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wiki:flucht

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wiki:flucht [2023/04/07 06:36] norbertwiki:flucht [2024/05/02 03:08] (aktuell) norbert
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 ====== Flucht: Reisen in Zeiten der Not und Gefahr  ====== ====== Flucht: Reisen in Zeiten der Not und Gefahr  ======
 ===== Das unerträgliche Gefühl des Eingesperrt-Seins ===== ===== Das unerträgliche Gefühl des Eingesperrt-Seins =====
-von ''Norbert Lüdtke''\\ + 
 +von ''[[wiki:norbert_luedtke|Norbert Lüdtke]]''\\ 
 erschienen erstmals 1995 als Teil 4 in der Artikelreihe //[[wiki:geschichten_des_individuellen_reisens|Geschichten des Individuellen Reisens]]// im TROTTER 78 (Deutsche Zentrale für Globetrotter e.V. DZG) sowie 1999 im //Archiv zur Geschichte des Individuellen Reisens// AGIR  erschienen erstmals 1995 als Teil 4 in der Artikelreihe //[[wiki:geschichten_des_individuellen_reisens|Geschichten des Individuellen Reisens]]// im TROTTER 78 (Deutsche Zentrale für Globetrotter e.V. DZG) sowie 1999 im //Archiv zur Geschichte des Individuellen Reisens// AGIR 
  
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 ===== 1 Vorbemerkung ===== ===== 1 Vorbemerkung =====
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 Während langer Zeiten im [[wiki:reisegenerationen#20. Jahrhundert|20. Jahrhundert]] war das Reisen oft undenkbar. [[wiki:unterwegs-sein|Unterwegs]] waren dann meist Flüchtlinge, Gestrandete, Heimatlose, Soldaten. Wie erging es Reisenden, die im fremden Land vom Krieg überrascht wurden? Gab es freiwillig Reisende in den Kriegsjahren? Wie „reiste“ man auf der Flucht?\\  Während langer Zeiten im [[wiki:reisegenerationen#20. Jahrhundert|20. Jahrhundert]] war das Reisen oft undenkbar. [[wiki:unterwegs-sein|Unterwegs]] waren dann meist Flüchtlinge, Gestrandete, Heimatlose, Soldaten. Wie erging es Reisenden, die im fremden Land vom Krieg überrascht wurden? Gab es freiwillig Reisende in den Kriegsjahren? Wie „reiste“ man auf der Flucht?\\ 
 Die wohl berühmteste Flucht des 20. Jahrhunderts ist im ersten Kapitel beschrieben: Einzigartig ist, daß gleich fünf der sieben Flüchtenden ein Buch über ihre Erfahrungen geschrieben haben: ''Heinrich Harrer'', ''Peter Aufschnaiter'', ''Rolf Magener'', ''Friedel Sattler'' und ''Hans Kopp''.\\  Die wohl berühmteste Flucht des 20. Jahrhunderts ist im ersten Kapitel beschrieben: Einzigartig ist, daß gleich fünf der sieben Flüchtenden ein Buch über ihre Erfahrungen geschrieben haben: ''Heinrich Harrer'', ''Peter Aufschnaiter'', ''Rolf Magener'', ''Friedel Sattler'' und ''Hans Kopp''.\\ 
 Im zweiten Kapitel folgen Einzelerfahrungen mit Krieg, Putsch, Internierung, dem Überleben in fremden Ländern und Möglichkeiten zur [[wiki:Heimkehr|Heimkehr]], basierend auf Reiseberichten des Engländers ''Chatwin'', der Polen ''Rawitsch'' und ''Ossendowski'', der Österreicher ''Fruhmann'', ''Aufschnaiter'', ''Harrer'' und ''Kolb'', des Schweizers ''Meiss-Teuffen'' sowie einiger Deutscher.\\  Im zweiten Kapitel folgen Einzelerfahrungen mit Krieg, Putsch, Internierung, dem Überleben in fremden Ländern und Möglichkeiten zur [[wiki:Heimkehr|Heimkehr]], basierend auf Reiseberichten des Engländers ''Chatwin'', der Polen ''Rawitsch'' und ''Ossendowski'', der Österreicher ''Fruhmann'', ''Aufschnaiter'', ''Harrer'' und ''Kolb'', des Schweizers ''Meiss-Teuffen'' sowie einiger Deutscher.\\ 
 Die einzige mir bekannte, freiwillige Reise während eines Weltkrieges wurde von ''Hans von Meiss-Teuffen'' unternommen und ist Gegenstand eines eigenen Kapitels. Die einzige mir bekannte, freiwillige Reise während eines Weltkrieges wurde von ''Hans von Meiss-Teuffen'' unternommen und ist Gegenstand eines eigenen Kapitels.
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 ===== 2 Die Flucht aus Dehra-Dun ===== ===== 2 Die Flucht aus Dehra-Dun =====
-//„Drei Jahre waren seit meiner Internierung vergangen, und die Erinnerung an die Außenwelt verblaßte allmählich. Man fühlte sich verlassen von aller Welt. ... Hitze, Staub, Nichtstun und Stacheldraht - diese Dinge werfen auch den Stärksten um. ...Ich hatte mit Fritz Häußer am Tage eine jener verrückten Bergtouren unternommen, die eigentlich nur den Zweck hatten, uns müde zu machen. ... Kletterpartien und Märsche bis zu sechzig Kilometer innerhalb der erlaubten Ausgangsstunden, Arbeit und Sport bis zur Erschöpfung - das waren die Mittel, die wir anwandten, um vergessen zu können. Freilich, viele fanden nicht die Kraft zu einer solchen Pferdekur. Sie lungerten Tag und Nacht herum, rührten keine Hand und schimpften auf Gott und die Welt. Ihnen erging es am schlimmsten. Einer nach dem anderen kippte um. Krankheit überfiel ihren widerstandslosen Körper, oder aber ihr Geist verwirrte sich. Erst vor drei Tagen hatte sich einer am Ausgangstor eingefunden. Er war in dem Wahn, der Krieg sei aus, hatte seine Koffer gepackt und versuchte nun dem erstaunten Posten verständlich zu machen, daß er nach Hause wollte ...“// ((Sattler, Flucht durch den Himalaja ... , 9-10))+ 
 +//„Drei Jahre waren seit meiner Internierung vergangen, und die Erinnerung an die Außenwelt verblaßte allmählich. Man fühlte sich verlassen von aller Welt. ... Hitze, Staub, Nichtstun und Stacheldraht - diese Dinge werfen auch den Stärksten um. ...Ich hatte mit ''Fritz Häußer'' am Tage eine jener verrückten Bergtouren unternommen, die eigentlich nur den Zweck hatten, uns müde zu machen. ... Kletterpartien und Märsche bis zu sechzig Kilometer innerhalb der erlaubten Ausgangsstunden, Arbeit und Sport bis zur Erschöpfung - das waren die Mittel, die wir anwandten, um vergessen zu können. Freilich, viele fanden nicht die Kraft zu einer solchen Pferdekur. Sie lungerten Tag und Nacht herum, rührten keine Hand und schimpften auf Gott und die Welt. Ihnen erging es am schlimmsten. Einer nach dem anderen kippte um. Krankheit überfiel ihren widerstandslosen Körper, oder aber ihr Geist verwirrte sich. Erst vor drei Tagen hatte sich einer am Ausgangstor eingefunden. Er war in dem Wahn, der Krieg sei aus, hatte seine Koffer gepackt und versuchte nun dem erstaunten Posten verständlich zu machen, daß er nach Hause wollte ...“// ((Sattler, Flucht durch den Himalaja ... , 9-10)) 
 Das britische Internierungslager //Dehra-Dun// im Norden Indiens, in der Nähe von //Mussorie//, war während des Zweiten Weltkriegs Sammelplatz aller Internierten zwischen dem Irak und Hongkong. Etwa anderthalbtausend Deutsche - Zivilisten, Reisende, Auslandsdeutsche - waren dort interniert und bildeten die Mehrheit neben etwa 500 Italienern, Bulgaren, Ungarn, Rumänen und Finnen. Etliche versuchten zu fliehen, doch von den etwa siebzig bekannten Ausbruchsversuchen während des Ersten und Zweiten Weltkrieges gelangen nur sehr wenige. Das britische Internierungslager //Dehra-Dun// im Norden Indiens, in der Nähe von //Mussorie//, war während des Zweiten Weltkriegs Sammelplatz aller Internierten zwischen dem Irak und Hongkong. Etwa anderthalbtausend Deutsche - Zivilisten, Reisende, Auslandsdeutsche - waren dort interniert und bildeten die Mehrheit neben etwa 500 Italienern, Bulgaren, Ungarn, Rumänen und Finnen. Etliche versuchten zu fliehen, doch von den etwa siebzig bekannten Ausbruchsversuchen während des Ersten und Zweiten Weltkrieges gelangen nur sehr wenige.
  
 ==== Warum flüchten? ====  ==== Warum flüchten? ==== 
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 ''Sattler'' findet das Lager gut geführt und mit zahlreichen Annehmlichkeiten ausgestattet. Auch Kopp lobt das Lager, die Offiziere behandelten sie gut und menschlich, die Verpflegung war großartig, Schneiderei, Bügelei, Wäscherei und Schuhmacherwerkstatt standen zur Verfügung; ein Orchester spielte auf, Theater wurde gegeben, Filme gezeigt, die verschiedensten Sportarten waren möglich. Deutsche Tropenärzte leiteten ein Hospital und ein Zahnlabor. // „Wir durften zweimal in der Woche [[wiki:spaziergang|Spaziergänge]] außerhalb des Lagers machen, hatten Unterhaltung und Sport. Zweimal wöchentlich spielte ein für uns gebautes und eingerichtetes Kino. Es gab eine große Bibliothek, die Bücher in fast allen Sprachen der Welt umfaßte. Eine Schule, Vorträge aller Art, Theater, Arbeitsräume für jeden nur erdenklichen Handwerksberuf - kurzum, wir hatten alles, was ein zivilisierter Europäer zu seiner Zufriedenheit braucht.“// ((Sattler, Flucht durch den Himalaja ... , 12))  ''Sattler'' findet das Lager gut geführt und mit zahlreichen Annehmlichkeiten ausgestattet. Auch Kopp lobt das Lager, die Offiziere behandelten sie gut und menschlich, die Verpflegung war großartig, Schneiderei, Bügelei, Wäscherei und Schuhmacherwerkstatt standen zur Verfügung; ein Orchester spielte auf, Theater wurde gegeben, Filme gezeigt, die verschiedensten Sportarten waren möglich. Deutsche Tropenärzte leiteten ein Hospital und ein Zahnlabor. // „Wir durften zweimal in der Woche [[wiki:spaziergang|Spaziergänge]] außerhalb des Lagers machen, hatten Unterhaltung und Sport. Zweimal wöchentlich spielte ein für uns gebautes und eingerichtetes Kino. Es gab eine große Bibliothek, die Bücher in fast allen Sprachen der Welt umfaßte. Eine Schule, Vorträge aller Art, Theater, Arbeitsräume für jeden nur erdenklichen Handwerksberuf - kurzum, wir hatten alles, was ein zivilisierter Europäer zu seiner Zufriedenheit braucht.“// ((Sattler, Flucht durch den Himalaja ... , 12)) 
 Weswegen also fliehen? Der Drang zur [[wiki:freiheit|Freiheit]], [[wiki:abenteuer|Abenteuerlust]], das intellektuelle Vergnügen, gesetzte Schranken zumindest geistig zu überwinden, der Glaube an eine offene Zukunft - viele Motive waren möglich, jenseits praktischer Erwägungen:  //„Wenn ich mich trotzdem mit Fluchtgedanken trug, so bedarf das keiner näheren Erläuterung: jeder, der einmal längere Zeit hinter Stacheldraht lebte, wird das verstehen. Das unerträgliche Gefühl des Eingesperrt-Seins, des nutzlosen Ausharrens in einer klimatisch so ungünstigen Zone und auch ein Körnchen Abenteuerlust waren die wichtigsten Beweggründe für meinen Plan...“// ((Sattler, Flucht durch den Himalaja ... , 12))  Weswegen also fliehen? Der Drang zur [[wiki:freiheit|Freiheit]], [[wiki:abenteuer|Abenteuerlust]], das intellektuelle Vergnügen, gesetzte Schranken zumindest geistig zu überwinden, der Glaube an eine offene Zukunft - viele Motive waren möglich, jenseits praktischer Erwägungen:  //„Wenn ich mich trotzdem mit Fluchtgedanken trug, so bedarf das keiner näheren Erläuterung: jeder, der einmal längere Zeit hinter Stacheldraht lebte, wird das verstehen. Das unerträgliche Gefühl des Eingesperrt-Seins, des nutzlosen Ausharrens in einer klimatisch so ungünstigen Zone und auch ein Körnchen Abenteuerlust waren die wichtigsten Beweggründe für meinen Plan...“// ((Sattler, Flucht durch den Himalaja ... , 12)) 
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 Auch für ''Hans Kopp'' war die Sache klar: // „Von jeher galt mir Freiheit als das Höchste. Schon als Kind begriff ich etwas von ihrem unschätzbarem Wert und fühlte mich nur dort wohl, wo ich meine eigenen Wege gehen und tun und lassen konnte, was ich wollte. Jedem Zwang verschloß ich mich oder suchte ihm zu entrinnen. Soweit ich zurückdenken kann, beseelten mich Abenteuerlust und eine unbändige Sehnsucht nach Unabhängigkeit, Wesenszüge, die denn auch mein ganzes bisheriges Leben mitbestimmten.“// ((Kopp, Sechsmal über den Himalaya, 5)) Auch für ''Hans Kopp'' war die Sache klar: // „Von jeher galt mir Freiheit als das Höchste. Schon als Kind begriff ich etwas von ihrem unschätzbarem Wert und fühlte mich nur dort wohl, wo ich meine eigenen Wege gehen und tun und lassen konnte, was ich wollte. Jedem Zwang verschloß ich mich oder suchte ihm zu entrinnen. Soweit ich zurückdenken kann, beseelten mich Abenteuerlust und eine unbändige Sehnsucht nach Unabhängigkeit, Wesenszüge, die denn auch mein ganzes bisheriges Leben mitbestimmten.“// ((Kopp, Sechsmal über den Himalaya, 5))
  
 ==== Frei - aber in Indien gefangen? ====  ==== Frei - aber in Indien gefangen? ==== 
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 April oder Mai eines jeden Jahres waren besonders günstig für einen Ausbruch. Doch auch jenseits des Stacheldrahtzauns war man nicht frei: Sichere Freiheit gab es erst außerhalb des von Engländern kontrollierten Indiens, und dessen Grenzen zu überschreiten war nicht einfach: Auf zwei von drei Seiten vom Ozean umgeben, boten sich nur wenige Fluchtziele. Da war Goa, eine portugiesische Kolonie südlich von Bombay, aber Goa war eine Sackgasse - man konnte es nur mit dem Schiff verlassen. Alle Häfen rund um den Indischen Ozean wurden von den Engländern kontrolliert, jedes einlaufende Schiff durchsucht. Der Weg nach Afghanistan war durch die Sperrforts am Khyberpass blockiert, außerdem machten aufständische Afridistämme das Gebiet unsicher. Nepal war neutral, lieferte aber Asylsuchende an die Engländer aus. Im Nordwesten lagen Wüsten, im Nordosten Dschungel. So blieb nur Tibet als Fluchtziel und später Burma, als die Japaner dieses Land erobert hatten. Eine Flucht quer durch das dichtbevölkerte Indien erforderte perfekte englische Sprachkenntnisse und reichliche Geldmittel, um nicht aufzufallen. April oder Mai eines jeden Jahres waren besonders günstig für einen Ausbruch. Doch auch jenseits des Stacheldrahtzauns war man nicht frei: Sichere Freiheit gab es erst außerhalb des von Engländern kontrollierten Indiens, und dessen Grenzen zu überschreiten war nicht einfach: Auf zwei von drei Seiten vom Ozean umgeben, boten sich nur wenige Fluchtziele. Da war Goa, eine portugiesische Kolonie südlich von Bombay, aber Goa war eine Sackgasse - man konnte es nur mit dem Schiff verlassen. Alle Häfen rund um den Indischen Ozean wurden von den Engländern kontrolliert, jedes einlaufende Schiff durchsucht. Der Weg nach Afghanistan war durch die Sperrforts am Khyberpass blockiert, außerdem machten aufständische Afridistämme das Gebiet unsicher. Nepal war neutral, lieferte aber Asylsuchende an die Engländer aus. Im Nordwesten lagen Wüsten, im Nordosten Dschungel. So blieb nur Tibet als Fluchtziel und später Burma, als die Japaner dieses Land erobert hatten. Eine Flucht quer durch das dichtbevölkerte Indien erforderte perfekte englische Sprachkenntnisse und reichliche Geldmittel, um nicht aufzufallen.
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 In Indien reisten Europäer mit Dienern und Trägern, so daß ein Europäer, der sein Gepäck selber trug, schnell auffiel. Und so mißlangen die meisten Fluchtversuche früher oder später, ohne daß eine aufwendige Verfolgung nötig war - die Engländer brauchten nur zu warten. Für die meisten Lagerinsassen wogen solche Überlegungen schwer genug, um jeden Gedanken an eine Flucht zu verbannen. Für andere war es dagegen ein Anreiz, sich etwas Neues auszudenken. Doch die meisten der siebzig Fluchtversuche mißlangen:  //„Angesichts dieser eindeutigen Sachlage war selbst der englische Lagerkommandant dazu geneigt, in einem wiederaufgebrachten Ausrücker eher einen lästigen Toren denn einen gefährlichen Verbrecher zu erblicken.“// ((Magener, Die Chance war Null, 8)) In Indien reisten Europäer mit Dienern und Trägern, so daß ein Europäer, der sein Gepäck selber trug, schnell auffiel. Und so mißlangen die meisten Fluchtversuche früher oder später, ohne daß eine aufwendige Verfolgung nötig war - die Engländer brauchten nur zu warten. Für die meisten Lagerinsassen wogen solche Überlegungen schwer genug, um jeden Gedanken an eine Flucht zu verbannen. Für andere war es dagegen ein Anreiz, sich etwas Neues auszudenken. Doch die meisten der siebzig Fluchtversuche mißlangen:  //„Angesichts dieser eindeutigen Sachlage war selbst der englische Lagerkommandant dazu geneigt, in einem wiederaufgebrachten Ausrücker eher einen lästigen Toren denn einen gefährlichen Verbrecher zu erblicken.“// ((Magener, Die Chance war Null, 8))
  
 ==== Vorbereitungen zur Flucht ==== ==== Vorbereitungen zur Flucht ====
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 Geldmangel war ein großes Problem: ''Heins von Have'' hatte wie die anderen die Erfahrung gemacht, daß Geldmangel das Risiko der Flucht erhöht, da man [[wiki:unterwegs-sein|unterwegs]] handeln oder tauschen muß. ((Sattler, Flucht durch den Himalaja ..., 12)) Eine Art Lagergeld war außerhalb des Lagers wertlos. Indische Rupies erhielt man durch den Verkauf von Wertgegenständen an Inder oder durch Betrügereien auf Kosten der Engländer: So manches Schwein wurde an die Lagerküche geliefert, erreichte sie aber nie und wurde dennoch von den Engländern bezahlt. // „Da war zunächst die Beschaffung einer möglichst großen Summe Geldes: Wir beschafften sie uns, indem wir Wein und Schnaps aus Rosinen und Melasse fabrizierten. ...“//  Rupies zu besitzen war verboten, doch immer kursierte eine gewisse Menge im Lager. Wer indische Banknoten besaß, versteckte oder vergrub sie. Oft machten sich dann Ameisen über die Scheine her und ließen kaum etwas übrig. Geldmangel war ein großes Problem: ''Heins von Have'' hatte wie die anderen die Erfahrung gemacht, daß Geldmangel das Risiko der Flucht erhöht, da man [[wiki:unterwegs-sein|unterwegs]] handeln oder tauschen muß. ((Sattler, Flucht durch den Himalaja ..., 12)) Eine Art Lagergeld war außerhalb des Lagers wertlos. Indische Rupies erhielt man durch den Verkauf von Wertgegenständen an Inder oder durch Betrügereien auf Kosten der Engländer: So manches Schwein wurde an die Lagerküche geliefert, erreichte sie aber nie und wurde dennoch von den Engländern bezahlt. // „Da war zunächst die Beschaffung einer möglichst großen Summe Geldes: Wir beschafften sie uns, indem wir Wein und Schnaps aus Rosinen und Melasse fabrizierten. ...“//  Rupies zu besitzen war verboten, doch immer kursierte eine gewisse Menge im Lager. Wer indische Banknoten besaß, versteckte oder vergrub sie. Oft machten sich dann Ameisen über die Scheine her und ließen kaum etwas übrig.
  
 ==== Die Suche nach Gleichgesinnten ==== ==== Die Suche nach Gleichgesinnten ====
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 Die vorsichtige Mehrheit der Lagerinsassen sympathisierte mit der risikobereiten Minderheit und unterstützte deren Ausbruchsversuche. // „Es erquickt nun einmal jeden Gefangenen, wenn ein Leidensgefährte die Fesseln sprengt und durchbrennt. Die Sergeanten machen verdutzte Gesichter, wenn sie beim Durchzählen den Verlust entdecken. Die Wachen werden angeschnauzt und verfallen einem Strafgericht. Der Kommandant rast. ... So eine Flucht bringt eben Abwechslung und Spannung für alle.“// ((Magener, Die Chance war Null, 8))  Andererseits wetteiferten die ausbrechenden Gruppen um den frühesten Fluchtzeitpunkt; jeder hielt seinen Ausbruchszeitpunkt geheim, denn die erste Gruppe hatte die besten Chancen. Vielleicht trug deswegen die Einigung zwischen den Gruppen um Harrer, Kopp, Aufschnaiter und Magener zum Gelingen ihrer Flucht bei. ''Ede Krämer'', der im Vorjahr mit Kopp zusammen ausgebrochen war, erreichte diese Einigung nur unter Druck und auf Drängen Mageners, während sich alle anderen lange dagegen sträubten. Ede Krämer war ein damals in Asien bekannter und erfolgreicher Ringkämpfer, der im Lager die Ringergruppe leitete, zu der auch ''Hans „Hanne“ Kopp'' gehörte. ''Rolf Magener'' beschrieb Ede Krämer:  //„Er besaß eine gewisse Schlüsselstellung im Lager, nicht nur als Anführer der Rabauken, sondern als Mittelpunkt aller unterirdischen Betriebsamkeit. Von ihm liefen die Fäden zur Außenwelt, da Inder und Tommies ihn gleichermaßen bewunderten; von ihm wurden auch die Lagerwerkstätten unsichtbar beherrscht, die geheimen Tips vergeben und manches Unternehmen ausgeheckt. Über die Handwerker erfuhr er frühzeitig von bevorstehenden Ausbrüchen, weil Schuster, Schneider und Schlosser bei der Anfertigung von Fluchtgerät mitwirkten.“// (( Magener, Die Chance war Null, 12)) Die vorsichtige Mehrheit der Lagerinsassen sympathisierte mit der risikobereiten Minderheit und unterstützte deren Ausbruchsversuche. // „Es erquickt nun einmal jeden Gefangenen, wenn ein Leidensgefährte die Fesseln sprengt und durchbrennt. Die Sergeanten machen verdutzte Gesichter, wenn sie beim Durchzählen den Verlust entdecken. Die Wachen werden angeschnauzt und verfallen einem Strafgericht. Der Kommandant rast. ... So eine Flucht bringt eben Abwechslung und Spannung für alle.“// ((Magener, Die Chance war Null, 8))  Andererseits wetteiferten die ausbrechenden Gruppen um den frühesten Fluchtzeitpunkt; jeder hielt seinen Ausbruchszeitpunkt geheim, denn die erste Gruppe hatte die besten Chancen. Vielleicht trug deswegen die Einigung zwischen den Gruppen um Harrer, Kopp, Aufschnaiter und Magener zum Gelingen ihrer Flucht bei. ''Ede Krämer'', der im Vorjahr mit Kopp zusammen ausgebrochen war, erreichte diese Einigung nur unter Druck und auf Drängen Mageners, während sich alle anderen lange dagegen sträubten. Ede Krämer war ein damals in Asien bekannter und erfolgreicher Ringkämpfer, der im Lager die Ringergruppe leitete, zu der auch ''Hans „Hanne“ Kopp'' gehörte. ''Rolf Magener'' beschrieb Ede Krämer:  //„Er besaß eine gewisse Schlüsselstellung im Lager, nicht nur als Anführer der Rabauken, sondern als Mittelpunkt aller unterirdischen Betriebsamkeit. Von ihm liefen die Fäden zur Außenwelt, da Inder und Tommies ihn gleichermaßen bewunderten; von ihm wurden auch die Lagerwerkstätten unsichtbar beherrscht, die geheimen Tips vergeben und manches Unternehmen ausgeheckt. Über die Handwerker erfuhr er frühzeitig von bevorstehenden Ausbrüchen, weil Schuster, Schneider und Schlosser bei der Anfertigung von Fluchtgerät mitwirkten.“// (( Magener, Die Chance war Null, 12))
  
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 ==== Solidarität und Erfolg ==== ==== Solidarität und Erfolg ====
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 Als klar wird, daß ein gemeinsamer Ausbruch für alle Vorteile bietet, plant man die Ausbruchsphase gemeinsam.  //„Ungelöst war noch das Problem des Herauskommens aus dem Lager. Die Flucht während eines [[wiki:spaziergang|Spazierganges]] schalteten wir von vornherein aus. Das hätte einen Parolebruch ((Als „Parole“ wurde eine unterzeichnete Selbstverpflichtung bezeichnet, in der man auf einen Fluchtversuch während eines offiziellen „Lagerurlaubs“ verzichtete.)) bedeutet, und im Falle des Nichtgelingens langjährige Haft oder Zwangsarbeit nach sich gezogen. Zunächst dachten wir daran, in der Nacht zu fliehen. Der Kommandant war für die Bewachung des Lagers nach Sonnenuntergang nicht verantwortlich, nahm daher auch eine nächtliche Flucht nicht besonders tragisch. Floh aber jemand bei Tag, gab es oft monatelang für die Internierten Ausgangsbeschränkungen und andere, fühlbare Vergeltungsmaßnahmen. Ganze Nächte beobachteten wir den Stand der Posten, ihre Gepflogenheiten und Bewegungen, ihre Ablösung und den automatischen Lichtwechsel der Scheinwerferlampen.“// ((Entsprechend der Genfer Konvention drohten jedem Flüchtling nach seiner Ergreifung 28 Tage Einzelhaft. Dieses Risiko ging man ein. Mischte man beim Stuhlgang etwas Tamarindensaft unter, kam man schnell ins Hospital und lag den Rest der Strafe dort ab.)) ((Sattler, Flucht durch den Himalaja ..., 12)) Als klar wird, daß ein gemeinsamer Ausbruch für alle Vorteile bietet, plant man die Ausbruchsphase gemeinsam.  //„Ungelöst war noch das Problem des Herauskommens aus dem Lager. Die Flucht während eines [[wiki:spaziergang|Spazierganges]] schalteten wir von vornherein aus. Das hätte einen Parolebruch ((Als „Parole“ wurde eine unterzeichnete Selbstverpflichtung bezeichnet, in der man auf einen Fluchtversuch während eines offiziellen „Lagerurlaubs“ verzichtete.)) bedeutet, und im Falle des Nichtgelingens langjährige Haft oder Zwangsarbeit nach sich gezogen. Zunächst dachten wir daran, in der Nacht zu fliehen. Der Kommandant war für die Bewachung des Lagers nach Sonnenuntergang nicht verantwortlich, nahm daher auch eine nächtliche Flucht nicht besonders tragisch. Floh aber jemand bei Tag, gab es oft monatelang für die Internierten Ausgangsbeschränkungen und andere, fühlbare Vergeltungsmaßnahmen. Ganze Nächte beobachteten wir den Stand der Posten, ihre Gepflogenheiten und Bewegungen, ihre Ablösung und den automatischen Lichtwechsel der Scheinwerferlampen.“// ((Entsprechend der Genfer Konvention drohten jedem Flüchtling nach seiner Ergreifung 28 Tage Einzelhaft. Dieses Risiko ging man ein. Mischte man beim Stuhlgang etwas Tamarindensaft unter, kam man schnell ins Hospital und lag den Rest der Strafe dort ab.)) ((Sattler, Flucht durch den Himalaja ..., 12))
  
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 ==== Zwei Offiziere und fünf Inder? ====  ==== Zwei Offiziere und fünf Inder? ==== 
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 Während der größten Hitze und der Mittagsruhe, gegen zwei Uhr am 29. April 1944, war es soweit. // „Ein letzter Blick in den Spiegel: Ein Inder, wie er leibt und lebt, sah mich an. Eine zerrissene Pyjamahose, ein schmutziges, ölbeflecktes Hemd, ein vorschriftsmäßig gebundener grau-weißer Turban, die Haut mit einer Permanganlösung ((Kaliumpermanganat, ein kristalliner Feststoff, der sich in Wasser violett löst und die Haut bei Kontakt schon in geringen Mengen für einige Tage tiefbraun färbt.)) braungefärbt, das Weiß der Augen durch Augentropfen bläulich getrübt und ein langer Schnurrbart, in langen Spitzen endend - das war meine vorzügliche Tarnung.“// ((Sattler, Flucht durch den Himalaja ..., 18)) Während der größten Hitze und der Mittagsruhe, gegen zwei Uhr am 29. April 1944, war es soweit. // „Ein letzter Blick in den Spiegel: Ein Inder, wie er leibt und lebt, sah mich an. Eine zerrissene Pyjamahose, ein schmutziges, ölbeflecktes Hemd, ein vorschriftsmäßig gebundener grau-weißer Turban, die Haut mit einer Permanganlösung ((Kaliumpermanganat, ein kristalliner Feststoff, der sich in Wasser violett löst und die Haut bei Kontakt schon in geringen Mengen für einige Tage tiefbraun färbt.)) braungefärbt, das Weiß der Augen durch Augentropfen bläulich getrübt und ein langer Schnurrbart, in langen Spitzen endend - das war meine vorzügliche Tarnung.“// ((Sattler, Flucht durch den Himalaja ..., 18))
  
 Frech durchschritten zwei englische Offiziere mit fünf indischen Kulis das Lagertor, bepackt mit Leiter und Stacheldraht, Pinsel und Teertöpfen, in denen sich Teile des Gepäcks befanden. Niemand hielt sie auf. Kaum außer Sichtweite, entledigten sie sich der Tarnung und spurteten zu ihrem versteckten Gepäck. Harrer, Magener und von Have trennten sich nach kurzer Zeit. Harrer marschierte allein [[wiki:orientierung|Richtung]] Tibet, Rolf Magener und Heins von Have, wollten mit der Bahn zur Burmafront und dann nach Japan. Die vier übrigen wollten gemeinsam nach Tibet: Aufschnaiter (damals bereits über vierzig) und Treipel trailten, dann folgten Kopp und Sattler. Schon auf den ersten Kilometern hatte Sattler Schwierigkeiten, sprach von einem Krampf in den Beinen. // „Trotz meiner vielen Übungsmärsche vom Lager aus fehlten mir Ausdauer und der lange Atem der Bergsteiger.“// ((Sattler, Flucht durch den Himalaja ..., 27))  Kopp war da anderer Meinung:  //„Wie sich dann später herausstellte, war sein Versagen darauf zurückzuführen, daß er nie genügend trainiert hatte. Während wir mit schwer beladenen [[wiki:rucksack|Rucksack]] voll Steinen die Berge hinauf- und hinuntergestiegen waren, um uns zu üben, hatte er, an einem Lagerfeuer im Tal sitzend, unseren Anstrengungen zugeschaut.“// ((Kopp, Sechsmal über den Himalaya, 102)) Frech durchschritten zwei englische Offiziere mit fünf indischen Kulis das Lagertor, bepackt mit Leiter und Stacheldraht, Pinsel und Teertöpfen, in denen sich Teile des Gepäcks befanden. Niemand hielt sie auf. Kaum außer Sichtweite, entledigten sie sich der Tarnung und spurteten zu ihrem versteckten Gepäck. Harrer, Magener und von Have trennten sich nach kurzer Zeit. Harrer marschierte allein [[wiki:orientierung|Richtung]] Tibet, Rolf Magener und Heins von Have, wollten mit der Bahn zur Burmafront und dann nach Japan. Die vier übrigen wollten gemeinsam nach Tibet: Aufschnaiter (damals bereits über vierzig) und Treipel trailten, dann folgten Kopp und Sattler. Schon auf den ersten Kilometern hatte Sattler Schwierigkeiten, sprach von einem Krampf in den Beinen. // „Trotz meiner vielen Übungsmärsche vom Lager aus fehlten mir Ausdauer und der lange Atem der Bergsteiger.“// ((Sattler, Flucht durch den Himalaja ..., 27))  Kopp war da anderer Meinung:  //„Wie sich dann später herausstellte, war sein Versagen darauf zurückzuführen, daß er nie genügend trainiert hatte. Während wir mit schwer beladenen [[wiki:rucksack|Rucksack]] voll Steinen die Berge hinauf- und hinuntergestiegen waren, um uns zu üben, hatte er, an einem Lagerfeuer im Tal sitzend, unseren Anstrengungen zugeschaut.“// ((Kopp, Sechsmal über den Himalaya, 102))
  
-Sie marschierten nur nachts. In zwei Wochen sollte der Weg zur tibetischen Grenze zurückgelegt werden, der [[wiki:proviant|Proviant]] war genau eingeteilt. Tags wurden [[wiki:ausruestung|Ausrüstung]], Schuhe und Kleidung repariert und verbessert oder es wurde geschlafen, immer in der Angst, entdeckt zu werden. Die nächtlichen Märsche boten genug Gefahren: Begegnungen mit Bären, die Entdeckung, daß man sein Lager neben dem Loch einer Kobra aufgeschlagen hat, Stürze im Dunkeln an gefährlichen Hängen, Schluchtüberquerungen an einem Drahtseil hängend, das Durchwaten von Bächen auf glitschigen Felsen - alles im Dunkeln.+Sie marschierten nur nachts. In zwei Wochen sollte der Weg zur tibetischen Grenze zurückgelegt werden, der [[wiki:proviant|Proviant]] war genau eingeteilt. Tags wurden [[wiki:ausruestung|Ausrüstung]], Schuhe und [[wiki:reisekleidung|Kleidung]] repariert und verbessert oder es wurde geschlafen, immer in der Angst, entdeckt zu werden. Die nächtlichen Märsche boten genug Gefahren: Begegnungen mit Bären, die Entdeckung, daß man sein Lager neben dem Loch einer Kobra aufgeschlagen hat, Stürze im Dunkeln an gefährlichen Hängen, Schluchtüberquerungen an einem Drahtseil hängend, das Durchwaten von Bächen auf glitschigen Felsen - alles im Dunkeln.
  
 Dörfer wurden heimlich durchquert: // „Lange vorher lagen wir auf der Lauer und warteten ab, bis der letzte Schein eines Feuers oder einer Laterne verlosch. Bei solchen Gelegenheiten tauschten wir unsere benagelten Bergschuhe gegen leichte Turnschuhe aus und versäumten nie, vorher unsere Feldflaschen zu entleeren, um zu vermeiden, daß das Glucksen des Wassers einen Dorfbewohner aufweckte.“// ((Sattler, Flucht durch den Himalaja ..., 28)) Dörfer wurden heimlich durchquert: // „Lange vorher lagen wir auf der Lauer und warteten ab, bis der letzte Schein eines Feuers oder einer Laterne verlosch. Bei solchen Gelegenheiten tauschten wir unsere benagelten Bergschuhe gegen leichte Turnschuhe aus und versäumten nie, vorher unsere Feldflaschen zu entleeren, um zu vermeiden, daß das Glucksen des Wassers einen Dorfbewohner aufweckte.“// ((Sattler, Flucht durch den Himalaja ..., 28))
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 ==== Sattlers Rückkehr ==== ==== Sattlers Rückkehr ====
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 Sattlers Zustand verschlechterte sich, etwa eine Woche hielt er mühsam mit, war immer der Letzte. In Nelang (3410 m) bleibt er schließlich zurück. Er hat Dysenterie und leidet zunehmend an der Höhenkrankheit. Er verbarg seine Krankheit, so gut es ging, dann kümmerte sich Aufschnaiter um ihn. Fünf Tage lagerten sie dort, doch Sattler entschloß sich zur Umkehr, überließ sein Zelt, einen Teil seines Geldes und überflüssige Ausrüstung den Freunden. Kopp schilderte die Stimmung:  //„Die Gesichter waren verdrießlich und es schien, als ob der `Deserteur´ die anderen angesteckt habe.“// ((Kopp, Sechsmal über den Himalaya, 110)) und //„Sein Ausscheiden war zu verschmerzen, aber da er sein Geld wieder zurückbekommen mußte, gab das ein empfindliches Loch in unserer gemeinsamen Kasse.“// ((Kopp, Sechsmal über den Himalaya, 113)) Harrer berichtete: //„Sattler bekam leider einen Anfall von Bergkrankheit, er fühlte sich elend und den Strapazen nicht mehr gewachsen. Er entschloß sich zur Rückkehr, versprach aber, sich erst nach zwei Tagen zu melden, um uns nicht zu gefährden.“// ((Harrer, Sieben Jahre in Tibet, 19)) Sattlers Zustand verschlechterte sich, etwa eine Woche hielt er mühsam mit, war immer der Letzte. In Nelang (3410 m) bleibt er schließlich zurück. Er hat Dysenterie und leidet zunehmend an der Höhenkrankheit. Er verbarg seine Krankheit, so gut es ging, dann kümmerte sich Aufschnaiter um ihn. Fünf Tage lagerten sie dort, doch Sattler entschloß sich zur Umkehr, überließ sein Zelt, einen Teil seines Geldes und überflüssige Ausrüstung den Freunden. Kopp schilderte die Stimmung:  //„Die Gesichter waren verdrießlich und es schien, als ob der `Deserteur´ die anderen angesteckt habe.“// ((Kopp, Sechsmal über den Himalaya, 110)) und //„Sein Ausscheiden war zu verschmerzen, aber da er sein Geld wieder zurückbekommen mußte, gab das ein empfindliches Loch in unserer gemeinsamen Kasse.“// ((Kopp, Sechsmal über den Himalaya, 113)) Harrer berichtete: //„Sattler bekam leider einen Anfall von Bergkrankheit, er fühlte sich elend und den Strapazen nicht mehr gewachsen. Er entschloß sich zur Rückkehr, versprach aber, sich erst nach zwei Tagen zu melden, um uns nicht zu gefährden.“// ((Harrer, Sieben Jahre in Tibet, 19))
  
 ==== In Tibet ==== ==== In Tibet ====
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 Am 17. Mai 1944 erreichten die vier Flüchtenden den Grenzpaß Tsangtschok-La (5030 m). Die tibetischen Bevölkerung reagierte überwiegend mit Nichtbeachtung, Abweisung, Aggression. Man wollte sie nicht im Land haben, ergriff aber auch keine Maßnahmen, sie mit Gewalt abzuschieben. Zu hohen Preisen ((Für vier Pfund Zwiebeln zahlen sie fast zwanzig Mark.)) erhielten sie ranzige Butter und madiges Fleisch und erst, als sie versprachen, sich wieder [[wiki:orientierung|Richtung]] Indien, nach Schangtse zu wenden, stellte ihnen der Gouverneur von Tsaparang vier Tragesel zur Verfügung und läßt sie ziehen:  „Anfangs wunderten wir uns, daß man uns ohne jede Bewachung, nur in Begleitung eines Eselstreibers, wegziehen ließ. Wir kamen aber bald darauf, daß die in Tibet übliche die einfachste Überwachungsmethode der Welt ist, nämlich den Lebensmittelverkauf an Fremde nur gegen einen Erlaubnisschein zu gestatten.“ ((Harrer, Sieben Jahre in Tibet, 23))  So landeten sie am 9. Juni wieder in Indien, diesmal am Schipki-Paß. Treipl sah sein Ziel, Japan, in immer größere Ferne rücken, hatte genug von Tibet und kehrte freiwillig ins Lager zurück. Aufschnaiter begleitete ihn ein Stück und schlug sich dann wieder nach Tibet durch, während Harrer und Kopp gemeinsam durch ein Seitental [[wiki:orientierung|Richtung]]Tibet wanderten. Am 17. Mai 1944 erreichten die vier Flüchtenden den Grenzpaß Tsangtschok-La (5030 m). Die tibetischen Bevölkerung reagierte überwiegend mit Nichtbeachtung, Abweisung, Aggression. Man wollte sie nicht im Land haben, ergriff aber auch keine Maßnahmen, sie mit Gewalt abzuschieben. Zu hohen Preisen ((Für vier Pfund Zwiebeln zahlen sie fast zwanzig Mark.)) erhielten sie ranzige Butter und madiges Fleisch und erst, als sie versprachen, sich wieder [[wiki:orientierung|Richtung]] Indien, nach Schangtse zu wenden, stellte ihnen der Gouverneur von Tsaparang vier Tragesel zur Verfügung und läßt sie ziehen:  „Anfangs wunderten wir uns, daß man uns ohne jede Bewachung, nur in Begleitung eines Eselstreibers, wegziehen ließ. Wir kamen aber bald darauf, daß die in Tibet übliche die einfachste Überwachungsmethode der Welt ist, nämlich den Lebensmittelverkauf an Fremde nur gegen einen Erlaubnisschein zu gestatten.“ ((Harrer, Sieben Jahre in Tibet, 23))  So landeten sie am 9. Juni wieder in Indien, diesmal am Schipki-Paß. Treipl sah sein Ziel, Japan, in immer größere Ferne rücken, hatte genug von Tibet und kehrte freiwillig ins Lager zurück. Aufschnaiter begleitete ihn ein Stück und schlug sich dann wieder nach Tibet durch, während Harrer und Kopp gemeinsam durch ein Seitental [[wiki:orientierung|Richtung]]Tibet wanderten.
  
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 ==== Eine Pille gegen jedes Übel ==== ==== Eine Pille gegen jedes Übel ====
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 Kopp und Krämer gaben sich häufig als Ärzte aus, ebenso wie Harrer und Aufschnaiter ein Jahr später. Zur Legitimation genügte der Anblick der mitgebrachten Medikamente und Instrumente. Das *[[wiki:vertrauen|Vertrauen]] der Bevölkerung ließ sich so rasch gewinnen, viele wollten behandelt werden. Sie erhielten kaum Geld, doch Nahrungsmittel und Unterkunft. // „Besonders ein koloriertes anatomisches Bild des menschlichen Körpers erregte gewaltiges Aufsehen. Um einer Verschwendung unserer kostbaren Medizinen zu steuern, hatten wir uns selbst Mittelchen aus einem Mehlbrei bereitet, dem wir durch Atebrin ((Ein von Bayer 1932 entwickelter und früher gegen Malaria verwendeter Farbstoff.)) und Salz Geschmack und mit Permanganat ((Kaliumpermanganat ist in Kristallen erhältlich und kann in verdünnter Lösung zum Desinfizieren verwendet werden. Schon geringste Mengen färben intensiv violett.)) Farbe verliehen. Diesen schönen Brei rollten wir dünn aus und schnitten daraus Tabletten, die vorsichtig an der Sonne getrocknet wurden. Dann füllten wir unsere Wundertabletten in Original-Bayer-Ampullen, damit auch niemand auf den Gedanken kommen könnte, uns für Schwindler zu halten. ... Da wir kein ausgesprochenes Rheumamittel mit uns führten, kamen wir auf den Gedanken, Butter abzukochen und mit Hilfe einer Tablette Prontosil ((Das erste Sulfonamid, ebenfalls von Bayer 1932 hergestellt und antibakteriell wirksam. Als Farbstoff bewirkt es eine gelbrote Haut- und eine dunkelrote Harnfärbung.)) zu tönen. Die fette Soße gossen wir in eine bunte Leukoplastdose und ließen sie dort erstarren. Mit diesem Balsam massierten wir die schmerzenden Glieder kräftig. Der Erfolg war erstaunlich, denn schon nach einigen Behandlungen mit der Wundersalbe fühlten sich die Patienten bedeutend besser und bezahlten uns gern mit Butter-, Zamba- und Weizengaben.“// ((Kopp, Sechsmal über den Himalaya, 67f)) Kopp und Krämer gaben sich häufig als Ärzte aus, ebenso wie Harrer und Aufschnaiter ein Jahr später. Zur Legitimation genügte der Anblick der mitgebrachten Medikamente und Instrumente. Das *[[wiki:vertrauen|Vertrauen]] der Bevölkerung ließ sich so rasch gewinnen, viele wollten behandelt werden. Sie erhielten kaum Geld, doch Nahrungsmittel und Unterkunft. // „Besonders ein koloriertes anatomisches Bild des menschlichen Körpers erregte gewaltiges Aufsehen. Um einer Verschwendung unserer kostbaren Medizinen zu steuern, hatten wir uns selbst Mittelchen aus einem Mehlbrei bereitet, dem wir durch Atebrin ((Ein von Bayer 1932 entwickelter und früher gegen Malaria verwendeter Farbstoff.)) und Salz Geschmack und mit Permanganat ((Kaliumpermanganat ist in Kristallen erhältlich und kann in verdünnter Lösung zum Desinfizieren verwendet werden. Schon geringste Mengen färben intensiv violett.)) Farbe verliehen. Diesen schönen Brei rollten wir dünn aus und schnitten daraus Tabletten, die vorsichtig an der Sonne getrocknet wurden. Dann füllten wir unsere Wundertabletten in Original-Bayer-Ampullen, damit auch niemand auf den Gedanken kommen könnte, uns für Schwindler zu halten. ... Da wir kein ausgesprochenes Rheumamittel mit uns führten, kamen wir auf den Gedanken, Butter abzukochen und mit Hilfe einer Tablette Prontosil ((Das erste Sulfonamid, ebenfalls von Bayer 1932 hergestellt und antibakteriell wirksam. Als Farbstoff bewirkt es eine gelbrote Haut- und eine dunkelrote Harnfärbung.)) zu tönen. Die fette Soße gossen wir in eine bunte Leukoplastdose und ließen sie dort erstarren. Mit diesem Balsam massierten wir die schmerzenden Glieder kräftig. Der Erfolg war erstaunlich, denn schon nach einigen Behandlungen mit der Wundersalbe fühlten sich die Patienten bedeutend besser und bezahlten uns gern mit Butter-, Zamba- und Weizengaben.“// ((Kopp, Sechsmal über den Himalaya, 67f))
  
 ==== Die Stimmung ist auf dem Nullpunkt ==== ==== Die Stimmung ist auf dem Nullpunkt ====
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 Am 24. Juni trafen Kopp und Harrer in Tibet wieder auf Aufschnaiter, doch während Kopp sich freute, war Harrer mißmutig und wollte zuerst nicht mit Aufschnaiter zusammen weiterziehen. ((Kopp, Sechsmal über den Himalaya, 141)) Harrer dagegen betonte in seinem Buch, daß Aufschnaiter nicht mit ihnen weiterziehen wollte. Und obwohl sich die beiden nicht sehr zugetan sind, werden sie mehrere Jahre mehr oder weniger gemeinsam in Tibet verbringen. Bei Harrer werden Konflikte nicht thematisiert: Wo er im Landschaftlichen schwelgt, beschreibt Kopp Details im Zwischenmenschlichen. Wenn sich Harrer auf ein allgemeines „wir“ zurückzieht, nennt Kopp Namen, legt den Finger auf offene Wunden, auf eigene Unzulänglichkeiten, nennt Disharmonien, Ängste und Mißgeschicke beim Namen. Harrer schönt an diesen Stellen, schweigt oder wird doppeldeutig, überspielt Mißverständnisse und Streit. Während er sagt: //„...Aufschnaiter und Treipel waren etwas zurückgeblieben, Kopp und ich bildeten die Vorhut ...“// ((Harrer, Sieben Jahre in Tibet, 22)), heißt das bei Kopp: // „Leider war es in diesen Tagen dann und wann zu kleinen Mißhelligkeiten gekommen, so daß Harrer, als Aufschnaiter und Treipl am nächsten Morgen mit Kochen und Packen nicht rechtzeitig fertig wurden, sich dafür entschied, nicht länger auf sie zu warten.“// ((Kopp, Sechsmal über den Himalaya, 117)) Am 24. Juni trafen Kopp und Harrer in Tibet wieder auf Aufschnaiter, doch während Kopp sich freute, war Harrer mißmutig und wollte zuerst nicht mit Aufschnaiter zusammen weiterziehen. ((Kopp, Sechsmal über den Himalaya, 141)) Harrer dagegen betonte in seinem Buch, daß Aufschnaiter nicht mit ihnen weiterziehen wollte. Und obwohl sich die beiden nicht sehr zugetan sind, werden sie mehrere Jahre mehr oder weniger gemeinsam in Tibet verbringen. Bei Harrer werden Konflikte nicht thematisiert: Wo er im Landschaftlichen schwelgt, beschreibt Kopp Details im Zwischenmenschlichen. Wenn sich Harrer auf ein allgemeines „wir“ zurückzieht, nennt Kopp Namen, legt den Finger auf offene Wunden, auf eigene Unzulänglichkeiten, nennt Disharmonien, Ängste und Mißgeschicke beim Namen. Harrer schönt an diesen Stellen, schweigt oder wird doppeldeutig, überspielt Mißverständnisse und Streit. Während er sagt: //„...Aufschnaiter und Treipel waren etwas zurückgeblieben, Kopp und ich bildeten die Vorhut ...“// ((Harrer, Sieben Jahre in Tibet, 22)), heißt das bei Kopp: // „Leider war es in diesen Tagen dann und wann zu kleinen Mißhelligkeiten gekommen, so daß Harrer, als Aufschnaiter und Treipl am nächsten Morgen mit Kochen und Packen nicht rechtzeitig fertig wurden, sich dafür entschied, nicht länger auf sie zu warten.“// ((Kopp, Sechsmal über den Himalaya, 117))
  
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 ==== Warten auf die Gunst des Schicksals ==== ==== Warten auf die Gunst des Schicksals ====
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 Das Schreiben gab ihnen immerhin die Erlaubnis, noch bis in den Ort Kyirong zu ziehen, nur acht Kilometer von der nepalischen Grenze entfernt. Das nutzten die beiden aus und blieben zehn Monate in Kyirong: //„Einen guten Teil unserer Zeit und Energie verwendeten wir für die Beschaffung von [[wiki:lebensmittel|Lebensmitteln]] zu optimal ausgehandelten Preisen und fürs Kochen. Ich muß sagen, daß ich eine solche Existenz gar nicht so unbefriedigend fand. Wir überlegten uns manchmal, wie wir hier einige Jahre verbringen könnten. Für jemanden, der in einer voll ausgefüllten Arbeit drinsteckt, wäre ein solches Dasein wahrscheinlich unvorstellbar gewesen und wäre als Abstieg angesehen worden, für uns jedoch war es besser, zumindest in dieser Weise zu existieren, statt über kommende Höllen brütend vor sich hinzustieren.“// ((Brauen, Peter Aufschnaiter. Sein Leben in Tibet, 41)) Das Schreiben gab ihnen immerhin die Erlaubnis, noch bis in den Ort Kyirong zu ziehen, nur acht Kilometer von der nepalischen Grenze entfernt. Das nutzten die beiden aus und blieben zehn Monate in Kyirong: //„Einen guten Teil unserer Zeit und Energie verwendeten wir für die Beschaffung von [[wiki:lebensmittel|Lebensmitteln]] zu optimal ausgehandelten Preisen und fürs Kochen. Ich muß sagen, daß ich eine solche Existenz gar nicht so unbefriedigend fand. Wir überlegten uns manchmal, wie wir hier einige Jahre verbringen könnten. Für jemanden, der in einer voll ausgefüllten Arbeit drinsteckt, wäre ein solches Dasein wahrscheinlich unvorstellbar gewesen und wäre als Abstieg angesehen worden, für uns jedoch war es besser, zumindest in dieser Weise zu existieren, statt über kommende Höllen brütend vor sich hinzustieren.“// ((Brauen, Peter Aufschnaiter. Sein Leben in Tibet, 41))
  
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 ==== Über Nepal zurück ins Lager ==== ==== Über Nepal zurück ins Lager ====
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 Kopp war die Warterei zu lang geworden. Er zog am 22. November 1944 über Mustang nach Nepal. Bis nach Pokhara kam er gut, ab dort erhielt er eine militärische Eskorte und Mitte Dezember erreichte er Kathmandu. Hier waren überall Engländer und trotz der offiziellen Neutralität Nepals wurde seinem Wunsch nach Asyl nicht entsprochen. Das entsprach einer Auslieferung. Am fünften Tag seiner Ankunft in Kathmandu empfingen ihn Maharadscha und Premierminister, bestätigten ihm aber nochmals die Ablehnung seines Asylantrages aus politischen Gründen. Am 25. Dezember wurde er wieder in Dehra-Dun eingeliefert. Im April 1945 wurde er dann zusammen mit allen, die bisher einen Ausbruchsversuch unternommen hatten, strafverlegt in das Lager Deoli, etwa neunzig Kilometer entfernt von Kotta. Alle Vergünstigungen, die es in Dehra-Dun gegeben hatte, fielen weg, eine erneute Flucht erschwert. Ende 1945 wurde das Lager aufgelöst. Kopp war die Warterei zu lang geworden. Er zog am 22. November 1944 über Mustang nach Nepal. Bis nach Pokhara kam er gut, ab dort erhielt er eine militärische Eskorte und Mitte Dezember erreichte er Kathmandu. Hier waren überall Engländer und trotz der offiziellen Neutralität Nepals wurde seinem Wunsch nach Asyl nicht entsprochen. Das entsprach einer Auslieferung. Am fünften Tag seiner Ankunft in Kathmandu empfingen ihn Maharadscha und Premierminister, bestätigten ihm aber nochmals die Ablehnung seines Asylantrages aus politischen Gründen. Am 25. Dezember wurde er wieder in Dehra-Dun eingeliefert. Im April 1945 wurde er dann zusammen mit allen, die bisher einen Ausbruchsversuch unternommen hatten, strafverlegt in das Lager Deoli, etwa neunzig Kilometer entfernt von Kotta. Alle Vergünstigungen, die es in Dehra-Dun gegeben hatte, fielen weg, eine erneute Flucht erschwert. Ende 1945 wurde das Lager aufgelöst.
  
 ==== In Lhasa ==== ==== In Lhasa ====
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 Nach zehn Monaten wurden Harrer und Aufschnaiter in Kyirong zur Weiterreise gedrängt; illegal brachen sie [[wiki:orientierung|Richtung]] Lhasa auf. Sie erreichten Lhasa erst zwei Jahre nach ihrem Ausbruch aus dem Lager. 65 Pässe zwischen 5000 und 6000 Metern Höhe hatten sie in dieser Zeit überquert. Die eigentliche Reise und Flucht war damit abgeschlossen, denn in Tibet verbrachten Aufschnaiter und Harrer die nächsten Jahre und betrachten es als zweite Heimat. Nach zehn Monaten wurden Harrer und Aufschnaiter in Kyirong zur Weiterreise gedrängt; illegal brachen sie [[wiki:orientierung|Richtung]] Lhasa auf. Sie erreichten Lhasa erst zwei Jahre nach ihrem Ausbruch aus dem Lager. 65 Pässe zwischen 5000 und 6000 Metern Höhe hatten sie in dieser Zeit überquert. Die eigentliche Reise und Flucht war damit abgeschlossen, denn in Tibet verbrachten Aufschnaiter und Harrer die nächsten Jahre und betrachten es als zweite Heimat.
  
 ==== Die Flucht nach Burma ==== ==== Die Flucht nach Burma ====
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 ''Magener'' und ''Have'' setzten auf Bluff und Menschenkenntnis statt auf Kondition und Ausdauer. Sie wollten, nachdem sich die ersten Aufregungen infolge ihrer Flucht gelegt hatten, als Engländer auftreten und die offiziellen Verkehrsmittel benutzen. Sie wirkten britisch, trugen Militär-[[wiki:khaki|Khaki]], beherrschten die Sprache vorzüglich und hatten sich Soldbücher von zwei Soldaten gestohlen und präpariert. Aus englischen Gesellschaftsblättern hatten sie sich eine Legende zusammengebastelt, Namen von Truppenteilen und Offizieren auswendig gelernt. Sechs Tage versteckten sie sich in den Bergen und wagten sich dann zurück in die Ebene. 2.300 Kilometer lagen vor ihnen bis nach Burma. ''Magener'' und ''Have'' setzten auf Bluff und Menschenkenntnis statt auf Kondition und Ausdauer. Sie wollten, nachdem sich die ersten Aufregungen infolge ihrer Flucht gelegt hatten, als Engländer auftreten und die offiziellen Verkehrsmittel benutzen. Sie wirkten britisch, trugen Militär-[[wiki:khaki|Khaki]], beherrschten die Sprache vorzüglich und hatten sich Soldbücher von zwei Soldaten gestohlen und präpariert. Aus englischen Gesellschaftsblättern hatten sie sich eine Legende zusammengebastelt, Namen von Truppenteilen und Offizieren auswendig gelernt. Sechs Tage versteckten sie sich in den Bergen und wagten sich dann zurück in die Ebene. 2.300 Kilometer lagen vor ihnen bis nach Burma.
-Sie unterhielten sich ständig nur auf englisch, um gar nicht erst in einer zweiten Sprache zu denken. An ihrer Militär-Khaki-Kleidung hatten sie keine Rangabzeichen. Sie rechneten einfach damit, daß jeder annahm, sie seien vom Militär. Andererseits hätte diese Kleidung aber auch jeder Zivilist tragen können. Ebenso hielten sie es mit ihren gestohlenen Papieren: Sie würden sie gegenüber Zivilpersonen benutzen, nicht aber bei Kontrollen durch die Militärpolizei, um nach einer eventuellen Gefangennnahme nicht zusätzliche Strafen für die Benutzung militärischer Abzeichen und Papiere zu erhalten.+ 
 +Sie unterhielten sich ständig nur auf englisch, um gar nicht erst in einer zweiten Sprache zu denken. An ihrer Militär-[[wiki:khaki|Khaki]]-[[wiki:reisekleidung|Kleidung]] hatten sie keine Rangabzeichen. Sie rechneten einfach damit, daß jeder annahm, sie seien vom Militär. Andererseits hätte diese Kleidung aber auch jeder Zivilist tragen können. Ebenso hielten sie es mit ihren gestohlenen Papieren: Sie würden sie gegenüber Zivilpersonen benutzen, nicht aber bei Kontrollen durch die Militärpolizei, um nach einer eventuellen Gefangennnahme nicht zusätzliche Strafen für die Benutzung militärischer Abzeichen und Papiere zu erhalten.
  
 Diese Methode funktionierte gut: mit dem Bus nach Saharanpur, mit dem Zug über Lucknow nach Kalkutta, auf der Straße, in Restaurants und Bahnhofshallen nirgends fielen sie auf. Mit Glück rutschten sie durch eine stichprobenartige Kontrolle der Militärpolizei. Problematisch war allerdings die Übernachtung in der Großstadt: Die großen Hotels waren für Militärs reserviert; diese zu benutzen, fehlten ihnen die geeigneten Papiere. Die Hotels der Einheimischen wurden besonders intensiv von der Polizei kontrolliert, kamen also auch nicht in Frage. Schließlich landeten sie im YMCA, das zwar auch nur Inder beherbergte, aber keine Papiere verlangte. Mit dem Zug ging es weiter nach Goalanda Chat, dann mit dem Schiff nach Chandpur, alles ohne eine Kontrolle. Die erfolgte erst beim Verlassen des Schiffes: Alle Militärpersonen sollten an Bord bleiben. Have und Magener gehen selbstsicher auf die Militärpolizei zu und überzeugten diese durch Vorzeigen ihrer Zivilfahrkarten, daß sie nicht zum Militär gehörten: // „Das war wieder so ein Streich nach Haves Geschmack. Er konnte dem Reiz der Lage nicht widerstehen ... Furchtlos, und ohne Nerven, mit einem unfehlbaren Instinkt für das gerade noch Mögliche, stand er immer über der Situation. Niemals habe ich ihn aufgeregt gesehen ... Hinterher sahen seine Abenteuer immer so aus, als habe er sie vorher genau durchkalkuliert.“// ((Magener, Die Chance war Null, 59)) Diese Methode funktionierte gut: mit dem Bus nach Saharanpur, mit dem Zug über Lucknow nach Kalkutta, auf der Straße, in Restaurants und Bahnhofshallen nirgends fielen sie auf. Mit Glück rutschten sie durch eine stichprobenartige Kontrolle der Militärpolizei. Problematisch war allerdings die Übernachtung in der Großstadt: Die großen Hotels waren für Militärs reserviert; diese zu benutzen, fehlten ihnen die geeigneten Papiere. Die Hotels der Einheimischen wurden besonders intensiv von der Polizei kontrolliert, kamen also auch nicht in Frage. Schließlich landeten sie im YMCA, das zwar auch nur Inder beherbergte, aber keine Papiere verlangte. Mit dem Zug ging es weiter nach Goalanda Chat, dann mit dem Schiff nach Chandpur, alles ohne eine Kontrolle. Die erfolgte erst beim Verlassen des Schiffes: Alle Militärpersonen sollten an Bord bleiben. Have und Magener gehen selbstsicher auf die Militärpolizei zu und überzeugten diese durch Vorzeigen ihrer Zivilfahrkarten, daß sie nicht zum Militär gehörten: // „Das war wieder so ein Streich nach Haves Geschmack. Er konnte dem Reiz der Lage nicht widerstehen ... Furchtlos, und ohne Nerven, mit einem unfehlbaren Instinkt für das gerade noch Mögliche, stand er immer über der Situation. Niemals habe ich ihn aufgeregt gesehen ... Hinterher sahen seine Abenteuer immer so aus, als habe er sie vorher genau durchkalkuliert.“// ((Magener, Die Chance war Null, 59))
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 ===== 3 Erfahrungen auf der Flucht ===== ===== 3 Erfahrungen auf der Flucht =====
 ==== 3.1 Der 1. Weltkrieg 1914-1918 ==== ==== 3.1 Der 1. Weltkrieg 1914-1918 ====
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 ''Arthur Heye'' war seit Monaten in Afrika, gerade von einer Malaria genesen und überschritt am 27. Juli 1914 die Grenze zwischen Britisch- und Deutsch-Ostafrika auf dem Weg zum Kilimandscharo, um sich dort einige Zeit zu erholen. ((Heye, Die Wildnis ruft, S. 151))  //»Am Abend des zehnten August lag ich, in zwei Decken gehüllt, in einem Liegestuhl vor der Tür der Petershütte und steckte mir bedachtsam eine Havanna an. ... Obgleich auch meine Hände vor Kälte starr und steif waren, öffnete ich den Brief sofort ... »Sie werden hierdurch aufgefordert, sich innerhalb von drei Tagen nach Erhalt dieser Benachrichtigung bei der unterzeichneten Amtsstelle zu melden und Ihren Paß und, falls Sie Reichsdeutscher sind, Ihre Militärpapiere vorzulegen. Zu Ihrer Information wird Ihnen mitgeteilt, daß sich das Deutsche Reich und seine Kolonien seit Anfang dieses Monats mit Rußland, Frankreich, Belgien und England im Kriegszustand befindet.«“// ((Heye, Steppe im Strum, 8)) ''Arthur Heye'' war seit Monaten in Afrika, gerade von einer Malaria genesen und überschritt am 27. Juli 1914 die Grenze zwischen Britisch- und Deutsch-Ostafrika auf dem Weg zum Kilimandscharo, um sich dort einige Zeit zu erholen. ((Heye, Die Wildnis ruft, S. 151))  //»Am Abend des zehnten August lag ich, in zwei Decken gehüllt, in einem Liegestuhl vor der Tür der Petershütte und steckte mir bedachtsam eine Havanna an. ... Obgleich auch meine Hände vor Kälte starr und steif waren, öffnete ich den Brief sofort ... »Sie werden hierdurch aufgefordert, sich innerhalb von drei Tagen nach Erhalt dieser Benachrichtigung bei der unterzeichneten Amtsstelle zu melden und Ihren Paß und, falls Sie Reichsdeutscher sind, Ihre Militärpapiere vorzulegen. Zu Ihrer Information wird Ihnen mitgeteilt, daß sich das Deutsche Reich und seine Kolonien seit Anfang dieses Monats mit Rußland, Frankreich, Belgien und England im Kriegszustand befindet.«“// ((Heye, Steppe im Strum, 8))
  
 Für Heye, gerade neunundzwanzig Jahre alt, bedeutete das eine radikale Umwälzung seines Lebens:  //„...von den fünfzehn Jahren, die seit meiner Entlassung aus der Schule vergangen waren, hatte ich vierzehn im Ausland verbracht. Die beiden letzten Jahre war ich drüben in der englischen Nachbarkolonie gewesen, und von den Menschen, die ich dort kennengelernt hatte, war mir überwiegend nur Gutes widerfahren. Sie waren jetzt die Feinde meines Vaterlandes, und es wäre meine Pflicht gewesen, sie zu hassen. Aber - ich konnte und konnte ihnen gegenüber nichts anderes als Dankbarkeit empfinden, und ich fühlte abgrundtiefen Kummer über das, was nun eingetreten war.“// ((Heye, Steppe im Sturm, 17 f.))  Für Heye, gerade neunundzwanzig Jahre alt, bedeutete das eine radikale Umwälzung seines Lebens:  //„...von den fünfzehn Jahren, die seit meiner Entlassung aus der Schule vergangen waren, hatte ich vierzehn im Ausland verbracht. Die beiden letzten Jahre war ich drüben in der englischen Nachbarkolonie gewesen, und von den Menschen, die ich dort kennengelernt hatte, war mir überwiegend nur Gutes widerfahren. Sie waren jetzt die Feinde meines Vaterlandes, und es wäre meine Pflicht gewesen, sie zu hassen. Aber - ich konnte und konnte ihnen gegenüber nichts anderes als Dankbarkeit empfinden, und ich fühlte abgrundtiefen Kummer über das, was nun eingetreten war.“// ((Heye, Steppe im Sturm, 17 f.)) 
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 Nichtsdestotrotz war er am kommenden Tag Soldat, Landsturmmann bei der vierten Schützenkompanie in Tanga. Fast drei Jahre blieb er dann „auf Kriegspfaden“ im Busch unterwegs, wurde am 19. April 1917 angeschossen und gefangengenommen. ((Heye, Steppe im Sturm, 159)) Im Juni 1917 befand er sich an Bord des englischen Dampfers „Windsor Castle“, auf dem Weg nach Indien, und gelangt wie die meisten in ein Gefangenenlager, vermutlich Ahmednagar. Dort findet er etwa fünfhundert Deutsche, luftige Wohnbaracken, Gärten, Duschen, Sportplätze, sogar eine Musik- und Theaterhalle. Es gibt Sport-, Gesang-, Musik- und Theatervereine, einige Gefangene führen Coiffeursalons, Schuster- und Schneiderwerkstätten. In der Kantine kann man so ziemlich alles kaufen, Alkohol erhält man unter der Hand. Ein Problem ist das Geld: //„Den vornehmtuenden Vertretern der großen deutschen Handels- und Baufirmen fehlte es auch offenkundig nicht an Mitteln dazu; bei uns Afrikasoldaten haperte es in dieser Hinsicht jedoch erheblich. Wir besaßen wohl ausnahmslos Löhnungsguthaben von tausenden von Rupien, aber wir besaßen kein bares Geld.“// ((Heye, Ewige Wanderschaft, 14)) Nichtsdestotrotz war er am kommenden Tag Soldat, Landsturmmann bei der vierten Schützenkompanie in Tanga. Fast drei Jahre blieb er dann „auf Kriegspfaden“ im Busch unterwegs, wurde am 19. April 1917 angeschossen und gefangengenommen. ((Heye, Steppe im Sturm, 159)) Im Juni 1917 befand er sich an Bord des englischen Dampfers „Windsor Castle“, auf dem Weg nach Indien, und gelangt wie die meisten in ein Gefangenenlager, vermutlich Ahmednagar. Dort findet er etwa fünfhundert Deutsche, luftige Wohnbaracken, Gärten, Duschen, Sportplätze, sogar eine Musik- und Theaterhalle. Es gibt Sport-, Gesang-, Musik- und Theatervereine, einige Gefangene führen Coiffeursalons, Schuster- und Schneiderwerkstätten. In der Kantine kann man so ziemlich alles kaufen, Alkohol erhält man unter der Hand. Ein Problem ist das Geld: //„Den vornehmtuenden Vertretern der großen deutschen Handels- und Baufirmen fehlte es auch offenkundig nicht an Mitteln dazu; bei uns Afrikasoldaten haperte es in dieser Hinsicht jedoch erheblich. Wir besaßen wohl ausnahmslos Löhnungsguthaben von tausenden von Rupien, aber wir besaßen kein bares Geld.“// ((Heye, Ewige Wanderschaft, 14))
 Heye verdiente sich einiges als Konditor hinzu: //„Ich stellte nur eine einzige Spezialität her: Sandtorte eins zu eins. Der Name erklärt sich aus dem Rezept: ein Pfund Mehl, ein Pfund Zucker, ein Pfund Butter und ein Dutzend Eier. Wer von diesem währschaften (( Schweizer Ausdruck für Gewähr bieten, dauerhaft, echt.)) Erzeugnis drei Scheiben zum Frühstück aß, hatte noch am Abend keinen Hunger. Den Backofen selbst hatte ich mir aus Lehm und einem Haufen Ziegeltrümmer hinter dem Waschhaus erbaut; das Heizmaterial war das landesübliche, nämlich getrockneter Kuhdung.“// ((Heye, Ewige Wanderschaft, 14 f.)) Heye verdiente sich einiges als Konditor hinzu: //„Ich stellte nur eine einzige Spezialität her: Sandtorte eins zu eins. Der Name erklärt sich aus dem Rezept: ein Pfund Mehl, ein Pfund Zucker, ein Pfund Butter und ein Dutzend Eier. Wer von diesem währschaften (( Schweizer Ausdruck für Gewähr bieten, dauerhaft, echt.)) Erzeugnis drei Scheiben zum Frühstück aß, hatte noch am Abend keinen Hunger. Den Backofen selbst hatte ich mir aus Lehm und einem Haufen Ziegeltrümmer hinter dem Waschhaus erbaut; das Heizmaterial war das landesübliche, nämlich getrockneter Kuhdung.“// ((Heye, Ewige Wanderschaft, 14 f.))
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 ''Hagenbeck'' lebte bereits 25 Jahre in Indien, war Importeur, Exporteur, Tierhändler, Pflanzer und nahm unter den Großkaufleuten Indiens einen der ersten Plätze ein:  //„meine Firma war überall in der Welt bekannt, ich besaß ausgedehnte Pflanzungen, ein prächtiges Heim, ein beträchtliches Vermögen und erfreute mich nicht nur in den Kreisen meiner Landsleute, sondern auch bei den Engländern des besten Rufes und der angenehmsten Beziehungen.“// ((Hagenbeck, Fünfundzwanzig Jahre Ceylon, 207)) \\  ''Hagenbeck'' lebte bereits 25 Jahre in Indien, war Importeur, Exporteur, Tierhändler, Pflanzer und nahm unter den Großkaufleuten Indiens einen der ersten Plätze ein:  //„meine Firma war überall in der Welt bekannt, ich besaß ausgedehnte Pflanzungen, ein prächtiges Heim, ein beträchtliches Vermögen und erfreute mich nicht nur in den Kreisen meiner Landsleute, sondern auch bei den Engländern des besten Rufes und der angenehmsten Beziehungen.“// ((Hagenbeck, Fünfundzwanzig Jahre Ceylon, 207)) \\ 
 Auch in Ceylon glaubte man bis zuletzt nicht an die Möglichkeit eines Krieges. Am 7. August 1914 erhielt Hagenbeck den Ausweisungsbefehl und mußte Ceylon noch am gleichen Tage verlassen, Frau, Familie, Haus, Hab und Gut bis auf einen kleinen Handkoffer zurücklassend und sich zweiter Klasse nach Batavia einschiffend, das damals holländische Kolonie war. Zusammen mit ihm waren auch acht Vergnügungsreisende aus Colombo ausgewiesen worden; vier Österreicher verließen freiwillig die Insel. Er hoffte darauf, bei Bekannten und Freunden unterzukommen, doch hatte man das Gerücht verbreitet, er sei ein Spion. Die Stimmung schlug gefährlich gegen ihn um und er beschloß die Flucht nach Deutschland. Ceylon hatte er ohne Papiere verlassen müssen, doch gelang es ihm, einem holländischen Kolonialsoldaten den Paß abzukaufen und sich als Zwischendeckspassagier einzuschiffen. Leider erkannte ihn einer der patrouillierenden Polizisten und seine Flucht fand schnell, aber folgenlos, ein Ende.\\  Auch in Ceylon glaubte man bis zuletzt nicht an die Möglichkeit eines Krieges. Am 7. August 1914 erhielt Hagenbeck den Ausweisungsbefehl und mußte Ceylon noch am gleichen Tage verlassen, Frau, Familie, Haus, Hab und Gut bis auf einen kleinen Handkoffer zurücklassend und sich zweiter Klasse nach Batavia einschiffend, das damals holländische Kolonie war. Zusammen mit ihm waren auch acht Vergnügungsreisende aus Colombo ausgewiesen worden; vier Österreicher verließen freiwillig die Insel. Er hoffte darauf, bei Bekannten und Freunden unterzukommen, doch hatte man das Gerücht verbreitet, er sei ein Spion. Die Stimmung schlug gefährlich gegen ihn um und er beschloß die Flucht nach Deutschland. Ceylon hatte er ohne Papiere verlassen müssen, doch gelang es ihm, einem holländischen Kolonialsoldaten den Paß abzukaufen und sich als Zwischendeckspassagier einzuschiffen. Leider erkannte ihn einer der patrouillierenden Polizisten und seine Flucht fand schnell, aber folgenlos, ein Ende.\\ 
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 Einige Zeit später flüchtete er zusammen mit einem Österreicher, dem ehemaligen italienischen Konsul in Colombo, in einem kleinen Küstendampfer, der nicht kontrolliert wurde, nach Sumatra. Dort erfuhr er, daß inzwischen alle anderen Ceylon-Deutschen interniert wurden. Unterkunft fand er auf deutschen Schiffen, die, überrascht durch den Krieg, untätig im Hafen der neutralen Holländer lagen. Im Laufe der Zeit knüpfte er Beziehungen an zu einem belgischen Kolonialsoldaten, der ihm einigermaßen ähnlich war:  //„Wir wurden handelseinig. Der Soldat, der also scheinbar abdankte, besorgte sich außer der Schiffsfahrkarte die nötigen Ausweise, die auch mit seiner amtlich abgestempelten Photographie versehen wurden. Ich erhielt nun die Papiere und das Billet und ersetzte die Photographie des Belgiers durch die meinige. ... Als ich im Schutze der Dunkelheit das Haus verließ, sah ich in meiner abgetragenen Uniform, Sandalen an den Füßen, einen Öltuchsack mit den Habseligkeiten über den Schultern, vollkommen wie ein alter, vom Tropenklima zermürbter, stark reduzierter Kolonialsoldat aus.“// ((Hagenbeck, Fünundzwanzig Jahre Ceylon, 221 f.))\\  Einige Zeit später flüchtete er zusammen mit einem Österreicher, dem ehemaligen italienischen Konsul in Colombo, in einem kleinen Küstendampfer, der nicht kontrolliert wurde, nach Sumatra. Dort erfuhr er, daß inzwischen alle anderen Ceylon-Deutschen interniert wurden. Unterkunft fand er auf deutschen Schiffen, die, überrascht durch den Krieg, untätig im Hafen der neutralen Holländer lagen. Im Laufe der Zeit knüpfte er Beziehungen an zu einem belgischen Kolonialsoldaten, der ihm einigermaßen ähnlich war:  //„Wir wurden handelseinig. Der Soldat, der also scheinbar abdankte, besorgte sich außer der Schiffsfahrkarte die nötigen Ausweise, die auch mit seiner amtlich abgestempelten Photographie versehen wurden. Ich erhielt nun die Papiere und das Billet und ersetzte die Photographie des Belgiers durch die meinige. ... Als ich im Schutze der Dunkelheit das Haus verließ, sah ich in meiner abgetragenen Uniform, Sandalen an den Füßen, einen Öltuchsack mit den Habseligkeiten über den Schultern, vollkommen wie ein alter, vom Tropenklima zermürbter, stark reduzierter Kolonialsoldat aus.“// ((Hagenbeck, Fünundzwanzig Jahre Ceylon, 221 f.))\\ 
 Das setzte natürlich die fließende Beherrschung des Französischen voraus, ein gewisser Akzent wurde dem Belgier zugestanden. Seine Rolle spielte er überaus glaubhaft und bei den verschiedenen Revisionen durch englische Kriegsschiffe brauchte er als „armer Belgier“ seine Papiere niemals zu zeigen. In Italien, damals neutral, verließ er das Schiff, suchte den Konsul auf und erhielt von ihm einen deutschen Paß. Ohne weitere Schwierigkeiten erreichte er Deutschland mit dem Zug. (( Ausführlich schilderte Hagenbeck diese Zeit in dem Buch „John Hagenbecks abenteuerliche Flucht aus Ceylon“. Fünfzehn Jahre später (1929) kehrte er nach Ceylon zurück, baute sich erneut eine Existenz auf. 1939, bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges gelang es ihm nicht mehr, auf Schleichwegen Asien zu verlassen. Siebzigjährig wurde er interniert und starb im Internierungslager. [J. Hagenbeck, Die Schnur der sieben Knoten] )) Das setzte natürlich die fließende Beherrschung des Französischen voraus, ein gewisser Akzent wurde dem Belgier zugestanden. Seine Rolle spielte er überaus glaubhaft und bei den verschiedenen Revisionen durch englische Kriegsschiffe brauchte er als „armer Belgier“ seine Papiere niemals zu zeigen. In Italien, damals neutral, verließ er das Schiff, suchte den Konsul auf und erhielt von ihm einen deutschen Paß. Ohne weitere Schwierigkeiten erreichte er Deutschland mit dem Zug. (( Ausführlich schilderte Hagenbeck diese Zeit in dem Buch „John Hagenbecks abenteuerliche Flucht aus Ceylon“. Fünfzehn Jahre später (1929) kehrte er nach Ceylon zurück, baute sich erneut eine Existenz auf. 1939, bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges gelang es ihm nicht mehr, auf Schleichwegen Asien zu verlassen. Siebzigjährig wurde er interniert und starb im Internierungslager. [J. Hagenbeck, Die Schnur der sieben Knoten] ))
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 ''Werner-Otto von Hentig'' ist von 1915 bis 1917 in geheimer Mission nach Afghanistan unterwegs, das damals, zwischen den Einflußsphären der Kriegsgegner Rußland und England liegend, geopolitisch wichtig wurde. Seine besondere Aufgabe war es, den Herrscher von Afghanistan zu besuchen und ihn den deutschen Interessen gewogen zu machen. Dabei war Hentig auf sich allein gestellt; seine Expedition wurde jedoch mit 250.000 Reichsmark unterstützt, von denen er letztlich in 26 Monaten 100.000 Mark ausgab und die Hinreise von zwanzig sowie die Rückreise von sechs Personen finanzierte. Nur zwei, allerdings landes- und sprachkundige Europäer nahm er von Berlin mit: den Arzt ''Dr. Becker'', Mitglied des Garde-Jäger-Bataillons, und ''Walter Röhr'', einen Magdeburger Kaufmann, der schon seit seinem siebzehnten Lebensjahr in Persien lebte. Sechs //Afridis//, Krieger von der indischen Nordgrenze, sorgten für den Schutz der Truppe, außerdem kamen einige Inder mit, darunter ein Prinz. Außerdem stoßen in Persien die Teilnehmer einer zweiten Expedition zu ihnen: sechs österreichische Offiziere sowie der deutsche Offizier ''Niedermayer'' und der Südwestafrikaner ''Wilhelm Paschen'', schließlich einige weitere Deutsche ((Später werden noch erwähnt: ''Hans Jakob'' und der Steiermärker Zugführer ''Jandl''.)), Perser und Ungarn.\\  ''Werner-Otto von Hentig'' ist von 1915 bis 1917 in geheimer Mission nach Afghanistan unterwegs, das damals, zwischen den Einflußsphären der Kriegsgegner Rußland und England liegend, geopolitisch wichtig wurde. Seine besondere Aufgabe war es, den Herrscher von Afghanistan zu besuchen und ihn den deutschen Interessen gewogen zu machen. Dabei war Hentig auf sich allein gestellt; seine Expedition wurde jedoch mit 250.000 Reichsmark unterstützt, von denen er letztlich in 26 Monaten 100.000 Mark ausgab und die Hinreise von zwanzig sowie die Rückreise von sechs Personen finanzierte. Nur zwei, allerdings landes- und sprachkundige Europäer nahm er von Berlin mit: den Arzt ''Dr. Becker'', Mitglied des Garde-Jäger-Bataillons, und ''Walter Röhr'', einen Magdeburger Kaufmann, der schon seit seinem siebzehnten Lebensjahr in Persien lebte. Sechs //Afridis//, Krieger von der indischen Nordgrenze, sorgten für den Schutz der Truppe, außerdem kamen einige Inder mit, darunter ein Prinz. Außerdem stoßen in Persien die Teilnehmer einer zweiten Expedition zu ihnen: sechs österreichische Offiziere sowie der deutsche Offizier ''Niedermayer'' und der Südwestafrikaner ''Wilhelm Paschen'', schließlich einige weitere Deutsche ((Später werden noch erwähnt: ''Hans Jakob'' und der Steiermärker Zugführer ''Jandl''.)), Perser und Ungarn.\\ 
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 Getrennt reisen die Expeditionsteilnehmer am 14. April 1915 von Berlin über Wien und durch Rumänien nach Konstantinopel, dann mit der Bahn durch die Türkei, schließlich auf Booten nach Bagdad. Hentig beschreibt die aufreibende Organisation der [[wiki:fahrt|Fahrt]]: //„Zum Transport unsres Gepäcks hätten wir mindestens 150 Tiere, für Wacht- und Treiberpersonal wie für das Futter weitere hundert Tiere gebraucht. Die Kosten hätten sich auf annähernd zehntausend Mark belaufen. Statt dessen schaffte es der Euphrat in weniger als einem Drittel der Zeit und für etwa ein Zehntel der Kosten ... bis zur alten Kaiserstadt Bagdad hinunter.“// ((Hentig, Ins verschlossene Land, 32))\\  Getrennt reisen die Expeditionsteilnehmer am 14. April 1915 von Berlin über Wien und durch Rumänien nach Konstantinopel, dann mit der Bahn durch die Türkei, schließlich auf Booten nach Bagdad. Hentig beschreibt die aufreibende Organisation der [[wiki:fahrt|Fahrt]]: //„Zum Transport unsres Gepäcks hätten wir mindestens 150 Tiere, für Wacht- und Treiberpersonal wie für das Futter weitere hundert Tiere gebraucht. Die Kosten hätten sich auf annähernd zehntausend Mark belaufen. Statt dessen schaffte es der Euphrat in weniger als einem Drittel der Zeit und für etwa ein Zehntel der Kosten ... bis zur alten Kaiserstadt Bagdad hinunter.“// ((Hentig, Ins verschlossene Land, 32))\\ 
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 Am 1. Juni 1915 brechen sie erneut auf, ab nun begleitet von Spionen, denn sie befinden sich bereits im englischen Einfluß, nicht aber in deren Machtbereich. Mit Maultieren, Eseln, Pferden und Kamelen ziehen sie durch Persien, getrenntt, in drei Gruppen, meist auf den schwierigsten Strecken, meist durch die trockensten Wüstengegenden, da sie sich zwischen russischen und englischen Einflußsphären möglichst ungesehen hindurchschlängeln müssen. Ein Kamel kostete 2,40 Mark pro Tag, an Verpflegung nochmals 3,20 Mark, während die Menschen bereits mit 1,60 Mark verpflegt wurden. Problemlos war die Strecke von Kirmanschah nach Teheran und Isfahan, schwierig wurden die Wüstenstrecken über Najin nach Tebbes, der heißesten Stadt der Welt, wo sie am 23. Juni ((Auf Seite 56 wird der 23. Juli genannt. Das kann jedoch nicht sein, da sie vier Wochen später, am 22. Juli, die afghanische Grenze überschreiten (S. 72). Vermutlich handelt es sich um einen Übertragungsfehler.)) ankommen: Einen Monat lang sind sie täglich etwa sechzig Kilometer marschiert, bei sommerlicher Wüstenhitze und all den Problemen, die die Organisation einer so großen Gruppe mit sich bringt. Ohne direkte Feindberührung, jedoch oft in Hör- und Sichtweite feindlicher Patrouillen erreichen sie schließlich Afghanistan bei //Doroschk// und //Tacht-i-Wun// am 22. Juni 1915, erreichen Kabul aber erst Ende September. Zehn Monate bleiben sie in Afghanistan als [[wiki:gast|Gast]] des Emirs und obwohl sie eine recht große Freiheit genießen, gelten sie aus Rücksicht auf die Engländer als Gefangene. In dieser Zeit geht Hentig seiner politischen und nicht näher beschriebenen Aufgabe nach, die im Wesentlichen nur darin bestehen kann, freundschaftliche Beziehungen zu fördern. Nach Abschluß seiner Tätigkeit machten sich Niedermayer und er auf den Rückweg, jedoch in östlicher [[wiki:orientierung|Richtung]] und auf getrennten Wegen, vermutlich aus taktischen Erwägungen. Die üblichen Karawanenstraßen wurden von Engländern und Russen kontrolliert, so daß ''Hentig'' zusammen mit ''Röhr'', dem Ungarn ''Jossip'', dem Perser ''Afgher'' und dem Inder ''Seyed Achmed'' eine Route durch den Pamir wählte, durch das nicht deutlich abgegrenzte Land zwischen Rußland und Indien, das so gut wie unvermessen war, kaum Namen trug und daher [[wiki:sicherheit|Sicherheit]] bot. Am 21. Mai 1916 begann die Reise nach Osten. Hin und wieder begleiteten einheimische Führer die Gruppe, sonst richtete sich von Hentig nach einer Karte im Maßstab 1 zu 7,5 Millionen. Mehrfach von russischen Truppen verfolgt erreichen sie nach mörderischen Strapazen ihr Ziel Yarkent im chinesischen Turkestan. Damit war zwar nur relative Sicherheit erreicht - die Russen hatten auch dort noch einen großen Einfluß und überschritten oft die Grenze - doch mußten sie weitere hundertdreißig Tage durch Wüsten marschieren, zehn, zwölf Stunden täglich: // „Von all der Mühsal, wie jeder einzelne dieser Tage sie brachte, kann ich heute noch nicht reden. So viele dumpfe Gedanken, wie sie dabei in ununterbrochener Wiederholung des Gehirns sich bemächtigen, soll man anderen nicht vortragen wollen. Und dann - ich würde daran verzweifeln, einen hinreichenden Begriff von einhundertdreißigmal zehn- bis zwölfstündigen Märschen geben zu können. Acht Tage schreitet man ja, von Hitze und Kälte getrieben, freudig fürbaß. Vier Wochen kann man es, mit einem Ziel vor Augen, noch gut aushalten. Selbst zwei Monate wären noch keine Leistung. Aber dann auch noch nicht die Hälfte des Weges zurückgelegt zu haben, täglich weiter mit wunden Füßen, zerrissenen Händen, klaffenden Sohlen, verschlissenen Kleidern, ohne etwas Rechtes im Magen, marschieren und frieren, frieren und wieder marschieren zu müssen, auch des nachts keine Ruhe zu finden und nur immer mit wunder Seele an einer ungelösten Rechnung zu rechnen, das darf man nicht vorher schon einmal durchgemacht haben, wenn man der sprungbereiten, gierig lauernden Verzweiflung entgehen will.“// ((Hentig, Ins verschlossene Land, 147 f.))\\  Am 1. Juni 1915 brechen sie erneut auf, ab nun begleitet von Spionen, denn sie befinden sich bereits im englischen Einfluß, nicht aber in deren Machtbereich. Mit Maultieren, Eseln, Pferden und Kamelen ziehen sie durch Persien, getrenntt, in drei Gruppen, meist auf den schwierigsten Strecken, meist durch die trockensten Wüstengegenden, da sie sich zwischen russischen und englischen Einflußsphären möglichst ungesehen hindurchschlängeln müssen. Ein Kamel kostete 2,40 Mark pro Tag, an Verpflegung nochmals 3,20 Mark, während die Menschen bereits mit 1,60 Mark verpflegt wurden. Problemlos war die Strecke von Kirmanschah nach Teheran und Isfahan, schwierig wurden die Wüstenstrecken über Najin nach Tebbes, der heißesten Stadt der Welt, wo sie am 23. Juni ((Auf Seite 56 wird der 23. Juli genannt. Das kann jedoch nicht sein, da sie vier Wochen später, am 22. Juli, die afghanische Grenze überschreiten (S. 72). Vermutlich handelt es sich um einen Übertragungsfehler.)) ankommen: Einen Monat lang sind sie täglich etwa sechzig Kilometer marschiert, bei sommerlicher Wüstenhitze und all den Problemen, die die Organisation einer so großen Gruppe mit sich bringt. Ohne direkte Feindberührung, jedoch oft in Hör- und Sichtweite feindlicher Patrouillen erreichen sie schließlich Afghanistan bei //Doroschk// und //Tacht-i-Wun// am 22. Juni 1915, erreichen Kabul aber erst Ende September. Zehn Monate bleiben sie in Afghanistan als [[wiki:gast|Gast]] des Emirs und obwohl sie eine recht große Freiheit genießen, gelten sie aus Rücksicht auf die Engländer als Gefangene. In dieser Zeit geht Hentig seiner politischen und nicht näher beschriebenen Aufgabe nach, die im Wesentlichen nur darin bestehen kann, freundschaftliche Beziehungen zu fördern. Nach Abschluß seiner Tätigkeit machten sich Niedermayer und er auf den Rückweg, jedoch in östlicher [[wiki:orientierung|Richtung]] und auf getrennten Wegen, vermutlich aus taktischen Erwägungen. Die üblichen Karawanenstraßen wurden von Engländern und Russen kontrolliert, so daß ''Hentig'' zusammen mit ''Röhr'', dem Ungarn ''Jossip'', dem Perser ''Afgher'' und dem Inder ''Seyed Achmed'' eine Route durch den Pamir wählte, durch das nicht deutlich abgegrenzte Land zwischen Rußland und Indien, das so gut wie unvermessen war, kaum Namen trug und daher [[wiki:sicherheit|Sicherheit]] bot. Am 21. Mai 1916 begann die Reise nach Osten. Hin und wieder begleiteten einheimische Führer die Gruppe, sonst richtete sich von Hentig nach einer Karte im Maßstab 1 zu 7,5 Millionen. Mehrfach von russischen Truppen verfolgt erreichen sie nach mörderischen Strapazen ihr Ziel Yarkent im chinesischen Turkestan. Damit war zwar nur relative Sicherheit erreicht - die Russen hatten auch dort noch einen großen Einfluß und überschritten oft die Grenze - doch mußten sie weitere hundertdreißig Tage durch Wüsten marschieren, zehn, zwölf Stunden täglich: // „Von all der Mühsal, wie jeder einzelne dieser Tage sie brachte, kann ich heute noch nicht reden. So viele dumpfe Gedanken, wie sie dabei in ununterbrochener Wiederholung des Gehirns sich bemächtigen, soll man anderen nicht vortragen wollen. Und dann - ich würde daran verzweifeln, einen hinreichenden Begriff von einhundertdreißigmal zehn- bis zwölfstündigen Märschen geben zu können. Acht Tage schreitet man ja, von Hitze und Kälte getrieben, freudig fürbaß. Vier Wochen kann man es, mit einem Ziel vor Augen, noch gut aushalten. Selbst zwei Monate wären noch keine Leistung. Aber dann auch noch nicht die Hälfte des Weges zurückgelegt zu haben, täglich weiter mit wunden Füßen, zerrissenen Händen, klaffenden Sohlen, verschlissenen Kleidern, ohne etwas Rechtes im Magen, marschieren und frieren, frieren und wieder marschieren zu müssen, auch des nachts keine Ruhe zu finden und nur immer mit wunder Seele an einer ungelösten Rechnung zu rechnen, das darf man nicht vorher schon einmal durchgemacht haben, wenn man der sprungbereiten, gierig lauernden Verzweiflung entgehen will.“// ((Hentig, Ins verschlossene Land, 147 f.))\\ 
-Erst am 24. Dezember 1916 ist die erste Bahnverbindung erreicht, sie betreten //Mientsche//. Über //Honan//, //Tschentschou// gelangen sie nach //Hankau// und werden vom deutschen Konsul aufgenommen. Doch drei Monate später erreicht der Krieg auch diesen Winkel der Welt: China hat die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland abgebrochen. Als Diplomat hat Hentig eingentlich freies Geleit, doch das ist Theorie: die chinesischen Beamten verzögern die Ausstellung der [[wiki:dokumente|Reisepapiere]] immer wieder, die Engländer verweigern sie, die Franzosen reagieren gar nicht, die Amerikaner wollen zunächst, dann wieder nicht. Kurzum: Man sitzt fest.// „Die schönen Wege, die im Anfang des Krieges noch Flüchtlingen offenstanden, über Sibirien, den Suezkanal und so weiter, waren so streng überwacht, daß ihre Benutzung, zumal ohne eine lange, gründliche Vorbereitung, nur zu sicheren Entdeckung geführt hätte. Der Krieg mit Amerika stand vor der Tür.“// ((Hentig, Ins verschlossene Land, 166))+ 
 +Erst am 24. Dezember 1916 ist die erste Bahnverbindung erreicht, sie betreten //Mientsche//. Über //Honan//, //Tschentschou// gelangen sie nach //Hankau// und werden vom deutschen Konsul aufgenommen. Doch drei Monate später erreicht der Krieg auch diesen Winkel der Welt: China hat die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland abgebrochen. Als Diplomat hat Hentig eingentlich freies [[wiki:geleitswesen|Geleit]], doch das ist Theorie: die chinesischen Beamten verzögern die Ausstellung der [[wiki:dokumente|Reisepapiere]] immer wieder, die Engländer verweigern sie, die Franzosen reagieren gar nicht, die Amerikaner wollen zunächst, dann wieder nicht. Kurzum: Man sitzt fest.// „Die schönen Wege, die im Anfang des Krieges noch Flüchtlingen offenstanden, über Sibirien, den Suezkanal und so weiter, waren so streng überwacht, daß ihre Benutzung, zumal ohne eine lange, gründliche Vorbereitung, nur zu sicheren Entdeckung geführt hätte. Der Krieg mit Amerika stand vor der Tür.“// ((Hentig, Ins verschlossene Land, 166))
  
 Nach der letzten Absage handelt Hentig schnell, taucht noch abends in Shanghai unter und läßt sein Gepäck zurück, besitzt lediglich ein amerikanisches Marine-Hemd, eine Missionars-Jacke und eine Seemannsmütze, um in möglichst unterschiedliche Rollen schlüpfen zu können, und begibt sich als blinder Passagier auf den am 1. April 1917 auslaufenden amerikanischen Dampfer //Ecuador//. Es gelingt ihm, zwei österreichische Offiziere zu überreden, ihn in ihrer Erster-Klasse-Kabine zu verbergen, dabei faltet er sich täglich von neun bis zwölf Uhr in einen engen Kleiderschrank. Die gefürchteten Kontrollen in Japan sind oberflächlich, die Kabinen werden gar nicht kontrolliert, doch bei der zweiten Landung, diesmal in Yokohama, werden sechs Deutsche gefunden. Bei der Landung in Honolulu verläßt er das Schiff, schwimmend, da alle Ein- und Ausgänge schwer bewacht werden, seit Amerika in den Krieg eingetreten ist. Es gelingt ihm wohl, ungesehen an Land zu kommen, doch zeigt es sich, die Kontrollen in Honolulu sehr streng sind. Schließlich stellt sich Hentig freiwillig dem Generalstaatsanwalt, bekommt ein Ticket nach Amerika und wird bei San Francisco auf der Einwandererinsel //Angel Island// im Hospital interniert. Auch die Österreicher und die anderen sechs Deutschen befinden sich dort in Internierung ebenso wie die Kapitäne deutscher Schiffe.  //„Am Tage nach meinem Einzug auf der Engels-Insel fand ein eingehendes Verhör statt. Ich wußte, daß hiervon, wenn nicht alles, so doch außerordentlich viel abhänge. Mein Plan war einfach die Fortsetzung des von mir stets auf der Reise und meist mit erstaunlichem Erfolg innegehaltenen Programms: die Wahrheit und Tatsachen für mich sprechen zu lassen und den Gegner zu fassen, sobald er sich in eine, nur durch Kombinationen gedeckte Stellung begäbe.“// ((Hentig, Ins verschlossene Land, 187 f))\\  Nach der letzten Absage handelt Hentig schnell, taucht noch abends in Shanghai unter und läßt sein Gepäck zurück, besitzt lediglich ein amerikanisches Marine-Hemd, eine Missionars-Jacke und eine Seemannsmütze, um in möglichst unterschiedliche Rollen schlüpfen zu können, und begibt sich als blinder Passagier auf den am 1. April 1917 auslaufenden amerikanischen Dampfer //Ecuador//. Es gelingt ihm, zwei österreichische Offiziere zu überreden, ihn in ihrer Erster-Klasse-Kabine zu verbergen, dabei faltet er sich täglich von neun bis zwölf Uhr in einen engen Kleiderschrank. Die gefürchteten Kontrollen in Japan sind oberflächlich, die Kabinen werden gar nicht kontrolliert, doch bei der zweiten Landung, diesmal in Yokohama, werden sechs Deutsche gefunden. Bei der Landung in Honolulu verläßt er das Schiff, schwimmend, da alle Ein- und Ausgänge schwer bewacht werden, seit Amerika in den Krieg eingetreten ist. Es gelingt ihm wohl, ungesehen an Land zu kommen, doch zeigt es sich, die Kontrollen in Honolulu sehr streng sind. Schließlich stellt sich Hentig freiwillig dem Generalstaatsanwalt, bekommt ein Ticket nach Amerika und wird bei San Francisco auf der Einwandererinsel //Angel Island// im Hospital interniert. Auch die Österreicher und die anderen sechs Deutschen befinden sich dort in Internierung ebenso wie die Kapitäne deutscher Schiffe.  //„Am Tage nach meinem Einzug auf der Engels-Insel fand ein eingehendes Verhör statt. Ich wußte, daß hiervon, wenn nicht alles, so doch außerordentlich viel abhänge. Mein Plan war einfach die Fortsetzung des von mir stets auf der Reise und meist mit erstaunlichem Erfolg innegehaltenen Programms: die Wahrheit und Tatsachen für mich sprechen zu lassen und den Gegner zu fassen, sobald er sich in eine, nur durch Kombinationen gedeckte Stellung begäbe.“// ((Hentig, Ins verschlossene Land, 187 f))\\ 
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 Zu seiner Überraschung wird er nach einiger Zeit freigelassen, allerdings noch nicht als Diplomat anerkannt, und ständig überwacht. Doch schließlich gelingt ihm auch die Zusicherung freien Geleits. In Kanada kann er sich offiziell auf der norwegischen //Halifax// nach Bergen einschiffen und trifft sechsundzwanzig Monate nach seiner Abreise aus Deutschland in Norwegen ein. Zu seiner Überraschung wird er nach einiger Zeit freigelassen, allerdings noch nicht als Diplomat anerkannt, und ständig überwacht. Doch schließlich gelingt ihm auch die Zusicherung freien Geleits. In Kanada kann er sich offiziell auf der norwegischen //Halifax// nach Bergen einschiffen und trifft sechsundzwanzig Monate nach seiner Abreise aus Deutschland in Norwegen ein.
  
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 ==== 3.2 Der 2. Weltkrieg 1939-1945 ==== ==== 3.2 Der 2. Weltkrieg 1939-1945 ====
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 ''Herbert Pritzke'' war Arzt und wurde 1944 nach Afrika beordert, zum Rommel-Korps. Nach seinem ersten Fluchtversuch aus englischer Gefangenschaft verlegte man ihn in das berüchtigte Lager 307 bei Fanara in der Suezkanal-Zone, ein Entkommen von dort war unmöglich. So begann er, Wadenkrämpfe zu simulieren und erreichte bald sein Ziel, die Verlegung ins Hospital nach Fayed. Er wurde an den Krampfadern operiert und kaum zu Kräften gelangt, floh er, 18 Monate nach Kriegsende.\\  ''Herbert Pritzke'' war Arzt und wurde 1944 nach Afrika beordert, zum Rommel-Korps. Nach seinem ersten Fluchtversuch aus englischer Gefangenschaft verlegte man ihn in das berüchtigte Lager 307 bei Fanara in der Suezkanal-Zone, ein Entkommen von dort war unmöglich. So begann er, Wadenkrämpfe zu simulieren und erreichte bald sein Ziel, die Verlegung ins Hospital nach Fayed. Er wurde an den Krampfadern operiert und kaum zu Kräften gelangt, floh er, 18 Monate nach Kriegsende.\\ 
 Ausgerüstet war er mit einem zwei Meter langen [[wiki:stab|Zeltstock]], der ihm mit seinen eisenbeschlagenen Spitzen als Waffe dienen sollte. Aufpassen mußte er aber auch vor den anderen Internierten: 100 Zigaretten Belohnung gab es, wenn eine Flucht verraten wurde. Gefährlich waren die //„knüppelbewaffneten deutschen Lagerwachen, meist Fallschirmjäger, die für dreißig Pfennig am Tag ihre eigenen Kameraden bewachten und robuste Methoden anwandten, um den Ertappten das Heimweh aus den Knochen zu prügeln, ehe sie vom Wachsergeanten die Belohnung in Zigaretten einkassierten.“// ((''Pritzke'', Nach Hause kommst du nie ..., 12)) Doch so lange nach Kriegsende war die Aufmerksamkeit der Wachen gering, und nur ein Zaun war zu überwinden. Seine Fluchtroute war ihm klar: // „Ich folgte dem klassischen Fluchtweg der deutschen Kriegsgefangenen: zunächst drei Stunden in genau westlicher [[wiki:orientierung|Richtung]], um aus der britischen Kanal-Enklave herauszukommen, dann abschwenken nach Nordwesten bis an den Süßwasserkanal, der von Ismailia nach Kairo führt.“// ((Pritzke, Nach Hause kommst du nie ..., 16))\\  Ausgerüstet war er mit einem zwei Meter langen [[wiki:stab|Zeltstock]], der ihm mit seinen eisenbeschlagenen Spitzen als Waffe dienen sollte. Aufpassen mußte er aber auch vor den anderen Internierten: 100 Zigaretten Belohnung gab es, wenn eine Flucht verraten wurde. Gefährlich waren die //„knüppelbewaffneten deutschen Lagerwachen, meist Fallschirmjäger, die für dreißig Pfennig am Tag ihre eigenen Kameraden bewachten und robuste Methoden anwandten, um den Ertappten das Heimweh aus den Knochen zu prügeln, ehe sie vom Wachsergeanten die Belohnung in Zigaretten einkassierten.“// ((''Pritzke'', Nach Hause kommst du nie ..., 12)) Doch so lange nach Kriegsende war die Aufmerksamkeit der Wachen gering, und nur ein Zaun war zu überwinden. Seine Fluchtroute war ihm klar: // „Ich folgte dem klassischen Fluchtweg der deutschen Kriegsgefangenen: zunächst drei Stunden in genau westlicher [[wiki:orientierung|Richtung]], um aus der britischen Kanal-Enklave herauszukommen, dann abschwenken nach Nordwesten bis an den Süßwasserkanal, der von Ismailia nach Kairo führt.“// ((Pritzke, Nach Hause kommst du nie ..., 16))\\ 
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 Drei Tage lief er ohne Wasser, dann brach er zusammen. [[wiki:beduinen|Beduinen]] fanden ihn, gaben ihm Wasser und bei den Beduinen blieb er, als sie seine Qualitäten als Arzt entdeckten. Der nur geduldete Flüchtling wurde zum //Hakim Alemanni// mit Ruf und Ansehen. Als solcher praktizierte er in einem Beduinenzelt, ließ sich Medikamente und Geräte aus Ismailia beschaffen und baute sich eine kleine, mobile Praxis auf. Rezepte für Patienten unterschrieb er mit// „Le docteur inconnu.“// Als Dank für die Gastfreundschaft wurde von ihm die Unterstützung illegaler Geschäfte erwartet und Pritzke beteiligte sich daher am Haschisch-Schmuggel. Der Diebstahl einer Kiste mit Morphium aus einem englischen Lager schlug allerdings fehl.\\  Drei Tage lief er ohne Wasser, dann brach er zusammen. [[wiki:beduinen|Beduinen]] fanden ihn, gaben ihm Wasser und bei den Beduinen blieb er, als sie seine Qualitäten als Arzt entdeckten. Der nur geduldete Flüchtling wurde zum //Hakim Alemanni// mit Ruf und Ansehen. Als solcher praktizierte er in einem Beduinenzelt, ließ sich Medikamente und Geräte aus Ismailia beschaffen und baute sich eine kleine, mobile Praxis auf. Rezepte für Patienten unterschrieb er mit// „Le docteur inconnu.“// Als Dank für die Gastfreundschaft wurde von ihm die Unterstützung illegaler Geschäfte erwartet und Pritzke beteiligte sich daher am Haschisch-Schmuggel. Der Diebstahl einer Kiste mit Morphium aus einem englischen Lager schlug allerdings fehl.\\ 
 Etwa ein Jahr blieb er bei den Beduinen, lernte deren [[wiki:sprachen|Sprache]], kleidete sich wie sie, paßte sich an, auch wenn es ihm hin und wieder schwerfiel: // „Ich war bevorzugter Gast. `Hier ist etwas Gutes für dich, Salameh!“ sagte der Onkel und hielt mir mit seinen schmutzigen Fingern ein Auge des Hammels hin. Kaum eine Situation im Krieg hatte mich soviel Todesverachtung gekostet wie das würgende Hinunterschlucken solcher Gastbrocken. ... Der Onkel jedoch, der mich ins Herz geschlossen hatte, streifte sich die Ärmel hoch, beugte sich so weit vor, daß sein Bart beinahe mit dem Gericht in Berührung kam, griff ein paarmal ein Stück Fleisch heraus und prüfte es, ob es auch gut genug war für den Gast; aber jedes Stück warf er wieder zurück, bis er endlich vom Besten das Allerbeste für mich gefunden hatte. ... Es war ein Stück Schwanzfett, mit dem ich den ganzen aufdringlichen Geruch des Fettschwanzhammels in die Nase bekam. Um den Fettklumpen gekrümmt, sah ich die unsagbar dreckige Hand, vom Fettklumpen weg rann die Brühe über den nackten haarigen Arm ... Die Natur sorgte dafür, daß ich das Schwanzfett nicht mehr zu essen brauchte und auch das Hammelauge wieder zurückbekam, nachdem es sich in meinem aufgewühlten Inneren nur eine Weile hatte umsehen dürfen.“// ((Pritzke, Nach Hause kommst du nie ..., 139))\\  Etwa ein Jahr blieb er bei den Beduinen, lernte deren [[wiki:sprachen|Sprache]], kleidete sich wie sie, paßte sich an, auch wenn es ihm hin und wieder schwerfiel: // „Ich war bevorzugter Gast. `Hier ist etwas Gutes für dich, Salameh!“ sagte der Onkel und hielt mir mit seinen schmutzigen Fingern ein Auge des Hammels hin. Kaum eine Situation im Krieg hatte mich soviel Todesverachtung gekostet wie das würgende Hinunterschlucken solcher Gastbrocken. ... Der Onkel jedoch, der mich ins Herz geschlossen hatte, streifte sich die Ärmel hoch, beugte sich so weit vor, daß sein Bart beinahe mit dem Gericht in Berührung kam, griff ein paarmal ein Stück Fleisch heraus und prüfte es, ob es auch gut genug war für den Gast; aber jedes Stück warf er wieder zurück, bis er endlich vom Besten das Allerbeste für mich gefunden hatte. ... Es war ein Stück Schwanzfett, mit dem ich den ganzen aufdringlichen Geruch des Fettschwanzhammels in die Nase bekam. Um den Fettklumpen gekrümmt, sah ich die unsagbar dreckige Hand, vom Fettklumpen weg rann die Brühe über den nackten haarigen Arm ... Die Natur sorgte dafür, daß ich das Schwanzfett nicht mehr zu essen brauchte und auch das Hammelauge wieder zurückbekam, nachdem es sich in meinem aufgewühlten Inneren nur eine Weile hatte umsehen dürfen.“// ((Pritzke, Nach Hause kommst du nie ..., 139))\\ 
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 Erst Ende 1947 durfte er die Beduinen verlassen und ging nach Kairo. Seine Versuche, sich einen Paß und eine Fahrkarte nach Europa zu organisieren, scheiterten kläglich, er mußte erneut untertauchen und fiel in die Hände der Muslim-Bruderschaft von Hadji Khaled, die ihm eine neue Identität verschafften.\\  Erst Ende 1947 durfte er die Beduinen verlassen und ging nach Kairo. Seine Versuche, sich einen Paß und eine Fahrkarte nach Europa zu organisieren, scheiterten kläglich, er mußte erneut untertauchen und fiel in die Hände der Muslim-Bruderschaft von Hadji Khaled, die ihm eine neue Identität verschafften.\\ 
 Als Gegenleistung verpflichtete er sich als Söldner im Palästina-Krieg mit dem Einsatzort Jaffa. Weder Israelis noch Araber waren militärisch organisiert, so daß dieser Krieg eher aus Provokationen, Unruhen und Guerilla-Aktionen bestand. Ende April 1948 brach die Jaffa-Front zusammen und Pritzke floh mit zwei Kameraden nach Beirut; die Überfahrt bezahlten sie mit ihren Waffen.\\  Als Gegenleistung verpflichtete er sich als Söldner im Palästina-Krieg mit dem Einsatzort Jaffa. Weder Israelis noch Araber waren militärisch organisiert, so daß dieser Krieg eher aus Provokationen, Unruhen und Guerilla-Aktionen bestand. Ende April 1948 brach die Jaffa-Front zusammen und Pritzke floh mit zwei Kameraden nach Beirut; die Überfahrt bezahlten sie mit ihren Waffen.\\ 
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 Dort erhielt er von der saudi-arabischen Regierung das Angebot, die Leitung des Krankenhauses im Gesundheitsamt von Hofuf zu übernehmen, nahm an und praktizierte bis September 1952 in Hofuf, ging dann zurück nach Beirut, ließ sich dort als Kinderarzt nieder und legte im November 1952 das libanesische Staatsexamen für Medizin ab. Erst damit wurde es ihm möglich, einen libanesischen Paß zu beantragen und erstmals seit seiner Flucht 1947 hatte er wieder gültige Papiere. Ein Besuch im heimatlichen Berlin zeigte ihm schnell, daß er dieses Leben nicht mehr führen konnte und er entschied sich erneut für Beirut: //„Heute habe ich hier meine Heimat, eine schöne Heimat, Freunde und Anerkennung, Arbeit und berufliche Möglichkeiten, die ich mir in einer neuen Umgebung erst wieder erkämpfen müßte.“// ((Pritzke, Nach Hause kommst du nie ..., 325)) Dort erhielt er von der saudi-arabischen Regierung das Angebot, die Leitung des Krankenhauses im Gesundheitsamt von Hofuf zu übernehmen, nahm an und praktizierte bis September 1952 in Hofuf, ging dann zurück nach Beirut, ließ sich dort als Kinderarzt nieder und legte im November 1952 das libanesische Staatsexamen für Medizin ab. Erst damit wurde es ihm möglich, einen libanesischen Paß zu beantragen und erstmals seit seiner Flucht 1947 hatte er wieder gültige Papiere. Ein Besuch im heimatlichen Berlin zeigte ihm schnell, daß er dieses Leben nicht mehr führen konnte und er entschied sich erneut für Beirut: //„Heute habe ich hier meine Heimat, eine schöne Heimat, Freunde und Anerkennung, Arbeit und berufliche Möglichkeiten, die ich mir in einer neuen Umgebung erst wieder erkämpfen müßte.“// ((Pritzke, Nach Hause kommst du nie ..., 325))
  
 ==== Flucht aus Holland ==== ==== Flucht aus Holland ====
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 Geld und Beziehungen machen das Leben und auch die Flucht leichter, schützen aber nicht vor Exil und Internierung. Diese Erfahrung machte ''Wolfgang Gans Edler Herr zu Putlitz'', deutscher Botschafter in Den Haag bis zu seiner Flucht 1939. Über Nacht mußte er Holland verlassen, da es die Gestapo auf ihn abgesehen hatte. Dank hoher Freunde in der englischen Botschaft wurde er über Nacht nach England ausgeflogen. Dort wurde ihm das Leben aber nicht leicht gemacht: alte Freunde mieden ihn, neue ließen sich nicht finden. Der Haß auf die Deutschen war zu groß. Jahrelang war er an der Botschaft in Washington gewesen, doch auch dort wollte man nichts mehr von ihm wissen. Nicht einmal ein Einreisevisum in die USA erhielt er. So flüchtet er auf das damals noch britische Jamaica. Man war freundlich und er erhielt ein eigenes Haus, doch ein hoher Zaun und die Wachmannschaften machten deutlich, daß dies als Internierung anzusehen war, wenn auch auf hohem Niveau. Aus Langeweile wandte er sich an amerikanische Verleger und bot ihnen an, ein Buch zu schreiben. Der Verleger ''Levine'' sprang darauf an und verschaffte dem Herrn zu Putlitz endlich das begehrte amerikanische Visum. Damit hatte auch die Internierung ein Ende und Putlitz fand sich in New York wieder. Geld und Beziehungen machen das Leben und auch die Flucht leichter, schützen aber nicht vor Exil und Internierung. Diese Erfahrung machte ''Wolfgang Gans Edler Herr zu Putlitz'', deutscher Botschafter in Den Haag bis zu seiner Flucht 1939. Über Nacht mußte er Holland verlassen, da es die Gestapo auf ihn abgesehen hatte. Dank hoher Freunde in der englischen Botschaft wurde er über Nacht nach England ausgeflogen. Dort wurde ihm das Leben aber nicht leicht gemacht: alte Freunde mieden ihn, neue ließen sich nicht finden. Der Haß auf die Deutschen war zu groß. Jahrelang war er an der Botschaft in Washington gewesen, doch auch dort wollte man nichts mehr von ihm wissen. Nicht einmal ein Einreisevisum in die USA erhielt er. So flüchtet er auf das damals noch britische Jamaica. Man war freundlich und er erhielt ein eigenes Haus, doch ein hoher Zaun und die Wachmannschaften machten deutlich, daß dies als Internierung anzusehen war, wenn auch auf hohem Niveau. Aus Langeweile wandte er sich an amerikanische Verleger und bot ihnen an, ein Buch zu schreiben. Der Verleger ''Levine'' sprang darauf an und verschaffte dem Herrn zu Putlitz endlich das begehrte amerikanische Visum. Damit hatte auch die Internierung ein Ende und Putlitz fand sich in New York wieder.
  
 ==== Das Ende einer Bergfahrt ==== ==== Das Ende einer Bergfahrt ====
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 ''Friedrich Kolb'' und ''Ludwig Krenek'' waren mit vier englischen Freunden im Himalaja unterwegs. Am 10. September 1939 sandte ihnen ein Polizeioffizier per Bote in die Berge hinein folgende Nachricht: // „Meine Herren, ich muß Sie bitten, ohne Verzögerung nach Manali zurückzukehren, um sich dort beim Polizeiinspektor zu melden. Ich ermahne Sie in Ihrem eigenen Interesse, dieser Bitte nachzukommen. Sie beugen damit der Notwendigkeit vor, Ihre Anwesenheit durch drastischere Mittel zu sichern. Sie müssen sich klar darüber sein, daß das Britische Weltreich sich im Kriege mit dem Deutschen Reich befindet, Sie daher Angehörige eines feindlichen Staates sind.“// ((Kolb, Einzelgänger im Himalaja, 67)) ''Friedrich Kolb'' und ''Ludwig Krenek'' waren mit vier englischen Freunden im Himalaja unterwegs. Am 10. September 1939 sandte ihnen ein Polizeioffizier per Bote in die Berge hinein folgende Nachricht: // „Meine Herren, ich muß Sie bitten, ohne Verzögerung nach Manali zurückzukehren, um sich dort beim Polizeiinspektor zu melden. Ich ermahne Sie in Ihrem eigenen Interesse, dieser Bitte nachzukommen. Sie beugen damit der Notwendigkeit vor, Ihre Anwesenheit durch drastischere Mittel zu sichern. Sie müssen sich klar darüber sein, daß das Britische Weltreich sich im Kriege mit dem Deutschen Reich befindet, Sie daher Angehörige eines feindlichen Staates sind.“// ((Kolb, Einzelgänger im Himalaja, 67))
 Für kurze Zeit landeten beide im Militärgefängnis von Lahore, kamen dann ins Internierungslager Ahmednagar und trafen dort auf //„drei Mitglieder der deutschen Nanga-Parbat-Expedition sowie zwei Bayern, die mit einem Schweizer in Sikkim gewesen waren.“// ((Kolb, Einzelgänger im Himalaja, 71)) Einer der Bayern war ein Bäcker, der einige Jahre später nach einem Fluchtversuch von Dörflern wegen seines Geldes erschlagen wurde, vermutlich Schmaderer (s. Kap. 1). Die beiden lernten Hindustani und andere Sprachen. Später kamen sie nach Deolali, dann nach Dehra-Dun. Sie unternahmen keinen Fluchtversuch und wurden bereits 1944 entlassen, da sie außerhalb des Lagers als Lehrer tätig waren. Für kurze Zeit landeten beide im Militärgefängnis von Lahore, kamen dann ins Internierungslager Ahmednagar und trafen dort auf //„drei Mitglieder der deutschen Nanga-Parbat-Expedition sowie zwei Bayern, die mit einem Schweizer in Sikkim gewesen waren.“// ((Kolb, Einzelgänger im Himalaja, 71)) Einer der Bayern war ein Bäcker, der einige Jahre später nach einem Fluchtversuch von Dörflern wegen seines Geldes erschlagen wurde, vermutlich Schmaderer (s. Kap. 1). Die beiden lernten Hindustani und andere Sprachen. Später kamen sie nach Deolali, dann nach Dehra-Dun. Sie unternahmen keinen Fluchtversuch und wurden bereits 1944 entlassen, da sie außerhalb des Lagers als Lehrer tätig waren.
  
 ==== Glück gehabt? ====  ==== Glück gehabt? ==== 
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 ''Walter-Eberhard Freiherr von Medem'' begab sich noch im März 1939 auf eine Weltreise: durch Italien, Äthiopien, Ostafrika, Japan, Korea, China und die Südsee ging die [[wiki:fahrt|Fahrt]]. Er hielt sich am 23. August wieder in Hongkong auf, als zwei englische Kriminalbeamte mit den Worten in sein Hotelzimmer eintraten: //„Ihren Paß, Sie sind verhaftet, folgen Sie zur Polizei.“// ((Medem, Blick in die weite Welt, 288)) Eine Kontaktaufnahme mit dem deutschen Generalkonsulat wurde verhindert, jedoch konnte von Medem den Portier in der Eingangshalle noch entsprechend beauftragen. Es folgten Verhöre über seine Absichten, die von Medem mit dem Hinweis auf seine ordnungsgemäßen Papiere und seine Weltreise konterte. Seine Papiere seien allerdings nicht zu finden, wurde ihm entgegnet. Glücklicherweise konnte er das gültige Ticket für seine bereits gebuchte Schiffspassage am nächsten Tag vorzeigen und noch ließen die Behörden mit sich handeln.  //„Man kann es auch Ausweisung nennen, immerhin besser, als interniert zu werden. ... Ich erkannte plötzlich, was die englische Geheimpolizei schon wußte, den bevorstehenden Kriegsausbruch!“// ((Medem, Blick in die weite Welt, 288)) ''Walter-Eberhard Freiherr von Medem'' begab sich noch im März 1939 auf eine Weltreise: durch Italien, Äthiopien, Ostafrika, Japan, Korea, China und die Südsee ging die [[wiki:fahrt|Fahrt]]. Er hielt sich am 23. August wieder in Hongkong auf, als zwei englische Kriminalbeamte mit den Worten in sein Hotelzimmer eintraten: //„Ihren Paß, Sie sind verhaftet, folgen Sie zur Polizei.“// ((Medem, Blick in die weite Welt, 288)) Eine Kontaktaufnahme mit dem deutschen Generalkonsulat wurde verhindert, jedoch konnte von Medem den Portier in der Eingangshalle noch entsprechend beauftragen. Es folgten Verhöre über seine Absichten, die von Medem mit dem Hinweis auf seine ordnungsgemäßen Papiere und seine Weltreise konterte. Seine Papiere seien allerdings nicht zu finden, wurde ihm entgegnet. Glücklicherweise konnte er das gültige Ticket für seine bereits gebuchte Schiffspassage am nächsten Tag vorzeigen und noch ließen die Behörden mit sich handeln.  //„Man kann es auch Ausweisung nennen, immerhin besser, als interniert zu werden. ... Ich erkannte plötzlich, was die englische Geheimpolizei schon wußte, den bevorstehenden Kriegsausbruch!“// ((Medem, Blick in die weite Welt, 288))
  
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 ==== Der Legion entkommen ==== ==== Der Legion entkommen ====
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 ''Philip Rosenthal'' war schon als Kind nach England gekommen, besaß aber noch die deutsche Staatsbürgerschaft. Er hatte sein Studium in Oxord beendet und war mit einem Freund in Frankreich unterwegs, wollte dort zunächst seine Mutter in ihrer Villa in Juan-Les-Pins besuchen, dann zu Fuß und per Anhalter durch den [[wiki:staunen_fremdheit_neues_neugier#Dort fängt der Balkan an|Balkan]] und die Türkei bis nach Persien.  „Danach wollte ich sehen, was sich weiter ergab. Was jedoch kam, war der Krieg. Wie so viele Menschen konnten wir nicht begreifen, daß der Krieg da war; was man nie erlebt hat, kommt einem irgendwie nicht recht möglich vor.“ ((Rosenthal, Einmal Legionär, 18)) Er wollte nicht ins faschistische Deutschland zurück, in England und Frankreich war er [[wiki:auslaender|Ausländer]]. So beschloß er kurzerhand, sich der Fremdenlegion anzuschließen. Doch die bot nicht das, was er sich vorgestellt hatte: Anstatt gegen das NS-Regime kämpfen zu dürfen, muß er in der Sahara Sand schaufeln.\\  ''Philip Rosenthal'' war schon als Kind nach England gekommen, besaß aber noch die deutsche Staatsbürgerschaft. Er hatte sein Studium in Oxord beendet und war mit einem Freund in Frankreich unterwegs, wollte dort zunächst seine Mutter in ihrer Villa in Juan-Les-Pins besuchen, dann zu Fuß und per Anhalter durch den [[wiki:staunen_fremdheit_neues_neugier#Dort fängt der Balkan an|Balkan]] und die Türkei bis nach Persien.  „Danach wollte ich sehen, was sich weiter ergab. Was jedoch kam, war der Krieg. Wie so viele Menschen konnten wir nicht begreifen, daß der Krieg da war; was man nie erlebt hat, kommt einem irgendwie nicht recht möglich vor.“ ((Rosenthal, Einmal Legionär, 18)) Er wollte nicht ins faschistische Deutschland zurück, in England und Frankreich war er [[wiki:auslaender|Ausländer]]. So beschloß er kurzerhand, sich der Fremdenlegion anzuschließen. Doch die bot nicht das, was er sich vorgestellt hatte: Anstatt gegen das NS-Regime kämpfen zu dürfen, muß er in der Sahara Sand schaufeln.\\ 
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 1940 erklärte Frankreich den Waffenstillstand. Damit fehlte ihm dann auch die letzte Perspektive.// „Ich hatte nie ein Abenteuer in der Legion, bis ich versuchte, von ihr wegzukommen; aus dem einfachen Grunde, daß es kein Abenteuer ist, mehr Arbeit unter häßlicheren Bedingungen und mit weniger Lohn und weniger Anerkennung zu leisten als die meisten Arbeiter der Welt. Auch kann selbst das Kämpfen kein Abenteuer sein, wenn es zur Dauerbeschäftigung wird. Abenteuer bedeutet, aus der Routine rauszukommen, und nicht, sich in einer zu befinden, die besonders gräßlich ist.“// ((Rosenthal, Einmal Legionär, 65))  Dreimal versuchte er aus der Legion zu fliehen, erst der letzte Versuch gelang. Er hatte sich Geld gespart, einen gefälschten Urlaubsschein ausstellen, gute Zivilkleidung schneidern lassen und läßt sich am Tag seiner Flucht rasieren und maniküren - sein Plan beruhte darauf, nicht wie ein Legionär auszusehen. Über Fes, Meknes und Rabat gelangte er nach Casablanca und da jedes Hotel Ausweise verlangte, nahm er erst spät abends Quartier, trug einen falsche Namen ein und wechselte das Hotel früh am nächsten Morgen, da erst dann die Papiere zur Polizei gebracht wurden. Tagelang suchte er Möglichkeiten, außer Landes zu gelangen: Doch weder im Prostituierten-Milieu noch bei der amerikanischen Botschaft noch im Hafen bot sich eine Chance. Der amerikanische Konsul schlug ihm ernsthaft vor, nach Britisch-Gambia mit dem Fahrrad zu fahren. Dann lernte er einen entlassenen Legionär kennen und erschwindelte sich mit dessen Entlassungsschein bei der Polizei einen neuen Personalausweis auf den baskischen Namen ''Thomas Bartolomeo Echevarria''. Die neue Identität hielt künftig allen Überprüfungen stand, nur das Land verlassen konnte er auch damit nicht. Bei einem solchen Versuch wurde er verhaftet, kam zunächst ins Gefängnis, dann ins Lager, wurde aber nicht als entlaufener Legionär erkannt. Erst im September 1942 gelang es ihm mit Hilfe von Freunden und Beziehungen, in einem kleinen Fischkutter Marokko zu verlassen und nach Gibraltar überzusetzen. 1940 erklärte Frankreich den Waffenstillstand. Damit fehlte ihm dann auch die letzte Perspektive.// „Ich hatte nie ein Abenteuer in der Legion, bis ich versuchte, von ihr wegzukommen; aus dem einfachen Grunde, daß es kein Abenteuer ist, mehr Arbeit unter häßlicheren Bedingungen und mit weniger Lohn und weniger Anerkennung zu leisten als die meisten Arbeiter der Welt. Auch kann selbst das Kämpfen kein Abenteuer sein, wenn es zur Dauerbeschäftigung wird. Abenteuer bedeutet, aus der Routine rauszukommen, und nicht, sich in einer zu befinden, die besonders gräßlich ist.“// ((Rosenthal, Einmal Legionär, 65))  Dreimal versuchte er aus der Legion zu fliehen, erst der letzte Versuch gelang. Er hatte sich Geld gespart, einen gefälschten Urlaubsschein ausstellen, gute Zivilkleidung schneidern lassen und läßt sich am Tag seiner Flucht rasieren und maniküren - sein Plan beruhte darauf, nicht wie ein Legionär auszusehen. Über Fes, Meknes und Rabat gelangte er nach Casablanca und da jedes Hotel Ausweise verlangte, nahm er erst spät abends Quartier, trug einen falsche Namen ein und wechselte das Hotel früh am nächsten Morgen, da erst dann die Papiere zur Polizei gebracht wurden. Tagelang suchte er Möglichkeiten, außer Landes zu gelangen: Doch weder im Prostituierten-Milieu noch bei der amerikanischen Botschaft noch im Hafen bot sich eine Chance. Der amerikanische Konsul schlug ihm ernsthaft vor, nach Britisch-Gambia mit dem Fahrrad zu fahren. Dann lernte er einen entlassenen Legionär kennen und erschwindelte sich mit dessen Entlassungsschein bei der Polizei einen neuen Personalausweis auf den baskischen Namen ''Thomas Bartolomeo Echevarria''. Die neue Identität hielt künftig allen Überprüfungen stand, nur das Land verlassen konnte er auch damit nicht. Bei einem solchen Versuch wurde er verhaftet, kam zunächst ins Gefängnis, dann ins Lager, wurde aber nicht als entlaufener Legionär erkannt. Erst im September 1942 gelang es ihm mit Hilfe von Freunden und Beziehungen, in einem kleinen Fischkutter Marokko zu verlassen und nach Gibraltar überzusetzen.
  
 ==== 3.3 Mitten im Putsch ==== ==== 3.3 Mitten im Putsch ====
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 An einem ruhigen Sonntagmorgen fuhr der Engländer ''Bruce Chatwin'' mit einem afrikanischen Freund durch die Straßen von Benins Hauptstadt. Vor immer lauter werdendem Geschützfeuer flüchteten sie in Nebenstraßen. Doch Chatwin wurde für einen Söldner gehalten, da er Armeehosen trug, Menschen schlugen auf sie ein. Dann zogen ihn Polizisten aus der Menge, legten ihm Handschellen an: //„Zu ihrer eigenen Sicherheit“// und brachten ihn zur Wache. Seinen Freund sah er nicht mehr wieder.\\  An einem ruhigen Sonntagmorgen fuhr der Engländer ''Bruce Chatwin'' mit einem afrikanischen Freund durch die Straßen von Benins Hauptstadt. Vor immer lauter werdendem Geschützfeuer flüchteten sie in Nebenstraßen. Doch Chatwin wurde für einen Söldner gehalten, da er Armeehosen trug, Menschen schlugen auf sie ein. Dann zogen ihn Polizisten aus der Menge, legten ihm Handschellen an: //„Zu ihrer eigenen Sicherheit“// und brachten ihn zur Wache. Seinen Freund sah er nicht mehr wieder.\\ 
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 Dort ging es drunter und drüber: Zunächst beschimpfte ihn ein Unteroffizier als Söldner und nannte seinen Füllfederhalter eine getarnte Waffe. Dann schützte ihn ein Oberst einige Stunden, mußte aber bald selber fliehen, während Chatwin vom Unteroffizier wieder arrestiert wurde. Später erschien ein neuer Oberst, diesmal eine Frau. Chatwin mußte sich bis auf die Unterhose ausziehen, über den Hof gehen und sich dort mit erhobenen Händen an eine Wand stellen, das Gesicht zur Wand. Umdrehen war verboten, sprechen war verboten. Die Soldaten trieben ihr Spiel, bis er in der Mittagshitze ohnmächtig zusammenbrach. Abends erhielt er seine Kleider zurück, doch die Euroschecks fehlen.\\  Dort ging es drunter und drüber: Zunächst beschimpfte ihn ein Unteroffizier als Söldner und nannte seinen Füllfederhalter eine getarnte Waffe. Dann schützte ihn ein Oberst einige Stunden, mußte aber bald selber fliehen, während Chatwin vom Unteroffizier wieder arrestiert wurde. Später erschien ein neuer Oberst, diesmal eine Frau. Chatwin mußte sich bis auf die Unterhose ausziehen, über den Hof gehen und sich dort mit erhobenen Händen an eine Wand stellen, das Gesicht zur Wand. Umdrehen war verboten, sprechen war verboten. Die Soldaten trieben ihr Spiel, bis er in der Mittagshitze ohnmächtig zusammenbrach. Abends erhielt er seine Kleider zurück, doch die Euroschecks fehlen.\\ 
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 Ein belgischer Gefangener, der zu viele Fragen stellte, wurde zusammengeschlagen. Ein Missionsarzt, ebenfalls gefangen, erlag einem Herzschlag. Ein weiblicher Feldwebel nahm ihm die Fingerabdrücke ab, brach ihm fast den kleinen Finger und zerquetschte ihm mit dem Stiefel einen Zeh, als er vor Schmerz aufschrieh. Über Nacht wurden die neun Gefangenen in ein kleines Büro gequetscht, wer einschlief, wurde mit Tritten geweckt. Chatwins Rücken war von der Sonne verbrannt und mit Blasen übersät, der gequetschte Zeh hatte sich entzündet. Ein belgischer Gefangener, der zu viele Fragen stellte, wurde zusammengeschlagen. Ein Missionsarzt, ebenfalls gefangen, erlag einem Herzschlag. Ein weiblicher Feldwebel nahm ihm die Fingerabdrücke ab, brach ihm fast den kleinen Finger und zerquetschte ihm mit dem Stiefel einen Zeh, als er vor Schmerz aufschrieh. Über Nacht wurden die neun Gefangenen in ein kleines Büro gequetscht, wer einschlief, wurde mit Tritten geweckt. Chatwins Rücken war von der Sonne verbrannt und mit Blasen übersät, der gequetschte Zeh hatte sich entzündet.
 Am nächsten Morgen kam der französische Konsul, schwitzend vor Angst und sich nur um die Ernährung der Gefangenen kümmernd. Chatwins Bitte, den englischen Konsul über seine Lage zu informieren, lehnte er ab. Mittags wurden die Franzosen auf freien Fuß gesetzt, etwas später erschien der von ihnen informierte deutsche Botschaftsrat und bewirkte auch Chatwins Freilassung. Der kramt dort einen seiner beiden versteckten Euroschecks hervor, holt sich Geld und verkriecht sich auf dem Zimmer. Irgendwann tritt ein Soldat ein und verlangt Geld, Chatwin gibt es ihm und der Soldat verabschiedet sich höflich. Am nächsten Morgen kam der französische Konsul, schwitzend vor Angst und sich nur um die Ernährung der Gefangenen kümmernd. Chatwins Bitte, den englischen Konsul über seine Lage zu informieren, lehnte er ab. Mittags wurden die Franzosen auf freien Fuß gesetzt, etwas später erschien der von ihnen informierte deutsche Botschaftsrat und bewirkte auch Chatwins Freilassung. Der kramt dort einen seiner beiden versteckten Euroschecks hervor, holt sich Geld und verkriecht sich auf dem Zimmer. Irgendwann tritt ein Soldat ein und verlangt Geld, Chatwin gibt es ihm und der Soldat verabschiedet sich höflich.
  
 ==== 3.4 Entkommen aus Sibirien ==== ==== 3.4 Entkommen aus Sibirien ====
-''Kurt Aram'' hatte Pech: Zusammen mit seiner Frau war er auf dem Weg von Istanbul über Tiflis nach Eriwan und Wan. Er hatte den kürzeren Weg über Batum am Schwarzen Meer gewählt und befand sich in Rußland, als am 1. August 1914 Deutschland Rußland den Krieg erklärte. Während der nächsten Tage wollte niemand diese Nachricht glauben, man bestätigte sich gegenseitig, daß das doch gar nicht sein könne - auch der deutsche Konsul hatte keine offiziellen Nachrichten erhalten. Und doch - das Verhalten wurde distanzierter, die Menschen auf der Straße gingen den Deutschen aus dem Weg. Das Hotel //London//, in dem sich Aram befand, gehörte einer seit vielen Jahren dort lebenden Deutschen, einer Frau ''Richter'' aus Mainz. Dann wird die Kriegserklärung zwischen England und Deutschland bekannt, die Engländer ziehen aus dem Hotel aus, auch die Holländer verlassen das sinkende Schiff, distanzieren sich von der kriegerischen Nation. In ganz Rußland werden dann die Deutschen und Deutschstämmigen im Alter von 17 bis 50 Jahren interniert und ''Kurt Aram'' landet mit seiner Frau in Sibirien. Dort finden sich in erster Linie Geschäftsleute wieder, nur wenige Reisende sind darunter. Alle Kosten der Internierung, Essen und Trinken, warme Kleidung für Sibirien, sogar die zehntägige Bahnfahrt ins sibirische Gouvernement Watka haben die Gefangenen selbst zu bezahlen, wer kein Geld hat, leidet Hunger, friert, ist obdachlos. In den ersten Tagen hätte Aram noch ausreisen können, doch fehlte ihm der Paß, der noch zur Anmeldung bei der Polizei lag. Diese hatte aber wohl schon frühzeitig Order, die Pässe zurückzuhalten. Die zweite Bedingung war Geld, denn mit zunehmender *[[wiki:krise|Krise]] stiegen die Kosten für [[wiki:fahrt|Fahrt]]en und notwendige Bestechungen. Dennoch gelang Aram nach fünf Monaten die Ausreise mittels überlegter Tricks, Beziehungen zu bekannten Russen, Geld und der notwendigen Beherrschung des Russischen. Diese zweite Phase ist unter Reiseaspekten interessanter als die erste, da sie zeigt, unter welchen besonderen Bedingungen in Krisenzeiten eine Reise organisiert werden muß: Aram erhält nach allerlei Manipulationen einen Auslandsreisepaß für sich und seine Frau, den er fortan nicht mehr aus der Hand gibt. Baldmöglichst läßt er sich eine beglaubigte Kopie anfertigen. Außerdem versucht er trotz seines Passes möglichst wenig aufzufallen: //„Reisende sind von vornherein verdächtig.“// ((Aram, Nach Sibirien ..., 220)) Er rechnet vielmehr mit der Willkür der Behörden, die, wenn sie ihn erst einmal als „feindlichen“ Deutschen erkannt haben, ihn erneut internieren. Sein Auslandspaß verschwände dann in irgendeiner Schublade. Das bedeutet für ihn, der recht gut russisch spricht, schnell zu sein und möglichst keinen Kontakt mit anderen Leuten zu haben. Also kauft er eine Fahrkarte erster Klasse, da in diesen Abteilen nur zwei Personen Platz haben, und verläßt es außer zum Umsteigen nicht. Für die mehrtägigen Bahnfahrten setzt das eine ausreichende Verpflegung voraus. Schwierig wird es in Petersburg: Dort müssen sie übernachten, da der nächste Anschlußzug erst am folgenden Tag fährt. Alle Hotels verlangen jedoch den Reisepaß und auf dem Bahnhof patrouillieren Soldaten. Glücklicherweise können sie bei einem Russen, den Aram von einer früheren Reise her kennt, unterkommen. Auf der letzten Etappe, von Petersburg nach Raumo, wird der Zug dann doch noch kontrolliert. Auch Aram und seine Frau werden gründlichst durchsucht: Leibesvisitation, ausziehen, die Sohlen werden von den Schuhen getrennt. Alles Schriftliche wird beschlagnahmt, der Baedeker ebenso wie das (leere) Notizbuch. Nur fünfzig Rubel erhalten sie pro Person zurück, der Rest wird konfisziert. Auch hier hofft er zu Recht, daß man sich seinen Paß nicht genauer ansieht, nicht sieht, daß er aus einem Lager kommt. Denn mittlerweile sind fast nur noch [[wiki:auslaender|Ausländer]] im Zug; es sind zu viele, um sie alle gründlich zu kontrollieren. Die Hoffnung erfüllt sich und drei Tage nach der Abfahrt von Petersburg befinden sich beide an Bord einer schwedischen Fähre.+ 
 +''Kurt Aram'' hatte Pech: Zusammen mit seiner Frau war er auf dem Weg von Istanbul über Tiflis nach Eriwan und Wan. Er hatte den kürzeren Weg über Batum am Schwarzen Meer gewählt und befand sich in Rußland, als am 1. August 1914 Deutschland Rußland den Krieg erklärte. Während der nächsten Tage wollte niemand diese Nachricht glauben, man bestätigte sich gegenseitig, daß das doch gar nicht sein könne - auch der deutsche Konsul hatte keine offiziellen Nachrichten erhalten. Und doch - das Verhalten wurde distanzierter, die Menschen auf der Straße gingen den Deutschen aus dem Weg. Das Hotel //London//, in dem sich Aram befand, gehörte einer seit vielen Jahren dort lebenden Deutschen, einer Frau ''Richter'' aus Mainz. Dann wird die Kriegserklärung zwischen England und Deutschland bekannt, die Engländer ziehen aus dem Hotel aus, auch die Holländer verlassen das sinkende Schiff, distanzieren sich von der kriegerischen Nation. In ganz Rußland werden dann die Deutschen und Deutschstämmigen im Alter von 17 bis 50 Jahren interniert und ''Kurt Aram'' landet mit seiner Frau in Sibirien. Dort finden sich in erster Linie Geschäftsleute wieder, nur wenige Reisende sind darunter. Alle Kosten der Internierung, Essen und Trinken, warme [[wiki:reisekleidung|Kleidung]] für Sibirien, sogar die zehntägige Bahnfahrt ins sibirische Gouvernement Watka haben die Gefangenen selbst zu bezahlen, wer kein Geld hat, leidet Hunger, friert, ist obdachlos. In den ersten Tagen hätte Aram noch ausreisen können, doch fehlte ihm der Paß, der noch zur Anmeldung bei der Polizei lag. Diese hatte aber wohl schon frühzeitig Order, die Pässe zurückzuhalten. Die zweite Bedingung war Geld, denn mit zunehmender *[[wiki:krise|Krise]] stiegen die Kosten für [[wiki:fahrt|Fahrt]]en und notwendige Bestechungen. Dennoch gelang Aram nach fünf Monaten die Ausreise mittels überlegter Tricks, Beziehungen zu bekannten Russen, Geld und der notwendigen Beherrschung des Russischen. Diese zweite Phase ist unter Reiseaspekten interessanter als die erste, da sie zeigt, unter welchen besonderen Bedingungen in Krisenzeiten eine Reise organisiert werden muß: Aram erhält nach allerlei Manipulationen einen Auslandsreisepaß für sich und seine Frau, den er fortan nicht mehr aus der Hand gibt. Baldmöglichst läßt er sich eine beglaubigte Kopie anfertigen. Außerdem versucht er trotz seines Passes möglichst wenig aufzufallen: //„Reisende sind von vornherein verdächtig.“// ((Aram, Nach Sibirien ..., 220)) Er rechnet vielmehr mit der Willkür der Behörden, die, wenn sie ihn erst einmal als „feindlichen“ Deutschen erkannt haben, ihn erneut internieren. Sein Auslandspaß verschwände dann in irgendeiner Schublade. Das bedeutet für ihn, der recht gut russisch spricht, schnell zu sein und möglichst keinen Kontakt mit anderen Leuten zu haben. Also kauft er eine Fahrkarte erster Klasse, da in diesen Abteilen nur zwei Personen Platz haben, und verläßt es außer zum Umsteigen nicht. Für die mehrtägigen Bahnfahrten setzt das eine ausreichende Verpflegung voraus. Schwierig wird es in Petersburg: Dort müssen sie übernachten, da der nächste Anschlußzug erst am folgenden Tag fährt. Alle Hotels verlangen jedoch den Reisepaß und auf dem Bahnhof patrouillieren Soldaten. Glücklicherweise können sie bei einem Russen, den Aram von einer früheren Reise her kennt, unterkommen. Auf der letzten Etappe, von Petersburg nach Raumo, wird der Zug dann doch noch kontrolliert. Auch Aram und seine Frau werden gründlichst durchsucht: Leibesvisitation, ausziehen, die Sohlen werden von den Schuhen getrennt. Alles Schriftliche wird beschlagnahmt, der Baedeker ebenso wie das (leere) Notizbuch. Nur fünfzig Rubel erhalten sie pro Person zurück, der Rest wird konfisziert. Auch hier hofft er zu Recht, daß man sich seinen Paß nicht genauer ansieht, nicht sieht, daß er aus einem Lager kommt. Denn mittlerweile sind fast nur noch [[wiki:auslaender|Ausländer]] im Zug; es sind zu viele, um sie alle gründlich zu kontrollieren. Die Hoffnung erfüllt sich und drei Tage nach der Abfahrt von Petersburg befinden sich beide an Bord einer schwedischen Fähre.
  
 ''Slavomir Rawitsch'', Leutnant der polnischen Kavallerie, wurde nach dem Zusammenbruch der polnischen Armee am 19.11.1939 von den Russen gefangengenommen, er war gerade 24 Jahre alt. Verhöre, Einzelhaft und Folter in den Gefängnissen von Minsk, Charkow und in der Lubjanka in Moskau gingen seiner Verurteilung voraus, die für ihn fünfundzwanzig Jahren Zwangsarbeit in Sibirien vorsah. Ende November 1940 wurde er zusammen mit etwa 60 anderen Verurteilten in einen Viehwaggon gesperrt, der für 8 Pferde vorgesehen war. Es war so eng, daß sich niemand setzen kann. //„Die ganze Nacht und den ganzen folgenden Tag über durften wir die Waggons nicht einmal verlassen. ... Die Männer mußten sich im Stehen entleeren. Der Gestank war unerträglich.“// ((Rawitsch, 41))  Mitte Dezember kamen sie in Irkutsk an, 5000 Männer wurden auf einem Kartoffelfeld versammelt. Nach drei Tagen gab es Winterkleidung, dann wurden sie in einer Reihe aneinander gekettet. 1.600 Kilometer Fußmarsch lagen vor ihnen. Ihr Ziel, das Lager 303 am Nordufer der Lena, etwa 350 Kilometer südlich von Irkutsk, erreichten sie nach zwei Monaten, im Februar 1941. ''Slavomir Rawitsch'', Leutnant der polnischen Kavallerie, wurde nach dem Zusammenbruch der polnischen Armee am 19.11.1939 von den Russen gefangengenommen, er war gerade 24 Jahre alt. Verhöre, Einzelhaft und Folter in den Gefängnissen von Minsk, Charkow und in der Lubjanka in Moskau gingen seiner Verurteilung voraus, die für ihn fünfundzwanzig Jahren Zwangsarbeit in Sibirien vorsah. Ende November 1940 wurde er zusammen mit etwa 60 anderen Verurteilten in einen Viehwaggon gesperrt, der für 8 Pferde vorgesehen war. Es war so eng, daß sich niemand setzen kann. //„Die ganze Nacht und den ganzen folgenden Tag über durften wir die Waggons nicht einmal verlassen. ... Die Männer mußten sich im Stehen entleeren. Der Gestank war unerträglich.“// ((Rawitsch, 41))  Mitte Dezember kamen sie in Irkutsk an, 5000 Männer wurden auf einem Kartoffelfeld versammelt. Nach drei Tagen gab es Winterkleidung, dann wurden sie in einer Reihe aneinander gekettet. 1.600 Kilometer Fußmarsch lagen vor ihnen. Ihr Ziel, das Lager 303 am Nordufer der Lena, etwa 350 Kilometer südlich von Irkutsk, erreichten sie nach zwei Monaten, im Februar 1941.
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 Vom ersten Tag an beschäftigte sich Rawitsch mit Fluchtgedanken, suchte vorsichtig tastend nach geeigneten Fluchtkameraden und fand schließlich sechs Fluchtwillige: den Amerikaner ''Smith'', einen Ingenieur, den man wegen Spionageverdacht zu zwanzig Jahren Arbeitslager verurteilt hatte; ''Eugen Zavo'', einen dreißig Jahre alten Jugoslawen, der zuletzt als Buchhalter tätig gewesen war; ''Anastasi Kolomenos'', einen blonden Hünen, 27 Jahre alt, der in Litauen einen Hof gehabt hatte; ''Sigmund Makowski'', 37 Jahre alt und Hauptmann der polnischen Armee; ''Zacharius Marchinkowas'', einen knapp dreißigjährigen Architekten aus Litauen und schließlich ''Anton Paluchowitsch'', 41 Jahre alt, einen polnischen Kavallerie-Feldwebel. Sie entschieden sich für eine Flucht nach Süden, [[wiki:orientierung|Richtung]] Mongolei und weiter zum Himalaya. Dies ist mit 1.500 Kilometern zur mongolischen Grenze der zwar längste, aber auch der sicherste Weg, da wenig bevölkert und wenig kontrolliert.\\  Vom ersten Tag an beschäftigte sich Rawitsch mit Fluchtgedanken, suchte vorsichtig tastend nach geeigneten Fluchtkameraden und fand schließlich sechs Fluchtwillige: den Amerikaner ''Smith'', einen Ingenieur, den man wegen Spionageverdacht zu zwanzig Jahren Arbeitslager verurteilt hatte; ''Eugen Zavo'', einen dreißig Jahre alten Jugoslawen, der zuletzt als Buchhalter tätig gewesen war; ''Anastasi Kolomenos'', einen blonden Hünen, 27 Jahre alt, der in Litauen einen Hof gehabt hatte; ''Sigmund Makowski'', 37 Jahre alt und Hauptmann der polnischen Armee; ''Zacharius Marchinkowas'', einen knapp dreißigjährigen Architekten aus Litauen und schließlich ''Anton Paluchowitsch'', 41 Jahre alt, einen polnischen Kavallerie-Feldwebel. Sie entschieden sich für eine Flucht nach Süden, [[wiki:orientierung|Richtung]] Mongolei und weiter zum Himalaya. Dies ist mit 1.500 Kilometern zur mongolischen Grenze der zwar längste, aber auch der sicherste Weg, da wenig bevölkert und wenig kontrolliert.\\ 
-Ihre Fluchtvorbereitungen waren relativ bescheiden, da die Umstände kaum mehr zuließen: Von ihrer Tagesration (1 kg Brot) trockneten sie täglich ein Viertel auf einem Ofen; organisierten sich ein wenig Mehl und Salz, Graupen und Tabak; jeden Tag stahlen sie von den zahlreichen Pelzen, die die sowjetischen Soldaten zum Trocknen aufhängten, ein Stück, und schneiderten sich daraus warme Kleidung, Mokassins, [[wiki:guertel|Gürtel]], Riemen, Gamaschen und Balaklawa-Fellmützen (( Balaklawa-Mützen bedecken den ganzen Kopf, oft auch noch den Hals, und haben lediglich Löcher für Augen und Mund.)); sie konnten eine Axt erbeuten und Rawitsch schmiedete sich ein Messer aus den Resten einer gebrochenen Säge; aus Holz geschnitzte Löffel und ein einziger Aluminiumbecher bildeten das gesamte Kochgeschirr. Interessant ist ihre Methode, sich mangels Streichhölzern eine Art Feuerzeug zu basteln: //„Man verwendete das schwammartige Gubkamoos, das sich von den Bäumen abreißen läßt. Zum Feueranmachen braucht man dann nur noch einen gebrochenen Nagel und ein Stück Feuerstein. ((Dieses System wurde von den Russen „Chakkalo-bakkalo“ genannt.)) Das trockene Gubka, das wir alle vorrätig bei uns hatten, entzündete sich am Funken des Feuersteins und brannte, wenn es angeblasen wurde, mit schwelender Flamme.“// ((Rawitsch, 119))  Im April 1941 waren die Vorbereitungen abgeschlossen und in einer Nacht, als dichter Schneefall jede Sicht nahm und ihre Spuren rasch verdecken würde, entkamen die sieben über die gestaffelte Befestigungsanlage. Als besonderen [[wiki:kniff|Trick]] zogen sie ein Schaffell hinter sich her, damit sollte die Witterung der Hunde vom Menschen abgelenkt werden.\\ + 
 +Ihre Fluchtvorbereitungen waren relativ bescheiden, da die Umstände kaum mehr zuließen: Von ihrer Tagesration (1 kg Brot) trockneten sie täglich ein Viertel auf einem Ofen; organisierten sich ein wenig Mehl und Salz, Graupen und Tabak; jeden Tag stahlen sie von den zahlreichen Pelzen, die die sowjetischen Soldaten zum Trocknen aufhängten, ein Stück, und schneiderten sich daraus warme Kleidung, Mokassins, [[wiki:guertel|Gürtel]], Riemen, Gamaschen und Balaklava-Fellmützen (( Balaklawa-Mützen bedecken den ganzen Kopf, oft auch noch den Hals, und haben lediglich Löcher für Augen und Mund.)); sie konnten eine Axt erbeuten und Rawitsch schmiedete sich ein Messer aus den Resten einer gebrochenen Säge; aus Holz geschnitzte Löffel und ein einziger Aluminiumbecher bildeten das gesamte Kochgeschirr. Interessant ist ihre Methode, sich mangels Streichhölzern eine Art Feuerzeug zu basteln: //„Man verwendete das schwammartige Gubkamoos, das sich von den Bäumen abreißen läßt. Zum Feueranmachen braucht man dann nur noch einen gebrochenen Nagel und ein Stück Feuerstein. ((Dieses System wurde von den Russen „Chakkalo-bakkalo“ genannt.)) Das trockene Gubka, das wir alle vorrätig bei uns hatten, entzündete sich am Funken des Feuersteins und brannte, wenn es angeblasen wurde, mit schwelender Flamme.“// ((Rawitsch, 119))  Im April 1941 waren die Vorbereitungen abgeschlossen und in einer Nacht, als dichter Schneefall jede Sicht nahm und ihre Spuren rasch verdecken würde, entkamen die sieben über die gestaffelte Befestigungsanlage. Als besonderen [[wiki:kniff|Trick]] zogen sie ein Schaffell hinter sich her, damit sollte die Witterung der Hunde vom Menschen abgelenkt werden.\\  
 Aus Angst vor Entdeckung liefen sie die ersten Tage nur nachts und gruben sich tags in Schneehöhlen ein. Zeitweise mußten sie in einem Meter tiefem Neuschnee spuren und erst, als sie tagsüber marschierten, erhöhten sie ihr Tagespensum auf bis zu fünfzig Kilometer. Manchmal konnten sie den kargen Speisezettel etwas aufbessern, so, als sie ein Loch in einen zugefrorenen Fluß hackten:  „Das Wasser quoll als Fontäne in die Höhe und strudelte eisig um unsere Füße. Und siehe da - vier Fische, so groß wie Heringe, kamen an die Oberfläche. Aufgeregt wie Schuljungen stürzten wir uns auf unsere Beute.“ ((Rawitsch, 132)) Ein andermal gelang es ihnen, einen sibirischen Hasen zu fangen. Rawitsch war der einzige, der sich auf Weidmannskunst und Jägerkniffe verstand, alle anderen waren Städter. Neun Tage nach ihrem Ausbruch erreichten sie die Lena, scheuen aber weiterhin die Begegnung mit Menschen: //„Die wenigen Straßen, auf die wir stießen, überquerten wir nur nach eingehender vorheriger Erkundung. Manchmal sahen wir nachts in der Ferne die Lichter eines Dorfes oder einer kleinen Stadt und am Tage die Umrisse von Häusern und rauchende hohe Schornsteine. In solchen Gegenden bewegten wir uns besonders vorsichtig.“// ((Rawitsch, 143)) Während die Wochen vergehen, schlich sich der Frühling ins Land, das Eis auf den Flüssen wurde dünner und machte oft das Durchschwimmen der Flußmitte nötig. Auf Höhe des Baikalsees schloß sich ihnen ein siebzehnjähriges polnisches Mädchen, Kristina, an, das ebenfalls ausgerissen war.\\  Aus Angst vor Entdeckung liefen sie die ersten Tage nur nachts und gruben sich tags in Schneehöhlen ein. Zeitweise mußten sie in einem Meter tiefem Neuschnee spuren und erst, als sie tagsüber marschierten, erhöhten sie ihr Tagespensum auf bis zu fünfzig Kilometer. Manchmal konnten sie den kargen Speisezettel etwas aufbessern, so, als sie ein Loch in einen zugefrorenen Fluß hackten:  „Das Wasser quoll als Fontäne in die Höhe und strudelte eisig um unsere Füße. Und siehe da - vier Fische, so groß wie Heringe, kamen an die Oberfläche. Aufgeregt wie Schuljungen stürzten wir uns auf unsere Beute.“ ((Rawitsch, 132)) Ein andermal gelang es ihnen, einen sibirischen Hasen zu fangen. Rawitsch war der einzige, der sich auf Weidmannskunst und Jägerkniffe verstand, alle anderen waren Städter. Neun Tage nach ihrem Ausbruch erreichten sie die Lena, scheuen aber weiterhin die Begegnung mit Menschen: //„Die wenigen Straßen, auf die wir stießen, überquerten wir nur nach eingehender vorheriger Erkundung. Manchmal sahen wir nachts in der Ferne die Lichter eines Dorfes oder einer kleinen Stadt und am Tage die Umrisse von Häusern und rauchende hohe Schornsteine. In solchen Gegenden bewegten wir uns besonders vorsichtig.“// ((Rawitsch, 143)) Während die Wochen vergehen, schlich sich der Frühling ins Land, das Eis auf den Flüssen wurde dünner und machte oft das Durchschwimmen der Flußmitte nötig. Auf Höhe des Baikalsees schloß sich ihnen ein siebzehnjähriges polnisches Mädchen, Kristina, an, das ebenfalls ausgerissen war.\\ 
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 In der zweiten Juni-Woche überschritten sie die mongolisch-russische Grenze und bewegten sich auf die Kentei-Shen-Berge zu: in sechzig Tagen hatten sie zweitausend Kilometer zurückgelegt. Weiterhin waren die [[wiki:lebensmittel|Lebensmittel]] knapp, oft hungerten sie tagelang. Vor Verlassen der Sowjetunion gruben sie auf einem Acker einen Zentner Frühkartoffel aus, manchmal fanden sie Pilze und einmal hatten sie das Glück, einen Hirsch erlegen zu können, der sich mit dem Geweih in der Krone eines umgestürzten Baumes verfangen hatte.\\  In der zweiten Juni-Woche überschritten sie die mongolisch-russische Grenze und bewegten sich auf die Kentei-Shen-Berge zu: in sechzig Tagen hatten sie zweitausend Kilometer zurückgelegt. Weiterhin waren die [[wiki:lebensmittel|Lebensmittel]] knapp, oft hungerten sie tagelang. Vor Verlassen der Sowjetunion gruben sie auf einem Acker einen Zentner Frühkartoffel aus, manchmal fanden sie Pilze und einmal hatten sie das Glück, einen Hirsch erlegen zu können, der sich mit dem Geweih in der Krone eines umgestürzten Baumes verfangen hatte.\\ 
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 In der besiedelten äußeren Mongolei trafen sie auf gastfreundliche Bewohner, die ihnen öfters mit Lebensmitteln aushalfen. Zunehmend wurde die Gegend karger und sandiger, ein Anzeichen für die nahende Wüste Gobi, die sie zu Fuß durchquerten, ohne eine andere Ausrüstung zu haben als bisher: ihr einziges Vorratsgefäß für Wasser bildete der Aluminiumbecher, die einzigen Lebensmittel bestanden in einer Anzahl getrockneter Fische, die am fünften Tage alle waren. Erst am siebten Tag erreichten sie halb verdurstet eine Oase und konnten doch nicht bleiben, da sie keine Lebensmittel mehr hatten. Am sechsten Tag nach Verlassen der Oase starb ''Kristina'' an Erschöpfung, am zehnten Tag starb auch ''Makowski'', erst am dreizehnten Tag stießen sie wieder auf eine karge Quelle. Nun erst kamen sie auf die Idee, die recht häufig vorkommenden Schlangen zu fangen und zu essen. Wieder folgten acht Tage ohne Wasser, bevor sie die Berge erreichten. Drei Wochen später, Anfang Oktober, trafen sie in der Provinz Kansu wieder einen Menschen, einen Schäfer, der sie üppig bewirtete. Weiterhin blieb das Essen karg, nur alle paar Tage trafen sie auf Hirten. Straßen und Wege gab es nicht, sie gingen einfach in eine bestimmte [[wiki:orientierung#Richtung und Himmelsrichtungen|Himmelsrichtung]] und versuchten, mit den Hindernissen fertig zu werden. Nach einer der vielen Nächte in den tibetischen Bergen stellten sie morgens fest, daß ''Marchinkowas'' nachts gestorben ist, ohne daß sie die Ursache erkennen konnten. Ende Januar überschritten sie irgendwo westlich von Lhasa den Brahmaputra. Auf der letzten Etappe des Weges stürzt ''Paluchowitsch'' in eine abgrundlose Schlucht.\\  In der besiedelten äußeren Mongolei trafen sie auf gastfreundliche Bewohner, die ihnen öfters mit Lebensmitteln aushalfen. Zunehmend wurde die Gegend karger und sandiger, ein Anzeichen für die nahende Wüste Gobi, die sie zu Fuß durchquerten, ohne eine andere Ausrüstung zu haben als bisher: ihr einziges Vorratsgefäß für Wasser bildete der Aluminiumbecher, die einzigen Lebensmittel bestanden in einer Anzahl getrockneter Fische, die am fünften Tage alle waren. Erst am siebten Tag erreichten sie halb verdurstet eine Oase und konnten doch nicht bleiben, da sie keine Lebensmittel mehr hatten. Am sechsten Tag nach Verlassen der Oase starb ''Kristina'' an Erschöpfung, am zehnten Tag starb auch ''Makowski'', erst am dreizehnten Tag stießen sie wieder auf eine karge Quelle. Nun erst kamen sie auf die Idee, die recht häufig vorkommenden Schlangen zu fangen und zu essen. Wieder folgten acht Tage ohne Wasser, bevor sie die Berge erreichten. Drei Wochen später, Anfang Oktober, trafen sie in der Provinz Kansu wieder einen Menschen, einen Schäfer, der sie üppig bewirtete. Weiterhin blieb das Essen karg, nur alle paar Tage trafen sie auf Hirten. Straßen und Wege gab es nicht, sie gingen einfach in eine bestimmte [[wiki:orientierung#Richtung und Himmelsrichtungen|Himmelsrichtung]] und versuchten, mit den Hindernissen fertig zu werden. Nach einer der vielen Nächte in den tibetischen Bergen stellten sie morgens fest, daß ''Marchinkowas'' nachts gestorben ist, ohne daß sie die Ursache erkennen konnten. Ende Januar überschritten sie irgendwo westlich von Lhasa den Brahmaputra. Auf der letzten Etappe des Weges stürzt ''Paluchowitsch'' in eine abgrundlose Schlucht.\\ 
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 Zu viert begegneten sie wenige Tage später einer indischen Militärpatrouille, achtzehn Monate nach ihrem Ausbruch aus dem sibirischen Lager, und wurden nach Kalkutta gebracht. Dort bricht Rawitsch zusammen und wacht erst vier Wochen später wieder auf. Nach ihrer Genesung trennten sich die vier, Rawitsch wird zu den im Mittleren Osten kämpfenden, polnischen Truppen überstellt. ((In Rawitschs Bericht irritieren viele Angaben: Weshalb durchqueren sie die Gobi in ihrer größten Ausdehnung, statt sich nach China zu wenden? Ihr erstes Ziel, Afghanistan, streben sie einige Zeit später nicht mehr an. Warum? Stattdessen wollen sie nach Lhasa. Das meiden sie dann aber auch, angeblich, weil sie Angst vor den Behörden hätten. Wieso? Schlimmstenfalls wären sie nach Nepal ausgewiesen worden und wären dort ebenso wie in Indien auf Engländer gestoßen. Das wollten sie doch, oder? Wieso besorgen sie sich nicht einige Wassersäcke aus Ziegenleder? Unglaublich scheint es, daß man sechs (oder gar dreizehn) Tage bei großer Hitze ohne Wasser überleben kann und gleichzeitig getrockneten Fisch ißt. Wer hungert zwei Wochen, bevor er die Idee hat, Schlangen zu essen? Häufige Klischees gipfeln in der Begegnung mit zwei Yetis im Himalaya, die als 2,20 Meter große Wesen beschrieben werden. Ernsthafte Schwierigkeiten in der Gruppe werden nicht beschrieben. 18 Monate lang gelingt es ihnen nie, ihren Ort genau zu bestimmen, Rawitsch betont, er könne sich um mehrere hundert Kilometer irren. Zuletzt trafen sie vor der Wüste Gobi einen russisch sprechenden Mongolen, danach war bis Indien keine Verständigung mehr möglich und die fremdartigen Ortsbezeichnungen konnten sie nicht behalten. In den tibetischen Dörfern treffen sie immer auf gastfreundliche Menschen und genießen jede Unterstützung. Alle anderen Fluchtberichte aus Tibet weisen gerade auf mangelnde Unterstützungsbereitschaft der tibetischen Bevölkerung hin. Zu viert begegneten sie wenige Tage später einer indischen Militärpatrouille, achtzehn Monate nach ihrem Ausbruch aus dem sibirischen Lager, und wurden nach Kalkutta gebracht. Dort bricht Rawitsch zusammen und wacht erst vier Wochen später wieder auf. Nach ihrer Genesung trennten sich die vier, Rawitsch wird zu den im Mittleren Osten kämpfenden, polnischen Truppen überstellt. ((In Rawitschs Bericht irritieren viele Angaben: Weshalb durchqueren sie die Gobi in ihrer größten Ausdehnung, statt sich nach China zu wenden? Ihr erstes Ziel, Afghanistan, streben sie einige Zeit später nicht mehr an. Warum? Stattdessen wollen sie nach Lhasa. Das meiden sie dann aber auch, angeblich, weil sie Angst vor den Behörden hätten. Wieso? Schlimmstenfalls wären sie nach Nepal ausgewiesen worden und wären dort ebenso wie in Indien auf Engländer gestoßen. Das wollten sie doch, oder? Wieso besorgen sie sich nicht einige Wassersäcke aus Ziegenleder? Unglaublich scheint es, daß man sechs (oder gar dreizehn) Tage bei großer Hitze ohne Wasser überleben kann und gleichzeitig getrockneten Fisch ißt. Wer hungert zwei Wochen, bevor er die Idee hat, Schlangen zu essen? Häufige Klischees gipfeln in der Begegnung mit zwei Yetis im Himalaya, die als 2,20 Meter große Wesen beschrieben werden. Ernsthafte Schwierigkeiten in der Gruppe werden nicht beschrieben. 18 Monate lang gelingt es ihnen nie, ihren Ort genau zu bestimmen, Rawitsch betont, er könne sich um mehrere hundert Kilometer irren. Zuletzt trafen sie vor der Wüste Gobi einen russisch sprechenden Mongolen, danach war bis Indien keine Verständigung mehr möglich und die fremdartigen Ortsbezeichnungen konnten sie nicht behalten. In den tibetischen Dörfern treffen sie immer auf gastfreundliche Menschen und genießen jede Unterstützung. Alle anderen Fluchtberichte aus Tibet weisen gerade auf mangelnde Unterstützungsbereitschaft der tibetischen Bevölkerung hin.
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 Mag sein, daß Rawitsch aus einem sibirischen Lager geflohen ist, dieser Teil ist noch sehr plausibel. Doch der Rest? Auch Peter Hopkirk berichtet in „Der Griff nach Lhasa“ über ernsthafte Zweifel an Rawitschs Bericht, der 1956, zehn Jahre nach den Ereignissen erschien (The Long Walk). Der Zentralasienexperte Peter Fleming äußerte im Spectator erhebliche Zweifel, während Kritiker es als ein „Meisterwerk der Reiseliteratur“ lobten. Rawitsch, der seit jener Zeit in England, bei Nottingham, lebte, widersprach: //„Wir waren halbverhungerte Flüchtlinge ... Ich erinnere mich nicht, über welche Straßen und Berge wir gekommen sind - wir wußten ja ihre Namen nicht, hatten keine Karten und besaßen auch keinerlei Vorkenntnisse.“// (Hopkirk, S. 273) )) Mag sein, daß Rawitsch aus einem sibirischen Lager geflohen ist, dieser Teil ist noch sehr plausibel. Doch der Rest? Auch Peter Hopkirk berichtet in „Der Griff nach Lhasa“ über ernsthafte Zweifel an Rawitschs Bericht, der 1956, zehn Jahre nach den Ereignissen erschien (The Long Walk). Der Zentralasienexperte Peter Fleming äußerte im Spectator erhebliche Zweifel, während Kritiker es als ein „Meisterwerk der Reiseliteratur“ lobten. Rawitsch, der seit jener Zeit in England, bei Nottingham, lebte, widersprach: //„Wir waren halbverhungerte Flüchtlinge ... Ich erinnere mich nicht, über welche Straßen und Berge wir gekommen sind - wir wußten ja ihre Namen nicht, hatten keine Karten und besaßen auch keinerlei Vorkenntnisse.“// (Hopkirk, S. 273) ))
  
 ===== 4 Weltreise im Weltkrieg ===== ===== 4 Weltreise im Weltkrieg =====
-==== 4.1 Freiheit auf den Meeren ====+==== 4.1 Freiheit auf den Meeren ==== 
 ''Hans von Meiss-Teuffen'' war meines Wissens der einzige, der sich während des Zweiten Weltkrieges freiwillig auf eine Weltreise begab. Der Schweizer Meiss-Teufen macht siebzehnjährig in Berlin und später in London eine Banklehre, und hat statt des Bildes einer Frau die Karte Afrikas auf seinem Schreibtisch stehen ((Meiss-Teuffen, Ziel im Wind, 14)). Sechs Jahre verharrt er in der Bank, mit zwei Urlaubswochen im Jahr ((Meiss-Teuffen, Ziel im Wind, 16)). Er beschreibt sich als „kleinen, dicken, phlegmatischen Jungen“. ((Das muß sich später geändert haben. Auf den Photos ist er überdurchschnittlich groß und eher hager.)) Ostern 1934 kündigt er, als ihm der Personalchef einen Urlaub nicht gewähren will, und erhält 42 Pfund ausgezahlt, sein ganzes Vermögen ((Meiss-Teuffen, Ziel im Wind, 19)). Mit dem Vater einer Freundin, ''Lord Henry'', fährt im Sommer zwei Wochen kreuz und quer durch Frankreich. Ein Leben, das ihm so gut gefällt, daß er sagt: //„Nie mehr in meinem Leben werde ich in einem Büro sitzen.“// ((Meiss-Teuffen, Ziel im Wind, 22)) ''Hans von Meiss-Teuffen'' war meines Wissens der einzige, der sich während des Zweiten Weltkrieges freiwillig auf eine Weltreise begab. Der Schweizer Meiss-Teufen macht siebzehnjährig in Berlin und später in London eine Banklehre, und hat statt des Bildes einer Frau die Karte Afrikas auf seinem Schreibtisch stehen ((Meiss-Teuffen, Ziel im Wind, 14)). Sechs Jahre verharrt er in der Bank, mit zwei Urlaubswochen im Jahr ((Meiss-Teuffen, Ziel im Wind, 16)). Er beschreibt sich als „kleinen, dicken, phlegmatischen Jungen“. ((Das muß sich später geändert haben. Auf den Photos ist er überdurchschnittlich groß und eher hager.)) Ostern 1934 kündigt er, als ihm der Personalchef einen Urlaub nicht gewähren will, und erhält 42 Pfund ausgezahlt, sein ganzes Vermögen ((Meiss-Teuffen, Ziel im Wind, 19)). Mit dem Vater einer Freundin, ''Lord Henry'', fährt im Sommer zwei Wochen kreuz und quer durch Frankreich. Ein Leben, das ihm so gut gefällt, daß er sagt: //„Nie mehr in meinem Leben werde ich in einem Büro sitzen.“// ((Meiss-Teuffen, Ziel im Wind, 22))
  
 ==== I am sailin' ... ====  ==== I am sailin' ... ==== 
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 Afrika lockt ihn. In Brindisi, wo er eigentlich auf den Dampfer nach Griechenland wartet, kauft er spontan die //„Santa Barbara“,// ein sechs Meter langes Fischerboot ((Meiss-Teuffen, Ziel im Wind, 29)). Damit fährt er, zum Entsetzen der italienischen Fischer, über Korfu und Korinth, zunächst nach Athen und trifft dort einen //„jungen Burschen im typischen Kostüm des deutschen Wandervogels - offenes Hemd, kurze Kordhose und Sandalen an den nackten Füßen ... Karl erschien wie verabredet am Samstagnachmittag mit [[wiki:rucksack|Rucksack]] und daran anhängendem Kochgeschirr. Ein echter Wandervogel!“.// ((Meiss-Teuffen, Ziel im Wind, 41, 43)) In Syros verkaufte er die „Santa Barbara“ und beteiligt sich mit dem Erlös fünzigprozentig an der „Austria“, einem sloopgetakelten Siebentonnenboot. Mit an Bord sind // „Ein schmächtiger Bursche mit einem Menjoubärtchen, das mich sogleich gegen ihn einnahm“,//  ein Österreicher namens ''Pirkhahn'',  „der zweite namens ''Antezzi'', war schon ein älterer Jahrgang. ... Der dritte war ein erst achtzehnjähriger Schuljunge... Tiroler und wurde Hem genannt.“ ((Meiss-Teuffen, Ziel im Wind, 48)) Ein wenig Geld verdient er sich mit dem Schreiben von illustrierten Artikeln für Schweizer Zeitungen. ((Meiss-Teuffen, Ziel im Wind, 92)) In Beirut trennt er sich von den Österreichern, die „Austria“ wird verkauft, er erhält 150 Pfund und kauft sich für 85 Pfund ein kleineres Boot. Afrika lockt ihn. In Brindisi, wo er eigentlich auf den Dampfer nach Griechenland wartet, kauft er spontan die //„Santa Barbara“,// ein sechs Meter langes Fischerboot ((Meiss-Teuffen, Ziel im Wind, 29)). Damit fährt er, zum Entsetzen der italienischen Fischer, über Korfu und Korinth, zunächst nach Athen und trifft dort einen //„jungen Burschen im typischen Kostüm des deutschen Wandervogels - offenes Hemd, kurze Kordhose und Sandalen an den nackten Füßen ... Karl erschien wie verabredet am Samstagnachmittag mit [[wiki:rucksack|Rucksack]] und daran anhängendem Kochgeschirr. Ein echter Wandervogel!“.// ((Meiss-Teuffen, Ziel im Wind, 41, 43)) In Syros verkaufte er die „Santa Barbara“ und beteiligt sich mit dem Erlös fünzigprozentig an der „Austria“, einem sloopgetakelten Siebentonnenboot. Mit an Bord sind // „Ein schmächtiger Bursche mit einem Menjoubärtchen, das mich sogleich gegen ihn einnahm“,//  ein Österreicher namens ''Pirkhahn'',  „der zweite namens ''Antezzi'', war schon ein älterer Jahrgang. ... Der dritte war ein erst achtzehnjähriger Schuljunge... Tiroler und wurde Hem genannt.“ ((Meiss-Teuffen, Ziel im Wind, 48)) Ein wenig Geld verdient er sich mit dem Schreiben von illustrierten Artikeln für Schweizer Zeitungen. ((Meiss-Teuffen, Ziel im Wind, 92)) In Beirut trennt er sich von den Österreichern, die „Austria“ wird verkauft, er erhält 150 Pfund und kauft sich für 85 Pfund ein kleineres Boot.
  
 ==== Illegal in Palästina ==== ==== Illegal in Palästina ====
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 Am 19. Oktober 1935 betritt er illegal Palästina, gibt sich als Jude aus und arbeitet dort einen Winter lang. Im nächsten Jahr fährt er über Port Said und durch den Suez-Kanal nach Port Sudan. Dort verkauft er sein Schiff für 175 Pfund (wieder einmal ein gutes Geschäft) ((Meiss-Teuffen, Ziel im Wind, 158)), da es ihm für das Rote Meer als zu leicht gebaut erscheint. Auf einer arabischen Dhau fährt er die alte Handelsroute über die südarabischen Länder nach Karachi und Bombay. In Bombay kauft er sich die „Ibis“, eine Fünftonnen-Ketsch ((Eine Ketsch ist ein Segelboot mit zwei Masten.)) mit Hilfsmotor und fährt auf die Seychellen, wo er sich als Perlentaucher versucht. Das Ergebnis deckt gerade die Kosten, und er fährt weiter nach Madagaskar. Im Hafen sinkt ihm das Schiff. Das nimmt er als Zeichen, Afrika auf dem Landweg kennenzulernen und macht sich auf den Weg in die Kupferminen von Rhodesien. Es folgten fünf schwere Monate als Verwalter der Gemüsefarm Tambowa ohne Verdienst unter der Fuchtel einer // „ewig nörgelnden, unzufriedenen, bissigen, keifenden Frauensperson“//.((Meiss-Teuffen, Ziel im Wind, 183)) Dann wird er Lastkraftwagenfahrer, Aufseher auf einer Orangenfarm, Leiter eines Straßenbaus und arbeitet in der Kupfermine als Sprengmeister. Aus der Idee, genügend Geld für eine eigene Farm zu verdienen, entwickelt sich ein gutgehendes Hotel, nebenbei florieren die Orangenplantage, der Heilkräuter- und Obstgarten, 35 Gebäude werden mit der Zeit errichtet. Da ihn das noch nicht auslastet, beginnt er zunächst Lehrfilme, dann Filme über die Kultur und das Leben der Schwarzen zu drehen. Am 19. Oktober 1935 betritt er illegal Palästina, gibt sich als Jude aus und arbeitet dort einen Winter lang. Im nächsten Jahr fährt er über Port Said und durch den Suez-Kanal nach Port Sudan. Dort verkauft er sein Schiff für 175 Pfund (wieder einmal ein gutes Geschäft) ((Meiss-Teuffen, Ziel im Wind, 158)), da es ihm für das Rote Meer als zu leicht gebaut erscheint. Auf einer arabischen Dhau fährt er die alte Handelsroute über die südarabischen Länder nach Karachi und Bombay. In Bombay kauft er sich die „Ibis“, eine Fünftonnen-Ketsch ((Eine Ketsch ist ein Segelboot mit zwei Masten.)) mit Hilfsmotor und fährt auf die Seychellen, wo er sich als Perlentaucher versucht. Das Ergebnis deckt gerade die Kosten, und er fährt weiter nach Madagaskar. Im Hafen sinkt ihm das Schiff. Das nimmt er als Zeichen, Afrika auf dem Landweg kennenzulernen und macht sich auf den Weg in die Kupferminen von Rhodesien. Es folgten fünf schwere Monate als Verwalter der Gemüsefarm Tambowa ohne Verdienst unter der Fuchtel einer // „ewig nörgelnden, unzufriedenen, bissigen, keifenden Frauensperson“//.((Meiss-Teuffen, Ziel im Wind, 183)) Dann wird er Lastkraftwagenfahrer, Aufseher auf einer Orangenfarm, Leiter eines Straßenbaus und arbeitet in der Kupfermine als Sprengmeister. Aus der Idee, genügend Geld für eine eigene Farm zu verdienen, entwickelt sich ein gutgehendes Hotel, nebenbei florieren die Orangenplantage, der Heilkräuter- und Obstgarten, 35 Gebäude werden mit der Zeit errichtet. Da ihn das noch nicht auslastet, beginnt er zunächst Lehrfilme, dann Filme über die Kultur und das Leben der Schwarzen zu drehen.
  
 ==== Kriegsdienst in Helvetia ==== ==== Kriegsdienst in Helvetia ====
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 Mit drei Wochen Verspätung hört er vom Kriegsbeginn in Europa im August 1939. Im Dezember ist er auf dem Rückweg in die Schweiz. Seine Zeit als Soldat der Schweizer Armee hat nach einigen Monaten und zwei Malariaanfällen ein rasches Ende. Mehrere Monate hält er dann Vorträge vor Soldaten über seine Reisen. //„Doch die Sehnsucht nach Afrika, nach meiner Farm und dem damit verbundenen Leben ließ mich erst von Konsulat zu Konsulat laufen, um zu versuchen - Krieg oder nicht Krieg -, wieder zum Luapula zurückzukehren. Überall begegnete ich dem gleichen leicht spöttischen Achselzucken: 'Lieber Mann! jetzt im Krieg?'// So sinnt er auf andere Möglichkeiten, „der Flut grausigster Kriegsnachrichten“ zu entfliehen, kauft sich in Cannes wieder ein Boot, die „Bonne Chance“. Zwei Wochen Instandsetzungsarbeiten sind bereits investiert, als ihm die französische Polizei das Auslaufen verbietet. So heißt es diesmal mit Verlust verkaufen. Schließlich findet er im spanischen Muros, an der Atlantikküste, erneut ein Boot, eine 45 Fuß lange Jolle mit fünf „Zimmern“, Kabine, Kombüse, Bad, WC, Mannschaftslogis, Vorratsraum. Nach siebenwöchigen Arbeiten sticht er im Oktober 1941 in See, Ziel: Lissabon. Schon zwei Tage später stoppt ihn ein englisches Kriegsschiff, ein Kreuzer: Nach einer Paßkontrolle darf er weitersegeln. Wieder einen Tag später besucht ihn ein deutsches U-Boot. Nach seiner Ankunft in Lissabon ist er auf der ersten Seite des „Diario de Notizias“:  //„... der Besitzer habe schon öfters seine Reisen im eigenen Boot durchgeführt, und man dürfe es ihm nicht übelnehmen, wenn er auch in Kriegszeiten diese ungewöhnliche Art des Reisens vorzöge ... Solange seine eigenen und die Schiffspapiere in Ordnung seien, könnten ihm keine kriegführenden Mächte der Welt verwehren, die Meere zu befahren. ... Trotz dieses taktvoll-freundlichen Artikels ... wurde ich in Lissabon ... öfters spöttisch gefragt, ob ich zumindest selbst wüßte, für welche Seite ich spionierte.“// ((Meiss-Teuffen, Ziel im Wind, 274))  Auch alle finanziell hochdotierten Angebote potentieller Mitfahrer lehnt er kategorisch ab, um sich nicht in Auseinandersetzungen verwickeln zu lassen. Bis Gibraltar wird er noch von fünf englischen Schnellbooten kontrolliert. Im November 1941 ist er in Tanger und feiert seinen dreißigsten Geburtstag.((Meiss-Teuffen, Ziel im Wind, 279)) Casablanca, Gran Canaria, Port Etienne (Mauretanien), Dakar, Bathurst (Gambia) heißen die weiteren Anlegehäfen. In Bathurst muß er drei Wochen bleiben, bis aus London bestätigt wird, daß Meiss-Teuffen „OK“ sei. Mit drei Wochen Verspätung hört er vom Kriegsbeginn in Europa im August 1939. Im Dezember ist er auf dem Rückweg in die Schweiz. Seine Zeit als Soldat der Schweizer Armee hat nach einigen Monaten und zwei Malariaanfällen ein rasches Ende. Mehrere Monate hält er dann Vorträge vor Soldaten über seine Reisen. //„Doch die Sehnsucht nach Afrika, nach meiner Farm und dem damit verbundenen Leben ließ mich erst von Konsulat zu Konsulat laufen, um zu versuchen - Krieg oder nicht Krieg -, wieder zum Luapula zurückzukehren. Überall begegnete ich dem gleichen leicht spöttischen Achselzucken: 'Lieber Mann! jetzt im Krieg?'// So sinnt er auf andere Möglichkeiten, „der Flut grausigster Kriegsnachrichten“ zu entfliehen, kauft sich in Cannes wieder ein Boot, die „Bonne Chance“. Zwei Wochen Instandsetzungsarbeiten sind bereits investiert, als ihm die französische Polizei das Auslaufen verbietet. So heißt es diesmal mit Verlust verkaufen. Schließlich findet er im spanischen Muros, an der Atlantikküste, erneut ein Boot, eine 45 Fuß lange Jolle mit fünf „Zimmern“, Kabine, Kombüse, Bad, WC, Mannschaftslogis, Vorratsraum. Nach siebenwöchigen Arbeiten sticht er im Oktober 1941 in See, Ziel: Lissabon. Schon zwei Tage später stoppt ihn ein englisches Kriegsschiff, ein Kreuzer: Nach einer Paßkontrolle darf er weitersegeln. Wieder einen Tag später besucht ihn ein deutsches U-Boot. Nach seiner Ankunft in Lissabon ist er auf der ersten Seite des „Diario de Notizias“:  //„... der Besitzer habe schon öfters seine Reisen im eigenen Boot durchgeführt, und man dürfe es ihm nicht übelnehmen, wenn er auch in Kriegszeiten diese ungewöhnliche Art des Reisens vorzöge ... Solange seine eigenen und die Schiffspapiere in Ordnung seien, könnten ihm keine kriegführenden Mächte der Welt verwehren, die Meere zu befahren. ... Trotz dieses taktvoll-freundlichen Artikels ... wurde ich in Lissabon ... öfters spöttisch gefragt, ob ich zumindest selbst wüßte, für welche Seite ich spionierte.“// ((Meiss-Teuffen, Ziel im Wind, 274))  Auch alle finanziell hochdotierten Angebote potentieller Mitfahrer lehnt er kategorisch ab, um sich nicht in Auseinandersetzungen verwickeln zu lassen. Bis Gibraltar wird er noch von fünf englischen Schnellbooten kontrolliert. Im November 1941 ist er in Tanger und feiert seinen dreißigsten Geburtstag.((Meiss-Teuffen, Ziel im Wind, 279)) Casablanca, Gran Canaria, Port Etienne (Mauretanien), Dakar, Bathurst (Gambia) heißen die weiteren Anlegehäfen. In Bathurst muß er drei Wochen bleiben, bis aus London bestätigt wird, daß Meiss-Teuffen „OK“ sei.
  
 ==== Schiffbruch und Landurlaub ==== ==== Schiffbruch und Landurlaub ====
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 In der vierten Nacht nach dem Auslaufen aus Freetown in Sierra Leone erlitt er Schiffbruch. Mit seinem Beiboot rettet er sich an Land, kann noch seine Papiere, Geld, Wasser und [[wiki:lebensmittel|Lebensmittel]] an sich raffen, bevor die „Ruetli 650“ endgültig in der Nähe des Ufers sinkt. Mit einigen Tauchgängen holt er am nächsten Tag die wichtigsten Sachen aus dem Schiff heraus. Dann ging er zu Fuß nach Freetown: //„Mit einem improvisierten [[wiki:rucksack|Rucksack]] auf dem Rücken, der nur Konserven und Trinkwasser in Flaschen enthielt und der mir in der Nacht als Decke diente, begann ich den Hundertmeilenmarsch.“// ((Meiss-Teuffen, Ziel im Wind, 295))\\  In der vierten Nacht nach dem Auslaufen aus Freetown in Sierra Leone erlitt er Schiffbruch. Mit seinem Beiboot rettet er sich an Land, kann noch seine Papiere, Geld, Wasser und [[wiki:lebensmittel|Lebensmittel]] an sich raffen, bevor die „Ruetli 650“ endgültig in der Nähe des Ufers sinkt. Mit einigen Tauchgängen holt er am nächsten Tag die wichtigsten Sachen aus dem Schiff heraus. Dann ging er zu Fuß nach Freetown: //„Mit einem improvisierten [[wiki:rucksack|Rucksack]] auf dem Rücken, der nur Konserven und Trinkwasser in Flaschen enthielt und der mir in der Nacht als Decke diente, begann ich den Hundertmeilenmarsch.“// ((Meiss-Teuffen, Ziel im Wind, 295))\\ 
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 Acht Tage lief er, elf Monate saß er in Freetown fest, dann, im März 1943 konnte er auf einem Frachter nach Kapstadt fahren. Dachte er. Denn nach zwei Tagen drehte der Frachter und fuhr stattdessen nach England. Nach einigen Tagen erfolgte ein Luftangriff, tags drauf kamen die U-Boote. Ein Treffer an der Steuerbordseite ließ den Frachter sinken, Meiss-Teuffen und einige andere retteten sich auf ein Rettungsfloß, dabei gingen auch seine letzten Habseligkeiten verloren. Aus Seenot gerettet, werden die Schiffbrüchigen nach England gebracht: Dort ist er auch als neutraler [[wiki:auslaender|Ausländer]] den dortigen kriegsbedingten Arbeitspflichtgesetzen unterworfen. Er verbringt den Rest des Krieges als Lastkraftwagenfahrer und verdient genug, um sich bei Ende des Krieges wieder ein Sieben-Tonnen-Segelboot, eine 35-mm-Filmkamera, Leica und Rolleiflex, Sextant und Chronometer kaufen zu können. Als lukrativen Nebenjob hatte er das Handdrucken von Kopftüchern, Schals und Stoffen für Damenkleider begonnen. Schon seine ersten vier „Schöpfungen“ waren so gut, daß sie von einer Stoffdruckfirma in Manchester angekauft wurden. //„Das Hinüberwechseln vom schlechtbezahlten Chauffeur zum gutbezahlten, schöpferisch schaffenden Künstler war wohl das Eigenartigste im oftmaligen Auf und Ab meines Lebens.“// ((Meiss-Teuffen, Ziel im Wind, 306)) Acht Tage lief er, elf Monate saß er in Freetown fest, dann, im März 1943 konnte er auf einem Frachter nach Kapstadt fahren. Dachte er. Denn nach zwei Tagen drehte der Frachter und fuhr stattdessen nach England. Nach einigen Tagen erfolgte ein Luftangriff, tags drauf kamen die U-Boote. Ein Treffer an der Steuerbordseite ließ den Frachter sinken, Meiss-Teuffen und einige andere retteten sich auf ein Rettungsfloß, dabei gingen auch seine letzten Habseligkeiten verloren. Aus Seenot gerettet, werden die Schiffbrüchigen nach England gebracht: Dort ist er auch als neutraler [[wiki:auslaender|Ausländer]] den dortigen kriegsbedingten Arbeitspflichtgesetzen unterworfen. Er verbringt den Rest des Krieges als Lastkraftwagenfahrer und verdient genug, um sich bei Ende des Krieges wieder ein Sieben-Tonnen-Segelboot, eine 35-mm-Filmkamera, Leica und Rolleiflex, Sextant und Chronometer kaufen zu können. Als lukrativen Nebenjob hatte er das Handdrucken von Kopftüchern, Schals und Stoffen für Damenkleider begonnen. Schon seine ersten vier „Schöpfungen“ waren so gut, daß sie von einer Stoffdruckfirma in Manchester angekauft wurden. //„Das Hinüberwechseln vom schlechtbezahlten Chauffeur zum gutbezahlten, schöpferisch schaffenden Künstler war wohl das Eigenartigste im oftmaligen Auf und Ab meines Lebens.“// ((Meiss-Teuffen, Ziel im Wind, 306))
  
 ==== Alles im Lot auf'm Boot ==== ==== Alles im Lot auf'm Boot ====
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 Er kaufte sich im Juli 1945 ein Schiff, die// „Speranza“,// und verließ Ende August England über die Themse, als erster privater Schiffsführer nach dem Krieg, dabei Spezialkarten der //Royal Navy// benutzend, die die noch existierenden Minenfelder enthielten. Er hatte versprechen müssen, die Karten nach Passieren der Minenfelder sofort zu vernichten. In Lissabon überwinterte er an Bord seines Schiffes:  //„Am Nachmittag kamen meist Bekannte, die ihren Bekannten das Schiff zeigen wollten, und abends mußte im neu angeschafften Smoking zu einer der vielen Einladungen gegangen werden, wo alte Bestellungen [für bedruckte Tücher] abgeliefert und neue Aufträge angenommen wurden. Gesellschaftliches Leben war für mich zur Notwendigkeit geworden. ... Nach den schweren Winterregen ... drehte ich ... einen Dokumentarfilm über Kork. Mehr als eine Woche verbrachte ich in den ausgedehnten Korkwäldern im Süden Portugals.“// ((Meiss-Teuffen, Ziel im Wind, 331)) Zwei weitere Filme haben den Stierkampf und einen „[[wiki:spaziergang|Spaziergang]] durch Lissabon“ zum Thema.\\  Er kaufte sich im Juli 1945 ein Schiff, die// „Speranza“,// und verließ Ende August England über die Themse, als erster privater Schiffsführer nach dem Krieg, dabei Spezialkarten der //Royal Navy// benutzend, die die noch existierenden Minenfelder enthielten. Er hatte versprechen müssen, die Karten nach Passieren der Minenfelder sofort zu vernichten. In Lissabon überwinterte er an Bord seines Schiffes:  //„Am Nachmittag kamen meist Bekannte, die ihren Bekannten das Schiff zeigen wollten, und abends mußte im neu angeschafften Smoking zu einer der vielen Einladungen gegangen werden, wo alte Bestellungen [für bedruckte Tücher] abgeliefert und neue Aufträge angenommen wurden. Gesellschaftliches Leben war für mich zur Notwendigkeit geworden. ... Nach den schweren Winterregen ... drehte ich ... einen Dokumentarfilm über Kork. Mehr als eine Woche verbrachte ich in den ausgedehnten Korkwäldern im Süden Portugals.“// ((Meiss-Teuffen, Ziel im Wind, 331)) Zwei weitere Filme haben den Stierkampf und einen „[[wiki:spaziergang|Spaziergang]] durch Lissabon“ zum Thema.\\ 
 Am 11. März 1946 segelte er schließlich weiter. Drei Wochen blieb er in Tanger, ebenso lange in Gibraltar, und hielt dort Vorträge über Einhandsegeln vor den englischen Offizieren und Kadetten. Den vorläufigen Abschluß seiner zwölfjährigen Vagabundenzeit auf dem Meer bildete die Überquerung des Atlantiks in der Rekordzeit von 58 Tagen über Neufundland und Neuschottland. Es schlossen sich drei Jahre in Amerika an und im April 1949 finden wir ihn in Alaska überwinternd und dieses Buch schreibend. Drei Vortragsreisen durch die USA und Deutschland folgten 1949/50. Am 11. März 1946 segelte er schließlich weiter. Drei Wochen blieb er in Tanger, ebenso lange in Gibraltar, und hielt dort Vorträge über Einhandsegeln vor den englischen Offizieren und Kadetten. Den vorläufigen Abschluß seiner zwölfjährigen Vagabundenzeit auf dem Meer bildete die Überquerung des Atlantiks in der Rekordzeit von 58 Tagen über Neufundland und Neuschottland. Es schlossen sich drei Jahre in Amerika an und im April 1949 finden wir ihn in Alaska überwinternd und dieses Buch schreibend. Drei Vortragsreisen durch die USA und Deutschland folgten 1949/50.
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 Meiss-Teuffen war unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg unterwegs, lange Zeit während des Krieges und unmittelbar nach dessen Ende wieder. Nirgends erwähnt er die Begegnung mit anderen Reisenden; das Maß der Aufmerksamkeit, das ihm unterwegs zuteil wird, läßt ihn als Reisenden einzigartig dastehen. Meiss-Teuffen war unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg unterwegs, lange Zeit während des Krieges und unmittelbar nach dessen Ende wieder. Nirgends erwähnt er die Begegnung mit anderen Reisenden; das Maß der Aufmerksamkeit, das ihm unterwegs zuteil wird, läßt ihn als Reisenden einzigartig dastehen.
 Eine Kombination seltener Eigenschaften und Umstände war nötig, um während des Krieges zu reisen: Neben einem starken Wandertrieb gehörte dazu die Zugehörigkeit zu einer anerkannt neutralen Nation, die Freistellung von der Armee und ein hohes Maß an Selbstbestimmung bezüglich Ziel und Routenwahl, wie es wohl nur auf dem Meer möglich ist, unterstützt durch das Talent, in jeder Situation Geld zu verdienen, und sich in nahezu jedem Land in der Landessprache unterhalten zu können. Eine Kombination seltener Eigenschaften und Umstände war nötig, um während des Krieges zu reisen: Neben einem starken Wandertrieb gehörte dazu die Zugehörigkeit zu einer anerkannt neutralen Nation, die Freistellung von der Armee und ein hohes Maß an Selbstbestimmung bezüglich Ziel und Routenwahl, wie es wohl nur auf dem Meer möglich ist, unterstützt durch das Talent, in jeder Situation Geld zu verdienen, und sich in nahezu jedem Land in der Landessprache unterhalten zu können.
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 ==== 4.2 Unfreiwillige Weltreisen ==== ==== 4.2 Unfreiwillige Weltreisen ====
 === Auch Flieger müssen fliehen === === Auch Flieger müssen fliehen ===
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 ''Gunther Plüschow'' war Offizier und bei Kriegsanfang als (einziger) Marineflieger in der damals deutschen Kolonie Tsingtau in China eingesetzt. Das Ultimatum der Japaner vom 15.8.1914 ging den Kampfhandlungen voraus. Kurz vor dem Fall der Stadt hatte Plüschow den Auftrag, das Flugzeug in Sicherheit zu bringen und sich selbst abzusetzen. Er flog, so weit er kam, und landete am 6.11.1914 auf einem Acker in der Nähe der chinesischen Stadt Hai-Dschou, ließ den Motor bei den Behörden in Sicherheit bringen und entging, obwohl auf neutralem Gebiet, selbst nur durch Flucht einer Internierung in Nanking. Damit begann sein Leben als Reisender, der sich irgendwie nach Deutschland durchzuschlagen versuchte. Freunde halfen ihm, sich als Nähmaschinenfabrikant ''McGarvin'' in Schanghai nach Amerika einzuschiffen. Bei den Kontrollen in fünf angelaufenen japanischen Häfen halfen ihm der Schiffsarzt, eine vorgetäuschte Krankheit und die luxuriöse Erste-Klasse-Umgebung - die Papiere wurden nicht kontrolliert. In Honolulu und San Francisco stürzten sich die Reporter auf ihn, seine Flucht und seine Fliegereinsätze hatten sich bereits herumgesprochen. Aber trotz ihrer Neutralität im Krieg hatten Presse und Öffentlichkeit Partei ergriffen gegen Deutschland, Plüschow bekam das zu spüren.\\  ''Gunther Plüschow'' war Offizier und bei Kriegsanfang als (einziger) Marineflieger in der damals deutschen Kolonie Tsingtau in China eingesetzt. Das Ultimatum der Japaner vom 15.8.1914 ging den Kampfhandlungen voraus. Kurz vor dem Fall der Stadt hatte Plüschow den Auftrag, das Flugzeug in Sicherheit zu bringen und sich selbst abzusetzen. Er flog, so weit er kam, und landete am 6.11.1914 auf einem Acker in der Nähe der chinesischen Stadt Hai-Dschou, ließ den Motor bei den Behörden in Sicherheit bringen und entging, obwohl auf neutralem Gebiet, selbst nur durch Flucht einer Internierung in Nanking. Damit begann sein Leben als Reisender, der sich irgendwie nach Deutschland durchzuschlagen versuchte. Freunde halfen ihm, sich als Nähmaschinenfabrikant ''McGarvin'' in Schanghai nach Amerika einzuschiffen. Bei den Kontrollen in fünf angelaufenen japanischen Häfen halfen ihm der Schiffsarzt, eine vorgetäuschte Krankheit und die luxuriöse Erste-Klasse-Umgebung - die Papiere wurden nicht kontrolliert. In Honolulu und San Francisco stürzten sich die Reporter auf ihn, seine Flucht und seine Fliegereinsätze hatten sich bereits herumgesprochen. Aber trotz ihrer Neutralität im Krieg hatten Presse und Öffentlichkeit Partei ergriffen gegen Deutschland, Plüschow bekam das zu spüren.\\ 
-Schwierig war es, einen Platz auf einem Schiff nach Europa zu bekommen. Das gelang ihm erst mit einem gefälschten Paß, der ihn als Schweizer ausgab, und ihm die Passage auf einem italienischen Schiff ermöglichte. Bei der Durchfahrt durch die Meerenge von Gibraltar wurden sie von Engländern kontrolliert:  //„Der englische Offizier ließ sich auf nichts mehr ein, er sagte bloß, es seien bereits so viel Schweizer durch Gibraltar durchgefahren, so viele gäbe es in der ganzen Welt nicht.“// ((Plüschow, Die Abenteuer des Fliegers ..., 112)) \\ +Schwierig war es, einen Platz auf einem Schiff nach Europa zu bekommen. Das gelang ihm erst mit einem gefälschten Paß, der ihn als Schweizer ausgab, und ihm die [[wiki:passage|Passage]] auf einem italienischen Schiff ermöglichte. Bei der Durchfahrt durch die Meerenge von Gibraltar wurden sie von Engländern kontrolliert:  //„Der englische Offizier ließ sich auf nichts mehr ein, er sagte bloß, es seien bereits so viel Schweizer durch Gibraltar durchgefahren, so viele gäbe es in der ganzen Welt nicht.“// ((Plüschow, Die Abenteuer des Fliegers ..., 112)) \\  
 Fünf „Schweizer“, darunter auch Plüschow, wurden verhaftet und interniert, nachdem sie nicht in der Lage waren, mit einem echten Schweizer Schwyzerdütsch zu reden. Wenig später wurden alle Lagerinsassen nach England überführt. Während die Behandlung in den Überführungslagern sehr schlecht war, besserten sich die Umstände erheblich, nachdem Plüschow in das Offizierslager von Dorchester kam: freie Bewegung innerhalb aller Gebäude und des Geländes, Sportmöglichkeiten, eigene Wäscherei und Schneider; ein Streichquartett und ein Gesangverein wurden gegründet. Die Gefangenen erhielten ein Gehalt von einhundertzwanzig Mark monatlich, abzüglich sechzig Mark für Verpflegung. Die Post von Deutschland funktionierte tadellos, außerdem konnte man sich Geld und Pakete schicken lassen. Allerdings durfte man nur begrenzt nach Deutschland schreiben.\\  Fünf „Schweizer“, darunter auch Plüschow, wurden verhaftet und interniert, nachdem sie nicht in der Lage waren, mit einem echten Schweizer Schwyzerdütsch zu reden. Wenig später wurden alle Lagerinsassen nach England überführt. Während die Behandlung in den Überführungslagern sehr schlecht war, besserten sich die Umstände erheblich, nachdem Plüschow in das Offizierslager von Dorchester kam: freie Bewegung innerhalb aller Gebäude und des Geländes, Sportmöglichkeiten, eigene Wäscherei und Schneider; ein Streichquartett und ein Gesangverein wurden gegründet. Die Gefangenen erhielten ein Gehalt von einhundertzwanzig Mark monatlich, abzüglich sechzig Mark für Verpflegung. Die Post von Deutschland funktionierte tadellos, außerdem konnte man sich Geld und Pakete schicken lassen. Allerdings durfte man nur begrenzt nach Deutschland schreiben.\\ 
 Mit der Zeit packte ihn die Gefangenenkoller:  //„Die Krankheit der furchtbarsten Verzweiflung, der vollständigsten Hoffnungslosigkeit.“// ((Plüschow, Die Abenteuer des Fliegers ..., 143))  Er blieb aufmerksam, sammelte Informationen und plante die Flucht mit einem Kameraden. Am 4.7.1915 meldeten sie sich krank und bei der abendlichen Musterung legten sich zwei informierte Kameraden stellvertretend für die Flüchtigen ins Bett. Nachts überkletterten sie, geschützt mit Lederhandschuhe, Ledergamaschen und Wickelgamaschen, die zwei elektrisch gesicherten Stacheldrahtzäune und eine Mauer und befanden sich (vorläufig) in Freiheit. Als wichtigste Ausrüstung hatten sie sich Rasierapparate, Nähnadeln, Kragen, Schlips und eine Kleiderbürste mitgenommen - gepflegte Menschen fallen weniger auf! So erreichten sie London, allerdings auf getrennten Wegen, doch sein Kamerad wurde noch in den ersten 24 Stunden gefaßt. Anderntags hingen überall Steckbriefe und Plüschow entschied sich für ein neues Image: Hut, Kragen, Schlips und Mantel flogen ins Wasser, die blonden Haare wurden mit Vaseline, Schuhwichse und Kohlenstaub schwarz,  //„die Hände sahen bald aus, als wenn sie niemals mit Wasser in Berührung gekommen wären, und zu guter Letzt wälzte ich mich auf einem Kohlenhaufen tüchtig herum, und schon war der streikende Dockarbeiter G. Mine fertig. ... Mit meiner Mütze frech im Genick, vor Schmutz starrend, die Jacke offen, den blauen Seemannssweater und als einzige Zierde den Kragenknopf zeigend, mit den Händen in den Taschen, pfeifend und spuckend und mich überall herumlümmelnd, wie ich es zu tausenden Malen in allen Hafenstädten der ganzen Welt gesehen hatte, trieb ich mich tagelang in London herum, ohne auch nur jemals den leisesten Verdacht bei irgendeinem Menschen zu erwecken, daß ich etwas anderes sei, als wonach ich aussah. Darauf beruhte mein ganzer Plan.“// ((Plüschow, Die Abenteuer des Fliegers ..., 160)) Er übernachtete im Hafen in einem Holz- und Gerümpellager und wartete auf einen passenden Dampfer mit Ziel Holland. Das dauerte einige Tage, in der Zwischenzeit suchte er ein verlassenes Ruderboot und an anderer Stelle passende Ruder, um nachts zu einem Dampfer hinüberwricken ((Da Plüschow nur ein Ruder besitzt, bewegte er das Boot am Heck stehend, den Riemen hin und her bewegend: wricken oder wriggen genannt.)) zu können. Einmal an Bord der //„Prinzeß Juliana“// gelangte er so nach Vlissingen, von da aus mit dem Zug nach Deutschland. Neun Monate dauerte die Odyssee von Tsingtau nach Goch am Niederrhein. Mit der Zeit packte ihn die Gefangenenkoller:  //„Die Krankheit der furchtbarsten Verzweiflung, der vollständigsten Hoffnungslosigkeit.“// ((Plüschow, Die Abenteuer des Fliegers ..., 143))  Er blieb aufmerksam, sammelte Informationen und plante die Flucht mit einem Kameraden. Am 4.7.1915 meldeten sie sich krank und bei der abendlichen Musterung legten sich zwei informierte Kameraden stellvertretend für die Flüchtigen ins Bett. Nachts überkletterten sie, geschützt mit Lederhandschuhe, Ledergamaschen und Wickelgamaschen, die zwei elektrisch gesicherten Stacheldrahtzäune und eine Mauer und befanden sich (vorläufig) in Freiheit. Als wichtigste Ausrüstung hatten sie sich Rasierapparate, Nähnadeln, Kragen, Schlips und eine Kleiderbürste mitgenommen - gepflegte Menschen fallen weniger auf! So erreichten sie London, allerdings auf getrennten Wegen, doch sein Kamerad wurde noch in den ersten 24 Stunden gefaßt. Anderntags hingen überall Steckbriefe und Plüschow entschied sich für ein neues Image: Hut, Kragen, Schlips und Mantel flogen ins Wasser, die blonden Haare wurden mit Vaseline, Schuhwichse und Kohlenstaub schwarz,  //„die Hände sahen bald aus, als wenn sie niemals mit Wasser in Berührung gekommen wären, und zu guter Letzt wälzte ich mich auf einem Kohlenhaufen tüchtig herum, und schon war der streikende Dockarbeiter G. Mine fertig. ... Mit meiner Mütze frech im Genick, vor Schmutz starrend, die Jacke offen, den blauen Seemannssweater und als einzige Zierde den Kragenknopf zeigend, mit den Händen in den Taschen, pfeifend und spuckend und mich überall herumlümmelnd, wie ich es zu tausenden Malen in allen Hafenstädten der ganzen Welt gesehen hatte, trieb ich mich tagelang in London herum, ohne auch nur jemals den leisesten Verdacht bei irgendeinem Menschen zu erwecken, daß ich etwas anderes sei, als wonach ich aussah. Darauf beruhte mein ganzer Plan.“// ((Plüschow, Die Abenteuer des Fliegers ..., 160)) Er übernachtete im Hafen in einem Holz- und Gerümpellager und wartete auf einen passenden Dampfer mit Ziel Holland. Das dauerte einige Tage, in der Zwischenzeit suchte er ein verlassenes Ruderboot und an anderer Stelle passende Ruder, um nachts zu einem Dampfer hinüberwricken ((Da Plüschow nur ein Ruder besitzt, bewegte er das Boot am Heck stehend, den Riemen hin und her bewegend: wricken oder wriggen genannt.)) zu können. Einmal an Bord der //„Prinzeß Juliana“// gelangte er so nach Vlissingen, von da aus mit dem Zug nach Deutschland. Neun Monate dauerte die Odyssee von Tsingtau nach Goch am Niederrhein.
  
 === Noch ein Flieger auf der Flucht === === Noch ein Flieger auf der Flucht ===
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 ''Erich Killinger'' ((Killinger, Foto nach S. 20)) verbrachte seine Ferien mit Hochtouren in den Tiroler Bergen, als ihn im Juli 1914 auf einer Berghütte der Befehl erreichte, sofort in die Marineschule Flensburg zurückzukehren. Von Danzig aus unternahm er zunächst Aufklärungsflüge über der Ostsee und später Bomberflüge - beim Flug am 6. April 1915 wurde er abgeschossen, von Kosaken gefangengenommen und über Libau und Wilna in die Festung Petersburg gebracht, bis ihm dort eröffnet wurde, daß er in die Bergwerke von Sachalin geschickt würde. ((Killinger, Karte S. 59)) Nach dreiwöchiger Eisenbahnfahrt war jedoch erst einmal im Lager Omsk die Reise beendet. Vier Wochen später ging es weiter in das Lager Nischne-Udinsk. Killinger beginnt sich Karten für eine spätere Flucht zu besorgen, und zwar auf eine sonderbare Weise: //„Da bei den zu der Front abrückenden Russen viele nur widerwillig zum Militärdienst gezwungen worden waren, kamen öfters während unseres Transportes Leute zu uns an den Zug und baten um eine Bumaga, d.h. wir sollten ihnen auf einem Zettel bestätigen, daß sie gute, friedfertige Leute seien. Mit diesen Zetteln gedachten sie dann überzulaufen und sich gute Behandlung in der Gefangenschaft zu sichern. Dieser Tauschhandel stand in voller Blüte...“// ((Killinger, Flucht um die Erde, 77)) Killinger und seine Zimmerkameraden gaben im nächsten Lager täglich eine Lagerzeitung heraus, natürlich illegal. Gedruckt wurde mittels Leim und Gelatine auf einem Kuchenblech. Der Lagerkommandant verbot nicht nur die Zeitung, sondern unterschlug auch eine große Summe der für die Gefangenen vorgesehenen Gelder. Nachdem sich die Gefangenen beim Gouverneur beschwert hatten, bekamen sie zwar Recht, aber kein Geld, sondern wurden, um den Mantel des Vergessens über die Angelegenheit zu decken, nach Wladiwostok verlegt. ''Erich Killinger'' ((Killinger, Foto nach S. 20)) verbrachte seine Ferien mit Hochtouren in den Tiroler Bergen, als ihn im Juli 1914 auf einer Berghütte der Befehl erreichte, sofort in die Marineschule Flensburg zurückzukehren. Von Danzig aus unternahm er zunächst Aufklärungsflüge über der Ostsee und später Bomberflüge - beim Flug am 6. April 1915 wurde er abgeschossen, von Kosaken gefangengenommen und über Libau und Wilna in die Festung Petersburg gebracht, bis ihm dort eröffnet wurde, daß er in die Bergwerke von Sachalin geschickt würde. ((Killinger, Karte S. 59)) Nach dreiwöchiger Eisenbahnfahrt war jedoch erst einmal im Lager Omsk die Reise beendet. Vier Wochen später ging es weiter in das Lager Nischne-Udinsk. Killinger beginnt sich Karten für eine spätere Flucht zu besorgen, und zwar auf eine sonderbare Weise: //„Da bei den zu der Front abrückenden Russen viele nur widerwillig zum Militärdienst gezwungen worden waren, kamen öfters während unseres Transportes Leute zu uns an den Zug und baten um eine Bumaga, d.h. wir sollten ihnen auf einem Zettel bestätigen, daß sie gute, friedfertige Leute seien. Mit diesen Zetteln gedachten sie dann überzulaufen und sich gute Behandlung in der Gefangenschaft zu sichern. Dieser Tauschhandel stand in voller Blüte...“// ((Killinger, Flucht um die Erde, 77)) Killinger und seine Zimmerkameraden gaben im nächsten Lager täglich eine Lagerzeitung heraus, natürlich illegal. Gedruckt wurde mittels Leim und Gelatine auf einem Kuchenblech. Der Lagerkommandant verbot nicht nur die Zeitung, sondern unterschlug auch eine große Summe der für die Gefangenen vorgesehenen Gelder. Nachdem sich die Gefangenen beim Gouverneur beschwert hatten, bekamen sie zwar Recht, aber kein Geld, sondern wurden, um den Mantel des Vergessens über die Angelegenheit zu decken, nach Wladiwostok verlegt.
  
 === Flucht aus Sibirien === === Flucht aus Sibirien ===
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 Killinger beschloß, nach sechs Monaten Kriegsgefangenschaft während der [[wiki:fahrt|Fahrt]] zu fliehen. An der Abzweigung bei Kaidalowskoje, kurz hinter Charbin, dort, wo sich die nördliche und die südliche Linie der Transsib trennen, sprangen er und drei Kameraden aus dem Zug. Ihre Flucht wurde sofort bemerkt, der Zug hielt, die vier liefen, was die Beine hergaben. Es war bereits September, die ersten Schneefälle machten eine Verfolgung schwierig und so entkamen sie im sumpfigen Gelände.\\  Killinger beschloß, nach sechs Monaten Kriegsgefangenschaft während der [[wiki:fahrt|Fahrt]] zu fliehen. An der Abzweigung bei Kaidalowskoje, kurz hinter Charbin, dort, wo sich die nördliche und die südliche Linie der Transsib trennen, sprangen er und drei Kameraden aus dem Zug. Ihre Flucht wurde sofort bemerkt, der Zug hielt, die vier liefen, was die Beine hergaben. Es war bereits September, die ersten Schneefälle machten eine Verfolgung schwierig und so entkamen sie im sumpfigen Gelände.\\ 
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 In einem [[wiki:rucksack|Rucksack]] trugen sie einige bescheidene Vorräte mit sich: Brot und Wurst mußten erst im Mund aufgetaut werden, bevor man sie beißen konnte; Schnee diente als Wasserersatz und kühlte den Körper zusätzlich aus; Mäntel, Schals und Handschuhe hatten sie nicht mehr. Wege gab es nicht, Pfade mieden sie aus Angst vor unerwarteten Begegnungen. Erst als die Vorräte zu Ende gingen und der Hunger sie dazu brachte, eine Kerze zu essen, suchten sie auch abseits liegende Gehöfte auf: //„Nach verschiedenen vergeblichen Versuchen, mit Gebärden unsere Wünsche darzutun, hatten wir bald herausgefunden. daß man zunächst das [[wiki:vertrauen|Vertrauen]] dieser Leute gewinnen mußte, was am schnellsten durch Erregung ihrer Neugier geschah. Wenn Obermaschinist L. seine schon lange verrostete Taschenuhr herauszog, die wir dann interessiert betrachteten, dann reckten sich die Hälse, und jeder schob den anderen nach vorn, um hinter dessen Rücken auch einen Blick auf diesen Zauberapparat zu erhaschen. ... und wenn erst einige Minuten verstrichen waren, dann war ein ganz Kühner uns meistens schon so nah auf den Leib gerückt, daß er mit spitzen Fingern unsere noch nie gesehenen Gegenstände berühren konnte. Jetzt schnell die Uhr eingesteckt, denn nun wollten alle anderen auch anfassen, und das mußte vermieden werden, denn der erste war doch nun ein Held in den Augen der anderen, und das mußte er bleiben. Sollte er doch jetzt von uns dadurch ausgezeichnet werden, daß wir uns gerade in seiner Hütte aufzuwärmen gedachten.“// ((Killinger, Flucht um die Erde, 99 f.))\\ // In einem [[wiki:rucksack|Rucksack]] trugen sie einige bescheidene Vorräte mit sich: Brot und Wurst mußten erst im Mund aufgetaut werden, bevor man sie beißen konnte; Schnee diente als Wasserersatz und kühlte den Körper zusätzlich aus; Mäntel, Schals und Handschuhe hatten sie nicht mehr. Wege gab es nicht, Pfade mieden sie aus Angst vor unerwarteten Begegnungen. Erst als die Vorräte zu Ende gingen und der Hunger sie dazu brachte, eine Kerze zu essen, suchten sie auch abseits liegende Gehöfte auf: //„Nach verschiedenen vergeblichen Versuchen, mit Gebärden unsere Wünsche darzutun, hatten wir bald herausgefunden. daß man zunächst das [[wiki:vertrauen|Vertrauen]] dieser Leute gewinnen mußte, was am schnellsten durch Erregung ihrer Neugier geschah. Wenn Obermaschinist L. seine schon lange verrostete Taschenuhr herauszog, die wir dann interessiert betrachteten, dann reckten sich die Hälse, und jeder schob den anderen nach vorn, um hinter dessen Rücken auch einen Blick auf diesen Zauberapparat zu erhaschen. ... und wenn erst einige Minuten verstrichen waren, dann war ein ganz Kühner uns meistens schon so nah auf den Leib gerückt, daß er mit spitzen Fingern unsere noch nie gesehenen Gegenstände berühren konnte. Jetzt schnell die Uhr eingesteckt, denn nun wollten alle anderen auch anfassen, und das mußte vermieden werden, denn der erste war doch nun ein Held in den Augen der anderen, und das mußte er bleiben. Sollte er doch jetzt von uns dadurch ausgezeichnet werden, daß wir uns gerade in seiner Hütte aufzuwärmen gedachten.“// ((Killinger, Flucht um die Erde, 99 f.))\\ //
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 Die Leute waren gutmütig und gastfreundlich, auch wenn den Flüchtenden nie ganz geheuer war bei dem, was sie aßen:  „Der anfängliche Widerwille gegen die uns unbekannten Gerichte, die wir möglichst heiß aus kleinen Näpfen schlürften, war bald überwunden, denn sehen konnte man ja doch nicht, was man aß, da es keine Beleuchtung gab, und zu riechen war auch nicht viel, dafür sorgten schon der beißende Rauch des Feuers, der Geruch des Unrats auf dem Boden und nicht zuletzt die Ausdünstungen der Gastgeber. ... Wir wurden nach der größten Hütte geführt und bekamen Tee. Eigentlich ist das ja nicht der richtige Ausdruck für das Getränk, das uns da gereicht wurde, aber da das Zeug heiß und grün gefärbt war, nannten wir es eben Tee. Dann gab es in kleinen Näpfen etwas, was zunächst langen Regenwürmern glich; beim Kosten stellte sich aber, Gott sei Dank, heraus, daß es doch etwas anderes sein müsse. Was es wirklich war, weiß ich heute noch nicht; jedenfalls haben wir's gegessen.“// ((Killinger, Flucht um die Erde, 101))\\  Die Leute waren gutmütig und gastfreundlich, auch wenn den Flüchtenden nie ganz geheuer war bei dem, was sie aßen:  „Der anfängliche Widerwille gegen die uns unbekannten Gerichte, die wir möglichst heiß aus kleinen Näpfen schlürften, war bald überwunden, denn sehen konnte man ja doch nicht, was man aß, da es keine Beleuchtung gab, und zu riechen war auch nicht viel, dafür sorgten schon der beißende Rauch des Feuers, der Geruch des Unrats auf dem Boden und nicht zuletzt die Ausdünstungen der Gastgeber. ... Wir wurden nach der größten Hütte geführt und bekamen Tee. Eigentlich ist das ja nicht der richtige Ausdruck für das Getränk, das uns da gereicht wurde, aber da das Zeug heiß und grün gefärbt war, nannten wir es eben Tee. Dann gab es in kleinen Näpfen etwas, was zunächst langen Regenwürmern glich; beim Kosten stellte sich aber, Gott sei Dank, heraus, daß es doch etwas anderes sein müsse. Was es wirklich war, weiß ich heute noch nicht; jedenfalls haben wir's gegessen.“// ((Killinger, Flucht um die Erde, 101))\\ 
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 Nach etwa vierzehn Tagen gelangten sie in eine kleine Stadt namens Mompanse und schlugen von dort den Weg nach Kirin ein, einer Stadt, die an dem Fluß Sungari liegt, etwa in der Mitte zwischen Mukden ((Heute Shenyang)) und Charbin ((Heute „Harbin“)). In Kirin angekommen, wurden sie von einem der beiden dort ansässigen Deutschen freundlich bewirtet. Dieser erzählte, daß bereits ein halbes Jahr vorher elf deutsche und österreichische Offiziere die Flucht auf der gleichen Route versucht hätten, jedoch nur vier hätten Kirin lebend erreicht und wären nun in Tientsin interniert.\\  Nach etwa vierzehn Tagen gelangten sie in eine kleine Stadt namens Mompanse und schlugen von dort den Weg nach Kirin ein, einer Stadt, die an dem Fluß Sungari liegt, etwa in der Mitte zwischen Mukden ((Heute Shenyang)) und Charbin ((Heute „Harbin“)). In Kirin angekommen, wurden sie von einem der beiden dort ansässigen Deutschen freundlich bewirtet. Dieser erzählte, daß bereits ein halbes Jahr vorher elf deutsche und österreichische Offiziere die Flucht auf der gleichen Route versucht hätten, jedoch nur vier hätten Kirin lebend erreicht und wären nun in Tientsin interniert.\\ 
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 Auf einem Karren versteckt schaukelten Killinger und seine Kameraden in den folgenden vierzehn Tagen nach Mukden. Dort begaben sie sich zum deutschen Konsulat und erfuhren, daß ihre Flucht in sämtlichen russischen Zeitungen bekanntgegeben und Steckbriefe erlassen worden seien. Ihnen wird empfohlen, getrennt weiterzureisen. In Tientsin bieten ihm Deutsche Unterkunft und Hilfe an, so daß er sich erholen kann, dann fährt er über Nanking nach Shanghai, immer weitergereicht an dort jeweils ansässige Deutsche. Auf einem Karren versteckt schaukelten Killinger und seine Kameraden in den folgenden vierzehn Tagen nach Mukden. Dort begaben sie sich zum deutschen Konsulat und erfuhren, daß ihre Flucht in sämtlichen russischen Zeitungen bekanntgegeben und Steckbriefe erlassen worden seien. Ihnen wird empfohlen, getrennt weiterzureisen. In Tientsin bieten ihm Deutsche Unterkunft und Hilfe an, so daß er sich erholen kann, dann fährt er über Nanking nach Shanghai, immer weitergereicht an dort jeweils ansässige Deutsche.
  
 === Von China nach Amerika === === Von China nach Amerika ===
-Dann beginnt die Vorbereitung für die Flucht aus China: Ihm bleibt nur die Passage mit einem Schiff über Japan nach Amerika, denn sich durch Zentralasien nach Persien durchzuschlagen, ist zu aufwendig und zeitraubend; die [[wiki:fahrt|Fahrt]] mit dem Schiff um Indien wiederum ausgeschlossen wegen der zahlreichen englischen Kontrollen. Killinger entscheidet sich, eine französische Identität anzunehmen:  //„Jetzt hieß es, sich einen französischen Paß zu besorgen; Anzüge, wenn möglich mit französischen Firmen im Futter; Koffer, denen man an ihren aufgeklebten Zetteln, wie: „Hotel du Louvre, Lyon“, „Hotel de la Paix, Paris“, ansah, daß sie viel in Frankreich gewesen waren. Ein paar französische Briefe, Fotografien und Zeitungen mußten ebenfalls beigebracht werden.“// ((Killinger, Flucht um die Erde, 133))\\ + 
 +Dann beginnt die Vorbereitung für die Flucht aus China: Ihm bleibt nur die [[wiki:passage|Passage]] mit einem Schiff über Japan nach Amerika, denn sich durch Zentralasien nach Persien durchzuschlagen, ist zu aufwendig und zeitraubend; die [[wiki:fahrt|Fahrt]] mit dem Schiff um Indien wiederum ausgeschlossen wegen der zahlreichen englischen Kontrollen. Killinger entscheidet sich, eine französische Identität anzunehmen:  //„Jetzt hieß es, sich einen französischen Paß zu besorgen; Anzüge, wenn möglich mit französischen Firmen im Futter; Koffer, denen man an ihren aufgeklebten Zetteln, wie: „Hotel du Louvre, Lyon“, „Hotel de la Paix, Paris“, ansah, daß sie viel in Frankreich gewesen waren. Ein paar französische Briefe, Fotografien und Zeitungen mußten ebenfalls beigebracht werden.“// ((Killinger, Flucht um die Erde, 133))\\ 
 Er verbessert sein Französisch und Englisch, läßt sich in Sprachstunden seinen Akzent austreiben, paukt die bei Seeleuten üblichen Redewendungen. Dann besorgte er sich Kataloge, Geschäftspapiere und Briefbogen einer Schweizer Maschinenfabrik. Einen abgelaufenen französischen Paß kaufte er auf dem Schwarzmarkt, den Stempel des französischen Vizekonsuls in Che-foo schnitzte ein Chinese aus Holz, die Unterschrift des Vizekonsuls wurde durchgepaust, eine passende Legende für seinen Lebenslauf und seine jetzige Reise zurechtgestrickt. Am 1. Januar 1916 verließ er mit einem japanischen Dampfer Shanghai.\\  Er verbessert sein Französisch und Englisch, läßt sich in Sprachstunden seinen Akzent austreiben, paukt die bei Seeleuten üblichen Redewendungen. Dann besorgte er sich Kataloge, Geschäftspapiere und Briefbogen einer Schweizer Maschinenfabrik. Einen abgelaufenen französischen Paß kaufte er auf dem Schwarzmarkt, den Stempel des französischen Vizekonsuls in Che-foo schnitzte ein Chinese aus Holz, die Unterschrift des Vizekonsuls wurde durchgepaust, eine passende Legende für seinen Lebenslauf und seine jetzige Reise zurechtgestrickt. Am 1. Januar 1916 verließ er mit einem japanischen Dampfer Shanghai.\\ 
-Während der einen Monat dauernden Passage suchte er sich mit möglichst vielen Passagieren bekanntzumachen, um in deren Reisegruppen „unterzutauchen“. Doch die [[wiki:fahrt|Fahrt]] nach San Francisco verläuft gefahrlos. Ein Schiff nach Europa konnte er nur in New York finden und machte sich mit der Eisenbahn auf den Weg.+Während der einen Monat dauernden [[wiki:passage|Passage]] suchte er sich mit möglichst vielen Passagieren bekanntzumachen, um in deren Reisegruppen „unterzutauchen“. Doch die [[wiki:fahrt|Fahrt]] nach San Francisco verläuft gefahrlos. Ein Schiff nach Europa konnte er nur in New York finden und machte sich mit der Eisenbahn auf den Weg.
  
 === Von New York nach Norwegen === === Von New York nach Norwegen ===
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 Wieder einmal war ein neuer Paß nötig: Wenn er sich als Franzose ausgeben würde, holten ihn die Engländer vom Schiff und schickten ihn nach Frankreich, damit er seine Militärpflicht erfüllte. Und als Schweizer? // „Aber gerade als Schweizer Staatsangehöriger hatte man bei den Engländern mit einer besonders scharfen Kontrolle zu rechnen, da sich alle diejenigen, die eine fremde Sprache nicht fließend beherrschten, notgedrungen die Schweizer Staatsangehörigkeit zulegen mußten. ... Da kam mir ein erleuchtender Gedanke: ich stamme einfach aus der französischen Schweiz und spreche gar nicht Deutsch.“// ((Killinger, Flucht um die Erde, 185))\\  Wieder einmal war ein neuer Paß nötig: Wenn er sich als Franzose ausgeben würde, holten ihn die Engländer vom Schiff und schickten ihn nach Frankreich, damit er seine Militärpflicht erfüllte. Und als Schweizer? // „Aber gerade als Schweizer Staatsangehöriger hatte man bei den Engländern mit einer besonders scharfen Kontrolle zu rechnen, da sich alle diejenigen, die eine fremde Sprache nicht fließend beherrschten, notgedrungen die Schweizer Staatsangehörigkeit zulegen mußten. ... Da kam mir ein erleuchtender Gedanke: ich stamme einfach aus der französischen Schweiz und spreche gar nicht Deutsch.“// ((Killinger, Flucht um die Erde, 185))\\ 
 Die französische Schweiz kannte Killinger gut aus seiner Schulzeit und war dort bei dem Geistlichen ''Pasteur Epars'' in Pension gewesen - diesen gab er nun als Vater an. Seine Lebensgeschichte plante er detailliert. Anhand einiger Nachschlagewerke und Baedeker konnte er Straßennamen und Hausnummern angeben, die stimmten. In diesem Lebenslauf war er mit sechzehn Jahren als Taugenichts durchgebrannt und zur See gefahren:  //„Aus alten Schiffsregistern wurden jetzt ein paar kleinere unbekanntere Handelsdampfer herausgesucht und Jeans Seefahrtszeit rekonstruiert. Das war gar nicht so einfach, denn vom Jahr 1906-1912 mußte der Verbleib meines Jean lückenlos nachgewiesen werden. Die Namen der verschiedenen Schiffe, auf denen ich Dienst haben wollte, die Reiserouten, Kapitäne, Größe und Aussehen der Dampfer, womöglich Ladung, die wir an Bord hatten, Hafenplätze, wo wir anlegten, alles mußte den Tatsachen entsprechen....“//. ((Killinger, Flucht um die Erde, 186))\\  Die französische Schweiz kannte Killinger gut aus seiner Schulzeit und war dort bei dem Geistlichen ''Pasteur Epars'' in Pension gewesen - diesen gab er nun als Vater an. Seine Lebensgeschichte plante er detailliert. Anhand einiger Nachschlagewerke und Baedeker konnte er Straßennamen und Hausnummern angeben, die stimmten. In diesem Lebenslauf war er mit sechzehn Jahren als Taugenichts durchgebrannt und zur See gefahren:  //„Aus alten Schiffsregistern wurden jetzt ein paar kleinere unbekanntere Handelsdampfer herausgesucht und Jeans Seefahrtszeit rekonstruiert. Das war gar nicht so einfach, denn vom Jahr 1906-1912 mußte der Verbleib meines Jean lückenlos nachgewiesen werden. Die Namen der verschiedenen Schiffe, auf denen ich Dienst haben wollte, die Reiserouten, Kapitäne, Größe und Aussehen der Dampfer, womöglich Ladung, die wir an Bord hatten, Hafenplätze, wo wir anlegten, alles mußte den Tatsachen entsprechen....“//. ((Killinger, Flucht um die Erde, 186))\\ 
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 Abends läßt er sich von Freunden ins Kreuzverhör nehmen, bis er alle Angaben widerspruchsfrei beherrscht. Auch sein Äußeres trimmt er auf Matrose: // „... ich brachte mir an mehreren Stellen der Finger kleine Verletzungen bei und hielt dann die Hände in Petroleum, in dem vorher rostige Eisenstücke gelegen hatten. Die Finger schwollen natürlich sofort an, und der Rost setzte sich in den Ritzen der Haut fest. Dies Verfahren wirkte vorzüglich. Nach wenigen Tagen schon hatte ich eine richtige Seemannsfaust. ... Auch mein Gebiß paßte schlecht zu einem Matrosen. Früher hatte ich einmal durch einen Sturz mit meinem Flugzeug einen Vorderzahn eingebüßt, der mir durch einen goldgefaßten Stiftzahn ersetzt worden war. Der mußte natürlich entfernt werden. Kurzerhand schlug ich ihn mir aus. Die Zahnlücke machte sich recht gut ... Verschiedene Backenzähne waren mit Goldkronen überkapselt, die mehr nach vorn gelegenen konnte man beim Sprechen leicht sehen; ich riß die goldenen Kronen ab. Die weiter rückwärts liegenden schmierte ich mit Teer ein. ... Haare und Augenbrauen wurden tüchtig mit Fett eingerieben, das zuvor mit Kohlenstaub gemischt war.“//[95]  Killinger trug nur amerikanische Kleidungsstücke. Das Foto einer älteren Frau wurde sachgemäß zerknittert und beschmutzt und stellte seine Mutter dar.\\  Abends läßt er sich von Freunden ins Kreuzverhör nehmen, bis er alle Angaben widerspruchsfrei beherrscht. Auch sein Äußeres trimmt er auf Matrose: // „... ich brachte mir an mehreren Stellen der Finger kleine Verletzungen bei und hielt dann die Hände in Petroleum, in dem vorher rostige Eisenstücke gelegen hatten. Die Finger schwollen natürlich sofort an, und der Rost setzte sich in den Ritzen der Haut fest. Dies Verfahren wirkte vorzüglich. Nach wenigen Tagen schon hatte ich eine richtige Seemannsfaust. ... Auch mein Gebiß paßte schlecht zu einem Matrosen. Früher hatte ich einmal durch einen Sturz mit meinem Flugzeug einen Vorderzahn eingebüßt, der mir durch einen goldgefaßten Stiftzahn ersetzt worden war. Der mußte natürlich entfernt werden. Kurzerhand schlug ich ihn mir aus. Die Zahnlücke machte sich recht gut ... Verschiedene Backenzähne waren mit Goldkronen überkapselt, die mehr nach vorn gelegenen konnte man beim Sprechen leicht sehen; ich riß die goldenen Kronen ab. Die weiter rückwärts liegenden schmierte ich mit Teer ein. ... Haare und Augenbrauen wurden tüchtig mit Fett eingerieben, das zuvor mit Kohlenstaub gemischt war.“//[95]  Killinger trug nur amerikanische Kleidungsstücke. Das Foto einer älteren Frau wurde sachgemäß zerknittert und beschmutzt und stellte seine Mutter dar.\\ 
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 Auf dem norwegischen Dampfer //Storfjeld// heuerte er an, indem er abends zuvor einen Matrosen so vollaufen ließ, daß der am nächsten Morgen nicht erwachte, während Killinger „zufällig“ zur Stelle war und sich vom Kapitän nach langem Feilschen überreden ließ, mitzufahren. Es folgten vier Wochen harte Arbeit, schwerer Seegang und eine mehr als schmutzige Umgebung. Vor Erreichen der englischen Küste wurden sie von englischen Schiffen in den Hafen von Kirkwall begleitet. Dort begann die Untersuchung, vor der er sich bereits die ganze Zeit fürchtete: Die Koje wird genau untersucht und alles, was sich darin befindet; die Papiere wurden mit der Lupe studiert; im Kreuzverhör wurde der Lebenslauf überprüft. Als er das Verhör hinter sich hatte und gerade den Raum verließ, rief ihm jemand - auf Deutsch - hinterher: „Halt, Sie haben etwas vergessen.“ Ein beliebter Trick, auf den er aber nicht hereinfiel. In der nächsten Nacht wird er unsanft geweckt, doch Killinger reagierte nur mit den Worten //„Damned! Stop it!“// Viele verfallen aufwachend in ihre Muttersprache.\\  Auf dem norwegischen Dampfer //Storfjeld// heuerte er an, indem er abends zuvor einen Matrosen so vollaufen ließ, daß der am nächsten Morgen nicht erwachte, während Killinger „zufällig“ zur Stelle war und sich vom Kapitän nach langem Feilschen überreden ließ, mitzufahren. Es folgten vier Wochen harte Arbeit, schwerer Seegang und eine mehr als schmutzige Umgebung. Vor Erreichen der englischen Küste wurden sie von englischen Schiffen in den Hafen von Kirkwall begleitet. Dort begann die Untersuchung, vor der er sich bereits die ganze Zeit fürchtete: Die Koje wird genau untersucht und alles, was sich darin befindet; die Papiere wurden mit der Lupe studiert; im Kreuzverhör wurde der Lebenslauf überprüft. Als er das Verhör hinter sich hatte und gerade den Raum verließ, rief ihm jemand - auf Deutsch - hinterher: „Halt, Sie haben etwas vergessen.“ Ein beliebter Trick, auf den er aber nicht hereinfiel. In der nächsten Nacht wird er unsanft geweckt, doch Killinger reagierte nur mit den Worten //„Damned! Stop it!“// Viele verfallen aufwachend in ihre Muttersprache.\\ 
 Fast ein Jahr nach seiner Gefangennahme betrat er norwegischen Boden, fühlte sich in Sicherheit. Auf der deutschen Botschaft glaubte man ihm seine Geschichte nicht, gab ihm jedoch Geld für eine Fahrkarte nach Warnemünde. Dort angekommen, wurde er gleich verhaftet, man hielt ihn für einen russischen Spion, bis ihn ein Kamerad aus der Fliegerstaffel identifiziert. Am 6. März 1916, elf Monate nach seiner Gefangennahme, vier Monate nach seiner Flucht aus Sibirien ist er wieder zu Hause. Fast ein Jahr nach seiner Gefangennahme betrat er norwegischen Boden, fühlte sich in Sicherheit. Auf der deutschen Botschaft glaubte man ihm seine Geschichte nicht, gab ihm jedoch Geld für eine Fahrkarte nach Warnemünde. Dort angekommen, wurde er gleich verhaftet, man hielt ihn für einen russischen Spion, bis ihn ein Kamerad aus der Fliegerstaffel identifiziert. Am 6. März 1916, elf Monate nach seiner Gefangennahme, vier Monate nach seiner Flucht aus Sibirien ist er wieder zu Hause.
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 ===== 5 Bedingungen und Verhalten in Zwangssituationen ===== ===== 5 Bedingungen und Verhalten in Zwangssituationen =====
 ==== Selbstbestimmung und Objekt ==== ==== Selbstbestimmung und Objekt ====
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 Zweimal im [[wiki:reisegenerationen#20. Jahrhundert|20. Jahrhundert]] unterbrachen Kriege weltweit die Kontinuität des Gewohnten, einmal vier, dann noch einmal sechs Jahre lang, gefolgt von Jahren nur langsamer Normalisierung im Schatten der Kriege. Reisende bewegen sich immer außerhalb der Normalität und des Alltags, doch in den Zeiten der Not und des Krieges, finden sie sich in außergewöhnlichem Maße staatlichen Zwängen und menschlicher Willkür ausgesetzt. Extremsituationen werden zur alltäglichen Routine, zum permanenten Existenzkampf. Zweimal im [[wiki:reisegenerationen#20. Jahrhundert|20. Jahrhundert]] unterbrachen Kriege weltweit die Kontinuität des Gewohnten, einmal vier, dann noch einmal sechs Jahre lang, gefolgt von Jahren nur langsamer Normalisierung im Schatten der Kriege. Reisende bewegen sich immer außerhalb der Normalität und des Alltags, doch in den Zeiten der Not und des Krieges, finden sie sich in außergewöhnlichem Maße staatlichen Zwängen und menschlicher Willkür ausgesetzt. Extremsituationen werden zur alltäglichen Routine, zum permanenten Existenzkampf.
  
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 ==== Bei Kriegsausbruch in Feindesland ==== ==== Bei Kriegsausbruch in Feindesland ====
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 Anzeichen für einen bevorstehenden Krieg gab es 1914 und 1939, doch wurden sie von vielen Menschen ignoriert, aus Leichtsinn, Dummheit, Realitätsverlust oder Naivität. Ihr Alltag verlief weitgehend normal, das Säbelrasseln der Diplomaten berührte anscheinend ihr Leben nicht. Sowohl die Kriegserklärung an Rußland 1914 als auch der Einmarsch in Polen 1939 erfolgten für den überwiegenden Teil der Bevölkerung überraschend, ebenso die darauffolgende Eskalation. ((Sogar die Besatzung des kleinen Kreuzers Schleswig-Holstein, das die ersten Schüsse des Zweiten Weltkriegs im Danziger Hafen abgab, glaubte bis zuletzt, daß die Kriegsvorbereitungen übertriebene Vorsichtsmaßnahmen seien.)) Wer sich dann auf Reisen im „falschen“ Land befand, war plötzlich ein Feind. Kurt Aram wird verhaftet von Soldaten, mit denen er am am Abend vorher zusammen gegessen und getrunken hatte. Heinrich Harrer wird geholt, während er mit englischen Offizieren in Kalkutta gemütlich zusammensitzt und Tee trinkt. Hans Kopp trifft es auf einer irakischen Baustelle, Heins von Have während seiner Tätigkeit als Kaufmann in Batavia, Kolbe bei einer Bergtour. Anzeichen für einen bevorstehenden Krieg gab es 1914 und 1939, doch wurden sie von vielen Menschen ignoriert, aus Leichtsinn, Dummheit, Realitätsverlust oder Naivität. Ihr Alltag verlief weitgehend normal, das Säbelrasseln der Diplomaten berührte anscheinend ihr Leben nicht. Sowohl die Kriegserklärung an Rußland 1914 als auch der Einmarsch in Polen 1939 erfolgten für den überwiegenden Teil der Bevölkerung überraschend, ebenso die darauffolgende Eskalation. ((Sogar die Besatzung des kleinen Kreuzers Schleswig-Holstein, das die ersten Schüsse des Zweiten Weltkriegs im Danziger Hafen abgab, glaubte bis zuletzt, daß die Kriegsvorbereitungen übertriebene Vorsichtsmaßnahmen seien.)) Wer sich dann auf Reisen im „falschen“ Land befand, war plötzlich ein Feind. Kurt Aram wird verhaftet von Soldaten, mit denen er am am Abend vorher zusammen gegessen und getrunken hatte. Heinrich Harrer wird geholt, während er mit englischen Offizieren in Kalkutta gemütlich zusammensitzt und Tee trinkt. Hans Kopp trifft es auf einer irakischen Baustelle, Heins von Have während seiner Tätigkeit als Kaufmann in Batavia, Kolbe bei einer Bergtour.
  
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 ==== Bei Kriegsausbruch im neutralen Ausland ==== ==== Bei Kriegsausbruch im neutralen Ausland ====
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 Weltweit besteht nach einer Mobilmachung für jeden Deutschen die Pflicht, sich bei der nächsten deutschen Behörde zu melden, bei Konsulaten oder Botschaften. Wer seinen [[wiki:wohnsitz|Wohnsitz]] im neutralen oder befreundeten Ausland hatte, bekam dort seinen Gestellungsbefehl zugestellt. Arthur Heye befand sich allein im Grenzgebiet zwischen Kenia und Tanzania, Hauer ist im Gebiet um den Tanganjikasee unterwegs, dennoch erreichen sie Boten mit dem Befehl, sich sofort bei der nächsten deutschen Behörde zu melden. Gustav Fruhmann, einen Österreicher, erreichte der Einberufungsbefehl in Südafrika:  //„Als Österreicher, der im Auslande lebte, hatte ich mich nämlich bei meinem Konsulat zur ärztlichen Untersuchung für den Militärdienst zu stellen und, wenn ich tauglich befunden wurde, einzurücken.“// ((Fruhmann, Im Frack um die Welt, 46)) Fruhmann war tauglich, gab im Februar 1899 seine Stelle auf, fuhr nach Kapstadt und schiffte sich nach Europa ein. Grundsätzlich galten für Deutsche im Ausland die gleichen Pflichten wie für die Deutschen im Heimatland. Zwischen allen Stühlen aber saß jemand wie Philip Rosenthal, der als Kind in den 30er Jahren mit seinen Eltern nach England emigriert war. Obwohl er immer noch die deutsche Staatsangehörigkeit besaß, kam eine Rückkehr jedoch keinesfalls in Frage. Weltweit besteht nach einer Mobilmachung für jeden Deutschen die Pflicht, sich bei der nächsten deutschen Behörde zu melden, bei Konsulaten oder Botschaften. Wer seinen [[wiki:wohnsitz|Wohnsitz]] im neutralen oder befreundeten Ausland hatte, bekam dort seinen Gestellungsbefehl zugestellt. Arthur Heye befand sich allein im Grenzgebiet zwischen Kenia und Tanzania, Hauer ist im Gebiet um den Tanganjikasee unterwegs, dennoch erreichen sie Boten mit dem Befehl, sich sofort bei der nächsten deutschen Behörde zu melden. Gustav Fruhmann, einen Österreicher, erreichte der Einberufungsbefehl in Südafrika:  //„Als Österreicher, der im Auslande lebte, hatte ich mich nämlich bei meinem Konsulat zur ärztlichen Untersuchung für den Militärdienst zu stellen und, wenn ich tauglich befunden wurde, einzurücken.“// ((Fruhmann, Im Frack um die Welt, 46)) Fruhmann war tauglich, gab im Februar 1899 seine Stelle auf, fuhr nach Kapstadt und schiffte sich nach Europa ein. Grundsätzlich galten für Deutsche im Ausland die gleichen Pflichten wie für die Deutschen im Heimatland. Zwischen allen Stühlen aber saß jemand wie Philip Rosenthal, der als Kind in den 30er Jahren mit seinen Eltern nach England emigriert war. Obwohl er immer noch die deutsche Staatsangehörigkeit besaß, kam eine Rückkehr jedoch keinesfalls in Frage.
  
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 ==== Wer konnte reisen? ====  ==== Wer konnte reisen? ==== 
-Bei der ersten und zweiten Situation war es mit der [[wiki:reisefreiheit|Freiheit des Reisens]] dann auf einige Zeit vorbei, in der dritten Situation war zumindest ein fremdes Land zum „Gefängnis“ geworden. Nur für wehruntaugliche Bürger (z.B. Kurt Faber) und Frauen der kriegführenden Nationen bestand zumindest theoretisch die Möglichkeit zu reisen, und dann nur in befreundeten Ländern. Selbst offiziell neutrale Länder waren häufig nicht wirklich souverän in ihrer Neutralität; so wurde ''Kopp'' von Nepal an die Engländer ausgeliefert. Im während des Ersten Weltkriegs neutralen Amerika war die öffentliche Stimmung sehr gegen die Deutschen eingestellt, so daß man dort als deutscher Reisender auch kein leichtes Leben hatte. ''Colin Ross'', bekannter Reiseschriftsteller und Viel-Reisender, verstand sich so gut mit den Machthabern des Dritten Reiches, daß er 1944 durch die besetzten Gebiete in Marokko, Algerien und Tunesien reiste und den Krieg als Retter heruntergekommener Gebiete feierte ((Ross, Umkämpftes Afrika.)) Auch dies dürfte nur ein Einzelfall gewesen sein.+ 
 +Bei der ersten und zweiten Situation war es mit der [[wiki:reisefreiheit|Freiheit des Reisens]] dann auf einige Zeit vorbei, in der dritten Situation war zumindest ein fremdes Land zum „Gefängnis“ geworden. Nur für wehruntaugliche Bürger (z.B. Kurt Faber) und [[wiki:frauen_unterwegs|Frauen]] der kriegführenden Nationen bestand zumindest theoretisch die Möglichkeit zu reisen, und dann nur in befreundeten Ländern. Selbst offiziell neutrale Länder waren häufig nicht wirklich souverän in ihrer Neutralität; so wurde ''Kopp'' von Nepal an die Engländer ausgeliefert. Im während des Ersten Weltkriegs neutralen Amerika war die öffentliche Stimmung sehr gegen die Deutschen eingestellt, so daß man dort als deutscher Reisender auch kein leichtes Leben hatte. ''Colin Ross'', bekannter Reiseschriftsteller und Viel-Reisender, verstand sich so gut mit den Machthabern des Dritten Reiches, daß er 1944 durch die besetzten Gebiete in Marokko, Algerien und Tunesien reiste und den Krieg als Retter heruntergekommener Gebiete feierte ((Ross, Umkämpftes Afrika.)) Auch dies dürfte nur ein Einzelfall gewesen sein.
  
 Weitergehende Reisefreiheit hatten Bürger der neutralen Länder und so ist es kein Zufall, daß das einzige Beispiel eines freiwillig während des zweiten Weltkriegs Reisenden von einem Schweizer stammt (''Hans von Meiss-Teuffen''). Da aber auch diese Länder eine Armee unterhielten, mußte man schon wehruntauglich sein. Probleme der Grenzüberschreitung, der schnell wechselnden Machtverhältnisse, Willkür von Vollzugsbeamten, Devisenschwierigkeiten lassen sich am besten auf den Meeren „umschiffen“. Außerhalb der Dreimeilenzone befindet man sich in internationalen Gewässern, außerhalb aller Grenzen. Und in den Hafen einlaufend, gelten die Planken des Schiffes als exterritorialer Boden. Diese Vorteile nutzte ''Meiss-Teuffen'' ebenso wie die deutschen Schiffe, die sich zu Anfang des Krieges in holländische Häfen in Asien geflüchtet hatten. Weitergehende Reisefreiheit hatten Bürger der neutralen Länder und so ist es kein Zufall, daß das einzige Beispiel eines freiwillig während des zweiten Weltkriegs Reisenden von einem Schweizer stammt (''Hans von Meiss-Teuffen''). Da aber auch diese Länder eine Armee unterhielten, mußte man schon wehruntauglich sein. Probleme der Grenzüberschreitung, der schnell wechselnden Machtverhältnisse, Willkür von Vollzugsbeamten, Devisenschwierigkeiten lassen sich am besten auf den Meeren „umschiffen“. Außerhalb der Dreimeilenzone befindet man sich in internationalen Gewässern, außerhalb aller Grenzen. Und in den Hafen einlaufend, gelten die Planken des Schiffes als exterritorialer Boden. Diese Vorteile nutzte ''Meiss-Teuffen'' ebenso wie die deutschen Schiffe, die sich zu Anfang des Krieges in holländische Häfen in Asien geflüchtet hatten.
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 ==== Strategien der Flucht ==== ==== Strategien der Flucht ====
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 Voraussetzung ist auf Seiten des Flüchtenden zunächst einmal der unbändige Wille zu fliehen verbunden mit dem Glauben an Erfolg. Nur die wenigsten Internierten haben diesen Impetus. Als von Dehra-Dun alle bisherigen Ausbrecher in ein Straflager verlegt werden, sind dies neunzehn Männer von knapp zweitausend Internierten! Die Mehrheit fand für sich andere Lösungen (( E. Kästner (Zeltbuch von Tumilad) beschreibt ausführlich die Wege, um Jahre im Lager geistig gesund zu überstehen. Das „Dasein im Leeren“ wurde für ihn erträglich, nachdem //„die Unruhe erlosch, die einen sonst dazu antreibt, den Ort zu wechseln ... Dagegen entwickelte sich ein anderer Sinn. Er befähigte einen, zu sein, wo man wollte.“//)).\\  Voraussetzung ist auf Seiten des Flüchtenden zunächst einmal der unbändige Wille zu fliehen verbunden mit dem Glauben an Erfolg. Nur die wenigsten Internierten haben diesen Impetus. Als von Dehra-Dun alle bisherigen Ausbrecher in ein Straflager verlegt werden, sind dies neunzehn Männer von knapp zweitausend Internierten! Die Mehrheit fand für sich andere Lösungen (( E. Kästner (Zeltbuch von Tumilad) beschreibt ausführlich die Wege, um Jahre im Lager geistig gesund zu überstehen. Das „Dasein im Leeren“ wurde für ihn erträglich, nachdem //„die Unruhe erlosch, die einen sonst dazu antreibt, den Ort zu wechseln ... Dagegen entwickelte sich ein anderer Sinn. Er befähigte einen, zu sein, wo man wollte.“//)).\\ 
 Rawitsch unterschiedet bei den Internierten verschiedene Typen:  //„Da waren zunächst die Organisationstalente, Männer, die automatisch unsere Lebensbedingungen so zu verbessern suchten, daß möglichst viele die ungewöhnlichen Strapazen überstanden. Dann gab es Kameraden - ich gehörte zu ihnen -, die dazu bestimmt schienen, nicht zu unterliegen. Und wieder andere, in denen der letzte Funke von Hoffnung fast erloschen war ... Sie starben ohne einen Laut ... Am meisten bewunderte ich die Spaßmacher. Wenn wir der Verzweiflung nahe waren, ermunterten sie uns wieder. ... Nichts konnte diese Menschen erschüttern, nichts sie zum Schweigen bringen. Ich danke ihnen noch heute für das befreiende Lachen ... das sie uns entlockten.“// ((Rawitsch, 44 f.)) Rawitsch unterschiedet bei den Internierten verschiedene Typen:  //„Da waren zunächst die Organisationstalente, Männer, die automatisch unsere Lebensbedingungen so zu verbessern suchten, daß möglichst viele die ungewöhnlichen Strapazen überstanden. Dann gab es Kameraden - ich gehörte zu ihnen -, die dazu bestimmt schienen, nicht zu unterliegen. Und wieder andere, in denen der letzte Funke von Hoffnung fast erloschen war ... Sie starben ohne einen Laut ... Am meisten bewunderte ich die Spaßmacher. Wenn wir der Verzweiflung nahe waren, ermunterten sie uns wieder. ... Nichts konnte diese Menschen erschüttern, nichts sie zum Schweigen bringen. Ich danke ihnen noch heute für das befreiende Lachen ... das sie uns entlockten.“// ((Rawitsch, 44 f.))
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 ===== 6 Biographien ===== ===== 6 Biographien =====
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 Biographische Angaben sind überwiegend den Reiseberichten entnommen. Diese herauszufinden bzw. abzuleiten bedurfte detektivischer Kleinarbeit. Einige Male lieferte das „Deutsche Biographische Archiv (Neue Folge)“ wertvolle Hinweise. Literaturangaben entstammen dem Gesamtverzeichnis deutschsprachiger Bücher (GV). Biographische Angaben sind überwiegend den Reiseberichten entnommen. Diese herauszufinden bzw. abzuleiten bedurfte detektivischer Kleinarbeit. Einige Male lieferte das „Deutsche Biographische Archiv (Neue Folge)“ wertvolle Hinweise. Literaturangaben entstammen dem Gesamtverzeichnis deutschsprachiger Bücher (GV).
  
 ==== Kurt Aram ==== ==== Kurt Aram ====
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 (Pseudonym für Hans Fischer) (Pseudonym für Hans Fischer)
 * 28.1.1869 in Lennep, + 10.7.1934. Autor weniger Reisebücher sowie geistreicher und fesselnd geschriebener Unterhaltungsliteratur, etwas romantisierend und teils mit sensationellem Aufputz. Seine Romane stellen oft Episoden aus dem eigenen Leben dar. Redakteur, Schriftsteller und Journalist beim „Berliner Tageblatt“. * 28.1.1869 in Lennep, + 10.7.1934. Autor weniger Reisebücher sowie geistreicher und fesselnd geschriebener Unterhaltungsliteratur, etwas romantisierend und teils mit sensationellem Aufputz. Seine Romane stellen oft Episoden aus dem eigenen Leben dar. Redakteur, Schriftsteller und Journalist beim „Berliner Tageblatt“.
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 ==== Herbert Paidar ==== ==== Herbert Paidar ====
 Bergsteiger, vermutlich aus Bayern. Unternahm seinen ersten und einzigen Fluchtversuch im April 1945 aus dem Lager Dehra-Dun bei Mussorie in Nord-Indien. Außerhalb des Lagers traf er sich mit Ludwig Schmaderer und versuchte zusammen mit ihm Tibet auf dem gleichen Weg zu erreichen, den im Vorjahr Aufschnaiter und Harrer gingen. Eines Tages war Schmaderer allein zum nächsten Dorf unterwegs, um ein Schaf zu kaufen. Dabei wurde er von vier Tibetern überfallen, totgeprügelt und in den Fluß geworfen. In der dritten Auflage von „Zwischen Kantsch und Tibet“ widmet Paidar ihm einen Nachruf. Paidar kehrte daraufhin zurück ins Lager. Er soll später in den österreichischen Bergen umgekommen sein. [110] Bergsteiger, vermutlich aus Bayern. Unternahm seinen ersten und einzigen Fluchtversuch im April 1945 aus dem Lager Dehra-Dun bei Mussorie in Nord-Indien. Außerhalb des Lagers traf er sich mit Ludwig Schmaderer und versuchte zusammen mit ihm Tibet auf dem gleichen Weg zu erreichen, den im Vorjahr Aufschnaiter und Harrer gingen. Eines Tages war Schmaderer allein zum nächsten Dorf unterwegs, um ein Schaf zu kaufen. Dabei wurde er von vier Tibetern überfallen, totgeprügelt und in den Fluß geworfen. In der dritten Auflage von „Zwischen Kantsch und Tibet“ widmet Paidar ihm einen Nachruf. Paidar kehrte daraufhin zurück ins Lager. Er soll später in den österreichischen Bergen umgekommen sein. [110]
-  - Zwischen Kantsch und Tibet. Erstbesteigung des Tent-Peak, 7363 m. Bildertagebuch einer neuen Sikkim-Kundfahrt 1939 der `Drei im Himalaja´. von Ernst Grob, Ludwig Schmaderer, Herbert Paidar. Bruckmann. München. 1940, 123 S., Abb., 1 Karte, 4°. (3. A. 1950, gr. 8°, 143 S.)+  - Zwischen Kantsch und Tibet. [[wiki:bergwelt|Erstbesteigung]] des Tent-Peak, 7363 m. Bildertagebuch einer neuen Sikkim-Kundfahrt 1939 der `Drei im Himalaja´. von Ernst Grob, Ludwig Schmaderer, Herbert Paidar. Bruckmann. München. 1940, 123 S., Abb., 1 Karte, 4°. (3. A. 1950, gr. 8°, 143 S.)
   - Drei im Himalaja. Die Erlebnisse einer Himalajafahrt. Bruckmann 1938, 97 S., 63 Tfll., 2 Panoramen, 3 Karten, 8°.   - Drei im Himalaja. Die Erlebnisse einer Himalajafahrt. Bruckmann 1938, 97 S., 63 Tfll., 2 Panoramen, 3 Karten, 8°.
  
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   * (2.) Das neue Asien. Brockhaus. Lpz. 1940. 287 S., 8° (7 Aufl.)   * (2.) Das neue Asien. Brockhaus. Lpz. 1940. 287 S., 8° (7 Aufl.)
   * (3.) Auf deutschem Boden um die Erde. Erinnerungen eines Weltreisenden. Schaffstein. Köln. 1934. 79 S., 8°   * (3.) Auf deutschem Boden um die Erde. Erinnerungen eines Weltreisenden. Schaffstein. Köln. 1934. 79 S., 8°
-  * (4.) Südamerikanisches Auswanderer-ABC. Praktische Winke u. Ratschläge. Ausland u. Heimat. Stuttgart. 1921. 40 S., gr. 8°+  * (4.) Südamerikanisches [[wiki:liste_ausstellungen#Auswanderer|Auswanderer]]-ABC. Praktische Winke u. Ratschläge. Ausland u. Heimat. Stuttgart. 1921. 40 S., gr. 8°
   * (5.) Der [[wiki:staunen_fremdheit_neues_neugier#Dort fängt der Balkan an|Balkan]] Amerikas. Mit Kind und Kegel durch Mexiko zum Panamakanal. Brockhaus. Lpz. 1937. 274 S., 8° (10 Aufl.)   * (5.) Der [[wiki:staunen_fremdheit_neues_neugier#Dort fängt der Balkan an|Balkan]] Amerikas. Mit Kind und Kegel durch Mexiko zum Panamakanal. Brockhaus. Lpz. 1937. 274 S., 8° (10 Aufl.)
   * (6.) Im Balkankrieg. Singer. Strassburg. 1918. 125 S.   * (6.) Im Balkankrieg. Singer. Strassburg. 1918. 125 S.
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 ==== Ludwig Schmaderer ==== ==== Ludwig Schmaderer ====
 Bergsteiger, vermutlich aus Bayern und wahrscheinlich Bäcker. Kolb beschreibt ihn: „Der mit den langen Armen [Schmaderer] erfand übrigens den Lager-Klettersport, dem freilich außer ihm und mir kaum noch jemand huldigte.“ [111]War ebenfalls in Dehra-Dun interniert und entfloh erstmals 1943, wurde jedoch bereits drei Wochen später von der Polizei gefaßt. Im April 1945, als alle Ausreißer, er und 20 Kameraden, strafverlegt werden sollten, floh er am hellichten Tag und in Gegenwart der völlig überraschten Soldaten. Einige Tage später traf er sich mit Herbert Paidar, der inzwischen ebenfalls entflohen war, und sie marschierten den Weg nach Tibet, den auch die Gruppe um Harrer und Aufschnaiter genommen hatten. Eines Tages war Schmaderer im Spitital allein zum nächsten Dorf unterwegs, um ein Schaf zu kaufen. Dabei wurde er von vier Tibetern überfallen, totgeprügelt und in den Fluß geworfen. In der dritten Auflage von „Zwischen Kantsch und Tibet“ widmet ihm Paidar einen Nachruf. Bergsteiger, vermutlich aus Bayern und wahrscheinlich Bäcker. Kolb beschreibt ihn: „Der mit den langen Armen [Schmaderer] erfand übrigens den Lager-Klettersport, dem freilich außer ihm und mir kaum noch jemand huldigte.“ [111]War ebenfalls in Dehra-Dun interniert und entfloh erstmals 1943, wurde jedoch bereits drei Wochen später von der Polizei gefaßt. Im April 1945, als alle Ausreißer, er und 20 Kameraden, strafverlegt werden sollten, floh er am hellichten Tag und in Gegenwart der völlig überraschten Soldaten. Einige Tage später traf er sich mit Herbert Paidar, der inzwischen ebenfalls entflohen war, und sie marschierten den Weg nach Tibet, den auch die Gruppe um Harrer und Aufschnaiter genommen hatten. Eines Tages war Schmaderer im Spitital allein zum nächsten Dorf unterwegs, um ein Schaf zu kaufen. Dabei wurde er von vier Tibetern überfallen, totgeprügelt und in den Fluß geworfen. In der dritten Auflage von „Zwischen Kantsch und Tibet“ widmet ihm Paidar einen Nachruf.
-  - Zwischen Kantsch und Tibet. Erstbesteigung des Tent-Peak, 7363 m. Bildertagebuch einer neuen Sikkim-Kundfahrt 1939 der `Drei im Himalaja´. Von Ernst Grob, Ludwig Schmaderer, Herbert Paidar. Bruckmann. München. 1940, 123 S., Abb., 1 Karte, 4°. (3. A. 1950, gr. 8°, 143 S.)+  - Zwischen Kantsch und Tibet. [[wiki:bergwelt|Erstbesteigung]] des Tent-Peak, 7363 m. Bildertagebuch einer neuen Sikkim-Kundfahrt 1939 der `Drei im Himalaja´. Von Ernst Grob, Ludwig Schmaderer, Herbert Paidar. Bruckmann. München. 1940, 123 S., Abb., 1 Karte, 4°. (3. A. 1950, gr. 8°, 143 S.)
   - Drei im Himalaja. Die Erlebnisse einer Himalajafahrt. Bruckmann 1938, 97 S., 63 Tfll., 2 Panoramen, 3 Karten, 8°.   - Drei im Himalaja. Die Erlebnisse einer Himalajafahrt. Bruckmann 1938, 97 S., 63 Tfll., 2 Panoramen, 3 Karten, 8°.
  
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