wiki:fussreisen
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==== Der Bote ==== | ==== Der Bote ==== | ||
- | Ein früher Einzelreisender war der Bote, denn sicher tauschten umherziehenden Gruppen Nachrichten aus. Im Götterboten * [[wiki: | + | Ein früher |
Dieser Zustand beschreibt 99% der kulturgeschichtlichen Vorzeit, noch um Christi Geburt lebte 50 % der Menschheit als Jäger und Sammler: | Dieser Zustand beschreibt 99% der kulturgeschichtlichen Vorzeit, noch um Christi Geburt lebte 50 % der Menschheit als Jäger und Sammler: | ||
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„Du kannst nicht auf dem Pfad gehen, bevor du nicht Pfad geworden bist.“ (Buddha) | „Du kannst nicht auf dem Pfad gehen, bevor du nicht Pfad geworden bist.“ (Buddha) | ||
- | Wer sich tief in die Wildnis verirrt, ist diesem Zustand am nächsten - er muß sich verlieren, um seinen Weg gestalten zu können. Der kürzeste Weg in der Wildnis führt durch Schluchten und Wasserläufe, | + | Wer sich tief in die Wildnis verirrt, ist diesem Zustand am nächsten - er muß sich verlieren, um seinen Weg gestalten zu können. Der kürzeste Weg in der Wildnis führt durch Schluchten und Wasserläufe, |
===== Die Reisen der Seßhaften ===== | ===== Die Reisen der Seßhaften ===== | ||
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Kain erschlägt Abel, der Bauer den Nomaden. Im Schweiße seines Angesichts, den Rücken gebeugt, die Hände in der Erde sichert der Bauer sein Leben. Der seßhafte Hirte zäunt seine Weiden ein, sein Zelt erstarrt zu festen Mauern, die Siedlung erhält einen Wall. Dörfer und Städte brauchen Wasser und fruchtbares Land. Macht wurde ausgeübt: verfügen über ... und besitzen von ..., Grenzen gesetzt, Anspruch erhoben, selbst auf Nomaden. Die wurden verdrängt in unfruchtbare Rückzugsgebiete. Der Konflikt wurde unausweichlich. Die Bibel erzählt, daß Nomaden Städte angreifen (Jericho) und die Stadtgründer verfluchen. Noch 1690 beschlossen die wandernden Don-Kosaken die Todesstrafe für jeden, der den Boden bebauen wollte. Kolonialismus hieß fast immer Krieg mit Nomadenvölkern. Und heute? Die Tuareg in Mali, die Polisario in Mauretanien wehren sich mit der Waffe gegen Grenzziehungen. | Kain erschlägt Abel, der Bauer den Nomaden. Im Schweiße seines Angesichts, den Rücken gebeugt, die Hände in der Erde sichert der Bauer sein Leben. Der seßhafte Hirte zäunt seine Weiden ein, sein Zelt erstarrt zu festen Mauern, die Siedlung erhält einen Wall. Dörfer und Städte brauchen Wasser und fruchtbares Land. Macht wurde ausgeübt: verfügen über ... und besitzen von ..., Grenzen gesetzt, Anspruch erhoben, selbst auf Nomaden. Die wurden verdrängt in unfruchtbare Rückzugsgebiete. Der Konflikt wurde unausweichlich. Die Bibel erzählt, daß Nomaden Städte angreifen (Jericho) und die Stadtgründer verfluchen. Noch 1690 beschlossen die wandernden Don-Kosaken die Todesstrafe für jeden, der den Boden bebauen wollte. Kolonialismus hieß fast immer Krieg mit Nomadenvölkern. Und heute? Die Tuareg in Mali, die Polisario in Mauretanien wehren sich mit der Waffe gegen Grenzziehungen. | ||
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==== Pilgerfahrten ==== | ==== Pilgerfahrten ==== | ||
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- | Mit Mühsal leben, die der Heimat entbehren. Ich habe es an mir erprobt: | + | * [[wiki:pilgerstab|Pilgerstab]] |
- | Ich fand nichts Liebes in dir, ich fand in dir nichts als Jammer und | + | |
- | ein schmerzerfülltes Herz und vielfältige Trauer.« | + | |
- | Otfrieds Evangelienbuch | + | |
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- | Bereits in der griechisch-römischen Antike war ein Philosoph kaum anders als wandernd vorstellbar. '' | + | |
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- | Im //[[wiki:itinerar|Itinerarium]] Burdigalense//, | + | |
- | Mit Bischof '' | + | |
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- | Die religiöse Einsicht, daß im Leben alles vorübergeht, | + | |
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- | Bereits das Alte Testament erwähnt den Pilger (Ps. 39,13), in Judentum, Buddhismus, Christentum und Islam wird gepilgert. //„Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester, aber des Menschen Sohn hat nicht, da er sein Haupt hinlege.“// | + | |
- | Die Pilgerreise als Kniefall der Seßhaften vor dem ursprünglichen Leben, dem noch kaum entfremdeten, | + | |
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- | Wer wandert, lernt das Nötige schätzen und ist bereit, Überflüssiges loszulassen. | + | |
- | „Die Wüstenvölker sind dem Gutsein näher als seßhafte Völker, | + | |
- | weil sie dem Urzustand näher sind und ferner von den üblen Gewohnheiten, | + | |
- | die die Herzen der Seßhaften verdorben haben.“ | + | |
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- | Die Pilgerfahrt als Reinigung, Katharsis, das heißt, das Land von Ungeheuern befreien. Wer ins Unbekannte aufbricht, befreit den bereisten Raum von der [[wiki: | + | |
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- | Am //Adam’s Peak// auf Ceylon wird den Pilgern ein heiliger Fußabdruck gezeigt, für die Christen ist es der Fuß Adams, für andere der Fuß Buddhas oder Shiwas. Verdienste für das Jenseits erwirbt, wer auf den Spuren der Religionsstifter wandelt, nach Mekka, Medina, Gom, Jerusalem, zum Kailash. Die Fußreise wurde religiös verbrämt zum Mittel schwärmerischer Bewegungen und zeitweise als »Laufsucht« abgetan, als »currendi libido«. Noch heute messen tibetische | + | |
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- | In jener Hochzeit des Glaubens verlangte die Kirche mit ihrem //»Vita mutandur, non tollitur«,// | + | |
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- | 1510 pilgerte '' | + | |
- | Ursula Ganz-Blättler | + | |
- | Andacht und Abenteuer | + | |
- | Berichte europäischer Jerusalem- und Santiago-Pilger 1320-1520 | + | |
- | Gunter Narr Verlag, 1990 | + | |
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==== Fahrendes Volk ==== | ==== Fahrendes Volk ==== | ||
In der Renaissance schrumpft die Welt weiter. Wissen der Antike wurde wiedergefunden, | In der Renaissance schrumpft die Welt weiter. Wissen der Antike wurde wiedergefunden, | ||
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Paradoxerweise wurde die Epoche zum Zeitalter der [[wiki: | Paradoxerweise wurde die Epoche zum Zeitalter der [[wiki: | ||
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Die Hauptmahlzeit war üblicherweise abends (wenn es denn etwas gab) - das französische Diner bedeutete ursprünglich „entfasten“: | Die Hauptmahlzeit war üblicherweise abends (wenn es denn etwas gab) - das französische Diner bedeutete ursprünglich „entfasten“: | ||
Ein Fußwanderer geht kaum langsamer als drei, kaum schneller als sieben Stundenkilometer. Eine Tagesstrecke von 25 Kilometern ist unter normalen Umständen problemlos, bei guten Wetter- und Straßenverhältnissen, | Ein Fußwanderer geht kaum langsamer als drei, kaum schneller als sieben Stundenkilometer. Eine Tagesstrecke von 25 Kilometern ist unter normalen Umständen problemlos, bei guten Wetter- und Straßenverhältnissen, | ||
- | Jahrzehntausende lang gab es keine Alternativen. Ein erstes Verkehrsmittel war das Tragetuch für die Kinder, das zweite die nachgezogene Astgabel, beladen mit Lasten, Alten, Schwachen. Daraus mag die getragene Sänfte entstanden sein. Das Tragen von „Häuptlingen“ verlangt Hierarchien, | + | Jahrzehntausende lang gab es keine Alternativen. Ein erstes Verkehrsmittel war das Tragetuch für die Kinder, das zweite die nachgezogene Astgabel, beladen mit Lasten, Alten, Schwachen. Daraus mag die getragene Sänfte entstanden sein. Das Tragen von „Häuptlingen“ verlangt Hierarchien, |
==== Auf der Walz ==== | ==== Auf der Walz ==== | ||
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- | Die Zünfte des ausgehenden Mittelalter modernisierten das wirtschaftliche Leben in den wachsenden Städten und schufen neuen sozialen Halt. Zunft kommt von ziemen – Sicherheit und Geborgenheit waren mit Disziplin und Gehorsam gegenüber den strengen Zunftregeln zu bezahlen. Die Zunft bot Ehrbarkeit, Außenstehende blieben ohne [[wiki: | + | Die Zünfte des ausgehenden |
- | Der Zwang, zwischen Ausbildung und Meisterprüfung zu wandern, bewegte nicht nur den Arbeitsmarkt, | + | Der Zwang, zwischen Ausbildung und Meisterprüfung zu wandern, bewegte nicht nur den Arbeitsmarkt, |
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Es war der Sinn der Fremde, daß man sie annahm und verstand.« | Es war der Sinn der Fremde, daß man sie annahm und verstand.« | ||
- | Die Walzgesellen erkannten einander in der Schar der Reisenden: Im »Berliner«, | + | Die Walzgesellen erkannten einander in der Schar der Reisenden: Im »Berliner«, |
Die machtvolle Zeit der Zünfte war spätestens nach dem Dreißigjährigen Krieg vorbei — Armut und Hunger trieben eher mehr Gesellen zur Walz, erst nach der Biedermeierzeit sah man sie seltener. 1839 öffnete der türkische '' | Die machtvolle Zeit der Zünfte war spätestens nach dem Dreißigjährigen Krieg vorbei — Armut und Hunger trieben eher mehr Gesellen zur Walz, erst nach der Biedermeierzeit sah man sie seltener. 1839 öffnete der türkische '' | ||
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den bedeutsamen Schritt vom Wandervogel zum Handwerksburschen.« | den bedeutsamen Schritt vom Wandervogel zum Handwerksburschen.« | ||
Die Polizei beobachtet und kontrolliert die **Handwerksburschen**, | Die Polizei beobachtet und kontrolliert die **Handwerksburschen**, | ||
- | Der König der Vagabunden, '' | + | Der König der Vagabunden, '' |
»einen Menschen, der sinnlos umherzieht, für den das Herumtreiben | »einen Menschen, der sinnlos umherzieht, für den das Herumtreiben | ||
eine besondere Art Trunksucht ist, was manche Forscher sogar veranlaßt, | eine besondere Art Trunksucht ist, was manche Forscher sogar veranlaßt, | ||
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- | **Kunden** waren sie alle. Der altniederrheinische //cunde// war ein Späher und Kundschafter, | + | **[[wiki: |
1928 fand der erste öffentliche Vagabundenabend in Stuttgart statt, weitere folgten in Berlin, Mannheim, Hamburg, Dortmund. Pfingsten 1929 trafen sich in Stuttgart 600 Vagabunden aus Deutschland, | 1928 fand der erste öffentliche Vagabundenabend in Stuttgart statt, weitere folgten in Berlin, Mannheim, Hamburg, Dortmund. Pfingsten 1929 trafen sich in Stuttgart 600 Vagabunden aus Deutschland, | ||
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Es bleibt der Rückzug auf das menschliche Maß, der Verzicht auf unnötige Technik. '' | Es bleibt der Rückzug auf das menschliche Maß, der Verzicht auf unnötige Technik. '' | ||
- | Wahres Reisen ist freiwillig und beendbar, darf Last sein und Mühe, ist jedoch weder [[wiki: | + | Wahres Reisen ist freiwillig und beendbar, darf Last sein und Mühe, ist jedoch weder [[wiki: |
Der erste Weltkrieg, seine politische Folgen, die Weltwirtschaftskrise und ein weiterer Weltkrieg unterbrachen diese Entwicklung, | Der erste Weltkrieg, seine politische Folgen, die Weltwirtschaftskrise und ein weiterer Weltkrieg unterbrachen diese Entwicklung, | ||
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siehe auch: | siehe auch: | ||
- | * Quellen: [[wiki:Literaturliste zum Fussreisen|Literaturliste zum Fussreisen]]\\ | + | * Quellen: [[wiki:literaturliste_fussreisen|Literaturliste zum Fussreisen]]\\ |
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