel erreichen." "Du kennst also das Ziel," fragte er. "Ja," antwortete ich, "ich sagte es doch. Weg von hier - das ist mein Ziel." Franz Kafka
Heinz Schulz, allen Globetrottern besser bekannt unter dem Künstlernamen Rox, wurde am 23. März 1996 fünfundsiebzig. Der „König der Globetrotter“, wie ihn der Spiegel vor etwa 20 Jahren nannte, ist trotz weißen Kopf- und Barthaares jung geblieben. Die Lachfalten verraten seinen Humor und seine Lust an manchmal subtilen, manchmal derben Späßen. Ihm ist dieser Beitrag von Norbert Lüdtke gewidmet.
N. Lüdtke: „1995 habe ich ihn in Saarbrücken besucht, bin mit ihm über den Markt gegangen, um Gemüse für seine Ziegen zu besorgen, und habe in seinem Domizil „Haus Rehwinkel“, das er sich mit Ziegen und einem Eselchen teilt, ein langes Interview geführt. Daraus stammen die meisten der folgenden Zitate.“
Rox wurde geboren am 23. März 1921 im ostpreußischen Königsberg als Sohn einer Handwerkerfamilie. Er lernte ebenfalls ein Handwerk, Spitzendreher, doch mehr begeisterte er sich für Zirkus und Sport. Er segelte Regatten, war Rettungsschwimmer, boxte, war ostpreußischer Jugendmeister im Federgewicht, nahm 1938 an den deutschen Jugendmeisterschaften im Geräteturnen teil und wurde für die Olympiamannschaft 1940 aufgestellt. Seine Spezialität: Turnen an Reck, Barren, Ringen, Pferd und am Boden.
Der Krieg kam dazwischen, Rox wurde Bordfunker, war in Rußland und nach dem Krieg in einem englischem Gefangenenlager in Belgien. Seine artistischen Fähigkeiten nutzte er nach dem Krieg zum Überleben, tingelte mit seinem Holzköfferchen durch Deutschland und lebte von seinen Darbietungen in Revuen, Night-Clubs, im Zirkus, auf Winzerfesten und Jahrmärkten.
1950/51 folgte ein zweiwöchiges Engagement in Madrid, von dort aus ging es dann über Ägypten nach Indien und die Serie seiner Engagements zog ihn um die ganze Welt, bis er 1955 wieder nach Deutschland zurückkehrte. 1956 schrieb er sein erstes Buch (Ohne Geld um die Welt), 1957 das zweite (Himmel und Hölle Indien).
Es folgte eine zweite fünfjährige Reise, diesmal durch Südamerika und mit dem VW-Bus. Rox hatte begonnen, zu fotografieren und zu filmen. Das wurde nach der Rückkehr zum Beruf. Seine Einstundenfilme liefen erst im Saarländischen Fernsehen, dann in der ARD. Rox war ab 1962 freier Mitarbeiter des Saarländischen Fernsehens und blieb nun im Saarland.
Die Reisen wurden kürzer: 8, 9, 10 Monate dauerten sie und dienten nun auch zum journalistischen Gelderwerb. Unter anderem durchquerte er mit Sahara-Willy die Nordafrika, war Gast bei den Achanty, ritt 1977 5000 Kilometer quer durch Amerika. 1971 erschien das dritte Buch (Verrückter Gringo). In den siebziger Jahren entstand das Globetrotter-Museum in Saarbrücken, das sich heute im Alten Rathaus befindet. 1981 wurde sein letztes Buch noch einmal unter neuem Titel aufgelegt (Der Ruf des Condor). Bis heute betätigt er sich journalistisch, doch meist findet man ihn in seinem *Abenteuermuseum oder bei seinen Tieren. Und einmal im Jahr beim Jahrestreffen der Deutschen Zentrale für Globetrotter, dort führt er die Mitgliedsnummer 1000.
Von Kindesbeinen an war Bewegung sein Ziel, eine Tätigkeit als Handwerker oder gar sitzend im Büro für Rox völlig undenkbar. Die Liebe gehörte dem Zirkus, Clowns und Akrobaten faszinierten ihn. Doch in den Zirkus muß man hineingeboren werden, Außenstehende hatten (und haben) es schwer. „Das fahrende Volk… besitzt den Glanz und die Unnahbarkeit der Ausgepfiffenen und Verdorbenen.“ So blieb ihm die Akrobatik und ihr angesehenes Pendant, das Kunstturnen.
Als Kind wollte ich Förster, Feuerwehrmann, Lokomotivführer werden, als Kind, wenn man mich fragte. Und als ich dann einen handwerklichen Beruf erlernte, da spürte ich schon, Fabrik und so, das ist nicht meine Blutgruppe. Nicht aus Arroganz, nein, nein, nicht aus Arroganz meinem Elternhaus gegenüber, die aus kleinem handwerklichem Milieu kommen, nicht deshalb. Nein, ich spürte, da muß doch noch etwas sein, das kann nicht alles sein. Ich machte auch die Gesellenprüfung als Spitzendreher, aber ich habe kaum als Geselle gearbeitet, da wurde ich schon einberufen, für die zweite Weltdummheit.
Ich habe aber da schon gepeilt auf Sportlehrer, ich hab´ geboxt, gut, aber ich war kein Meister: gegen Polen, gegen Warschau hab´ ich immer verloren. Ich weiß noch: Mein erster KO, den ich erlebte - da ging das Licht aus, ich mach´ die Augen auf, da seh´ ich vor mir Schnürsenkel. Da wußte ich, du bist KO. [Lacht] Ich war technisch gut, im Schachspiel der Fäuste, aber ich hab´ nicht diesen Touch, dieses American Puncher-Temperament. Ich hatte mir auch die Schlaghand mal kaputt geschlagen, konnte nicht mehr aktiv sein.
Dann stieß ich auf die Turner. Da hab ich gesehn, die echten Turner, wie die am Reck ihre Übungen machten - die Bogenübungen und die Handstände drückten und am Pferd, Flanken, Scheren, am Barren durch die Luft rollten - das gefiel mir! Und der Zirkus war ja sowieso schon für mich eine Faszination. Aber im Zirkus konnte ich nicht sein, also war für mich Turnen so ein Ersatz-Zirkus….
Was ich wollte? - Ich war nicht so zielstrebig, ich meine, ich wußte immer, was ich wollte, das stimmt schon. Ich war schon einer, der einen Biß hatte für irgend etwas. Aber auf lange Sicht, so Zukunftsdenken, Sicherheiten… und dann steigste hoch zu dieser Position, bis zum elitären Fenstersims - das war nicht in meinem Pulsschlag drin.
Ich war beim Amateurboxsport und ostpreußischer Jugendmeister im Federgewicht… Und wenn im Turnverein in Königsberg irgendwelche Festlichkeiten waren, Weihnachtsfest, Gründungsfest und so, hatten wir ein buntes Programm. Und dann brauchte man auch so ein paar lustige Darbietungen, turnerische, lustige, und da war ich ein kleines As. Ich bin oft in den Zirkus gegangen und habe mir da was abgeluchst, hatte schon so einen unerklärlichen Hang zur circensischen Kultur. Und an diesen Abenden vom Turnverein habe ich dann meine akrobatische Clownerie gezeigt. Zur Freude des ganzen Vereins. Und wenn andere Vereine Festlichkeiten hatten, wurde ich immer ausgeliehen, ich war sehr stolz darüber, da gab´s nen Schulterschlag, Händedruck, eine Tafel Schokolade als Gage. Das war alles, reichte doch…. Ich war Kunstturner und mit Helmut Banz war ich zusammen 1938 in Dresden, bei der Deutschen Jugendmeisterschaft im Kunstturnen.„
Die Ostsee vor der Tür, zog es ihn natürlich auch aufs Meer. Rox war Rettungsschwimmer bei der DLRG und segelte: „Als junger Sportler hatte ich ja auch die Ausbildung im ostpreußischen Segelverein. Da haben wir Regatten gesegelt, ich war Vorschiffsmann.“
Der zweite Weltkrieg, die „Weltdummheit“, wie Rox ihn nennt, nahm ihm nicht nur die Entscheidung aus der Hand, sondern zerstörte eine Jugend, wie sie viele Jugenden zerstörte und Leben auslöschte. Rox gehörte der großdeutschen Turnermannschaft an, die 1940 bei den Olympischen Spielen in Japan antreten sollte. Doch die Spiele fielen aus und Rox fand sich in Uniform.
Und dann hab ich Helmut Banz wiedergetroffen im tiefen Winter in Rußland in Chargoff. Wir konnten uns erinnern, und da haben wir eine Doppel-Recknummer gemacht. Gibt es noch Fotos davon. Aus zwei Recks aufgebaut, und da waren noch russische Turner dabei, die in Gefangenschaft waren, die da mithalfen. Da hatten wir ein Programm für die verwundeten Soldaten. Wir mußten so ein buntes Programm zusammenschustern, und da meldete ich mich. Ich hatte `ne Fußverletzung, aber am Reck konnte ich schon was machen. Nur keinen guten Abgang.
Aufgrund seiner seemännischen Ausbildung kam er zur „Flugsicherung See“ und war Bordfunker beim fliegenden Personal. Nach dem Krieg verbrachte er einige Zeit in einem Gefangenenlager in Belgien, war Sparringspartner für englische Soldaten. Und wieder unterhielt er die Gefangenen mit clownesken Einlagen und akrobatischen Darbietungen. Sein Künstlername entstand in dieser Zeit, als „Schulz“ war ein Auftritt einfach unmöglich. Ausgelöst durch eine XOX-Keksdose fand er zu Rox. In Hongkong, als er sich einen Paß ausstellen ließ, fand dieser Name auch offiziell Eingang in die Papiere. Gefragt, was er dann nach seiner Entlassung bis zum Beginn seiner Weltreise so gemacht hat, antwortet er:
Hier in Europa getingelt, als Artist. Ich war Mitglied der Internationalen Artistenloge. Meine Nummer wurde im Palmengarten in Frankfurt von einem Gremium gecheckt, von Fachleuten aus Amerika. Ich bekam dann ein Permit. Da wurde klassifiziert: ich bekam sogar die A1. A1 war eine ziemlich hohe Standardnummer, das ging bis B und C, und ich hatte die Nummer A1, die Karte ist noch in meinem Besitz. Und dann tingelte ich von Hamburg nach München, in der französischen Zone, hier in Saarbrücken war ich auch, im Johannishof, oder im Kino, Night-Clubs, Revuen. Und ich hatte nur ein Zettelchen, da stand druff, der Heinz Schulz ist ein netter Mensch, laßt den laufen, laßt ihn ziehen, ungefähr so.
Im Zirkus bin ich auch gelandet, aber erst später, als meine Nummern ein bißchen stabil wurden. Zuerst war ja das nichts, was ich zeigte, als Turner. Aber dann packte mich der Ehrgeiz und ich wurde eine ernstzunehmende Darbietung auf dem internationalen Artistenmarkt unter dem Künstlernamen ER O IKS, Rox. Ich mußte ja einen Künstlernamen haben, wie man so sagt, einen Artistennamen, und dachte, mit was für einem Namen soll ich dann tingeln: Chapinelli, Kakidelli und Ox, Mox, Nox, ach, da blieb ich beim R hängen, Rox. So entstand das Er O IKS.
Aber ich hab´s auch mal geschafft, als Solonummer im Zirkus in der Manege zu arbeiten und das war in München der Fall, das war in Frankfurt der Fall, das war in Augsburg bei Holzmüller und und und.
Mein Trick waren ja die zwei Weinflaschen Hals auf Hals übereinander gestellt, einarmiger Handstand. Und ich hab gearbeitet als, wie man so sagt, Dandy mit dem Koffer mit der Flasche. Eine akrobatische Exzentrik-Komödie nannte ich mich. Also nicht muskelbepackt. Dann hab ich den Gummitanz gemacht, Grotesk-Tanz, und dann die Akrobatik mit den zwei Flaschen. Und das war gerade sowas für Night-Clubs, auch für die amerikanischen Varietés und Clubs.
Und so kam ich von einer Stadt zur anderen und die Gagen konnte ich nicht so hoch treiben, weil, man merkte ja, die Agenten, daß ich aus keener Artistenfamilie komme. Die alten Artisten da, mit denen ich zusammen war, wußten ganz genau: ein Turnerchen kommt wieder zu uns. Es waren ja viele Artisten zur damaligen Zeit, die aus dem Turnerleben kamen, da war ich nicht der erste. Und da hat man das auch akzeptiert, nach dem Krieg.
Bis 1951 schlug sich Rox so durch. Die Schwierigkeiten dieser Zeit lassen sich nur schwer nachvollziehen, wenn man sie nicht erlebt hat. Doch Rox war infiziert mit dem Unruhevirus und ergriff die erste Gelegenheit, sich die Welt anzuschauen. Ein Foto seines einarmigen Handstandes war in einer Kölner Illustrierten abgedruckt, die irgendwie bei dem Direktor des Salons Fontoria landete, einem Madrider Varieté. Aus dem kurzen Engagement wurden schließlich fünf Jahre, zumeist in Asien. In Spanien hatte er bereits einmal einen einarmigen Handstand zwischen den Hörnern eines Stieres gedrückt. Doch 1953 ging ein Foto um die Welt: Rox im einarmigen Handstand auf zwei Flaschen, die mit dem Hals aufeinandergesetzt waren, unmittelbar am Dachrand eines Wolkenkratzers in Singapur.
Ich wollte übern Gartenzaun gucken und mich mal irgendwie bewegen, denn ich hatte ja viele Jahre meines Lebens verloren; die wurden mir gestohlen. Die schönste Zeit in meinem Leben, im Leben eines jungen Menschen, eines jungen Mannes, hat man mir geklaut….
Aber auf diese Art und Weise, das war so mein Trampolin, mein Schleuderbrett, die Möglichkeit zu haben, zu reisen. Unabhängig zu reisen. Ohne Daddys Scheckbuch, das war nicht drin. Und das ging ganz gut, ich meine, es blieb nicht viel übrig, aber die Kontinente konnte ich dabei wechseln. Das Schwierige war ja dabei, die Kontinente in der Reise zu bewältigen, Flugzeug war ja gar nicht denkbar. Und wegen meiner seemännischen Ausbildung und meinem Seefahrtsbuch konnte ich anheuern und war dann so ein Kontinentenhüpfer. Von Afrika nach Asien, nach Burma, nach Vietnam, Saigon. Ich weiß noch ganz genau, von Barcelona schipperte ich nach Ägypten! Und dann runter bis nach Jiddah, Djibouti und die ganzen Ecken da; rüber nach Bombay, und dann noch nach Burma und…und… Ich hatte auch mal Verträge, wo die Reisen als Artist finanziert wurden, aber ganz selten, das war zu teuer.
Und da bin ich dann zwischen den einzelnen Pausen der Verträge, der Engagements, abgezogen in die abgelegenen Regionen der betreffenden Länder. Das gilt für den Sudan, den Süden und Khartoum, das gilt für Ägypten, oben, von Port Said, bis nach Luxor. Alles Geld, was ich dann zusammenkratzen konnte, hab´ ich dann immer hinein gepackt in solche Trips. Und die waren natürlich körperlich sehr anstrengend, so fünf bis zehn Kilo gingen weg, und anschließend wieder Engagement, akrobatisch arbeiten, das war sehr, sehr schwer. Und ich mußte immer im Training bleiben. So habe ich dann in den Hütten, in den Dörfern der Einheimischen, trainiert. Jeden Tag habe ich meine Handstände gemacht und die guckten… Die wußten ja nicht, warum ich das mach´, die dachten: Jo, der ist nicht ganz klar im Kopp. Aber wo sind denn die Verrückten nicht heilig gesprochen worden?
Und dann zurück in die Stadt, wo ich arbeitete: Bombay, Rangoon, Saigon, Hongkong… Und zwischendurch immer raus ins Innere der jeweiligen Länder. Das war an für sich die Gage, die ich bekam. Das war die Belohnung für mich. So was erleben zu dürfen, völlige Unabhängigkeit von Zeit und allem.
Und unterwegs habe ich immer noch ein paar Tagesgeschäfte gemacht, bei Schulen, bei irgendeinem Arschminister irgendeines Landes, der hat `ne Party gehabt, da hab´ ich dann meine Wikingermuskeln gezeigt. Da bekam ich dann irgendein Permit, oder mal `nen Freßkorb voll oder eine kleine Summe Geld. Und ich bekam auch Kontakte zu den Obrigkeiten, ja, einem Maharadscha oder Minister…. Es war damals nicht so einfach, ein Visum zu bekommen. Damals hatte ich noch gar keinen Paß. Ich hatte nur das Schriftstück, das englische Schriftstück. Die Permits, ins Innere zu gehen, bekam ich dadurch, daß die Leute mich alle kannten. This is the german acrobat, nice guy. Ja laß ihn doch gehen, ist doch sein Risiko. Auf diese Art und Weise polterte ich so durch die Breitengrade.
Und ich hatte auch einen Haufen Filme gedreht, ohne daß ich Ahnung hatte. Und aus diesen Filmen machte man in Berlin einen Dokumentarfilm von 80 Minuten mit dem Namen „Indische Rhapsodie“. Und dieser Film bekam das Prädikat „kulturell wertvoll“ und „jugendfördernd“. Ein Produzent sagte: Die Filme sind nicht geschummelt. Es war ein Spiegelbild dessen, was ich erlebte. Und es gab nur einen Grund, daß ich fotografierte und filmte: Alles, was ich erlebte, war so wundervoll, so verrückt, so unglaublich. Ich dachte: Wenn ich das alles erzählen soll, was ich erlebt hab´- keiner glaubt mir. So fing meine Laufbahn als Filmemacher an, ohne daß ich es wollte.
Irgendwann, wenn er so erzählt, scheint doch ein Stück Melancholie durch. Sein Ziel war es nicht, etwas zu erreichen, sondern in Bewegung zu sein. Doch das bedeutete auch, immer wieder Abschied zu nehmen, loszulassen. Ich fragte ihn: Hast Du alles erreicht, was Du wolltest?
Alles, was ich gemacht habe, wollte ich nicht. Ich wollte kein Artist werden, und wurde es, ich wollte kein Schriftsteller werden, wenn ich mich so bezeichnen darf mit den paar Bücherchen, und wurde es, ich wollte kein Journalist werden, ich wurde es, ich wollte kein Filmfritze werden, wurde es. Ich hab´ die Indische Rhapsodie ja auch gedreht im Kinoformat. Ich wollte, ach, ich wollte auch kein Museumsdirektor werden, wurde es. Und jetzt hab ich drei Ziegen, die Esel hier draußen, jetzt bin ich so mein kleiner Haziendero, wollte ich auch nicht. Alles, was ich getan habe, wollte ich gar nicht. Ich bin hineingesprungen wie der Frosch in die Milchkanne hineinspringt, und planscht und planscht und planscht bis die Milch sich in Sahne und Käse verwandelt und er wieder rausspringen kann. Hab´ aus der Situation immer etwas gemacht, was sich mir bot, aber die nie ein Ziel war, die nicht von mir angepeilt war.
Ich ließ mich von der Gegenwart, von der augenblicklichen Situation, beuteln, streicheln oder auch in den Arsch treten. Und so ergaben sich diese Phasen in meinem Leben von ganz, ganz, ganz alleine. Also fast Kismet, ich kein Fatalist, wirklich nicht, nein… ich will daraus keine Philosophie zusammenhämmern, keineswegs - aber warum sollte ich ein Ziel haben? Deshalb bin ich auch für die jungen Menschen gar kein gutes Beispiel, nee, geb´ ich ehrlich zu. Sage ich auch ständig. Bin kein gutes Beispiel.
Man sollte schon einen Kompaßkurs haben, irgendwie. Aber es lag bei mir auch daran, daß ich keinen Kompaßkurs haben konnte, weil die Nachkriegszeit das ja gar nicht zuließ. Ein Stück Brot, einmal übernachten, das war´s… Ich weiß noch, in Herne war ich bei dem Battle-Ax-Club. Herne, die goldene Stadt damals, weil sie nicht zerstört war. Und da war dieser Night-Club von englischen Soldaten. Ich Kohldampf wie sonstwas und nicht gewußt, wo pennste. Ich zum Battle-Ax hingegangen, dem Chef, hab´ da erzählt, was für ein toller Artist ich sei. Und ich hatte keine Fotos damals, ich habe meine Tricks mit Zeichnungen gezeigt. Da, guck mal: das bin ich, das mach ich! Mit Zeichnungen! Gage? Nix! Was zum Essen und oben in der Mansarde kannste schlofen. Das war alles.
Bereits als Kind empfand Rox eine Sehnsucht nach der Ferne: Karl May war mein Brandstifter, sagt er. Doch Sehnsucht alleine genügt nicht, Reisen bedarf des Anstoßes, der Überwindung des ersten Aufbruches zu fremden Toren. Dazu ist Mut nötig. Die meisten Menschen machen diesen Schritt nicht, trotz Sehnsucht. Doch viele Reisende haben ein Ziel. Andere empfinden ihre Jugend als einen solch furchtbaren Zwang, daß sie unbedingt ausbrechen müssen. Dann ist das Reisen ein Weglaufen. Wieder andere reisen, um Freiheit zu suchen. Was hat denn Rox bewegt, sich in die Welt zu begeben anstatt, wie beispielsweise Helmut Banz, sich dem Sport zu widmen? Denn die Artistik war ihm zwar Broterwerb, aber auch Mittel zum Zweck, zum Unterwegs-sein. Das Reisen stand an erster Stelle.
Ja, die Sache, die Motive, hmmm.
Ich weiß, als Kind hatte ich eine wundervolle…. eine Nestwärme gehabt, die kaum vergleichbar ist. Ganz phantastische Eltern. Gut: Wir haben das Brot dreimal umdrehen müssen, am Donnerstag war der Brotkorb leer, Freitag gab´s Geld. Aber ich lebte so in einer gesunden Armut, in einer gesunden Armut. Und die Wärme, die Nestwärme, also meine Eltern waren stark. Von daher kam nicht der Drang, abzuhauen. Keineswegs. Die Verleitung dafür oder die Erkenntnis, das zu realisieren, basiert erst mal in der Nachkriegszeit: Was machen, sprach Zeus? Und was hatte ich da? Turnerei! Wenn ich Sänger gewesen wär´ oder wenn ich Briefmarkensammler gewesen wäre….
Und so ergab sich das von alleine, da war ich schon mal unterwegs und das Interesse für die exotische ferne Welt ist in jedem jungen Menschen vorhanden, in jedem. In allen Menschen. Die können sich noch so in ihrer bürgerlichen Sicherheit wohl fühlen, aber irgendwie äugeln sie immer `rüber. Das beweisen ja schon die touristischen Statistiken.
Erst mal waren die [Motive] bedingt durch die Zeit nach dem Krieg. So fängt´s mal an. Und die Motive: Freiheit, Freiheit! Eijeijei! Freiheit, von wegen Freiheit, da hängt der Brotkorb ganz schön hoch. Um mich verständlich zu machen: Die sogenannte effektive Freiheit gibt´s ja sowieso nicht. Einverstanden?
Aber bleiben wir mal bei dem Begriff Freiheit. Ein Beispiel: E Wildsau, e Wildschwein is frei. Was für ein schweres, hartes, gefahrvolles Leben hat die Wildsau. Schon als kleines Frischling muß es uffpasse, daß es nich vom Wolf gerisse wird, dann kommt der Jäger da, mit dem Lodenmantel. Und dann wird es älter, du, und dann hat´s nix zu fresse und dann wird es krank, versteckt sich in der Höhle und wird wieder gesund. Dann kommt der Winter, nix zu fressen und dann kommt so´n Arschloch von Jäger und schießt se an, und dann sucht er se am nächsten Tag, dann kriegt se den Gnadenschuß. Also ein erbärmliches Leben in der Freiheit. Nur als Beispiel genommen. Im Gegensatz zum Hausschwein, das keine Freiheit hat, lebt doch wunderbar, Stroh wird gewechselt, wird gestreichelt, wenn´s Husten hat, kommt der Doktor mit der Pille und wenn es soweit ist, Gewicht ist da: Schlagbolzen! Klick, schnell weg.
Und wir leben ja auch in einer sogenannten Verhausschweinung des Menschen. Und man soll nur nich so liebäugeln mit der Freiheit, daß die so gülden ist, ist verdammt schön hart. Da hängt der Brotkasten ganz schön hoch.
Freiheit - das war nicht der ausschlaggebende Punkt meines Reisens nicht! Der ausschlaggebende Punkt meines Reisens war, ich wiederhole mich: Nachkriegszeit, die Situation, wirtschaftlich, und und und… Und dann mußte was machen… Als Artist hatte ich vielschichtigere Möglichkeiten, mich zu bewegen in die Ferne hinein, in die Ferne hinein.
Wenn man heute unterwegs ist, läßt es sich kaum vermeiden, Landsleute zu treffen, Bürger aus der Heimatstadt mit gemeinsamen Bekannten, vielleicht sogar Kollegen oder Nachbarn. Wie sah es zu Beginn der fünfziger Jahre aus? Welche Möglichkeiten gab es, zu reisen? Wer war unterwegs? Waren Reisende die Ausnahme?
Ja, die absolute Ausnahme. Meistens alles Regierungsbeauftragte, Wirtschaftspersonen, Schulwesen, und dann aus Bielefeld ein Mann, der hatte in Delhi, Alt-Delhi, eine Fahrradfabrik aufgebaut. Die habe ich kennengelernt im Rahmen meiner Darbietungen. Weil man sich dort traf, beim Abendessen, Dinner-Parties und so. Und das war für meine Reise eine sehr potente Reisekasse. Nicht in den Münzen, sondern in den Empfehlungen.
Es gab die großen Hotels, wo ich engagiert war, da waren die Gäste: Aga Khan, Begum, der damalige Prinz von Thailand, der heutige König von Thailand, der war da. Wer war noch da? Unter anderem eine Wirtschaftskanone von Krupp. Da war so ne Krupp-Delegation, die hat mich mal an ihren Tisch eingeladen. Ich war der erste deutsche Artist nach dem Krieg in Asien. Und ich war deswegen so attraktiv, nicht wegen meiner Darbietungen, sondern weil ich der erste deutsche Artist war. Da kamen englische Gäste, Pädagogen, Wirtschaftsleute, haben mich eingeladen und beäugten mich. Und so kam es auch zu dem Kontakt mit den Maharadschas, dem indischen Adel, wo ich da die Palastwache trainiert habe, und wo ich dann später wieder hinfuhr und den Film drehte „Indische Rhapsodie“.
Ja, den Heinz Helfgen habe ich getroffen, ich wußt´ gar nicht, wer der war. Das war in Karachi, und da suchte ich ein Schiff. Und ich wunderte mich, da steht ein Dampfer, Flamen, Belgier, die Gangway war noch ausgefahren, aber man hatte die Tampen gezurrt und die Flaggen zeigen ja, daß das Schiff bald abfährt. Und die winken mir zu, ich soll kommen. Ich da hoch mit meinem Rucksack. Weißte, was los war? Da kommt einer mit dem Fahrrad auf dem Buckel. Stellt das Fahrrad ab, guckt, das war der Heinz Helfgen. Der hatte das alles eingeleitet für seine Passage. Und die dachten, ich wär´ der. Und ein halbes Jahr später, da war ich im Great Eastern Hotel engagiert, steht der wieder da.
Da gibt’s doch dieses Gesangsduo, Hein und Oss, Zwillingsbrüder, die waren mit dem Motorrad unterwegs. Und wem bin ich noch begegnet? In Südamerika einigen Schweizern, Franzosen. Amerikaner hat´s auch gegeben, schon lange, die Amerikaner reisen ja schon lange. Das gab´s schon, aber nicht in diesem Ausmaß wie heute.
Nach zwei Jahren in Deutschland, nach zwei Büchern und unzähligen Dia-Vorträgen, nach einer zwölfteiligen Serie in der Frankfurter Illustrierten und ersten Kontakten zur Filmwelt ging Rox 1957 erneut auf die Reise. Fünf Jahre fuhr er kreuz und quer durch Südamerika. Aber nun war der Schwerpunkt ein anderer, das Reisen ganz in den Vordergrund gerückt. Noch war die Artistik dabei, aber sie stand nicht mehr im Mittelpunkt, diente nicht mehr ausschließlich der Finanzierung der Reise. Und von den öffentlichen Verkehrsmitteln war Rox umgestiegen auf einen VW-Bus. Geblieben war die Neugier, die Reiselust, die Faszination des Unbekannten.
Ja, die nächste Reise nach Südamerika, die war schon mehr. Da nahm mich ein Holländer mit, der königlich-holländische Lloyd, von Rotterdam oder von Amsterdam, rüber nach Bahia, Recife, bis Montevideo. Und das alles mit meinem VW-Kastenwagen, aus dritter Hand gekauft. Der Verkäufer sagte mir, der Wagen wäre gut, die Besitzer vorher wären Tabakhändler gewesen, und da würde der Wagen nicht so leiden, weil Tabak leicht ist. Und ich hatte ein bißchen Geld, das letzte Geld, wirklich, und da hab ich den Wagen gekauft. Dann bin nach Hamburg und klapper´ eine Reederei nach der andern ab.
Auslösepunkt, nach Südamerika zu gehen, war eine Ausstellung des Völkerkunde-Museums Frankfurt über die Waika-Indianer am oberen Orinoco in Brasilien. Und die hat mich dermaßen gepackt, daß ich meinte, da fährste auch rüber, aber wie? Auto, ja, aber ich wollte meine eigene Wohnung - Schildkröten-Mann nannte man mich damals: hombre de tertuga, weil ich immer mein Häuschen bei mir hatte. So´n kleiner VW-Kastenwagen, weißte. War klein, aber es hat gereicht. Für mich und meinen Hund hat´s gereicht. Der mir unterwegs zugelaufen war in Südamerika. Und da nahm mich der königlich-holländische Lloyd frei mit! Mit dem Wagen! Sogar für die Rückreise bekam ich eine Zusage! Aber die konnt´ ich nicht gebrauchen, weil ich ja oben in der Karibik war. Die Rückreise wäre wieder von Buenos Aires gewesen.
Ich bin hin, da war ein kleines Schild, wackliges Schild: Königlich-holländischer Lloyd. Meine Adresse möchte ich hinterlassen und ich würde was von ihnen hören, so quasi. Ja, und ich hab´ gesagt, daß ich Filme drehen würde und daß ich bei meinen Berichten den Königlich-holländischen Lloyd erwähnen würde. Das hab´ ich auch getan, nicht wahr. Aber doch nicht mit besonderer Public Relation, kann ich auch nicht sagen.
Und da war schon Journalismus, Bildjournalismus, Reisejournalismus. Ich hatte da auch schon die Filmkameras, hatte ja in Indien meinen ersten Kontakt zum Film als Stuntman, als Double, hab´ so rumgeprügelt. Und in der Zeit hatte ich mir auch die Filmkamera besorgt, in Hongkong allerdings, 16-mm-Kamera. Die Bücher hatte ich herausgebracht, schon mit neuem Buch im Kopf, war das schon ein bißchen mehr gezielt, aber ich habe mich auch treiben lassen. Ich wußte nicht, wo ich aussteige, wo ich einfahre, wo ich ausfahre, ich wußte nicht, daß es nach Feuerland gehen würde und ich wußte nicht, daß ich durch Patagonien schippern würde, ich wußte nicht, daß mein Schwerpunkt sein würde Amazonas-Quellgebiet.
Ja, wie gesagt, da hab ich ein bißchen Bildjournalismus getrieben, geschrieben, Tagebücher, und vor allem gefilmt, Vorträge, in Schulen kurze Sportkurse gezeigt. Da war ne Schweizer Schule zum Beispiel in Lima. Und da war der Turnlehrer, das war ein Schweizer Turner. Und bei dem machte ich zwei Wochen einen Lehrgang für Bodenturnen für die jungen Schüler. Das war auch wieder ein bißchen Geld.
Wie heißt doch gleich die Stadt, die Hauptstadt von Kolumbien? Bogotá. Da kam ich so abgehungert an, da hab´ ich gearbeitet, drei Vorstellungen die Nacht, war `ne harte Sache, und da war ein ungarischer Koch da drin, das war so´n Night-Club, und sagte, Mensch, du siehst so mager aus, wie machst du das immer? Und da hat er mir immer nen Pott Fleischbrühe extra gegeben! Hat er extra ausgekocht! Und das hat unheimlich geholfen! Verwackelte Handstände kosten unheimlich Kraft. Ich hab gewackelt, auf’n Arsch gefallen, weißte, Flic-Flac, nicht gut gezielt, ausgeglitten, hingefallen. Und das kam wieder. Ein Liter Fleischbrühe, immer, jeden Abend. Der Chef durfte das nicht sehen. Ich hatte wohl mein Essen, aber Staff-Essen.
Dann rutschte ich rein in die Archäologie, da war ich mit Archäologen unterwegs, und ich bekam einen Kontakt mit der Wissenschaft des Spatens. Und dann ging alles völkerkundlich gezielter. Das Kulturelle zeigte sich mehr als vorher bei mir bei den Reisen, interessierte mich auch stark. Da hab ich mich reingekniet und gezielte Literatursuche gemacht, mit Leuten gesprochen.
Da war eine Begegnung mit einem Professor Ritter oder Richter in Bogotá, Universität, Deutscher. Und der beneidete mich um mein Erlebnis. Und zwar deshalb, daß ich unbelastet diese Reisen machte. Er erklärte mir das folgendermaßen: Er hat studiert, er weiß über alles Bescheid. Ägypten und Angkor Wat, Ganges, Benares. Und dann ist er nach soviel Jahren des Wissens zum ersten Mal hingefahren. Gewiß, sagte er, das war für ihn ein Erlebnis, nach seinem Studium am Ort zu sein. Natürlich Faszination, aber nicht vergleichbar mit meinem Erlebnis. Aber, sagt er, Sie, Sie haben gar nichts gewußt und stehen auf einmal vor derartigen Situationen. Hast keene Ahnung, bist in Benares - hä? Das haut dich um, du. Und darum hat mich dieser Professor so beneidet. Dieses Erlebnis der absoluten Unkenntnis, nicht ungebildet, nein, Unkenntnis. Das, was ich so erlebe, das könnte er gar nicht erleben, sagt er. Er weiß alles, studiert dreißig Jahre, weiß wann und wie und so. Aber hat nicht diesen Reiz des absolut Unbekannten. Das war ein Gefühl! Das hätt´ ich nie gehabt, wenn ich alles gewußt hätte. Und darum hat mich dieser Mann beneidet. Und das klingt immer noch in meinen Ohren. Das soll natürlich nicht heißen, das man nicht wissen soll, was man wissen müßte. Das nicht. Aber das Feeling ist ganz anders. Ich bin mein eigener Columbus, ich bin mein eigener Marco Polo.
1962 kam Rox zurück nach Deutschland, von den letzten elf Jahren hatte er neun im Ausland verbracht, war mittlerweile über vierzig Jahre alt. Weiterhin blieben die Reisen wichtig, sie wurden kürzer, dauerten aber immer noch acht, neun, zehn Monate. Gleichzeitig mußten sie aber dazu dienen, den Lebensunterhalt in Deutschland zu finanzieren. Die Möglichkeit, jederzeit auf Reisen zu gehen, war ihm wichtiger als eine feste Anstellung, und so blieb er bis 1974 ständiger freier Mitarbeiter beim Saarländischen Rundfunk. Das ermöglichte ihm, seine Reisen selbst zu bestimmen, aus Erlebtem und Gefilmtem einen Film zusammenzustellen, ohne auf Auftragsproduktionen angewiesen zu sein.
Und dann landete ich hier beim Saarländischen Rundfunk als Kamerareporter. Als Fernsehreporter mit eigener Kamera. Hab ich zwölf Jahre gemacht. Jeden Tag, Montag bis Sonntag zwölf Stunden. Bis heute mach ich noch so´n bißchen, so´n bißchen, aber nicht so viel. Als sogenannter ständiger freier Mitarbeiter. Und da waren ja mehrere in der Redaktion, ständige freie. Die haben sich festeingeklagt, mußten angestellt werden, weil sie schon soviel Jahre dabei waren. Und ich hatte die besten Aussichten dafür, es zu werden, weil ich ja zwölf Jahre da war, von 62 bis 74. Und das wollte ich nicht… ich wollte mich nicht einklagen. Wenn se gesagt hätten, Rox, du bist jetzt zehn Jahre bei uns, wir wollen Dich fest einstellen, willst es? - Hätt´ ich gesagt: jo. Natürlich. Gute Sache. Aber das machten die nicht, und meine Kollegen haben sich alle eingeklagt, aber das war mir, weißte, das war mir zu…. Nee.
Ja, ich bin viel gereist. Und gezielt gereist! Aber nicht im Auftrag, keine Auftragsproduktion! Ich bin abgehauen. Kontinent konnte ich sagen, ja. Vielleicht Afrika, ja. Ostafrika, konnte ich sagen. Sahara, mit dem Sahara-Willy, der mich mitnahm, konnte ich sagen. Aber ich konnte nicht sagen wo, welches Thema, welche Story. Was man machen muß, wenn Du Auftragsproduktion hast. Jeden Meter Film mußt Du sagen, was Du machst. Das war bei mir nicht der Fall. Konnte ich nie sagen. Das war der Reiz. Und die sind alle gelaufen, sind alle gelaufen. Aber fest angestellt? Wollten se nicht. Ich hätte mich einklagen können. Ich hatte die Voraussetzungen, genau solche wie die, die es geschafft haben. Vielleicht sogar noch etwas bessere. Aber nicht aufgrund meiner Fähigkeiten als Journalist, sondern aufgrund der Kenntnis der Welt. Leute, die die Welt kennen, sind immer gern gesehen, selbst wenn sie nicht in dem Ressort arbeiten, aber es ist immer gut, Leute zu haben, die über´n Globus geguckt haben.
Nach 1974 kamen Museum, Vorträge, bißchen Rundfunk, bißchen Fernsehen, bißchen Stories. Dann der Ritt durch Amerika. Moment mal, das war…76. About ´76 bis ´77. Da kam der Film raus: Wild-West-Romantik im Sattel. Das war der Ritt, ich sollte nur zehn Minuten drehen, nur wegen dem Ritt. Zehn, zwölf Minuten Kurzfeature! Und dann dachte ich, Mensch, ich bin hier, und dann hieß es, wir fliegen zurück nach Frankfurt, ich sach nee, fliegt alleene. Und die flogen zurück und dann hab´ ich weitergemacht, nur Reservate besucht, Navajos, Hopis, New Mexiko, die Ecke da gemacht. So kam ich nach acht Monaten zurück.
Heute, vierzig Jahre später, ist diese Art zu reisen kaum noch denkbar. Nicht nur ist Rox vierzig Jahre älter, auch hat sich das Reisen grundlegend gewandelt. Ein deutscher Artist in Asien erregt kein Aufsehen mehr. Was damals gut zusammen paßte, ist sich heute fremd. Geändert haben sich aber auch Wünsche und Sehnsüchte. Was bedeutet Rox die Faszination, unterwegs zu sein? Das Flair, wenn man auf den Flughafen oder Bahnhof kommt und das Gefühl hat, alles ist in Bewegung? Das Gefühl des Reisens und Unterwegs zu sein, ganz gleich, wohin es geht? Könnte sich Rox vorstellen, heute nochmals auf eine große Reise zu gehen?
Ich glaube nicht, das ginge nicht mehr. Zum Beispiel ich mit meiner artistischen akrobatischen Darbietung würde kaum ein Engagement bekommen. Weil heute ja die sogenannte Kleinkunst, das Artistenleben ausradiert worden ist. Durch die Amerikaner: Striptease… Gut, wenn ich heute ein Mikrofon nehme und ich schnarre da einen weg, wie ne angebrannte Wutz, da würde ich einen Vertrag bekommen.
Na, ich möchte nicht mehr. Ich meine: So reisen wie früher kann ich heute nicht. Ich mein´, ich könnte mich quälen… Nö, ich will´s nicht mehr. Guck´ mal, es ist so. So, wie ich früher gereist bin, das schaff´ ich körperlich nicht mehr. Ich kicher´ immer über Männer, die ein gewisses Alter erreicht haben und sagen, ich mach´ noch weiter. Ne, ist doch Quatsch, Weltmeister mit achtzig Johren. Was soll der Quatsch. Gut, man kann sich am Riemen reißen, aber ist doch `ne Quälerei und ich bin kein Masochist. Es soll Spaß machen. Ich könnt´ es schaffen. So kaputt bin ich noch nicht, aber ich müßte mich sehr, sehr stark quälen. Und ich bin kein Masochist, also bleib´ ich so, wie ich bin. Das Interesse ist da, aber das Fernweh, die Unrast, oder die Sehnsucht, die stark nagt an meiner Psyche, die ist nicht da. Guck mal, soll ich noch mal den Eiffelturm besuchen? Dreimal habe ich ihn schon gesehen. Egal, ob das Benares ist oder woanders. Der Reiz des Fremden, des Unbekannten, ist ja nicht da.
Die Faszination des Bahnhofs. Ist nicht mehr so, is´ nich´ mehr so. Früher hab´ ich in den Zug geguckt, aach - wie schön, nech - wenn ich jetzt da drin wär im Waggon. Aber jetzt? Weißt Du, das ist so eine Art natürliches Verhalten und man soll sich nicht dagegen stemmen. Der Rhythmus, das Alter, andere Phasen im Leben und da soll man in sich hineinhorchen und sich nicht quälen, indem man sagt, guck, ich mach´s immer noch so und ich bin schon so alt. Was soll der Bull-Shit.
Man verarscht sich doch selber. Ich hab´ ja so viel Möglichkeiten noch, damals hätt´ ich die gerne gehabt, aber was soll ich da den Koffer packen, nach Frankfurt kutschen, mich in so eine Konservenbüchse reinsetzen, als Rohrpost, mich durchgeigen lassen durch de Atmosphäre und auf einmal heißt es: anschnallen. Dann steigste aus und bist in nem anderen Land. Das Erlebnis der Ferne ist ja heute beim Reisen nicht mehr vorhanden. Wenn ich damals gereist bin, dann hat man gespürt, jetzt biste in einem anderen Land. Eine andere Kultur, eine andere Vergangenheit, die Reste vergangener Zeiten sind ganz anders. Und da hatte man das Gefühl der Ferne.
Aber hier? Laß ich einen Furz, steig aus, da bin ich in Hatschibatschifuzzi. Aber…. wo ist das Prickelnde dabei? Man hat Zeitersparnis. Das akzeptiere ich. Wenn ich vier Wochen Urlaub habe und bin hier im Beruf. Ich hab vier Wochen Urlaub, möchte aber die Ferne erleben, da akzeptiere ich das. Das man sich hinein setzt, Rohrpost, aussteigt. Einverstanden.
Rox lebte 18 Jahre in Ostpreußen, war sechs, sieben Jahre in Krieg und Gefangenschaft, weitere fünfzehn, sechzehn Jahre unterwegs in Deutschland und der Welt und wurde erst 1962 einigermaßen seßhaft in Saarbrücken. Die Eltern sind bereits gestorben, eine Schwester lebt noch. Gibt es bei soviel Bewegung nicht auch einmal das Bedürfnis nach Heimat, nach Familie, Bindung und festen Beziehungen? Einmal scheint es eine Lei Li Li in Hongkong fast geschafft zu haben….
Ja und nein. Ich bin da wirklich * Kosmopolit, ohne meine Heimat zu vergessen, nee, das nicht. Ein gutes Gefühl, zurückzudenken…. Es gibt eine gewisse unsichtbare… Bindung ist nicht das richtige Wort. Heimat ist kein geographischer Begriff. Heimat ist ein Gefühlsbegriff für ein Land, in dem man lebt und glücklich ist. Oder sagen wir Vaterland, wenn man das noch weiter ausdehnen will. Das ist das Land, wo du glücklich bist. Wo du eine Familie gründest und du bist unheimlich happy, mit deinen Kindern, deinen Nachbarn, du bist gesund, hast deine Existenz, du hast dein Leben. Und das ist Heimat. Und das ist nun mal hier und hätte auch woanders sein können. Ich leide nicht darunter, daß Königsberg weit weg liegt in dieser Situation. Ich denk gern zurück, ja sicher, mit gutem Gefühl und auch einer gewissen… ja, Sehnsucht kann ich auch nicht sagen, Wehmut ist zu stark ausgedrückt……
Partnerschaften bin ich nie ausgewichen. Aber die Strömungen in meinem damaligen Dasein waren dermaßen turbulent, und Frauen suchen ja auch immer eine gewisse Sicherheit, ja natürlich, da hatte ich schon von vornherein nicht so die Möglichkeit. Aber sich voll zu engagieren? Für einen Mann, wie ich das war? Das war nichts für eine Frau. Die wußten ja nicht, was macht der, was ist der. Was macht der Harlekin im Zirkus, was soll das?….
Vor etlichen Jahren hatte Rox eine Ausstellung im Fort Fun, dem Abenteuerpark. Da hat man ihn dann gebeten, doch in Bioleks Talkshow zu kommen. Und Rox, erfahrener Journalist, zerbrach sich den Kopf, was wohl die erste Frage sein würde.
Biolek, ach joo. Ja, er wollte mich so ein bißchen in Verlegenheit bringen. Also ich hin mit dem Schrumpfkopf und so. Und mein Leben kannte er schon mal so ein bißchen, roh, aber sonst hatten wir keinen persönlichen Austausch vorher. Die erste Frage bei so einem Gedankenaustausch, bei so einem Interview und bei so einer Talkshow ist wie ein kleiner Boxkampf. Wie du in den Ring reingehst, um dem Gegner den Schneid abzunehmen, man bluffte, machte einen Buckel wie ein Kater. So ist es auch bei diesen Interviews. Darauf hatte ich mich eingestellt. Und da hab ich so drei, vier Fragen im Kopf gehabt, hatte schon die Antworten parat Und dann fragt der doch: Ob ich verheiratet bin! Also eine solche Frage, die gar nicht in den Rahmen paßt! Also später, im Verlauf der Unterhaltung hätte ich mir diese Frage gefallen lassen. Aber so am Anfang, gleich so? Und ich weeß nicht, da hab ich ihm die Antwort gegeben, die kam wirklich nicht von mir, da hab ich wahrscheinlich einen guten Souffleur gehabt, so einen kleinen Geist auf meiner Schulter sitzend.
Ach Herr Biolek, sag ich, die Sonne, der Mond und die Sterne, die gehören doch allen Menschen, nech? Ja, sagte er. Ich sag: die Küsten, die Wälder, die Flüsse, nicht, die Wiesen, alles. Gehört doch allen Menschen? Sterne, Sonne… Und da wußte der noch gar nicht, worauf ich hinwollte. Sagte er, jo, jo. - Wie kann ich denn einer Person alleine gehören? Und da sagt er: Ach, Philosoph sind sie auch. [Lacht]
Du hast heute gesagt, das hier sei Deine Endstation „Reise“, Deine Endstation „Globetrotter“.
Jaja, ich sagte ja vorhin, man weiß nie. Aber schon, vom Alter her und so, sollte das schon ein Final sein, ein schönes harmonisches Final, in der uneigennützigen Partnerschaft zwischen Mensch und Tier. Das sind meine Ziegen und die Eselchen, die man mir geschenkt hat, als ich siebzig Jahre alt wurde. Klingt doch nicht schlecht. Wie´n Roman.
siehe auch *Reisen nach dem Zweiten Weltkrieg
Alle Filme auf 16-mm, Filmlänge ca. 45 bis 60 Minuten
Titel | Quelle | Datum | |
Große Pläne für das Abenteuermuseum | Saarbrücken bald Mekka der Reisebranche? | Saarbrücker Zeitung | 10.05.02 |
Lauter Abenteuer | Bericht zur Reiseliteratur-Fachtagung von Andreas Obst | FAZ | 21.02.02 |
Am Schloß ist es fünf vor zwölf | Im Abenteuermuseum verrotten wertvolle Ausstellungsstücke – Museumsfreunde gehen auf die Barrikaden - von | Saarbrücker Zeitung | 27.02.02 |
Stadt hat kräftig Punkte gemacht | Bericht zur Reiseliteratur-Fachtagung | Saarbrücker Zeitung | 18.02.02 |
Königskind entpuppt sich als Gott | Sensationeller Zufallsfund: Wissenschaftler entdecken seltene Osiris-Figur im Saarbrücker Abenteuermuseum | Saarbrücker Zeitung | 17.02.02 |
Hofstaat eines Weltenbummlers | Freunde des Abenteuermuseums verwalten die Sammlung des Königs der Globetrotter im Alten Rathaus | Saarbrücker Zeitung | 01.12.01 |
Ein alter Mann turnt um die Welt | taz | 28.07.01 | |
Der Hüter des Abenteuers | von Ariane Bertsch | Frankfurter Rundschau | 28.04.01 |
König der Globetrotter wird 80 | Kundenmagazin der Metrogruppe | 01.03.01 | |
Der letzte Weltwanderer | Tomas Niederberghaus berichtet | DIE ZEIT | 29.03.01 |
Souvenirs, Souvenirs | NATIONAL GEOGRAPHIC (Deutschland) | 01.02.01 | |
Kuriose Exponate | Buchmarkt | Februar 2001, S. 116-120 | |
Globetrotters Zentrum | Tourismus Management | 01.11.00 | |
Ein Eldorado für alle Globetrotter und Reisefans | Förderverein will Sammlung bekannter machen | Saarbrücker Zeitung | 23./24.9.2000 |
Anlaufstelle für alle Weltenbummler | Wolfgang Weber berichtet über Norbert Lüdtke und Sonja Roschy. | Saarbrücker Zeitung | 19.09.00 |
Ich habe mich für das Abenteuer entschieden | Die Geschichte des Weltreisenden Heinz Schulz, der in Saarbrücken ein Andenken-Museum bekam (von Michael Radtke, 3 Seiten) | STERN | 25/1980 |
Ein Sarg schwimmt auf dem Blauen Nil | von Gunar Ortlepp, S. 228-239 | SPIEGEL | 50/1978 |
Ohne Geld um die Welt | Titelstory und Beginn einer sechsteiligen Serie | FRANKFURTER ILLUSTRIERTE | 10.3.1956 (Nr. 10 ff.) |
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