Der Amerikaner, der den Kolumbus zuerst entdeckte, machte eine böse Entdeckung. Georg Christoph Lichtenberg, 1742–1799, Sudelbücher
Erfolg ist für Erforscher ein Resultat der Erkenntnis und besteht im Schaffen nützlichen Wissens. Sein Lohn bemisst sich am Ruhm innerhalb eines wissenschaftlichen Systems. Entdeckendes Reisen ist ein solcher Weg zu Wissen und Ruhm. Zu haben ist ist das jedoch nicht ohne Gefahren, Risiken erwarten die Teilnehmer beim Überschreiten von Grenzen, auch solche zwischen Leben und Tod. Das Erzeugen empirischen Wissens durch Reisen bildete den Keim der modernen Wissenschaft.
Reijer Hooykaas
Paula Findlen
Neues Wissen zu begrüßen stand damals im Gegensatz zum theologischen Primat »omnis homo mendax, solus deus verax« (Römer 3.4), das die menschliche Einsicht als grundsätzlich irrend annahm und daher alles Neue ablehnte. Entdeckungsreisen erbrachten nun aber den Beweis, dass Neues objektiv zu finden war.
Das »Zeitalter der Entdeckungen« vom 15. bis zum 18. Jahrhundert erschloss oberflächlich gesehen die Erdoberfläche und veränderte die Vorstellung von der Welt. Zu sehen ist es jedoch im Zusammenhang mit den Entdeckungsreisen der Menschheit, also als Entdeckungsgeschichte der Erde und damit den Veränderungen in der Vorstellung von Raum. Aus politischer Sicht ist es das Zeitalter der europäischen Expansion. Wissenschaftlich waren damit enorme Fortschritte in der Aneignung von Wissen verbunden. Ausgehend von der Geografie erfasste wissenschaftliches Vorgehen alle Wissensgebiete wie eine Lawine. Das Vorbereiten jahrelanger Expeditionen wiederum erforderte eine technische Entwicklung, die beim Schiffsbau offensichtlich ist. Hunderte von Menschen auf Schiffen jahrelang ins Unbekannte zu senden, setzte jedoch die Fähigkeit voraus, in allen Lebensbereichen *autonom und autark handeln zu können, von konservierten Lebensmitteln über Medikamente bis zu den Waffen.
Der junge Alexander eroberte Indien. Er allein? Cäsar schlug die Gallier. Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich? Bertolt Brecht, Fragen eines lesenden Arbeiters, 1936 Moskau: Das Wort
Die Zeit des Entdeckens fällt etwa in die Zeit der Renaissance, die Zeit des Erforschers begann im Humanismus, am Übergang des 16./17. Jahrhunderts. Entdecken ist Voraussetzung für Erforschen. Wer etwas entdeckt, macht es bekannt, gibt der Welt Kenntnis. Erforschen führt vor allem tiefer und meint eine systematische Untersuchung nach vorher bestimmten Kriterien nicht unbedingt geographischer Natur. Kenntnis erreicht eine breite Öffentlichkeit und verändert deren Vorstellung von Welt; Wissen zielt auf einen Teil der Öffentlichkeit, vielleicht nur auf Spezialisten, und führt zu mehreren Schichten von Weltverständnis. Erforschen läßt sich die Welt endlos, doch erscheint jedes neue Wissen unbedeutender vor dem bereits angehäuften Wissensberg.
Mit einiger Verzögerung erreicht solches Verhalten auch bürgerliche Schichten. Im 18. Jahrhundert läßt sich der Typ des encyclopädischen Reisenden erkennen: Friedrich Nicolai
reiste 1781 mit seinem Sohn drei Monate und schrieb 13 Jahre am 5000seitigen Bericht über diese Reise. Graf Leopold von Berchtold
entwickelte eine „Anweisung für Reisende“ mit einem 277seitigen Fragebogen - es war die Zeit der Apodemiken.
Erkenntnis und Wissen waren die Schlüssel, deren sich die * Abenteurer bedienten. Sicherheit speist sich aus zwei Quellen: Wissen bietet Sicherheit über Haltepunkte im Außen und äußert sich in Erkenntnis, Glauben bietet innere Haltepunkte und äußert sich durch Überzeugungen. Abenteurer auf der Suche nach Wissen haben daher gar keine Wahl: Sie brauchen Gewißheit durch Glauben, müssen von ihrer Sache überzeugt sein.
Charles de Brosse
, Autor der Histoire des navigations aux Terres Australes (1756) schlug als erster vor, Wissenschaftler auf Entdeckungsreisen mitzunehmen. 1788 gründete Sir John Banks
in London die Association for promoting the Discovery of the Interior Parts of Africa als erste der geographischen Gesellschaften. Sie überlebte Sir John nicht, der 1820 starb. Die Lücke wurde von der 1830 neu gegründeten Royal Geographic Society gefüllt, die National Geographic Society entstand erst zwei Generationen später in den USA, ihre Mitgliederzeitschrift ist heute an jedem Kiosk zu haben.
Mit der Gründung der geographischen Gesellschaften geriet das vernünftige Abenteuer vollends in wissenschaftlich geordnete Bahnen: Kriterien und Maßstäbe wurden entwickelt, Expeditionen dementsprechend finanziert, Publikationen in den angesehenen Fachorganen bedurften der Zustimmung etablierter Wissenschaftler, denn »400 Jahre Forschungsreisen und systematische Beobachtung haben eine Geschichte der Natur hervorgebracht, die eindeutig auf der Tradition des Reisens fußt und viele Motive des Reisens enthält.« 1)
Im 18. Jahrhundert bestimmten Reiseberichte den Buchmarkt. Sie befanden sich in einem Dilemma: Einerseits wollte das Publikum »Unerhörtes«, andererseits bestand es auf Glaubwürdigkeit. So entstanden vielfach Reisesammlungen, die die Berichte der Reisenden entmythologisierten und die subjektiven Erlebnisse (Adventures) von den Fakten (Statistik) trennten. In dieser Zeit entwickelt sich der Reisebericht qualitativ und quantitativ stärker denn je.
1830 wird die erste Eisenbahn gebaut, 1841 führt Thomas Cook
die erste Pauschalreise durch, fast gleichzeitig erscheinen mit dem Murray und dem Baedeker die ersten modernen Reiseführer. Sternchen kennzeichnen das „Muss“, das es am Ziel zu entdecken gibt. Der Tourist als doppelt geführter Reisender folgt den einfachen Wegen der Geleise und den Anweisungen des Reiseführers. In der Gestalt des Touristen hat sich das Nacherleben von den Reiseberichten gelöst, im geschlossenen System von Waggon, Fahrplan und Gleis werden Reiseabschnitte zum industrialisierten Fertigprodukt, in der Form des Reiseführers finden sich die Resultate jener Fragebögen aus dem 18. Jahrhundert gespeichert und mühelos nachvollziehbar.
Am unrühmlichen Ende steht König Leopolds Internationale Afrika-Gesellschaft und das Herz der Finsternis. Er kann beanspruchen, die Gesetzmäßigkeit zwischen Entdecken und Aneignen nicht nur verstanden, sondern systematisch praktiziert zu haben. Livingstones Durchquerung von Afrika, sein Bericht darüber, die Gründung besagter Gesellschaft, die wirtschaftliche Ausbeutung der Kongoregion und die Ermordung vermutlich von vielen Millionen Kongolesen gingen Hand in Hand 2).
Zuletzt blieben die kalten und öden Pole. Dort war nichts zu holen außer Ruhm, also rief England zur Eroberung auf und verkündete das „Heroische Zeitalter“ (1900-1914). Es endete mit der * Shackleton-Expedition und dem Ersten Weltkrieg.
Nach zwei Weltkriegen begann das Hedonistische Zeitalter des Tourismus, der seine Truppen aussandte auf der Suche nach Erholung und Erlebnis. Findet sich in der konfektionierten Pauschalreise der zum vernünftigen Abenteurer passende Kult? Der Jahresurlaub als rituelles Fest? Werden die Archäologen künftiger Zeiten die Bettenburgen richtig deuten als Kultstätten? Huldigen Souvenirs und Diaabende dem Erfolg, den die Abenteurer in ihren Sammlungen aus der Ferne mitbrachten?
Daniel B. Baker
(Hg.)Driver, Felix
David Livingstone
and the exploration of AfricaWinwood Reade
Henry Morton Stanley
and his criticsMichael T. Ghiselin
, Alan E. Leviton
Alessandro Faraggiana
, Ugo Ferrandi
, and the birth of the Museum of NovaraErnst Haeckel
and the genealogy of scientific travel mystiqueGeorge Gaylord Simpson
Hofmann, Thomas
Pillewizer
etwas?“ Worüber sich Archivare freuenHecklers
tragischem TodAmi Boué
: Hamburger mit Wiener Standbein „Besonders merkwürdige Ereignisse“Emil Tietze
in der persischen ZwickmühleRuttner
als KrisenmanagerJulius Payer
Hans Graf Wilczek
der generöse MäzenOtto Krisch
Nansen
im Wiener RathausAmundsens
und Shackletons
Wiener VortragsabendePiccard
Obergurgl 1931 weltweit bekannt machtePiccard
in den ZeitungenMatthies, Volker
Paolo Novaresio
(Text)Heinrich Pleticha, Hermann Schreiber
Arved Fuchs
erhält einen Eintrag, Sir Vivian Fuchs
nicht, auch nicht Hillary
als Everest-Erstbesteiger oder Juri Gagarin
als erster Mensch im Weltraum. Wollte man sie alle aufnehmen, erhielte man die seit 1978 erscheinende »Enzyklopädie der Entdecker und Erforscher der Erde« (Graz), die bei 2500 Seiten und dem Buchstaben Q angelangt ist. Was ich jedoch schmerzhaft vermisse, sind Zusammenhänge, Motive, Chronologien sowie ein Hinweis auf die wichtigsten Originalpublikationen dieser Entdecker jeweils unter ihrem Eintrag.Alexandr Podosinov
Zimmermann, Christian v.
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