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Schlitten
Der Schlitten, althochdeutsch slito ‚Gleiter‘ 1), hat seinen Namen im germanischen Sprachraum überall von seiner ihm eigentümlichen Bewegungsform, dem gleitenden Schleifen, Schliddern auf einem schmierigen, schlüpfrigen, schleimigen Untergrund: nicht nur Eis und Schnee, sondern auch Lehm, feuchten Wiesen und Sand. Sein wesentliches Merkmal sind die Kufen; diese mindern den Reibungsverlust und ermöglichen dem Fahrzeug zu spuren und eine Richtung zu halten.
Schlitten, Kahn und Boot
In den skaninavischen Sprachen heißt der Schlitten auch kane, kana 2), wörtlich eine schwimmende Schale, davon leitet sich auch das deutsche Kahn ab, also ein flachbodiges Wasserfahrzeug für geringe Tiefen, das sich ebenso staken wie ziehen lässt. Steht ein solcher Kahn auf zwei Kufen, ergibt dies den parallelkufigen Flachschlitten.
Pulka (= Akja , Akzia) heißt der bootförmige Schlitten der Lappen, der nur eine mittige Kufe hat, eigentlich also einen Kiel. Ethymologisch findet sich ein Hinweis im Sinne von `ausgehöhlter Baumstamm´ 3), also einen Einbaum als Wasserfahrzeug.
Auch das Russische verbindet Schlitten (kreni) mit Boot und Kiel (krenit', krenju „ein Boot auf die Seite legen“, kren' „Schiffskiel“) 4).
Kufen, Kiefer und Knochen
Vermutlich wurde der Schlitten an mehreren entwickelt, in Ägypten ebenso wie im nördlichen Europa, in den Bergen oder in Sibirien.
Auf Letzteres deutet der slavische Begriff sani `Schlitten´, da er in vielen finno-ugrisch-slavischen Sprachen verbreitet ist 5). Es wird unsicher gedeutet über litauisch sonas `Seite des Leibes, Rippe´ und könnte dann ein Hinweis sein auf die Nutzung von Mammutrippen als Kufen, denn auch das `kjelke´ in den nordischen Sprachen hat die Doppelbedeutung von `Kiefer, Schlitten´ und deutet auf die Nutzung von Walkieferknochen als Kufen; das sehr alte `Kufe´ könnte ebenfalls mit Kiefer verwandt sein 6). Es führt zurück auf indogermanisches ĝegh-, ĝogh-, also `Ast, Pfahl, Busch´.
7)
Im slavischen Raum ist der Schlitten Teil des (altrussischen) Bestattungsrituals 8), was möglicherweise auf die Nutzung des ausgehöhlten Baumstammes als Sarg verweist 9) und sich so mit dem alten nordischen Brauch, Tote im Boot zu verbrennen oder zu begraben, verbindet.
Spekulativ sind die technikgeschichtlichen Beziehungen zwischen Astschleife, Schlitten und Wagen; die technische Komplexität nimmt in dieser Reihenfolge zu, die Ansprüche an den Untergrund steigen, die Nutzungsmöglichkeiten verändern sich und konkurrieren mit dem Einsatz von Zugtieren und Lasttieren.
Sprache | Begriff 1 | Begriff 2 |
---|---|---|
Deutsch | Schlitten | |
Dänisch | slæde | kælk |
Englisch | sledge | luge |
Niederländisch | slee | |
Isländisch | sleði | kjálki |
Norwegisch | slede, slegge | kjelke, pulk |
Schwedisch | släde | kälke, pulka |
Estnisch | kelk | |
Italienisch | slitta, slittino | |
Französisch | traîneau, luge | |
Okzitanisch | rebalàs | |
Portugiesisch | trenó | |
Spanisch | trineo | |
Rumänisch | sanie | |
Kroatisch | sanjke | |
Polnisch | sanie | |
Russisch | санки | тачка |
Tschechisch | sáně | bourák |
Ukrainisch | санки | |
Finnisch | reki | |
Griechisch | έλκηθρο | |
Türkisch | kızak |
Das Russische ist besonders reich an Ausdrücken für Schlitten 10), beispielsweise:
- Roswál, ein Schlitten mit Kufen aus gespaltener Eiche
- Kibitke, ein halb verdeckter Schlitten
- Kreszla, ein langer Korb auf Kufen, meist ein Bauernschlitten
- Tarantás, таранта́с, ein bedeckter Wagen auf langen Tragbäumen. Ungefedert, im Winter wurden die Räder durch Kufen ersetzt.
Literatur
Johann Georg Krünitz
Ökonomisch-technologische Encyklopädie …
Teil 146 Schleusenbauanschlag bis Schmid
Pauli, Berlin 1827, 747 Seiten
Schlitten S. 62 - 75
Mainberger, Martin
Sommerschlitten, Ackerrutschen, Pflugschleifen: Rezente radlose Transportfahrzeuge und die „Schleife“ von Reute-Schorrenried.
p. 83-92 in: Schleife, Schlitten, Rad und Wagen
Zur Frage früher Transportmittel nördlich der Alpen
Rundgespräch Hemmenhofen 10.10.2001
Freiburg i. Br. : Janus-Verlag, 2002
H. S. Falk, Alf Torp
Norwegisch-dänisches ethymologisches Wörterbuch, C. Winter 1911
http://runeberg.org/svetym/0383.html
Generalstabens litografiska anstalts förlag, Stockholm 1938, S. 20
Jürgen Udolph
„Handel“ und„ Verkehr“ in slavischen Ortsnamen
in: Untersuchungen zu Handel und Verkehr der vor- und frühgeschichtlichen Zeit in Mittel- und Nordeuropa Teil IV Der Handel der Karolinger-und Wikingerzeit, Göttingen 1987, S. 582
Kulturhistorische Zeitschrift für Sprach- und Sachforschung, W. Foy
DOI:https://doi.org/10.1515/if-1910-01200 C. Winter, Band 1, 1910, S. 183 ff zu den Zusammenhängen in den finno-ugrisch-slavischen Sprachen.
Felix Haase
Volksglaube und Brauchtum der Ostslaven
Georg Olms Verlag, 1939, u.a. S. 309, 383 Fußnote 2
D. N. ANUTSCHIN
Schlitten, Schiffe und Pferde als Attribute der Leichenbestattung
Archäologisch-ethnographische Studie. Separatabdruck aus dem XIV Th. der «Drewnosti». Moskou, Gerbek. 1890. [Russisch]
Fedir Vovk
Le traîneau dans les rites funéraires de l'Ukraine
E. Lechevalier, Paris, 1896, 24 p. (extrait de la Revue des traditions populaires)
O. Schrader
Reallexikon der germanischen Altertumskunde
Bd. 2 de Gruyter, Berlin 1929; S. 321 `Schlitten´; S. 281 `Sarg´ §9 - Umfassend ethymologisch diskutiert, auch in Verbindung mit bewegen und Wagen.
Carl Sallmann
Lexikalische Beiträge zur deutschen Mundart in Estland
Dissertation, Grumbach, Jena/Leipzig 1877